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Dokumentation: Stellungnahme: "Entwicklung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen" | Russland-Analysen | bpb.de

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Dokumentation: Stellungnahme: "Entwicklung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen"

Janis Kluge Berlin) Dr. Janis Kluge (Stiftung Wissenschaft und Politik

/ 6 Minuten zu lesen

Dr. Janis Kluge fordert weniger Handel mit fossilen Energieträgern und russischen Großkonzernen. Stattdessen solle mehr Handel mit mittelständischen Unternehmen und Start-Ups aufgebaut werden.

Politik und Wirtschaft seien in Russland untrennbar miteinander verbunden. Die Kontrolle über Russlands Großunternehmen ist das Privileg einflussreicher Eliten, sagt Dr. Janis Kluge. (© picture-alliance/dpa)

Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen haben in den vergangenen zehn Jahren einige Turbulenzen durchlaufen. Der bilaterale Handel ist nach 2014 deutlich zurückgegangen und hat sich nur teilweise wieder erholt. Es ist naheliegend, diese Entwicklung mit der zunehmenden außenpolitischen Konfrontation und den gegen Russland verhängten Sanktionen in Verbindung zu bringen. Allerdings sind primär wirtschaftliche Faktoren die Ursache:

Das Auf und Ab der deutschen Exportzahlen lässt sich zum größten Teil mit der Entwicklung des Ölpreises erklären (siehe Grafik 1 auf S. 21). Ein sinkender Ölpreis schwächt den russischen Rubel, was deutsche Exporte für russische Abnehmer teurer macht. Darüber hinaus prägt der Ölpreis auch die russische Konjunktur und damit die Nachfrage nach deutschen Gütern. EU-Sanktionen und das russische Importembargo auf Lebensmittel haben hingegen nur einen kleinen Teil der deutschen Exporte betroffen. Der Gesamtwert der deutschen Importe aus Russland ist ebenfalls eng an die Energiepreise geknüpft, da sie rund zur Hälfte aus Rohöl bestehen. Die physische Menge des aus Russland importierten Öls hat sich in den vergangenen Jahren kaum geändert, während die importierten Gasmengen gestiegen sind.

Aufschlussreicher als die ölpreisbedingt stark schwankende Handelsbilanz ist der Marktanteil deutscher Exporteure in Russland. Dieser ist von 15,7 Prozent (2010) schrittweise auf 12,3 Prozent (2019) gefallen (Quelle: UN Comtrade). Auch hier spielt die Außenpolitik eine untergeordnete Rolle. Ursache ist vor allem der wirtschaftliche Aufstieg Chinas, der sich weltweit in vielen Handelsbilanzen niederschlägt. 21,9 Prozent der russischen Importe kamen 2019 aus China. Gerade bei den wichtigsten deutschen Exportgütern, etwa im Maschinenbau, ist der Wettbewerb aus Fernost intensiver geworden.

Der Umfang deutscher Direktinvestitionen in Russland hat sich seit 2010 dagegen relativ stabil entwickelt und betrug zuletzt 19,5 Milliarden US-Dollar (siehe Grafik 2 auf S 21). 7,5 Prozent aller Direktinvestitionen in Russland kommen aus Deutschland (China steht für 1,6 Prozent; UNCTAD-Zahlen, um Offshore-Investitionen bereinigt).

Einer dynamischeren Entwicklung deutsch-russischer Handelsbeziehungen steht Russlands wirtschaftliche Flaute im Weg. Russlands Wirtschaft wächst seit 2010 nur sehr langsam. Dafür ist zum einen die restriktive Geld- und Fiskalpolitik in Russland verantwortlich. Aber auch strukturelle Faktoren wie Russlands Demografie und das geringe Wachstumspotential der wichtigen Ölindustrie spielen dabei eine Rolle. Schließlich haben auch die Sanktionen das Wirtschaftswachstum in Russland beeinflusst. Das Spektrum der ökonomischen Schätzungen ist groß, allerdings lassen die meisten Studien darauf schließen, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt ohne die Sanktionen heute 1 bis 1,5 Prozent größer wäre. Eine rechnerische Trennung der 2014 nahezu zeitgleich eingeführten Sanktionen von USA, EU und Russland ist bei diesen Schätzungen kaum möglich.

