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Umfrage: Visa-Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft | Russland-Analysen | bpb.de

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Umfrage: Visa-Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft

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Die Mehrheit der befragten deutschen Unternehmen sehen die Menge der einzureichenden Unterlagen als größtes Problem bei der Visa-Vergabe. Die fehlenden Fortschritte bei den Visa-Verhandlungen zwischen Russland und der EU führen 70% der Unternehmen auf das Sicherheitsbedenken der Mitgliedsstaaten zurück.

Einleitung

Im April und Mai 2011 führte der Ost-Ausschuss eine Umfrage zum Thema Visa-Vergabe unter seinen Mitgliedsunternehmen und Partnerorganisationen durch, an der sich rund 200 Firmen beteiligten. Die Fragen bezogen sich sowohl auf die Visa-Vergabepraxis osteuropäischer als auch deutscher Behörden. Die beteiligten Unternehmen stellen einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Wirtschaft dar: Je ein Drittel der Antworten entfiel auf kleine Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern, ein Drittel auf Mittelständler mit bis zu 1000 Mitarbeitern und ein weiteres Drittel auf Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitern.

In der Umfrage erhielten die Konsulate von Armenien (Note 2,3) und Belarus (2,9) für Ihre Visa-Vergabepraxis die besten Noten. Im Mittelfeld landeten Usbekistan (3,2), Russland (3,3) und Aserbaidschan (3,3). Vergleichsweise schlecht fiel die Note für die Visa-Vergabepraxis deutscher Behörden an osteuropäische Staatsbürger aus (3,7). Schlechter schnitten in der Umfrage nur noch die Konsulate Kasachstans (3,9) und Turkmenistans (4,5) ab.

Grafik 1: Mit welcher Note von 1 bis 6 würden Sie die Visa-Vergabepraxis der folgenden Länder bewerten?

Immer wieder wird in den Fragebögen auf eine angeblich unhöfliche Behandlung osteuropäischer Visa-Antragssteller durch Mitarbeiter deutscher Konsularabteilungen hingewiesen. Nach Deutschland eingeladene Geschäftspartner würden bisweilen »wie Bürger zweiter Klasse behandelt«. Die Beantragung von Visa in anderen EU-Vertretungen wird als Notlösung gesehen, wenn von deutscher Seite kein kurzfristiges Visum zu bekommen ist.

Die größten Probleme bei der Visa-Vergabe sind für 64 Prozent der Unternehmen die schiere Menge der einzureichenden Unterlagen. Über zu lange Bearbeitungszeiten klagen 62 Prozent der Unternehmen, weitere 56 Prozent über den hohen zeitlichen Aufwand. 53 Prozent kritisieren die Notwendigkeit, im Konsulat persönlich zu erscheinen. Korruption, so ein Ergebnis der Umfrage, spielt bei der Visa-Vergabe nur eine geringe Rolle (8 Prozent).

Grafik 2: Welche Probleme/Mängel beobachten Sie bei der Visa-Vergabe am häufigsten? (Mehrfachnennung möglich)

Bezüglich der Ukraine, die bereits im Jahr 2005 einseitig Reisevisa für EU-Bürger abgeschafft hat, ohne dass die EU diesem Schritt bislang gefolgt ist, würde eine Mehrzahl der befragten Unternehmen die sofortige Abschaffung der Visa-Pflicht (43 Prozent) oder zumindest eine Testphase für eine visafreie Einreise in die EU während der Fußball-Europameisterschaft (20 Prozent) begrüßen. 35 Prozent der Befragten sind aktuell gegen eine Abschaffung der Visa-Pflicht für ukrainische Staatsbürger.

Finanzieller Aufwand und Einnahmeausfälle

Wirtschaftlich wirkt sich die Visa-Pflicht negativ aus, weil kurzfristig anberaumte Termine nicht durchführbar sind. Dies bemängelten 78 Prozent der Unternehmen. 31 Prozent klagten über Zeitverzögerungen bei oder gar über das Scheitern von Vertragsunterzeichnungen. In einem Fall spricht ein Unternehmen von einem Schaden in Millionenhöhe.

