Der Begriff „Kontingent“ fällt in der Migrationspolitik immer wieder. Gemeint ist damit eine beschränkte Zahl von Aufnahmeplätzen oder Aufnahmequoten, die für die Zuwanderung z. B. aus humanitären, arbeitsmarkt- oder familienpolitischen Gründen staatlich festgelegt werden. Kontingente sind also ein Instrument der Migrationssteuerung. Sie werden sowohl als nationales Instrument (staatliches Aufnahmeprogramm) als auch im Rahmen internationaler Kooperationen (z. B. UNHCR-
Historischer Rückblick: Steuerung der Arbeitsmigration im 20. Jahrhundert
Kontingente sind kein neues migrationspolitisches Instrument. In ihrer heutigen Form stehen sie im Zusammenhang mit der Herausbildung staatlicher Migrationskontrolle seit dem Ersten Weltkrieg, welche mit der Einführung eines standardisierten Passsystems einherging, das darauf zielt, Aus- und Einwanderung zu kontrollieren und zu begrenzen und dabei insbesondere das Kriterium der Nationalität zugrunde legt. Zum Beispiel wurde in den 1920er Jahren die
Etwa zeitgleich wurden in Europa in der Zwischenkriegszeit bilaterale Abkommen zur Regulierung temporärer Arbeitsmigration geschlossen – auch in der Weimarer Republik. Diese legten nicht nur die Bedingungen für die zeitlich befristete Zuwanderung fest, sondern bestimmten – zum Teil in flankierenden und regelmäßig neu verhandelten Vereinbarungen – auch den Umfang der Einwanderung. Dabei ging es nicht zwingend um Begrenzung: So nutzten das nationalsozialistische Deutsche Reich bestehende bilaterale Wanderungsverträge mit Ländern wie Italien und Polen aber auch Rumänien, Bulgarien und Ungarn, um immer mehr Arbeitskräfte für die eigene Kriegswirtschaft zu gewinnen – zusätzlich zur Zwangsrekrutierung ausländischer Arbeitskräfte in besetzten oder annektierten Gebieten.
Im Zusammenhang mit dieser staatlich organisierten Form der Zuwanderung kam in den 1930er Jahren der Begriff des „
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen viele europäische Staaten bilaterale Wanderungsverträge, um Arbeitskräfte zu gewinnen, darunter ab Mitte der 1950er Jahre auch die damals noch junge Bundesrepublik. Die über diese Verträge nach Westdeutschland gekommenen Arbeitskräfte werden bis heute als „Gastarbeiter“ erinnert. Auch in der ehemaligen DDR wurde die Zuwanderung von „Vertragsarbeitern“ über bilaterale Abkommen geregelt.
Nachkriegszeit: Kontingente als Instrument des Flüchtlingsschutzes
Parallel zur Arbeitsmigration entwickelten sich in der Nachkriegszeit Kontingente zu einem wichtigen Instrument des internationalen Flüchtlingsschutzes. Im Dezember 1946 einigten sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf die Einrichtung der nicht-ständigen International Refugee Organization (IRO). Unter Führung der USA wurde die IRO mit der Neuansiedlung (Resettlement ) von Menschen beauftragt, die im Zweiten Weltkrieg durch Gewalt, Vertreibung, Verschleppung und Deportationen in Europa entwurzelt worden waren. Bis 1951/52 fanden durch die Organisation etwa eine Million Menschen weltweit ein neues Zuhause.
Abgelöst wurde die IRO 1953 durch das drei Jahre zuvor gegründete UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) – bis heute die zentrale Organisation im internationalen Flüchtlingsschutzregime. UNHCR hat unter anderem den Auftrag, „dauerhafte Lösungen“ für geflüchtete Menschen zu finden. Resettlement ist eine davon und bedeutet heute, dass Flüchtlinge, die in einem Staat Zuflucht gesucht haben, dort aber nicht dauerhaft bleiben dürfen, ausgewählt und in andere Staaten überführt werden, die ihnen eine dauerhafte Aufnahme gewähren.