Hauptproblem für Russlands Wirtschaftsentwicklung bleiben jedoch die schlechten rechtsstaatlichen und politischen Rahmenbedingungen. Im Ranking der Korruptionswahrnehmung von Transparency International liegt Russland auf Platz 129 von 180 Staaten. Hier ist in den vergangenen 15 Jahren kein Fortschritt zu erkennen. Im Gegenteil: Besonders die strafrechtliche Verfolgung von Unternehmerinnen und Unternehmern durch korrupte Behörden und die russische Justiz ist ein drängendes Problem, das in den vergangenen Jahren akuter geworden ist. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Fall des amerikanischen Investors Michael Calvey, der im Februar 2019 in Moskau verhaftet wurde. Dieser und ähnliche Vorfälle belasten das Investitionsklima in Russland schwer.

Deutsche Unternehmen sehen laut der Geschäftsklima-Umfrage Russland 2020 der AHK außerdem Bürokratie und Protektionismus als wesentliche Störfaktoren im Russland-Geschäft. Handelsbarrieren wie das Lebensmittelembargo, das anlässlich der westlichen Sanktionen im Jahr 2014 eingeführt wurde, aber auch zunehmend strenge Lokalisierungsvorschriften erschweren die bilaterale Kooperation. Angetrieben wird der russische Protektionismus von einer Kombination aus industriepolitischen Ambitionen, dem Wunsch nach weniger wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Ausland und Partikularinteressen lokaler Wirtschaftslobbys.

Die politische Dimension der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen

Auch wenn die Handelszahlen vorrangig von wirtschaftlichen Entwicklungen geprägt sind, besitzt ein Teil der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen unweigerlich eine politische Dimension. Politik und Wirtschaft sind in Russland, insbesondere in der Energieindustrie, untrennbar miteinander verbunden. Die Kontrolle über Russlands Großunternehmen ist das Privileg einflussreicher Eliten. Auch die wichtigsten Staatskonzerne (Gazprom, Rosneft, Transneft und Rostec) und ihre Zulieferer werden von Personen aus Putins engstem persönlichen Umfeld kontrolliert. Die Konzerne operieren zwar in vielen Kontexten nach Marktlogiken, aber sie dienen auch der persönlichen Bereicherung russischer Elitennetzwerke und sind damit ein integraler Bestandteil des autoritären politischen Regimes. Gleichzeitig werden sie immer wieder in den Dienst des Kremls gestellt, um innenpolitisch die Macht zu sichern und außenpolitische Interessen durchzusetzen.

Vor diesem Hintergrund tragen auch die im Handel mit Deutschland erwirtschafteten Öl- und Gaseinnahmen dazu bei, den politischen Status Quo in Russland zu verfestigen. Gleichzeitig sind Europas Finanzmärkte ein beliebtes Ziel für die Erträge der russischen Korruption. Der Transfer von veruntreuten Mitteln in die EU oder andere westliche Jurisdiktionen, wo sie zumeist sicher und anonym verwahrt werden können, macht viele Formen der Korruption in Russland überhaupt erst möglich. Auch wenn die russische Elite sich nach außen hin größtenteils antiwestlich gibt und den Konfrontationskurs des Kremls unterstützt, legt sie großen Wert auf den freien Zugang zu europäischen Reisezielen, Gesundheitssystemen und Immobilienmärkten. Die Privilegien der herrschenden Elite innerhalb des russischen politischen Systems sind also eng mit Investitions- und Konsummöglichkeiten in Europa verbunden.

Nord Stream 2

Das Projekt Nord Stream 2 wurde kurz nach der Annexion der Krim durch Russland und dem Höhepunkt des Krieges im Donbas im Jahr 2015 initiiert. Das von Gazprom erklärte Ziel ist es, mit der Pipeline den Gas-Transit durch die Ukraine zu beenden. Schon jetzt gibt es große freie Kapazitäten im ukrainischen Pipelinesystem. Mit Turkish Stream werden zusätzlich neue Transitkapazitäten für russisches Gas nach Europa geschaffen. Würde Nord Stream 2 ohne Einschränkungen in Betrieb genommen, wäre das Ende des ukrainischen Gas-Transits nur eine Frage der Zeit.

