Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kommentar: Das Problem der "Unterforschung" des postsowjetischen russischen Ultranationalismus | Russland-Analysen | bpb.de

Russland-Analysen Verhandlungen unter Trump / Kriegs- und Wirtschaftsentwicklung (27.02.2025) Kommentar: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine: Trump als Game-Changer? Kommentar: Was hat Russland von der US-amerikanischen Verhandlungsinitiative? Kommentar: Frieden à la Trump? Drei Probleme und zwei Szenarien Kommentar: Stellen die USA und Russland die Ukraine und Europa beim Friedensprozess aufs Abstellgleis? Kommentar: Verhandlungen ohne zu verhandeln Kommentar: Millionen für eine Unterschrift: Russlands Rekrutierung in den Regionen Kommentar: Ernüchterung nach dem Fest der Haushaltsausgaben Kommentar: Drei Jahre Krieg: Die Lage der Dinge an den Fronten und in den Armeen Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Russlands Krieg gegen die Ukraine: Umfrageergebnisse / Rolle der russischen Exilopposition (25.02.2025) Analyse: Russland im Security Radar 2025 Analyse: Opposition – aber gegen wen und wogegen? Zu den Motiven der ukrainischen Skepsis gegenüber der russischen Exilopposition Umfragen: Einstellungen in der Ukraine gegenüber Russland und der russischen Antikriegsopposition Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Gender / Gasversorgung (03.02.2025) Analyse: Russlands Kampagne für eine Rückkehr des Patriarchalen: Förderung „traditioneller Werte“ mit dem Ziel demographischer und sexueller Souveränität Umfragen: Gendergerechtigkeit und -rollenbilder Analyse: Folgen der Beendigung des Gastransports durch die Ukraine für EU-Länder und Moldau Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Silowiki (23.12.2024) Analyse: Die Silowiki im Krieg: Die russischen Geheimdienste seit Februar 2022 Analyse: Die GRU – Russlands Militärgeheimdienst Analyse: Russlands Freiwilligenformationen: Vehikel zur Rekrutierung, Loyalitätsbeweis oder Zeichen der Machtdiffusion? Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Einstellung zum Krieg (20.12.2024) Analyse: Entwicklung der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der Zustimmung in Russland zum Krieg gegen die Ukraine Umfragen: Einstellung zum Krieg gegen die Ukraine dekoder: Verschollene Gefallene Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Wirtschaftsmodell und Eliten (25.10.2024) Veränderungen in den Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen angesichts des Krieges und der Sanktionen Ranking: Russen auf der Forbesliste der Milliardäre weltweit 2024 Analyse: Rätselhafte Todesfälle in der russischen Elite vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Russlands Auslandspropaganda (11.10.2024) Analyse: Wie deutschsprachige alternative Medien vom Kreml unterwandert und instrumentalisiert werden Kommentar: Sympathien für Putin: Eine Folge politischer Entfremdung Kommentar: Schulprojekt: "Russische Propaganda erkennen" – ein Werkstattbericht Dokumentation: Lesetipps: Russische Desinformationskampagne Doppelgänger in Deutschland Dokumentation: EU vs Disinfo: Doppelgänger Dokumentation: Durchführungsverordnung des Rates der Europäischen Union zu Sanktionen gegen Russland Dokumentation: Öffentliche Bewertung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestags der russischen Einflussnahme in Deutschland Kommentar: Lauschangriff auf deutsche Offiziere: Russlands hybride Kriegsführung Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Russlands Weizenexporte (12.09.2024) Analyse: Konzentration der russischen Weizenexporte nach Ägypten und in die Türkei: Evidenzen aus den Exporten der Häfen Noworossijsk und Rostow Analyse: Weizenhandel zwischen Russland und dem Iran: ein unsteter Trend Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Nordkaukasus / Russisch-Orthodoxe Kirche (26.07.2024) Analyse: Ramsan Kadyrow: Halb Putins loyaler Prätorianer, halb ergebener Diener des tschetschenischen Volkes Dokumentation: Lesetipps zu Tschetschenien und Kadyrows Gewaltherrschaft, Familienclan, seinem Gesundheitszustand und Spekulationen über seinen Rücktritt Dokumentation: Ramsan Kadyrows Spezialoperation. Was schreiben die Regionalchefs auf Telegram und VK über Russlands Krieg gegen die Ukraine? Analyse: Fehlwahrnehmung: Inguschetien und Dagestan zwei Jahre nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine Analyse: Prüfung durch das Gebet. Welche Perspektiven haben die Kriegsgegner in der Russisch-Orthodoxen Kirche? Chronik: Chronik: 1. bis 6. Juli 2024 Stimmen aus Russland: Museumswesen / Gewalt gegen Frauen (24.07.2024) Editorial: Stimmen aus Russland Geheimhaltung und Manipulation von Daten (05.07.2024) Analyse: Die Open Data-Lage in Russland während des Krieges:
zwischen Drohnenangriffen und bürokratischen Grabenkämpfen Analyse: Die Kunst der Datenmanipulation in Russland: Erkenntnisse aus der COVID-19-Pandemie Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Personalveränderungen in Regierung und Präsidialverwaltung (11.06.2024) Analyse: Regierungsumbildung in Moskau: Herrschaftssicherung sticht Effizienzsteigerung Analyse: Andrej Beloussow – Russlands neuer Kriegsminister dekoder: Alexej Djumin Chronik: 30. April – 18. Mai 2024 30 Jahre russische Verfassung (14.05.2024) Editorial: Einleitung der Gastherausgeberin Analyse: Wie der Gewalt der Weg geebnet wurde
. Die Verfassungskrise von 1993 und Russlands politischer Entwicklungspfad Analyse: Über die Bedeutung der russischen Verfassung Analyse: Legitimierung autoritärer Transformation
. Russlands Verfassungsgericht und der Preis des Kompromisses Analyse: Frauenrechte und die russische Verfassung
. 30 Jahre des Versagens Analyse: Menschenrechte in der Hochschullehre in Russland Lesetipp: Was kann die russische Verfassung noch leisten?
 Rechenschaft und Gerechtigkeit in einem Russland nach Putin dekoder: Meine Angst, mein Hass dekoder: Wie man den Drachen besiegt Dokumentation: 15 Thesen eines russischen Bürgers, der am Wohlergehen seines Landes interessiert ist Dokumentation: Politische Gefangene und ihre Schlussworte vor Gericht Chronik: 22. – 26. April 2024 Wahlen / Alternativen / öffentliche Meinung (02.05.2024) Analyse: Die Präsidentschaftswahl 2024: Ergebnisse und Deutungen Umfragen: Einstellung im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2024 in Russland Statistik: Präsidentschaftswahlen in Russland 2000 – 2024 dekoder: Es braucht eine Aussicht auf Veränderung Ranking: Die politische Elite im Jahr 2023 Chronik: 18. März – 20. April 2024 Krieg zwischen Israel und Hamas / Antisemitismus (03.04.2024) Analyse: Eine neue Phase der russisch-israelischen Beziehungen nach dem 7. Oktober 2023 Umfragen: Einstellungen zum Krieg zwischen Israel und der Hamas Analyse: Antisemitismus in Russland – ein alter Bekannter meldet sich zurück Umfragen: Antisemitismus in Russland Dokumentation: Gewissensfreiheit und Anti-Extremismus-Gesetzgebung in Russland dekoder: Lesetipp: Gaza und die Juden im Kaukasus Chronik: 11. – 18. März 2024 Annektierte Gebiete (27.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Einstellung der Bevölkerung zur Krim und dem Krieg gegen die Ukraine Chronik: 14. Februar – 10. März 2024 Propaganda / Nawalnyj (19.02.2024) Analyse: It’s fake! Wie der Kreml durch Desinformationsvorwürfe die Diskreditierung von Informationen in ein Propagandainstrument verwandelt Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Von der Redaktion: dekoder-Special "Propaganda entschlüsseln" Kommentar: Erste Gedanken zum Tod und zum Leben Alexej Nawalnys Statistik: Politisch motivierte strafrechtliche Verfolgung in Russland Chronik: 23. Januar – 09. Februar 2024

Kommentar: Das Problem der "Unterforschung" des postsowjetischen russischen Ultranationalismus

/ 4 Minuten zu lesen

Angesichts der Ausweitung des Nationalismus sowie der fortgesetzten Bedeutung Russlands im internationalen Machtgefüge, könnten die Kosten für die wissenschaftliche Unterbesetzung des postsowjetischen russi­schen Ultranationalismus und daraus resultierende politischer Fehleinschätzungen der russischen Innen- und Außenpolitik in einem Worst-Case-Szenario hoch sein, so Andreas Umland.

Kommentar

Trotz der politischen Relevanz von Rechtsextremismus in Russland ist die internationale Gemeinde der Forscher, welche sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen, klein. Daher ist auch die Zahl der politologischen und zeitgeschichtlichen Publikationen zu diesem Thema gering. Dafür mögen uns Sozialwissenschaftler anderer Untersuchungsbereiche, die womöglich mit »Überforschung« konfrontiert sind, beneiden. Allerdings ist das Brachland an mehr oder minder unbearbeiteten Themen im Bereich »Russischer Ultranationalismus « bzw. die Zahl der bislang nicht oder gering untersuchten Parteien, Gruppierungen, Zirkel, Verlage, Organe, Publikationen usw. inzwischen so groß, dass der einzelne Forscher in einer Flut an ungeprüften, ungeordneten und unverknüpften Informationen versinkt.

Die Vielfalt der ultranationalistischen Erscheinungen im heutigen Russland ist hoch, und ihre Zahl nimmt offenbar weiter zu. Presse- und andere Organe stellen allwöchentlich relevante Informationen zur Verfügung. Insbesondere berichten die zwar nur wenig einflussreiche, aber weiterhin existente Journalisten-Community der russischen unabhängigen Periodika (z. B. »Nowajagaseta«, »The New Times«), regierungsferne informative WWW-Zeitungen (Polit.ru, Gazeta.ru, Grani.ruu. a.) sowie eine Reihe von NGOs, wie das »SOVA«- Zentrum, das Moskauer Büro für Menschenrechte oder das Moskauer Antifaschistische Zentrum, mit Mut und Verve über nationalistische Phänomene in Gesellschaft, Kultur und Politik. Jedoch gibt es nur wenige Wissenschaftler inner- und außerhalb Russlands, die sich systematisch mit diesem Datenstrom auseinandersetzen. Meines Wissens beschränkt sich die Zahl der »hauptberuflichen « Erforscher von postsowjetischem russischen Ultranationalismus auf ca. ein Dutzend Personen. Es scheint weltweit nur wenig mehr als eine Hand voll Analytiker zu geben, etwa Marlene Laruelle (Washington,DC), Alexander Werchowski (Moskau), Wladimir Pribylowski (Moskau), Wiktor Schnirelman (Moskau), Wladimir Malachow (Moskau), Paul Goble (Washington, DC) oder John B. Dunlop (Stanford), die mehr oder minder intensiv Informationen zu diesem Thema sammeln, filtern und analysieren sowie Ergebnisse langfristiger, systematischer Arbeit regelmäßig an die Öffentlichkeit bringen.

Angesichts des innenpolitischen Gewichts des erstarkten russischen Nationalismus sowie der fortgesetzten Bedeutung Russlands im internationalen Machtgefüge ist die Unterbesetzung unseres Forschungsgebietes nicht nur aus regionalwissenschaftlicher Perspektive schmerzlich. Die »Personalprobleme« der russlandbezogenen Rechtsextremismusforschung sind auch unter einem politischpraktischen Gesichtspunkt riskant. Wir bleiben schlecht informiert über die anwachsenden extremistischen Aktivitäten im größten Land der Erde, welches auf absehbare Zeit eine nukleare Supermacht bleiben wird. Dies ist ein Luxus, den sich z. B. die Europäische Union im Grunde nicht leisten kann. Die Kosten einer fortgesetzten wissenschaftlichen Unterbelichtung der mannigfachen rechtsradikalen Tendenzen in Russland sowie daraus folgender politischer Fehleinschätzungen und -entscheidungen der russischen Innen- und Aussenpolitik könnten in einem Worst-Case-Szenario hoch sein.

Charakteristisch war in den 1990ern etwa die sowohl russische als auch westliche Ignoranz bezüglich der steilen Karriere und aggressiven Ideologie des ersten prominenten postsowjetischen Rechtsextremisten, Wladimir Shirinowski. Der sowohl in der euro-amerikanischen Postsowjetologie als auch in der internationalen Extremismusforschung weitgehend unbemerkt gebliebene Aufstieg Shirinowskis 1990–1993 war – neben anderen Gründen – Bestimmungsfaktor für eine der destruktivsten politischen Entscheidungen Boris Jelzins: die militärische Intervention in Tschetschenien vom Dezember 1994. Shirinowskis sogenannte Liberal-Demokratische Partei (LDP) war damals nicht nur die einzige Staatsdumafraktion, die dieses Abenteuer von Anfang an ausdrücklich unterstützte sondern Schirinowskis Wahlkampfrhetorik vom »letzten Sprung nach Süden« ein Jahr zuvor hatte in mancher Hinsicht Jelzins Kaukasusabenteuer vorbereitet. Wie bekannt, waren nicht nur die direkten Folgen der Tschetschenienkriege Jelzins in ihrer humanitären Dimension katastrophal. Die Rückwirkungen der jahrelangen Kriege auf die russische nachsowjetische Gesellschaft, politische Kultur und krisengeschüttelte Wirtschaft waren wichtige Gründe für das Scheitern der zweiten russischen Demokratie.

Die Biographien der – oft nicht weniger schrillen – zahlreichen weiteren politischen und intellektuellen Führer der extremen russischen Rechten sowie deren Entourage, Organisationen und Aktivitäten sind meist noch weniger erforscht als der Werdegang und Einfluss Shirinowskis. Zwar gibt es Teilphänomene des postsowjetischen russischen Ultranationalismus, wie etwa ethnozentrische Tendenzen in der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation oder der so genannte »Neoeurasimus « Alexander Dugins, die sich einiger Beliebtheit in der heutigen Russlandforschung erfreuen. Sie sind inzwischen ausführlich beschrieben, analysiert sowie diskutiert worden sind. Es bleiben jedoch immer noch Dutzende mehr oder minder relevante ultranationalistische Parlamentarier, Aktivisten, Publizisten, Parteien, Gruppierungen, Publikationsorgane usw., bezüglich derer es nicht eine einzige ausführliche wissenschaftliche Untersuchung zu ihrer Herkunft, Stellung und Rolle in der russischen Gesellschaft und Politik gibt. Häufig sind die von »SOVA« (G. Koshewnikowa†, A. Werchowski) sowie deren befreundeter »Panorama«- Agentur (W. Pribylowski) produzierten Handbücher zu den Biographien der wichtigsten Ultranationalisten sowie den Chronologien der Entwicklung ihrer Organisationen die einzigen detaillierten, einigermaßen umfassenden Sekundärquellen zu diesen Phänomenen.

Vor diesem Hintergrund bleibt zu hoffen, dass sich sowohl in Russland als auch in anderen Ländern neugierige Diplomanden, Doktoranden und Postdoktoranden finden, welche die gesellschaftliche Bedeutung und wissenschaftliche Fruchtbarkeit einer Auseinandersetzung mit dem russischen Ultranationalismus für ihren eigenen beruflichen Werdegang entdecken.

Über den Autor:

Dr. Dr. Andreas Umland ist DAAD-Fachlektor an der Nationalen Universität »Kiewer Mohyla-Akademie«, Redakteur der Buchreihe »Soviet and Post-Soviet Politics and Society«, Mitherausgeber der Webzeitschrift »Forum novejšej vostočnoevropejskoj istorii i kul‘tury« sowie Verwalter des Webarchivs »Russian Nationalism«
Lesetipps

  • Galina Koshewnikowa unter Mitarbeit von Alexander Werchowski: Ultranationalismus und Antiextremismus im heutigen Russland. Jahresbericht des Zentrums »SOVA« 2009. Soviet and Post-Soviet Politics and Society. Stuttgart: ibidem-Verlag, 2011, im Druck.

  • Galina Kozhevnikova† in collaboration with Alexander Verkhovsky and Eugene Veklerov: Ultra-Nationalism and Hate Crimes in Contemporary Russia. The 2004–2006 Annual Reports of Moscow´s SOVA Center. Soviet and Post-Soviet Politics and Society, Bd. 77. Stuttgart: ibidem-Verlag, 2008.

  • Andreas Umland: Zhirinovskii as a Fascist. Palingenetic Ultra-Nationalism and the Emergence of the Liberal-Democratic Party of Russia in 1992–93, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte, 14. Jg., 2/2010, S. 189–216.

Fussnoten