In großem Umfang fand Resettlement erstmals 1956/57 statt, als rund 200.000 Menschen infolge des blutig niedergeschlagenen Volksaufstandes gegen das kommunistische Regime in Ungarn nach Österreich flüchteten. Insgesamt 170.000 dieser Flüchtlinge wurden aus Österreich in andere Staaten umverteilt, darunter Kanada, die USA und Australien, die jeweils 37.500, 30.000 und 14.000 Menschen aufnahmen. In allen drei Staaten ist Resettlement bis heute die zentrale (und präferierte) Säule der Flüchtlingsaufnahme.
Resettlement in Kanada, Australien und den USA
Deutschland wie auch viele andere EU-Staaten haben in den 2010er Jahren begonnen, Resettlement als festes Element in ihre Flüchtlingspolitik zu integrieren. In den USA, Kanada und Australien bildet es hingegen schon lange eine zentrale Säule des Flüchtlingsschutzes. Alle drei Staaten zählten in den letzten Jahrzehnten zu den Ländern, die sich am stärksten am globalen Resettlement in Kooperation mit dem UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) beteiligt haben.
In absoluten Zahlen nahmen die USA weltweit die meisten Resettlement-Flüchtlinge auf – insgesamt mehr als drei Millionen seit der Einrichtung des nationalen Resettlement-Programms im Jahr 1980. Im Herbst 2025 senkte U.S.-Präsident Donald Trump (Republikaner) das jährliche Aufnahmekontingent von zuletzt 125.000 Flüchtlingen auf 7.500 Personen für das Jahr 2026 ab.
Australien hat seit den 1970er Jahren ein Resettlement-Programm. Diese Form der staatlich organisierten Aufnahme von Schutzsuchenden gilt dem Land als bevorzugter Weg des Flüchtlingsschutzes. Menschen hingegen, die eigenständig und ohne Visum in Australien ankommen und dort Asyl beantragen – sie werden in der Debatte zum Teil als „Vordrängler“ (queue jumpers) bezeichnet –, wird seit Jahrzehnten mit einer
Kanada setzt beim Resettlement nicht nur auf die staatlich geförderte Flüchtlingsaufnahme (government-assisted resettlement), sondern seit der Einführung des nationalen Resettlementprogramms im Rahmen des Einwanderungsgesetzes von 1976 auch auf das sogenannte Externer Link: Private Sponsorship. Dabei verpflichten sich zivilgesellschaftliche Organisationen oder auch kanadische Staatsangehörige bzw. Ausländer mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung, ein Jahr lang die Kosten für die Versorgung eines Flüchtlings zu tragen und zum Beispiel bei der Wohnungs- und Arbeitssuche zu helfen. Seit 2013 sind über diese privat-unterstützen Aufnahmen insgesamt mehr Resettlement-Flüchtlinge nach Kanada gekommen als über das staatlich geförderte Aufnahmeprogramm. Im November 2024 wurde das Private Sponsorship bis Ende 2025 ausgesetzt, da die Nachfrage das Kontingent der für diese Aufnahmen zur Verfügung stehenden Plätze überschritt. Kanada legt im Externer Link: Immigration Levels Plan jährliche Obergrenzen für verschiedene Einwanderungskategorien fest (u.a. Arbeits-, Familien- und humanitäre Migration).
Resettlement der Boat People
Eines der größten Resettlement-Programme des UNHCR wurde ab 1975 nach dem Ende des
1980 verabschiedete der Bundestag das Externer Link: „Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge“. Es erlaubte die humanitäre Aufnahme von Menschen über Kontingente. Dadurch konnten vietnamesische Flüchtlinge direkt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, ohne dafür ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Zudem wurden ihnen umfassende Integrationshilfen gewährt. Insgesamt nahm die Bundesrepublik über diesen Weg Externer Link: mehr als 30.000 Indochinaflüchtlinge auf.
Kontingente in der jüngeren deutschen Flüchtlingspolitik
Von 1991 bis zum Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes 2005 konnten Jüdinnen und Juden aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion als sogenannte
Allerdings ist der Begriff des „Kontingentflüchtlings“ in diesem Zusammenhang nicht im Sinne eines festgelegten Kontingents zu verstehen, denn eine zahlenmäßige Begrenzung dieser Zuwanderungsgruppe hat es nie gegeben. Die über dieses Gesetz aufgenommenen Personen mussten kein individuelles Asylverfahren durchlaufen und keine individuelle Verfolgung nachweisen, aufnahmeberechtigt waren alle Personen, die eine jüdische Identität nachweisen konnten. Auch wenn das Aufnahmeverfahren 2005 neu geregelt wurde, können Jüdinnen und Juden aus postsowjetischen Staaten bis heute einen humanitären Aufenthaltstitel erhalten (§23 AufenthG), ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Seit 1990 sind auf diesem Wege mehr als 220.000 jüdische Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion nach Deutschland eingereist.
