1. Deutsch-Russischer Handel / EU-Russischer Handel
Im Jahr 2020 haben sich sowohl die Corona-Krise als auch die politischen Konflikte auf die deutsch-russischen Handelszahlen ausgewirkt. Der deutsch-russische Handel ist im letzten Jahr mit 45 Milliarden Euro (minus 22 Prozent) auf den niedrigsten Stand seit 2005 gefallen. Dabei gingen die Exporte von Deutschland nach Russland weniger stark zurück (−13,2 Prozent) als die Einfuhren aus Russland nach Deutschland (−30,5 Prozent). Dies liegt einerseits an Niedrigpreisen im Rohstoffsektor, bedingt durch die sinkende Nachfrage in Corona-Zeiten. Andererseits ist aber ein langfristiger Trend erkennbar, der mit den Wirtschaftssanktionen und den zunehmenden politischen Konflikten 2014 in Gang gekommen ist. Im deutschen Außenhandel ist Russland als Handelspartner von Platz 13 auf Platz 14 abgerutscht. Die Zahl deutscher Unternehmen in Russland ist von einst 6.800 auf unter 4.000 gefallen. Die Zusammenarbeit im Energiebereich ist weiterhin von großer Bedeutung, wird durch die Diskussionen um Nord Stream 2 aber zunehmend in Frage gestellt. Insgesamt sind Russlands Handelsvolumina mit fast allen anderen wichtigen Partnern zurückgegangen. Auch der EU-Russland-Handel war 2020 auf dem niedrigsten Stand seit 2005. Ebenso ist der Handel mit China betroffen. Hier sanken die Umsätze im Jahr 2020 um knapp sieben Prozent auf 104 Milliarden US-Dollar.
China gewinnt für Russland zunehmend an Bedeutung. Deutschland ist zwar immer noch die Nummer 2 unter den russischen Außenhandelspartnern, aber der russisch-chinesische Handel liegt inzwischen bei dem 2,5-fachen des Handels mit Deutschland. Russland forciert Energieprojekte mit China (LNG-Lieferungen und Pipelines). Mit einer weiter schwindenden Abhängigkeit Russlands vom europäischen Markt gehen auch politische Einflussmöglichkeiten verloren.
2. Fact Sheet: Sanktionen, Nord Stream 2
Seit Monaten steht die Gaspipeline Nord Stream 2 unter medialem und politischem Druck. Die US-Regierung unter Donald Trump verhängte noch kurz vor ihrem Ende Sanktionen gegen ein russisches Verlegeschiff und drohte europäischen Unternehmen über ihre US-Botschaften direkt mit Sanktionen. Einige Unternehmen aus der Schweiz, Dänemark, Norwegen und Deutschland sind daher im Januar aus dem Projekt ausgestiegen. In Europa werden die US-Eingriffe in die EU-Souveränität zwar abgelehnt, gleichzeitig fordert u. a. das EU-Parlament einen Baustopp, um damit auf die Verhaftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny zu reagieren. Am 22.2. will die EU über neue Russlandsanktionen beraten.
Gelingt die Fertigstellung des Projektes Nord Stream 2 und die Diversifizierung der Pipeline-Lieferwege nicht, drohen höhere Beschaffungskosten für Erdgas für die europäische Wirtschaft. Mit Nord Stream 2 würde geltendes Investitionsrecht gebrochen und ausgerechnet der modernste und umweltfreundlichste (weil kürzeste) Lieferweg für Erdgas blockiert. Zudem würde eine Pipeline blockiert, die mehr als alle anderen Pipelines mit Wasserstoff befüllt werden könnte. Immer neue Sanktionsrunden engen generell die internationalen Wirtschaftsbeziehungen ein, gerade auch für den exportorientierten deutschen Mittelstand.
Positionierung:
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung für Nord Stream 2, gegen eine Politisierung europäischer Investitionsregeln und gegen den Verlust europäischer Energiesouveränität eintritt. Mit der neuen US-Regierung unter Präsident Biden sehen wir eine Chance für einen Kompromiss. Denkbar ist z. B. dass die Ukraine als Ersatz für entgangene Transiteinnahmen stärker in den europäischen Green Deal integriert wird und zu einem Produzenten erneuerbarer Energie wird.
Es wird aktuell eine Abschaltautomatik für die Pipeline diskutiert. Dies wäre ein politischer Eingriff in Verträge. Wir lehnen einen solchen Eingriff ab. Ähnliche "Abschaltautomatiken" könnten dann auch Wirtschaftspartner wie China gegen deutsche Unternehmen einsetzen. Außerdem ist nicht erkennbar, wie Russland Nord Stream 2 als Waffe einsetzen könnte: Die russische Wirtschaft lebt vom Rohstoffhandel und die Ukraine und Polen können inzwischen vollständig mit Erdgas aus anderen europäischen Ländern versorgt werden.
