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Kommentar: Hindert die mangelhafte rechtliche Bewältigung sowjetischen Staatsunrechts die Ukraine bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen? | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Hindert die mangelhafte rechtliche Bewältigung sowjetischen Staatsunrechts die Ukraine bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen? Ukraine-Analysen Nr. 320

Herbert Küpper

/ 5 Minuten zu lesen

Der Beitrag diskutiert, ob die unzureichende Aufarbeitung sowjetischer Staatsverbrechen in der Ukraine es dem Land schwerer macht, heutige russische Kriegsverbrechen zu ahnden.

Am Holodomor-Museum in Kyjiw. Der Holodomor gilt als eines der größten sowjetischen Staatsverbrechen gegen die Ukraine, wurde in der Sowjetunion aber tabuisiert und nie aufgearbeitet. (© picture alliance / abaca)

Herausgeber der Länderanalysen

Die Ukraine-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V., dem Deutschen Polen-Institut, dem Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, dem Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung und dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) gGmbH gemeinsam herausgegeben. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht die Analysen als Lizenzausgabe.

Die Ukraine und ihre Bevölkerung haben im 20. und 21. Jahrhundert eine stürmische Geschichte erlebt. Als Teil der Sowjetunion (1922–1991) mussten sie sowjetisches Staatsunrecht erdulden. Während des Zweiten Weltkriegs kamen Gewalt und Verbrechen vonseiten Nazideutschlands hinzu. Seit 2014 und noch mehr seit 2022 ist sie Ziel russischer Kriegsverbrechen.

Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob und wie die rechtliche Bewältigung früheren, insbesondere sowjetischen Staatsunrechts die Aufarbeitung heutiger Kriegsverbrechen beeinflusst (beeinflussen kann). Wie die meisten postsowjetischen Staaten hat auch die Ukraine das Unrecht der Sowjetunion nur zurückhaltend und nur in Teilen aufgearbeitet. Die rechtlichen Maßnahmen der Ukraine in Bezug auf sowjetisches Staatsunrecht sind Forschungsgegenstand des Projekts „Restorative Justice in der Ukraine: Die (fehlende) Aufarbeitung des Sowjetunrechts von 1991 bis heute“ des Instituts für Ostrecht in Regensburg.

Dieses Projekt erforscht und analysiert die juristischen Mittel, mit denen die postsowjetische unabhängige Ukraine sowjetisches Staatsunrecht angeht. Einige Gesetze vor und nach der Unabhängigkeit zielten auf die so genannten „repressierten Völker“, was der sowjetische Ausdruck für die Opfer sozialistischer Verfolgungen ist. Erst nach dem Beginn der russischen Aggression 2014 wurde offenbar, dass die noch offenen Wunden aus der Sowjetzeit einen fruchtbaren Boden für die russische Kriegspropaganda bildeten. Folglich erließ die Ukraine Gesetze zu weiteren Bereichen sowjetischen Staatsunrechts, z. B. indem sie Amtsträger auf ihre sowjetische Vergangenheit hin lustrierte, um so unter anderem die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit gegen russische Verbiegungen der Wahrheit zu steigern. Das Forschungsprojekt zeigt, dass einige Ziele erreicht wurden, aber zugleich immer noch Handlungsbedarf in Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltungspraxis und wissenschaftlicher Debatte besteht. Ein Befund des Forschungsprojekts ist die Erkenntnis, dass die juristischen „Nie-wieder“-Konsequenzen, die aus der sowjetischen Vergangenheit gezogen werden, zur Konsolidierung der Rechtsstaatlichkeit in der heutigen Ukraine beitragen können, weil die Praktiken der Sowjetunion eine Negativfolie liefern. Eine weitere Erkenntnis ist, dass die offene und transparente Debatte über sowjetisches Staatsunrecht und seine bis heute spürbaren Folgen, was die Öffnung der Archive und besondere Gesetzgebung über sowohl Täter als auch Opfer jener Verbrechen einschließt, eine Vorbedingung für die gesellschaftliche Versöhnung ist. Diese hilft wiederum, der russischen ideologischen und physischen Aggression zu begegnen.