Ein festes Resettlement-Programm existiert in Deutschland seit 2012. In diesem Rahmen beteiligte sich das Land in den vergangenen Jahren regelmäßig in Zusammenarbeit mit UNHCR an der Aufnahme von Flüchtlingen aus Erstzufluchtsstaaten, seit 2016 hat es am Resettlement-Programm der EU teilgenommen. Die Verwaltung der Kontingente liegt dabei in den Händen des Bundesministeriums des Innern (BMI) und des ihm nachgeordneten Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Neben dem Resettlement gab es in der Vergangenheit auf Bundes- und Länderebene auch andere humanitäre Programme, die für die Aufnahme einer vorab definierten Gruppe Schutzbedürftiger Kontingente eröffneten. Von Externer Link: 2013 bis 2015 nahm der Bund beispielsweise 20.000 syrische Flüchtlinge über drei Humanitäre Aufnahmeprogramme (HAP) auf. Die meisten Bundesländer richteten eigene Kontingente ein, um Syrer:innen Schutz vor dem Bürgerkrieg und Verfolgung in ihrem Herkunftsland zu gewähren. In diesem Rahmen konnten Syrer:innen aufgenommen werden, wenn in Deutschland lebende Personen – zumeist Verwandte – als Verpflichtungsgeber:innen fungierten und für den Lebensunterhalt aufkamen. Bis Ende 2015 wurden auf diesem Wege insgesamt ca. 21.500 Visa ausgestellt.
Nachdem die radikal-islamistischen
Von 2019 bis 2025 konnten sich zudem zivilgesellschaftliche Akteure über das Programm Externer Link: „Neustart im Team (NesT)“ an Resettlement-Aufnahmen beteiligen, indem sich mindestens vier ehrenamtliche Mentor/-innen verpflichten, besonders schutzbedürftige Flüchtlinge finanziell und ideell zu unterstützen. Die Zahl der dafür vom BMI festgelegten jährlichen Kontingente lag Externer Link: im niedrigen dreistelligen Bereich (zwischen 200 Personen im Jahr 2023 und bis zu 260 Personen im Jahr 2025). Auch der Familiennachzug zu Geflüchteten ist in Deutschland teilweise über Kontingente geregelt worden. Zwischen August 2018 und Juli 2025 konnten monatlich 1.000 Visa für den Nachzug von Angehörigen von in Deutschland lebenden Geflüchteten mit subsidiärem Schutzstatus ausgestellt werden. Insgesamt sind von Externer Link: August 2018 bis August 2024 rund 54.200 Visa an Familienangehörige von subsidiär Schutzberechtigten erteilt worden.
Die seit Mai 2025 regierende Koalition aus CDU/CSU und SPD hat alle freiwilligen Aufnahmen von Flüchtlingen über Kontingente gestoppt und den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten für zunächst zwei Jahre ausgesetzt. Damit finden Kontingente aktuell in der deutschen Flüchtlingsschutzpolitik keine Anwendung mehr. Bei der Umverteilung von Asylsuchenden innerhalb Deutschlands und im Bereich der Erwerbsmigration kommen sie aber weiterhin zum Tragen.
Quoten zur Umverteilung von Asylsuchenden
In Deutschland werden Asylsuchende nach dem
Ein ähnliches Verteilungssystem mit festen Aufnahmequoten auf der Basis vergleichbarer Kriterien ist infolge der umfangreichen Fluchtzuwanderung 2015/16, die die gemeinsame
Bisher ist die innereuropäische Umverteilung von Schutzsuchenden wenig erfolgreich. So wurden z. B. im Zuge eines 2015 von den EU-Mitgliedstaaten mehrheitlich beschlossenen Umverteilungskontingents von insgesamt 160.000 Schutzsuchenden aus Griechenland und Italien bis März 2017 nur rund 34.000 Personen auch tatsächlich umverteilt. Polen und Ungarn nahmen gar keine Geflüchteten auf, die meisten anderen Staaten deutlich weniger als nach der verpflichtenden Quote vorgesehen.