3. Ausblick 2021: Wichtige Initiativen
Der Ost-Ausschuss wird weiterhin den Blick auf die Gemeinsamkeiten, die großen ökonomischen Möglichkeiten und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit richten. Mit dem Start zweier neuer deutsch-russischer Initiativen wird ein starkes Signal für den Ausbau der Beziehungen gesetzt:
Am 11. Dezember 2020 nahm ein neues Gremium in unseren bilateralen Beziehungen seine Arbeit auf: der Deutsch-Russische Unternehmerrat. Er wird in enger Abstimmung mit den jeweiligen Regierungen, der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK Russland) und russischen Wirtschaftsverbänden tagen. Den gemeinsamen Vorsitz auf deutscher Seite übernehmen der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Oliver Hermes und der Präsident der AHK Russland Rainer Seele. Mitglieder sind hochrangige Unternehmens- und Verbandsvertreter aus beiden Ländern. Auf russischer Seite werden außerdem die Vizeminister aller für Wirtschaftsthemen relevanten Ministerien und Behörden teilnehmen. Den russischen Vorsitz übernimmt der Minister für wirtschaftliche Entwicklung Maksim Reschetnikow. Die erste Arbeitssitzung ist für Frühjahr 2021 geplant.
Themen der Sitzung sind:
Digitalisierung: Lokalisierung ausländischer Softwareprodukte
Gesundheitswirtschaft: Perspektiven für deutsche Medizintechnik-Unternehmen für die Zusammenarbeit beim Nationalen Projekt Gesundheitswirtschaft
Landwirtschaft: Deutsch-Russische Zusammenarbeit im Bereich Pflanzenzüchtung und lokale Saatgut-Produktion
Einreisebeschränkungen zwischen EU-Russland
Einführung einer Utilization Fee und deren negative Folgen für die russische Wirtschaft
Der Ost-Ausschuss ist deutscher Partner und die ausführende Organisation des gerade gestarteten Deutsch-Russischen Themenjahres "Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung 2020–2022". Ein Schwerpunkt wird die Kooperation beim anstehenden klimaneutralen Umbau der Wirtschaft sein. Unter anderem sollen Kooperationschancen für beide Länder beim europäischen Green Deal und beim Aufbau einer (gemeinsamen?) Wasserstoffwirtschaft aufgezeigt werden. Darüber hinaus werden die Themen Digitalisierung sowie die Agrar- und Gesundheitswirtschaft eine wichtige Rolle spielen. Außerdem soll es um Mobilitätslösungen der Zukunft und strukturelle Fragen wie die technische Regulierung, die Lokalisierung deutscher Unternehmen in Russland, die duale Berufsausbildung und den Export aus Russland gehen.
Technische Regulierung: "Deutsch-Russische Initiative zur Harmonisierung der Technischen Reglements"
Im Jahr 2018 wurde durch die Vereinbarung zwischen dem russischen Verband der Unternehmer und Industriellen (RSPP) und dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft die Grundlage für die Zusammenarbeit auf dem Feld der Standards, Normen, Akkreditierung, Konformitätsbewertung u. a. beschlossen. Das Ergebnis war ein MoU, das auf der größten russischen Industriemesse Innoprom zur Gründung der "Deutsch-Russische Initiative zur Harmonisierung der Technischen Reglements" führte.
Das Ziel dieser Initiative ist es, dem Gesetzgeber Empfehlungen an die Hand zu geben, wie die Regelungen angepasst oder verändert werden sollten, damit es Unternehmen leichter fällt, in den jeweiligen Wirtschaftsraum (EU, EAWU) zu liefern bzw. Projekte einfacher umzusetzen. Zu diesem Zweck wurden elf Arbeitsgruppen parallel auf deutscher und auf russischer Seite gegründet, in denen sich die Spezialisten aus der Industrie permanent zu eben diesen Regelungen austauschen und abstimmen. Die Ausrichtung dieser AGs lässt sich in die drei Obergruppen Qualitätsinfrastruktur, Industrielle Produktion (Maschinen- und Anlagenbau, Eisenbahn, chemische Industrie, Elektrotechnik, Bauwirtschaft) und digitale Transformation (Ontologie und Semantik, Cyber Security, Smart Grid, Industrie 4.0/Smart Manufacturing, BIM-Technologie) unterteilen. Die Schirmherren der Initiative sind auf russischer Seite Dimitrj Pumpjanskij, Inhaber und Vorstandsvorsitzender TMK und Sinara, auf deutscher Seite Burkhard Dahmen, Vorstandsvorsitzender SMS group.
Die Stellungnahme wurde im Vorfeld der Anhörung zu den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen am 24. Februar 2021 im Ausschuss für Wirtschaft und Energie auf Externer Link: https://www.bundestag.de/ veröffentlicht. Dort sind ebenfalls weitere Stellungnahmen und das Video der gesamten Anhörung abrufbar.