Für 39 von 200 Unternehmen (20 Prozent) gingen durch Visa-Probleme bereits Aufträge an Wettbewerber verloren.

Hinzu kommt der finanzielle Aufwand für die Beantragung von Visa, inklusive Reisen zu Ausgabestellen und Personalkosten. Dieser liegt im Durchschnitt aller Unternehmen, die hierzu Stellung nahmen, bei 33.400 Euro, wobei die Kosten für große Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern im Schnitt bei 102.000 Euro pro Jahr liegen. 127 von 200 Unternehmen hatten ihre jährlichen Kosten beziffert. Dabei kam eine Gesamtsumme von 4,24 Millionen Euro zusammen.

Grafik 3: Welche wirtschaftlichen Probleme sind Ihnen konkret entstanden? (Mehrfachnennung möglich)

Zu den wirtschaftlichen Kosten hinzuzählen muss man noch den enormen Aufwand, der in Visa-Stellen und an den Grenzen entsteht, um Visa-Anträge zu bearbeiten und zu kontrollieren. Konkrete Zahlen liegen hier nicht vor. Eine ungefähre Vorstellung der Gesamtkosten vermittelt aber die folgende Rechnung:

Im Jahr 2010 stellten deutsche Behörden rund 350.000 Schengenvisa an russische Antragsteller aus. Russische Behörden wiederum gaben 470.000 Visa an deutsche Staatsbürger aus. Dies sind zusammen 820.000 Visa. Legt man für jedes Visum einen finanziellen Aufwand von im Schnitt 200 Euro zugrunde (Gebühren, Reisekosten zum Konsulat, Personalkosten, Kosten für die Erstellung von Dokumenten, Kosten für die Prüfung etc.), so verursacht allein die Visa-Pflicht zwischen Deutschland und Russland Jahr für Jahr Kosten in Höhe von 162 Millionen Euro, die Antragssteller und Behörden gemeinsam aufbringen müssen. Diese Durchschnittszahl ist konservativ berechnet, denn ein einzelnes Expressvisum oder Jahresvisum kostet Antragssteller schnell bis zu 500 Euro Gebühren, wobei ein Heer von Zwischenhändlern hier gerne die Hände aufhält. Und russische Antragssteller müssen sich in der Regel zur Beantragung und zur Abholung eines Visums auf einem deutschen Konsulat einfinden und dabei angesichts der Größe des Landes mitunter Tagesreisen auf sich nehmen.

Bedenklich ist auch die folgende Zahl: 56 Prozent der Unternehmen, die an unserer Umfrage teilnahmen, würden im Falle vollkommener Visa-Freiheit mehr in Russland und/oder der EU investieren. Dies zeigt deutlich, welches Investitionshindernis die Visa-Pflicht darstellt und welche zusätzlichen Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung von ihrer Abschaffung ausgehen würden.

Am deutlichsten sichtbar werden die wirtschaftlichen Chancen im Tourismus. Nicht von ungefähr sind Montenegro und die Türkei zu den bevorzugten Urlaubszielen der wachsenden russischen Mittelschicht aufgestiegen: Montenegro verzichtet auf ein Visum von russischen Reisenden, die Türkei hat das Visum jahrelang unbürokratisch bei der Einreise ausgestellt und es dann im April 2011 für Aufenthalte von bis zu 30 Tagen ganz abgeschafft. Als direkte Folge wird für 2011 ein Anstieg der russischen Touristen in der Türkei um eine Million auf dann vier Millionen Reisende erwartet.

Wenn man alle Posten zusammenrechnet:

  • direkte Kosten durch Bürokratie in den Unternehmen

  • Verluste durch geplatzte Geschäfte

  • verhinderte Investitionen und Einnahmen aus dem Tourismus

  • Verwaltungskosten in den Konsulaten und an den Grenzen

so kann man sagen, dass allein die Visa-Pflicht mit Russland die europäische Wirtschaft und die Steuerzahler jährlich hunderte von Millionen Euro kostet. Die Abschaffung der Visa-Pflicht wäre ein europäisches Konjunkturprogramm zum Nulltarif, das die Bremsen bei Investitionen löst und von Jahr zu Jahr mehr Rendite abwerfen wird.

