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Kommentar: Herrschaft des Rechts als Schlüssel zu besseren Beziehungen zu Russland | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Herrschaft des Rechts als Schlüssel zu besseren Beziehungen zu Russland

/ 8 Minuten zu lesen

Ohne die Förderung von Regierungsverantwortlichkeit und rechtsstaatlicher Garantien wird es dem Westen nicht gelingen auf Dauer seine Handelsinteressen zu verfolgen. Denn nur ein selbstbewusstes und aufgeklärtes Bür­gertum ist in der Lage, in Zeiten einer Führungskrise eine freiheitliche Demokratie zu errichten und den Ver­sprechungen von Demagogen zu trotzen, so Philipp Große.

Zusammenfassung

Ohne die Förderung von Regierungsverantwortlichkeit und rechtsstaatlicher Garantien wird es dem Westen nicht möglich sein, auf Dauer mit Russland Handel zum beiderseitigen Vorteil zu treiben. Der Fokus westlicher Bemühungen sollte auf der Bevölkerung liegen, nicht auf einer Elite, auf die im Ernstfall wenig Verlass sein mag. Eine Modernisierung des öffentlichen Dienstes in Russland wird auf lange Sicht den Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen ermöglichen und mittelbar auch dem Westen nutzen. Der NATO kommt eine entscheidende Rolle zu, als Verteidigungsbündnis die Sicherheit Ost- und Mitteleuropas zu garantieren. Schlussendlich muss sich Deutschland klar im westlichen Lager positionieren und darf nicht der Versuchung erliegen, eine Position der Äquidistanz einzunehmen. Nur ein Bewusstsein für die eigenen Werte wird Deutschland Glaubwürdigkeit auf allen Seiten verleihen und helfen, zu besseren Beziehungen des Westens zu Russland beizutragen.

Langfristig denken: der deutsche Russlanddiskurs greift zu kurz

Eine auf bessere Beziehungen zwischen Russland und dem Westen angelegte Strategie muss für den Fall unvorhersehbarer, tiefgreifender Ereignisse in Russland und im Westen Vorsorge treffen. Die Politik des Westens muss daher den Spagat versuchen, sich auf kurzfristige Veränderungen einzustellen, ohne langfristige Ziele aus den Augen zu verlieren. Eine allein auf die gegenwärtige russische Führung ausgerichtete Strategie greift mithin zu kurz: Ein Wechsel des Führungspersonals oder tiefgreifende Veränderungen in den politischen Machtstrukturen mögen aus Gründen eintreten, denen keine rechtzeitige Beachtung geschenkt wird. Stattdessen ist von Seiten des Westens ein breiter Ansatz zu wählen. Um auf Zeiten der Ungewissheit vorbereitet zu sein, sollte auf die russische Zivilgesellschaft als Partner gesetzt werden.

Die deutsche Debatte über den Zustand und die Zukunft Russlands verengt sich zuweilen auf die Aussage, ein Land von der Größe Russlands könne nicht an westlichen Standards hinsichtlich demokratischer und bürgerlicher Freiheitsrechte gemessen werden. Die Konzentration von politischer, wirtschaftlicher und medialer Macht müsse daher hingenommen werden. Deutschlands Rolle beschränke sich deshalb auf die eines Handelspartners, der - im Stillen auf Besserung hoffend - nur die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen anprangern könne.

Dieser Politikansatz hat für einen kontinuierlichen Fluss von russischem Erdgas als »saubere« Energie für den Industriestandort Deutschland sowie umgekehrt für einen nachhaltigen Devisenfluss auf die Konten russischer Oligarchen und des russischen Staates gesorgt. Natürlich, die entstandenen Handelsströme haben Arbeitsplätze und Einkommen in Russland geschaffen, eine nicht am Gängelband des Staates und seiner Günstlinge geführte Rohstoffindustrie hätte aber weit größeren sozio-ökonomischen Nutzen stiften können. Paradoxerweise hat das beschriebene Geschäftsmodell gleichzeitig für mehr und für weniger Freiheit in Russland gesorgt: Russische Verbraucher genießen eine nie dagewesene Vielfalt im Waren- und Dienstleistungsangebot - eine begrüßenswerte Entwicklung. Dagegen haben die bürgerlichen Freiheiten und die Rechtsstaatlichkeit durch die Konzentration von politischer und wirtschaftlicher Macht in wenigen Händen schwer gelitten. Der »Fluch des Öls« hat auch Russland nicht verschont.