So weit, so gut. Weitergehend stellt sich die Frage, ob eine offene und transparente Debatte über das sowjetische Staatsunrecht und dessen rechtliche Aufarbeitung tatsächlich eine notwendige Voraussetzung dafür sind, die Kriegsverbrechen aufzuarbeiten, die Russland seit 2014 gegen die Ukraine begeht. In Bezug auf diese Kriegsverbrechen ist zudem zu differenzieren zwischen denen, die Russland zuzuschreiben sind, und denen, deren Täter Ukrainer:innen sind.

Die rechtliche Aufarbeitung sowjetischen Staatsunrechts durch die Ukraine scheint der rechtsstaatlichen Bestrafung gegenwärtiger russischer Kriegsverbrechen förderlich zu sein. Angesichts der Tatsache, dass Russland seine Rolle als Nachfolgestaat der Sowjetunion sehr betont, können russische Kriegsverbrechen in gewisser Weise als Fortsetzung sowjetischer Staatsverbrechen gegen die Ukraine gesehen werden. Das würde dafür sprechen, dass die Mechanismen zur Aufarbeitung sowjetischer Staatsverbrechen auch in Bezug auf russische Kriegsverbrechen fruchtbar gemacht werden können. Allerdings liegen die Dinge nicht so einfach. Zunächst sind Kriegsverbrechen sehr gravierende Verbrechen: Sie stellen die schwerste Kategorie möglichen Unrechts dar. Staatsverbrechen hingegen können Kriegsverbrechen sein, müssen es aber nicht. Im Alltag einer Diktatur wie der Sowjetunion beging der Staat unendlich viel rechtsstaats- und gerechtigkeitswidriges Unrecht gegen seine Bevölkerung. Diese Taten mögen eine Bestrafung verdienen, sind aber sicherlich keine Kriegsverbrechen. Der Begriff des Kriegsverbrechens ist somit enger als der des Staatsverbrechens oder gar Staatsunrechts.

Zweitens zeigt die ukrainische Aufarbeitung sowjetischen Staatsunrechts, dass die Rollen von Tätern und Opfern nicht klar unterschieden werden können. Sowjetische Staatsverbrechen wurden von den Mächtigen an den Machtlosen begangen. Die Täter waren manchmal Ukrainer:innen, manchmal Russ:innen und manchmal andere. Dasselbe gilt für die Opfer. Selbst beim zentralen Sowjetverbrechen gegen die Ukrainer, dem Holodomor, wäre es eine unzulässige Vereinfachung, Stalin oder die Russ:innen als alleinige Täter:innen und die Ukrainer als alleinige Opfer zu sehen, weil zur herrschenden sowjetischen Elite auch Ukrainer:innen gehörten. Obwohl die ukrainische rechtliche Vergangenheitsbewältigung noch nicht allzu weit vorangeschritten ist, hat sie bereits dazu beigetragen, die Vergangenheit zu entmythisieren, indem sie ihr mit dem Anspruch einer objektiveren und ausgewogeneren Sichtweise entgegentritt.

Vergleichbares ist zu den ukrainischen Bemühungen zu sagen, russische Kriegsverbrechen zu sanktionieren. In dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist ganz klar Russland der illegale Aggressor und die Ukraine übt Selbstverteidigung. Das bedeutet allerdings nicht, dass nicht auch das ukrainische Militär Kriegsvölkerrecht zu beachten hätte. Allerdings werden Kriegsverbrechen nicht von „Russland“ und auch nicht von „den Russ:innen“ begangen, jedenfalls nicht in einer strafrechtlichen Perspektive. Strafen sind die Kehrseite individueller Schuld. Diese „objektive“ Perspektive individueller Schuld kann helfen, kollektiven Schuldzuschreibungen oder Viktimisierungen zu widerstehen und die Strafe auf diejenigen zu konzentrieren, die Verbrechen begangen haben, während diejenigen, die sich keine Straftaten zu Schulden haben kommen lassen, auch keiner Sanktionierung unterzogen werden. Die ukrainische Gesetzgebung zur Bestrafung sowjetischer Staatsverbrechen kann mit diesem individuellen Ansatz helfen, auch bei den jetzigen russischen Kriegsverbrechen die Strafen auf diejenigen zu konzentrieren, die sich individuell schuldig gemacht haben.