Visa-Pflicht zwischen Russland und der EU

Russland ist für die deutschen Unternehmen in östlicher Nachbarschaft zur EU das wichtigste Zielland. Entsprechend groß ist hier das Interesse an Verbesserungen im Reiseverkehr. Tatsächlich halten 83 Prozent der befragten Unternehmen die gegenseitige Abschaffung der Visa-Pflicht durch die EU und Russland für wichtig bis sehr wichtig.

Immerhin 27 Prozent der befragten Unternehmen erwarten die Abschaffung der Visa-Pflicht schon innerhalb der nächsten zwei Jahre bis 2013. Weitere 36 Prozent tippen auf eine Zeitspanne von bis zu fünf Jahren. Damit ist eine klare Mehrheit von 63 Prozent der befragten Unternehmen davon überzeugt, dass es spätestens 2016 visafreien Reiseverkehr zwischen Russland und der EU geben wird. Vier Prozent befürchten hingegen, dass die Visa-Befreiung nie kommen wird.

69 Prozent der befragten Unternehmen fordern gleichzeitig die völlige Abschaffung der Registrierungspflicht in Russland. Aktuell müssen sich Ausländer am Ziel ihrer Reise innerhalb von sieben Arbeitstagen bei russischen Behörden anmelden. Diese Prozedur ist bei jeder erneuten Einreise in Russland oder bei der Weiterreise zu einem anderen Aufenthaltsort innerhalb Russlands zu wiederholen.

An der gegenwärtigen Visa-Politik der russischen Behörden wird vor allem die Nachweispflicht der Rückkehrwilligkeit bemängelt (67 Prozent). 65 Prozent der befragten Unternehmen kritisieren die Notwendigkeit einer offiziellen Einladung, 41 Prozent die lange Dauer und 30 Prozent die hohen Gebühren für die Erteilung von russischen Visa. Insgesamt zufrieden mit der gegenwärtigen Lage sind nur 20 Prozent der Unternehmen.

Grafik 4: Was bemängeln Sie an der Visa-/Migrationspolitik Russlands? (Mehrfachnennung möglich)

Ein Großteil der Unternehmen nahm auch zur gegenwärtigen EU-Visapolitik Stellung, von der russische Mitarbeiter oder Kunden der Unternehmen betroffen sind. 56 Prozent der Unternehmen kritisierten hier den großen Umfang der einzureichenden Unterlagen. 43 Prozent bemängelten die weite Anreise der russischen Antragsteller zu den Konsulaten, um sich dort persönlich vorzustellen oder das Visum persönlich abzuholen. 41 Prozent empfindet die bürokratischen Hürden als zu hoch, 40 Prozent fordern den Verzicht auf eine Verpflichtungserklärung zur Rückkehr nach Russland. 34 Prozent sehen in den Regeln eine Diskriminierung der osteuropäischen Antragssteller durch die EU. Insgesamt zufrieden mit der gegenwärtigen Lage sind nur elf Prozent der Unternehmen.

Grafik 5: Was bemängeln Sie an der EU-Visapolitik? (Mehrfachnennung möglich)

Bei der Frage nach den Gründen für die fehlenden Fortschritte bei den Verhandlungen zwischen Russland und der EU zur Visa-Freiheit verweisen 77 Prozent der Unternehmen auf Sicherheitsbedenken in den Mitgliedsländern der EU. 39 Prozent bemängeln eine fehlende Koordinierung der Russland-Politik in der EU, 31 Prozent kreiden dabei der deutschen Regierung ein fehlendes Engagement an. Auch eine fehlende Flexibilität auf russischer Seite wird beobachtet (44 Prozent). Die Angst vor einem zu großen russischen Einfluss in der EU führen 40 Prozent der Unternehmen als möglichen Grund für den geringen Fortschrittwillen an.

Quelle: Wege zur Visafreiheit. Positionspapier des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, 2011, http://www.ost-ausschuss.de/wege-zur-visa-freiheit

Fussnoten