Für ein neues russisches Wirtschaftsmodell

Der Austausch von Öl und Erdgas gegen Devisen kann nicht auf Dauer für Frieden und Stabilität in den Beziehungen zwischen beiden Seiten sorgen. Eine auf die Ausbeutung von Bodenschätzen und ineffiziente Schwerindustrien angewiesene russische Wirtschaft ist anfällig für exogene Schocks - niemand kann vorhersehen, ob die Nachfrage nach den entsprechenden Produkten künftig wächst oder sinkt. Neue Technologien und das sich immer rascher wandelnde Konsumverhalten mögen die Nachfrage nach fossilen Energieträgern rascher schrumpfen (oder zumindest langsamer wachsen) lassen als erwartet. Technischer Fortschritt wird nicht von staatlichen oder privatwirtschaftlichen Fünf-Jahres-Plänen diktiert, sondern ist das Ergebnis plötzlicher und oft zufällig wirkender Entwicklungen. Zurzeit mag das russische Wirtschaftsmodell ausreichend Mittel erwirtschaften, um einen großen Teil der Bevölkerung zufrieden zu stellen und den Ruf nach politischen Reformen zu dämpfen. Doch daraus lässt sich nicht auf die Zukunft schließen.

Auch aus westlicher Sicht kann kein Interesse an einer großen Volkswirtschaft im Osten bestehen, die abhängig von dieser Art Einkünfte ist. Denn wenn Öl und Gas ihren derzeitigen Wert verlieren, werden die schon jetzt existierenden sozialen Probleme Russlands überhand nehmen und drohen, das Land in eine demographische und wirtschaftliche Katastrophe zu stürzen. Zieht sich unter diesen Umständen der Staat außerhalb der großen Städte aus der Daseinsvorsorge zurück, wird sich das entstehende Vakuum nicht nur negativ auf Russland und seine verbleibende Bevölkerung, sondern auch auf seine Nachbarn auswirken.

Dieser Unsicherheit muss Rechnung getragen werden, wenn die Beziehungen des Westens zu Russland besser werden sollen. Wir sollten daher nicht auf eine kontinuierlich fortgeschriebene Herrschaft von Präsident Medwedew oder Ministerpräsident Putin und geistesverwandter Nachfolger setzen. Auch können wir nicht grenzenlos auf Amerikas Bereitschaft bauen, für die Folgen einer kurzsichtigen europäischen Politik einzustehen - die Vereinigten Staaten mögen künftig ihre Prioritäten auf den pazifischen Raum und die innere Erneuerung verlegen. Wir können nicht den europäischen Energiebedarf im Jahre 2050 vorhersehen. All diese Gründe sprechen dagegen, zur langfristigen Verbesserung unserer Beziehungen zu Russland auf persönliche Harmonie zwischen Ministern und gigantische Energieprojekte zu setzten. Gerade letztere werden abrupten Wandel behindern.

Eine neue Strategie für Deutschland

Wie kann sich Deutschland unter diesen Umständen ausrichten? Prinzipiell ist gegen ökonomische Interessen als Richtschnur auswärtiger Politik nichts einzuwenden, basiert Handel doch letztlich auf gegenseitigen, freien Nutzenerwägungen. Dennoch muss Deutschland seine Handelsinteressen in Russland (zu denen einstweilen auch die Versorgung mit fossilen Energieträgern gehört) an seine Werte als demokratischer Rechtsstaat binden, wenn es langfristig in der Lage sein will, überhaupt Handelsinteressen in Russland wahrzunehmen. Nur ein selbstbewusstes und aufgeklärtes Bürgertum ist in der Lage, in Zeiten einer Führungskrise eine freiheitliche Demokratie zu errichten und den Versprechungen von Demagogen zu trotzen. Dies gebietet es, die Überzeugung der russischen Bürger von der Möglichkeit einer dem Volk verantwortlichen und sich Recht und Gesetz unterordnenden Regierung zu stärken. Millionen Menschen Hoffnung auf ein nicht nur materiell besseres Leben zu machen, ist die beste Versicherung gegen plötzliche Veränderungen in den russischen Machtstrukturen.

Wie aber diese Hoffnung erwecken und am Leben erhalten, gar über viele Jahre? Verschiedene direkte und indirekte Maßnahmen scheinen dazu angeraten.

  • Als Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention ist Russland verpflichtet, deren Rechtsgarantien einzuhalten - nicht nur das Gericht in Straßburg, auch Deutschland und seine Partner sollten die russische Führung öffentlich und nicht-öffentlich daran erinnern, dass nur eine unabhängige Justiz Konventionen und Gesetze mit Geist ausfüllen kann.

  • Treffen hochrangiger deutscher Regierungsmitglieder mit russischen Oppositionsmitgliedern sollten Teil von Staatsbesuchen in Russland sein, wenn diplomatische Kontakte allein keinen Fortschritt versprechen. Wenn die russische Regierung Kontakt zur hiesigen Opposition pflegen darf (und durchaus auch soll), sollte dies auch umgekehrt möglich sein.

  • Die russisch-sprachigen Angebote der Deutschen Welle müssen ausgebaut werden, um einen kritischen, nicht-propagandistischen Gegenstandpunkt zum nachgeraden Meinungsmonopol des Kremls im Bereich der klassischen Medien zu bieten.

  • Angebot vertiefter technischer Kooperation: Beispielsweise im Gesundheitswesen, der Justiz, beruflichen Bildung und im Umweltschutz können Deutschland und seine westlichen Partner Russland mit Wissen, nicht unbedingt mit Geld, dabei unterstützen, nachhaltige Verbesserungen einzuleiten.

Sicher, dieser Ansatz wird keine netten Bilder von Treffen auf höchster Ebene zwischen den Staats- und Regierungschefs produzieren. Ganz im Gegenteil, er wird hitzigen Streit mit der russischen Führung provozieren. Gerade das Angebot technischer Unterstützung dürfte aber das Erregungspotential verringern, auch um den notwendigen Preis, dass eintretende Verbesserungen die Machtbasis der derzeitigen Führung zumindest auf kurze Sicht noch stärken werden. Als Beispiel für die unvermeidlichen Zielkonflikte sei nur das russische Gefängniswesen genannt: Eine Runderneuerung des Systems wäre einerseits geeignet, das Los der Häftlinge zu verbessern und positive Effekte auf die Gesellschaft außerhalb der Mauern zu zeigen. Die Frage ist daher, ob wir mit Unterstützung für die Modernisierung der gesellschaftlichen Institutionen in Russland warten wollen, bis eine demokratisch gewählte und an Fortschritt interessierte Regierung im Kreml sitzt. Wohl kaum: Eine derartige Regierung wäre mit der schieren Masse der aufgeschobenen Probleme überfordert und müsste die Erwartungen ihrer Wählerschaft enttäuschen. Dies könnte auch in Erinnerung an die Krisen der 1990er Jahre das Ende der Idee einer an westlichen Werten orientierten Demokratie in Russland bedeuten.

Indirekte Maßnahmen sollten zuvorderst nicht von Regierungen, sondern gesellschaftlichen Gruppen und Einrichtungen getragen werden. Universitäten, Forschungsinstitute und private Vereinigungen sollten ermutigt werden, stärkere Verbindungen zu ihren Gegenstücken auf russischer Seite einzugehen. Der Transfer von Wissen und Ideen, wie auch die Bildung persönlicher Beziehungen auf individueller Ebene dürften Vorbehalte abbauen und deutlich machen, dass der Westen nicht das Ziel einer Bevormundung Russlands verfolgt. Dieser Ansatz sollte einhergehen mit einer Stärkung unternehmerischen Denkens und Handelns. Nicht nur wäre dies geeignet, Russland langsam aus der Abhängigkeit von Rohstoffen und billiger Energie zu lösen, sondern auch das vorhandene intellektuelle Potential Russlands für neue und bessere Verfahren und Produkte nutzbar zu machen. Von Regierungsseite wäre eine Erleichterung des Visa-Regimes, gerade für junge Russen, die in Deutschland und Europa studieren und arbeiten wollen, wünschenswert.

Die Frage der europäischen Sicherheit

Eine Strategie für die künftige Entwicklung der Beziehungen zu Russland darf Sicherheitsaspekte nicht vernachlässigen. Russland ist nicht länger ein militärischer Feind, auf dessen Abwehr alle verfügbaren Mittel konzentriert werden müssen. Auch von einem neuen kalten Krieg zu sprechen, scheint verfehlt. Unglücklicherweise haben aber frühere deutsche Regierungen die Sorge unserer neuen Verbündeten in Mittel- und Osteuropa vor wirtschaftlichen und militärischen Konfrontationen mit Russland als Hirngespinste abgetan. Das Risiko einer tatsächlichen Konfrontation mag gering sein. Die möglichen verheerenden Auswirkungen sollten aber Grund genug auch für Deutschland sein, zur Verhinderung einer Konfrontation seinen neuen Partnern in begrenztem Umfang mit militärischen Fähigkeiten zur Seite zu stehen. Russlands Georgien-Feldzug hat gezeigt, dass Russland vor dem Einsatz militärischer Gewalt in seiner Nachbarschaft nicht zurückschreckt. Die Aufstellung von Verteidigungsplänen für das Baltikum und die mittel- und osteuropäischen Bündnispartner sowie die regelmäßige Veranstaltung von Manövern auf deren Territorien sind daher das Mindeste, was von der Allianz erwartet werden muss, um das Vertrauen der neuen und prospektiven NATO-Mitglieder in die Fähigkeiten der Organisation zu stärken.

Ein solcher Ansatz wird von Seiten russischer Offizieller den Vorwurf provozieren, es fände eine Aufrüstung gegen das russische Volk statt. Um diesem Einwand entgegenzutreten, sollte Deutschland das geplante Raketenabwehrsystem mit Nachdruck als Projekt für eine stärkere Kooperation zwischen Europa, den Vereinigten Staaten und Russland vorantreiben. Ein ohne oder gar gegen Russland entwickeltes Raketenabwehrsystem wäre ein finanzieller, technischer und politischer Albtraum. Ein trilaterales Programm dagegen könnte tatsächlich effektiven Schutz gegen Angriffe kleiner Nuklearmächte bieten und wäre geeignet, die Last von Aufbau und Unterhalt auf breite Schultern zu verteilen. Nicht zu vergessen das Signal an Russland, dass bei allen Differenzen Russland in Sachen nuklearer Rüstung großes Vertrauen entgegengebracht wird.

Ergänzt werden sollte dieser Prozess um weitere Schritte zur Kontrolle konventioneller Fähigkeiten, um auf mittlere Sicht gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Es darf keine Missverständnisse über die tatsächlichen Fähigkeiten der Beteiligten geben. Dagegen sollte Russland auf absehbare Zeit kein Stimmrecht in europäischen Sicherheitsfragen zukommen - es wird ohnehin Jahre dauern, bis sich die Europäische Union in diesem Bereich hinreichend aufgestellt hat. Ein Russland, dem über Konsultationen hinaus ein Mitspracherecht eingeräumt wäre, könnte diesen Prozess enorm verzögern.

Über den Autor

Philipp Große studiert Rechtswissenschaften in Bonn.

Fussnoten