Dieser Standard ist möglicherweise noch wichtiger, wenn die Ukraine sich mit ihren eigenen Kriegsverbrechen beschäftigt. Wie erwähnt, muss nicht nur der Angreifer Kriegsvölkerrecht und humanitäres Völkerrecht beachten. Soweit wir wissen, hat auch die Ukraine Taten begangen, die als Kriegsverbrechen eingestuft werden können, wenn auch deutlich weniger als Russland. Im Völkerrecht obliegt die primäre Pflicht zur Sanktionierung von Kriegsverbrechen bei dem Staat, dessen Armee sie begangen hat. Im ukrainischen Fall ist daher zunächst der ukrainische Staat verpflichtet, mögliche Kriegsverbrechen der ukrainischen Streitkräfte zu untersuchen, zu verfolgen und zu bestrafen.

Die Rechtsvergleichung zeigt, dass es für ein Land sehr schwierig ist, die eigenen Soldat:innen für Kriegsverbrechen zu bestrafen. Wenn der Staat das Opfer einer Aggression ist und sich verteidigt, ist das psychologisch noch schwieriger, denn der (Verteidigungs-)Krieg erscheint als „gerecht“. Auch hier kann die juristische Bewältigung der sowjetischen Vergangenheit helfen, eine differenzierte Perspektive zu entwickeln. Zwar ist die diesbezügliche ukrainische Gesetzgebung noch weit entfernt davon, vollständig zu sein, und viele Fragen aus der sowjetischen Vergangenheit sind immer noch offen und werden vom ukrainischen Recht nicht oder nur unzureichend angesprochen. Dennoch scheint die grundlegende Lektion gelernt worden zu sein: Wenn das Recht sich mit konkreten Verbrechen beschäftigt, bedarf es einer objektiven Bestandsaufnahme der Tatsachen, nicht einem Schwelgen in nationalen oder anderen Mythen, einer Vergötterung oder Dämonisierung. Dies ist zwar nur ein Element unter mehreren. Aber die ergebnisoffene Akzeptanz der eigenen und oft widersprüchlichen Rolle in der Vergangenheit auch in Bezug auf sowjetisches Staatsunrecht kann helfen, dass die Ukraine dieselbe Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber den eigenen Kriegsverbrechen entwickelt. Im Gegensatz zu Russland hat die Ukraine ernsthafte Schritte unternommen, die Straftaten, die ihre eigenen Soldat:innen bei der Verteidigung der Heimat möglicherweise begangen haben, zu untersuchen, anzuklagen und bestrafen. Das Forschungsprojekt des Instituts für Ostrecht dokumentiert diese Ehrlichkeit und trägt damit dazu bei, sie zu verfestigen.

Quellen / Literatur

  • Institut für Ostrecht, Forschungsprojekt ""Restorative Justice" in der Ukraine: Die (fehlende) Aufarbeitung des Sowjetunrechts von 1991 bis heute", Website: Externer Link: https://nachkriegsukraine.de (mit zahlreichen Working Papers zu den unterschiedlichen Aspekten der ukrainischen Vergangenheitsbewältigung).


Fussnoten

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Küpper ist Professor der Rechtswissenschaft. Er ist Geschäftsführer des Instituts für Ostrecht in Regensburg und dort auch Wissenschaftlicher Referent für ungarisches Recht. Außerdem unterrichtet er Rechtsvergleichung und Europarecht an der Andrássy Universität Budapest. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen ungarisches Recht, osteuropäisches Recht im Allgemeinen sowie vergleichendes öffentliches Recht.