Über einen 2022 beschlossenen freiwilligen Solidaritätsmechanismus, an dem sich 21 europäische Länder beteiligten und der insbesondere der Verteilung von aus Seenot geretteten Asylsuchenden aus den am Mittelmeer liegenden EU-Staaten diente, wurden rund 4.000 Menschen auf die am Mechanismus beteiligten Staaten verteilt – ursprünglich hatten diese 8.000 Umverteilungsplätze zugesagt. Die deutsche Bundesregierung setzte ihre Aufnahmen aus Italien beispielsweise aus, als die Regierung in Rom sich weigerte,
Debatte um die Abschaffung des individuellen Asylrechts zugunsten von Kontingentaufnahmen
In der EU gibt es seit ein paar Jahren eine Debatte darüber, das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen und schutzbedürftige Menschen stattdessen über festgelegte Kontingente aufzunehmen.
Kontingentaufnahmen könnten, so das Argument, gefährlichen Fluchtrouten wie Reisen über das Mittelmeer entgegenwirken, wenn dadurch legale Einreisewege ermöglicht würden. Außerdem benachteilige das aktuelle Asylrecht besonders schutzbedürftige Menschen, da gerade sie seltener gefährliche Fluchtrouten auf sich nehmen könnten. Ihrer Aufnahme könnte im Rahmen von Kontingentlösungen daher besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Kontingente könnten somit auch die Akzeptanz der Bevölkerung für die Flüchtlingsaufnahme fördern, weil die Regierung die Kontrolle darüber habe, wer als Flüchtling aufgenommen werde. In diesem Kontext ist politisch auch die Forderung nach der
In der Kritik an dieser Idee wird darauf hingewiesen, dass das internationale Flüchtlingsschutzregime aus historischen Gründen auf dem individuellen Recht auf Asyl beruht. Dieses sei nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust als Reaktion auf das Versagen der internationalen Gemeinschaft beim Schutz insbesondere von verfolgten Jüdinnen und Juden eingeführt worden. Kontingente würden zudem immer vom politischen Willen zur Aufnahme von Flüchtlingen abhängen und damit einer gewissen Willkür auch mit Blick auf die als schutzwürdig erachteten Gruppen unterliegen. Sie seien zwar ein wichtiges Instrument im Flüchtlingsschutz – aber nur als Ergänzung des individuellen Asylrechts, nicht als Ersatz.
Kontingente zur Steuerung von Arbeitsmigration nach Deutschland
Die bekannteste auf Kontingenten basierende Regelung zur Steuerung von Arbeitsmigration nach Deutschland ist derzeit die sogenannte Externer Link: Westbalkanregelung. Sie wurde 2016 ins Leben gerufen und erlaubt es Staatsangehörigen der Westbalkanländer Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien, unter vereinfachten Bedingungen zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Sie dürfen jede Art der Beschäftigung aufnehmen. Eine Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikation ist hierfür keine Voraussetzung – mit Ausnahme reglementierter Berufe (wie z. B. Ärzt:innen), in denen grundsätzlich die Gleichwertigkeit mit einem in Deutschland erworbenen Abschluss nachgewiesen werden muss. Die Bundesagentur für Arbeit muss ihre Zustimmung zur Beschäftigung erteilen. Die Zahl der Zustimmungen ist im Jahr 2025 auf 50.000 begrenzt. Die schwarz-rote Regierungskoalition plant, dieses Kontingent Externer Link: auf 25.000 abzusenken.
Auch im Bereich der zeitlich befristeten Arbeitsmigration gibt es Kontingentregelungen. Im Rahmen einer Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wurde 2024 die Externer Link: „kurzzeitige kontingentierte Beschäftigung“ eingeführt. Darüber sollen ausländische Arbeitskräfte kurzfristig beschäftigt werden können, um in Spitzenzeiten Arbeitskräfteengpässe etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe abzufedern. 2025 dürfen über diese Regelung maximal 25.000 Personen nach Deutschland kommen. Darüber hinaus ist im Kontext eines bilateralen