Für Deutschland ergeben sich wirtschaftliche Vorteile, wenn der Transit von der Ukraine in die Ostsee verlegt wird. Im Umkehrschluss wird die Ukraine dadurch wirtschaftlich geschwächt. Damit dient Nord Stream 2 einem außenpolitischen Kerninteresse Moskaus: den pro-europäischen Kurs der Ukraine zu erschweren. Dazu hat Russland unter anderem umfangreiche Wirtschaftssanktionen gegen die Ukraine verhängt und unterstützt die selbsternannten "Volksrepubliken" im Donbas. Die außenpolitischen Auswirkungen von Nord Stream 2 waren bereits zu Beginn des Projektes im Jahr 2015 absehbar. Eine Einordnung von Nord Stream 2 als rein privatwirtschaftliches Projekt war damit zu keinem Zeitpunkt haltbar.

Eindeutig negativ hat sich das Festhalten an Nord Stream 2 auf die deutsche Russlandpolitik ausgewirkt, weil es die 2014 entwickelte Haltung gegenüber Moskau konterkariert. Mit der Unterstützung für die EU-Sanktionen signalisierte Deutschland der russischen Führung, dass man erstens die Ukraine gegen die russische Aggression unterstützen will, dass man zweitens bereit ist, für außenpolitische Interessen notfalls auch wirtschaftliche Kosten zu tragen, und dass man drittens großen Wert auf eine gemeinsame europäische und transatlantische Linie legt. Parallel dazu wurde mit der Unterstützung von Nord Stream 2 in allen drei Punkten genau das entgegengesetzte Signal an Moskau und die eigenen Verbündeten übermittelt. Weil das Projekt die politische Wirkung der EU-Sanktionen unterläuft, ist es als Teil einer außenpolitischen Doppelstrategie aus Angeboten und Sanktionen ungeeignet und kommt auch als "selektives Engagement" im Sinne der außenpolitischen Prinzipien der EU-Russlandpolitik nicht infrage.

Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen zukunftssicher gestalten

Der wirtschaftliche Austausch zwischen Russland und Deutschland kann grundsätzlich mit positiven Effekten einhergehen, die über die ökonomischen Vorteile für beide Seiten hinausgehen. So bieten Wirtschaftsbeziehungen eine Plattform für die Entstehung zwischengesellschaftlicher Kontakte. Die Präsenz deutscher Unternehmen kann das Ansehen der Bundesrepublik in Russland steigern. Allerdings können von den Wirtschaftsbeziehungen keine positiven Auswirkungen auf die russische Innen- oder Außenpolitik erwartet werden. Im Gegensatz zur Sowjetunion der 1970er Jahre ist die wirtschaftliche Verflechtung mit dem Westen heute ein integraler Bestandteil des russischen Autoritarismus. Aufgrund der stark personalisierten Kontrolle über die russischen Großkonzerne zementieren gerade die Energiebeziehungen den politischen Status Quo, anstatt im Sinne eines "Wandels durch Handel" positive Veränderungen anzustoßen.

Für die zukünftige Gestaltung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen ist deshalb ein differenzierender Ansatz empfehlenswert. Die Dominanz des Handels mit fossilen Energieträgern und die engen Beziehungen zu russischen Großkonzernen, die im weitesten Sinne zum Machtapparat des politischen Regimes gehören, bergen klima- und außenpolitische Risiken. Die bestehenden langfristigen Abhängigkeiten sollten hier nicht weiter vertieft, sondern schrittweise reduziert werden. Ein besonderes Augenmerk könnte hingegen auf kleine und mittelständische Unternehmen bzw. Startups gelegt werden. Die Zusammenarbeit bei klimafreundlichen Technologien und erneuerbaren Energien ist wünschenswert. Bilaterale Großprojekte bedürfen hingegen einer expliziten außenpolitischen Bewertung. Gleichzeitig gilt es, effektiver gegen Geldwäsche vorzugehen, was am ehesten als gemeinsames Projekt auf transatlantischer Ebene gelingen werden kann. Schließlich muss innerhalb der EU die Durchsetzung von Sanktionen verbessert werden, die sich gerade in Bezug auf Russland immer wieder als lückenhaft erwiesen hat.

Die Stellungnahme wurde im Vorfeld der Anhörung zu den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen am 24. Februar 2021 im Ausschuss für Wirtschaft und Energie auf Externer Link: https://www.bundestag.de/ veröffentlicht. Dort sind ebenfalls weitere Stellungnahmen und das Video der gesamten Anhörung abrufbar.

Fussnoten

Dr. Janis Kluge (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin)