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Primärprävention im Kontext Rechtsextremismus

Judith Rahner

/ 12 Minuten zu lesen

Primärprävention ist ein wichtiger Ansatz, um rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen in der Gesellschaft zu verhindern, bevor sie sich festigen oder zu rechtsextremen Aktivitäten führen.

Primärprävention hat keine spezifische Zielgruppe und ist universell - viele Angebote wenden sich jedoch an Jugendliche und junge Erwachsene. (© Adobe Stock/Zoran Zeremski)

Der viel genutzte Begriff Prävention stammt vom lateinischen „praevenire“, was so viel bedeutet wie „zuvorkommen“ oder „verhindern“. Dementsprechend besteht Präventionsarbeit aus Maßnahmen und Aktivitäten zur Verhinderung von unerwünschten Phänomenen oder Verhalten. Rechtsextremismus kann die soziale Stabilität einer Gesellschaft gefährden. Die Prävention von Rechtsextremismus ist von grundlegender Bedeutung für die Wahrung der Menschenrechte und die Aufrechterhaltung demokratischer Werte. Rechtsextreme Gruppen setzen oft auf Gewalt und Unterdrückung, um ihre Ziele zu erreichen, was die Grundprinzipien einer offenen Gesellschaft bedroht. Nicht zuletzt fördert Primärprävention die soziale Inklusion und Integration von Minderheiten und gesellschaftlich marginalisierten Gruppen. Indem Vorurteile und Diskriminierung abgebaut werden, entsteht ein inklusiveres und diverseres Gemeinschaftsgefühl.

Die Voraussetzung für Ansätze der Primärprävention ist die Erkenntnis, dass Rechtsextremismus eine ernste Bedrohung für eine offene Gesellschaft darstellt. Rechtsextremismus wird in wissenschaftlichen Debatten beinahe übereinstimmend mit Interner Link: Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus konnotiert. Er zeichnet sich zudem durch die Ablehnung Andersdenkender sowie durch die Verharmlosung und Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus aus. Zudem kennzeichnet ihn der Wunsch nach einer autoritären politischen Ordnung auch mit Mitteln von Gewalt. Rechtsextremismus und demokratiefeindliche Einstellungen sind dabei kein randständiges Phänomen oder alleiniges „Jugendproblem“. Repräsentative Untersuchungen wie die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (Zick et al. 2023) belegen, dass rechtsextreme Einstellungen weit verbreitet sind. Mittlerweile teilen 8 Prozent der Bevölkerung ein rechtsextremes Weltbild. Fast ein Drittel der Bevölkerung befürwortet eine autoritäre Staatsform oder lehnt sie zumindest nicht ab. Fast 22 Prozent der Befragten sind ganz oder teilweise davon überzeugt, dass „die Verbrechen des Nationalsozialismus […] in der Geschichtsschreibung weit übertrieben“ wurden (Zick/Mokros 2023, S. 64f.). Mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland glaubt entweder ganz oder teilweise, dass der Nationalsozialismus „auch seine guten Seiten“ hatte (vgl. ebd.). Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung (53,3 Prozent) weist keine rassistischen Einstellungen auf (ebd., S. 69, Abb. 3.3). Fast 28 Prozent der Befragten glauben, die Bundesrepublik sei „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ (Zick/Mokros 2023, S. 64f.). Weitere 22 Prozent stimmen teilweise zu. Insgesamt befürworten 21 Prozent der Deutschen Antisemitismus ganz oder teilweise (ebd., S. 69, Abb. 3.3). Der Aussage „Es gibt wertvolles und unwertes Leben“ stimmen über 11 Prozent der Befragten zu, 12 Prozent teilweise. Weniger als 60 Prozent der Befragten haben noch Vertrauen in die Demokratie (ebd., S.104).

Die Prävention von Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und Aufgabe – und wird nicht zuletzt deshalb mittels unterschiedlicher Strategien und Ansätze umgesetzt. Rechtsextremismusprävention wird dabei in Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention unterschieden (vgl. Caplan 1964; Rieker 2009): Primärprävention ist ein wichtiger Ansatz, um rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen in der Gesellschaft zu verhindern, bevor sie sich festigen oder zu rechtsextremen Aktivitäten führen. Unter primärer Prävention wird also das Verhindern problematischer Handlungsweisen im Vorfeld verstanden. Gelegentlich wird hierbei auch von universeller Prävention gesprochen. Das Ziel sekundärer Prävention hingegen ist es, eine Verstärkung bereits bestehender problematischer Einstellungen und Handlungsweisen zu verhindern, während in der tertiären Prävention auf bereits manifeste Handlungen reagiert wird.

Welche Zielgruppen werden mit Primärprävention adressiert?

Primärprävention hat keine spezifische Zielgruppe, ist universell und richtet sich zunächst an alle Mitglieder der Gesellschaft (vgl. Jäger et al. 2022, S. 9). Einige Angebote in der Primärprävention sind jedoch zielgruppenspezifisch und richten sich an bestimmte Altersgruppen oder Gruppen, die in Bezug auf Rechtsextremismus als stärker gefährdet wahrgenommen werden, zum Beispiel in der Sozialen Arbeit in einer ländlichen Region.

Ein Großteil der Rechtsextremismusprävention wendet sich an Jugendliche und junge Erwachsene, denn rechtsextreme Akteure richten sich häufig in ihren Angeboten an diese. Anschluss versuchen sie bei dieser Zielgruppe über deren Identitätssuche und die Suche nach sozialer Anerkennung oder deren Erfahrungen von Diskriminierung und dem Gefühl sozialer Ungerechtigkeit zu finden. Ansätze der Rechtsextremismusprävention werden zudem in direkte und indirekte Präventionsarbeit unterschieden. In den direkten Präventionsansätzen wird mit Menschen gearbeitet, um Radikalisierungsprozessen vorzubeugen oder diese aufzuhalten. Indirekte Präventionsansätze richten sich an das soziale Umfeld oder an Fachkräfte, die in Kontakt mit (potenziell) gefährdeten Menschen stehen, und sollen Wissen vermitteln, um Radikalisierungsprozesse erkennen und diesen entgegenzuwirken zu können (Kemmesies/Michaelis 2021, S. 399).

Warum ist Primärprävention wichtig?

Primärprävention trägt zur Verhinderung von Radikalisierung und damit zur Reduzierung von Konflikten und Gewalt bei. Radikalisierung ist dabei als Prozess zu verstehen, bei dem sich Menschen einer rechtsextremistischen Ideologie zuwenden. Dabei ist in Wissenschaft und Praxis strittig, wie genau ein solcher Hinwendungsprozess aussieht und welche Risikofaktoren und Motive eine Rolle spielen. Einigkeit herrscht darüber, dass Radikalisierungen dynamisch verlaufen, sich in einem individuellen und von vielen Faktoren abhängigen Prozess entwickeln und oft in Verbindung mit Gruppendynamiken stehen. Menschen, die sich noch nicht in einem Radikalisierungsprozess befinden, werden mit Primärprävention adressiert. Durch die Identifizierung von Risikofaktoren und die gezielte Intervention können Menschen davon abgehalten werden, menschenfeindliche und rechtsextreme Ansichten anzunehmen und in radikalisierte Gruppierungen hineingezogen zu werden oder sich diesen aktiv zuzuwenden. Primärprävention stärkt also die Widerstandsfähigkeit von Individuen und Gemeinschaften gegen rechtsextreme Einflüsse. Indem Menschen über die Risiken von Rechtsextremismus aufgeklärt und ihnen die Fähigkeiten zur kritischen Analyse von menschenfeindlicher Propaganda vermittelt werden, sind sie besser in der Lage, diesen Ideologien zu widerstehen und zu widersprechen.
Primärprävention lässt sich vor allem in den Handlungsfeldern Demokratieförderung und Diversitätspädagogik beziehungsweise Antidiskriminierungsarbeit finden, in geschlechtersensiblen pädagogischen Ansätzen und der Medienbildung, ebenso in der Jugend- und Sozialarbeit und in der Sozialräumlichen Arbeit sowie in der religiösen Bildung, Berufsförderung oder in Elternarbeit und Erziehungshilfen.

Wie sehen wirksame Strategien, Konzepte und Ansätze in der Primärprävention aus?

Wirksame Primärprävention zur Verhinderung von Rechtsextremismus umfasst eine breite Palette von Maßnahmen und Ansätzen, die darauf abzielen, die zugrunde liegenden Ursachen für rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen anzugehen. Die präventive Wirkung liegt vor allem in der Sensibilisierung für rechtsextreme Ideologien und Akteure. Wichtig ist zudem die Stärkung von Medienkompetenz, um Online-Strategien rechtsextremer Akteure auf Social Media oder in Messenger-Diensten zu erkennen und zukünftig auch auf KI-generierte demokratiefeindliche Inhalte reagieren zu können. Ein wichtiger Fokus in Ansätzen der Primärprävention liegt auf der Prävention von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder Sozialdarwinismus, worunter auch die Reflexion der eigenen Annahmen, Ressentiments und Vorurteile verstanden wird. Die Förderung einer menschenrechtsorientierten Haltung und von kritischem Denken sowie die Stärkung von Zivilcourage gehören ebenso zum Präventionsansatz. Primärprävention geht über die Bekämpfung von Rechtsextremismus hinaus und konzentriert sich auf die Schaffung eines gesunden gesellschaftlichen Umfelds, das Respekt, Wertschätzung und Demokratie fördert sowie eine Unterstützung zur gesellschaftlichen Teilhabe ermöglicht und Menschen empowert. Auch die Förderung von Berufschancen oder die Unterstützung im Umgang mit sozialer Marginalisierung sowie mit familiären Konflikten kann präventive Wirkung haben. Ebenso können die Stärkung von Selbstwirksamkeitserfahrungen sowie die Förderung von Anerkennung, Zugehörigkeit und Bindungserfahrungen Teil von Primärprävention sein.

Schlüsselaspekte und Ansätze für eine effektive Primärprävention

Frühzeitige Intervention

Eine der wichtigsten Strategien besteht darin, frühzeitig zu intervenieren, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Schulen, Bildungseinrichtungen und Jugendtreffs spielen eine entscheidende Rolle, um Anzeichen von Ideologien der Ungleichwertigkeit und Radikalisierung zu erkennen und geeignete Unterstützung bereitzustellen. Präventionsarbeit sollte dabei auf eine nachhaltige Stärkung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen setzen, auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen und neben individuellen auch gesellschaftliche und politische Risikofaktoren in den Blick nehmen. Um Radikalisierungsprozesse zu verstehen, muss Präventionsarbeit auch die Frage einbeziehen, was (junge) Menschen an radikalisierten Gruppierungen und Überzeugungen attraktiv finden: Welche Angebote gehen von diesen Gruppen aus, die junge Menschen interessant finden? Welche Versprechungen werden ihnen gemacht? Eine frühzeitige Intervention kann durch Schulprogramme zur Demokratiebildung und Akzeptanzförderung, durch das Erlernen von Ambiguitätstoleranz – also der Fähigkeit, Mehrdeutigkeit zu akzeptieren – sowie durch Schulpsycholog:innen und Sozialarbeiter:innen erreicht werden.

Demokratiebildung und Aufklärung in Regelstrukturen

Bildung ist ein mächtiges Instrument zur Vorbeugung von Rechtsextremismus, und Schulen, Jugendarbeit und Sozialpartner:innen spielen dementsprechend eine entscheidende Rolle. Schulen und Regelstrukturen der Sozialen Arbeit können Rechtsextremismus nicht ignorieren, weil ihr Bildungsauftrag an demokratische Werte gekoppelt ist, die durch Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit infrage gestellt werden. Programme zur Demokratiebildung sind effektive Ansätze und in Schulen sollten Lehrpläne Themen wie Menschenrechte, kulturelle Vielfalt und kritisches Denken umfassen. Die Bandbreite der Präventionsstrategien kann von der Wissensvermittlung im Unterricht, Ansätzen der historisch-politischen Bildung zur Aufklärung über die Verbrechen der NS-Zeit und die Schrecken der Shoa über die Förderung der Schüler:innenpartizipation bis zu einer wertschätzenden und zugewandten Interaktion in Schule und Unterricht reichen und sollte die Unterstützung sozialkognitiver Kompetenzen umfassen, um Vorurteilen zu begegnen. Sensibel vorbereitete Begegnungsprojekte und Austauschformate gehören ebenfalls zur Demokratiebildung in Regelstrukturen – aber ebenso das Ziehen „roter Linien“ und damit beispielsweise die Konfrontation und aktive Auseinandersetzung mit diskriminierenden Äußerungen (vgl. Heinrich/May 2020). Solche Programme haben zum Ziel, das Bewusstsein für demokratische Werte zu erhöhen und demokratiefeindliche Einstellungen bei Schüler:innen zu reduzieren. Ansätze wie Schulentwicklungsprozesse können auf struktureller Ebene präventiv wirken, indem sie die Entwicklung eines demokratischen Schulalltags, Antidiskriminierungsarbeit in der Lehrkräfteausbildung (vgl. Schedler et al. 2019) oder die Entwicklung von entsprechenden Lehr- und Lernmethoden bzw. Lehrmaterialien (vgl. Schütze 2019) fördern.

Community-Engagement und Gemeinwesenorientierung

Die Einbindung des Gemeinwesens in die Präventionsarbeit kann ebenfalls entscheidend sein. Lokale Organisationen wie Sportvereine, Schulen, Jugendarbeit, religiöse Institutionen, Bildungseinrichtungen oder sozialraumorientierte Stadtteilbüros können dazu beitragen, ein Umfeld der Akzeptanz und des Dialogs zu schaffen. Diese Gemeinschaftsbemühungen fördern die Zusammenarbeit und stärken das soziale Gewebe. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Community-Engagement und lokale Initiativen eine wichtige Rolle bei der Prävention von Rechtsextremismus spielen können (Rohde 2019). Ansätze reichen von Aufklärung über Analyse bis zu Information über (lokale) Besonderheiten des Rechtsextremismus in Kommunen, die oftmals von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus oder anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren angeboten werden. Ein Ansatz können auch sogenannte Lokale Aktionspläne sein, bei denen lokale Initiativen und Projekte zur Förderung von zivilgesellschaftlichen und demokratischen Strukturen im Gemeinwesen unterstützt und umgesetzt werden (vgl. Behn et al. 2013). Bei besonderen gemeinwesenorientierten Präventionsformen, wie zum Beispiel der „Lokalen Intervention“, werden lokale Akteure mit der Situation von Betroffenen rechter Gewalt vertraut gemacht, um deren Sensibilität für Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus im lokalen Raum zu erhöhen und Solidarisierung mit Betroffenen menschenfeindlicher Ideologien zu erreichen.

Soziale Inklusion, Empowerment und Partizipation für marginalisierte Zielgruppen

Die Schaffung von Chancengleichheit und die Beseitigung struktureller Diskriminierung sind langfristige Ziele, um rechtsextreme Ideologien zu bekämpfen. Dies erfordert politische Maßnahmen und die Beteiligung der gesamten Gesellschaft. Die Förderung von Vielfalt und die Unterstützung marginalisierter Gruppen sind entscheidend, um Vorurteile und Diskriminierung abzubauen. Programme und Initiativen, die es marginalisierten Gruppen ermöglichen, sich aktiv an der Gesellschaft zu beteiligen, sind von großer Bedeutung. Zu einer diskriminierungssensiblen Strategie gehören die Ressourcenstärkung und das Entwickeln von Handlungsoptionen für Menschen mit eigenen Diskriminierungserfahrungen (Empowerment), des Weiteren sind unterschiedliche Erfahrungen Einzelner zu berücksichtigen und ernst zu nehmen.

Organisationale Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Ungleichwertigkeitsvorstellungen

Gegenstrategien zu Ungleichwertigkeitsvorstellungen sollten nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf struktureller, institutioneller und administrativer Ebene in den Handlungsfeldern Bildung, Justiz, Schule, Verwaltung und Polizei oder bei einzelnen Trägern ansetzen (vgl. Rahner 2020). Die Entwicklung fachlicher Standards für die Auseinandersetzung mit Ungleichwertigkeitsvorstellungen kann dabei als Querschnittsziel verankert werden. Eine Sensibilisierung für Rassismus, Antisemitismus oder andere GMF sollte sozialräumlich und partizipativ angelegt sein, um bedarfsgerechte und bedürfnisorientierte Strategien zu gewährleisten. Der Abbau von Ungleichwertigkeitsvorstellungen und die Prävention gegen Menschenfeindlichkeit sollten explizit als Ziele benannt und verbindlich gemacht werden. Die stärkere Verankerung des Themenfelds in der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften ist eine wichtige Voraussetzung – genauso wie die Förderung der Selbstreflexion von Fachkräften für differenzsensible und machtkritische Bildungsarbeit. Rassismuskritisch oder antisemitismuskritisch beziehungsweise ideologiekritisch zu agieren, heißt dabei, sich selbst zu Ungleichwertigkeiten ins Verhältnis zu setzen. Es geht nicht nur um Rassist:innen, Nazis und Rechtsextreme, sondern auch um Einstellungen und Denkweisen, die die Gesellschaft prägen und beeinflussen, über Ausschlüsse und Teilhabe entscheiden und eine ungleiche Verteilung von Ressourcen rechtfertigen. Ungleichwertigkeitsvorstellungen betreffen daher alle Menschen, allerdings in sehr unterschiedlicher Weise. Das gilt es sich bewusst zu machen.

Stärkung der Medienkompetenz und Online-Aufklärung

Rechtsextreme nutzen erfolgreich Social-Media-Kanäle, Gaming-Plattformen und Messenger-Gruppen, um menschenfeindliche Ideen und Demokratiefeindschaft zu verbreiten. Ansätze zur Stärkung von Medienkompetenz sind wichtig, um rechtsextreme Propaganda zu entlarven und das Bewusstsein für die Risiken von Rechtsextremismus im digitalen Raum zu schärfen. Adressat:innen von Primärprävention sollen in die Lage versetzt werden, Menschenfeindlichkeit und Online-Hass im Internet zu erkennen, kritisch zu hinterfragen und ihnen entgegenzutreten. Dazu gehört Wissen darüber, wie rechtsextreme Agitation online funktioniert, welche Quellen im Netz verlässlich sind, wo ich rechtsextreme Inhalte melden kann oder Beratungsstellen finde. Auch Aufklärungskampagnen in den Medien oder in sozialen Netzwerken können ein wirksames Mittel sein.

Geschlechterreflektierende Perspektive in der Prävention

Diese Perspektive von Rechtsextremismus berücksichtigt auf allen Ebenen das Geschlecht – individuell wie auch historisch. Ohne einen geschlechterreflektierenden Blick geraten Phänomene der Rechtsextremen sowie Handlungsmöglichkeiten im Umgang damit aus dem Blick. Für junge Erwachsene gibt es geschlechterbezogene Motive in Hinwendungsprozessen zur rechtsextremen Szene, an die es pädagogisch anzudocken gilt. Dazu erhalten Adressat:innen geschlechterreflektierter Rechtsextremismusprävention Handlungsoptionen im Alltag jenseits stereotyper Zuschreibungen. Die Förderung einer demokratischen Kultur ist gleichbedeutend mit der Förderung einer geschlechtergerechten Kultur. Diversity-Pädagogik und Pädagogik der sexuellen Vielfalt können in der Primärprävention ein wichtiger Baustein sein, um vereindeutigenden Praxen entgegenzuwirken und Respekt gegenüber der Vielfalt der Geschlechter zu fördern. Da diese pädagogischen Ansätze rechtsextremen Ideologien fundamental zuwiderlaufen, sind diversitätsorientierte Angebote ein wichtiger Baustein der Rechtsextremismusprävention (vgl. Tuider et al. 2012).

Evaluation und Wirksamkeitsforschung

Präventionsmaßnahmen sollten kontinuierlich evaluiert werden. Instrumente der Qualitätssicherung und des Wissensmanagements sollen in der breiten Präventionslandschaft Orientierung für wirksame Projekte und Programme bieten und erfolgreiche Ansätze identifizieren. Effektive Prävention erfordert oft eine Kombination mehrerer Ansätze, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Kontexte zugeschnitten sind. Die Forschung auf diesem Gebiet trägt dazu bei, fundierte Strategien zur Bekämpfung von Rechtsextremismus zu entwickeln und eine inklusive Gesellschaft zu fördern (Koynova et al. 2022; Baykal et al. 2021).

Kritik an Ansätzen der Primärprävention im Kontext Rechtsextremismus

Primärprävention wendet sich in erster Linie an alle Mitglieder der Gesellschaft. Sobald eine Gruppe für Angebote der Primärprävention ausgemacht wurde, kann dies bereits eine Stigmatisierung bedeuten und wird entsprechend kritisch gesehen (vgl. Jäger et al. 2022). Denn Prävention will der Definition nach immer etwas „verhindern“. Prävention kann dann auch als Pathologisierung von Bevölkerungsteilen verstanden werden, die nicht im Verdacht stehen (sollten), sich zu radikalisieren. Präventionsansätze beziehungsweise eine Überdehnung des Präventionsbegriffs können also im schlechtesten Fall selbst zu Stigmatisierung beitragen. Angebote der Primärprävention seien zudem, so eine weitere Kritik, unspezifisch, denn sie reichen von Aufklärung und Sensibilisierung über Maßnahmen der Demokratieförderung bis zur Persönlichkeits- beziehungsweise Identitätsstärkung (vgl. Greuel 2018). Aber wann kann überhaupt von Prävention gesprochen werden? Wie sieht eine Differenzierung zu Ansätzen und Maßnahmen der Demokratiepädagogik oder der ganz normalen Arbeit in einer Jugendeinrichtung aus, die zur Unterstützung von Sozialisation gehören, aber nicht unter Prävention fallen sollten?

Fazit

Insgesamt erfordert die Primärprävention von Rechtsextremismus eine umfassende Herangehensweise, die Bildung, soziale Integration, Bewusstseinsbildung und individuelle Unterstützung kombiniert. Die Primärprävention von Rechtsextremismus ist ein komplexes und sich ständig weiterentwickelndes Feld. Die Wirksamkeit der Ansätze und Maßnahmen hängt von der Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen, Bildungseinrichtungen und demokratischer Zivilgesellschaft ab, um eine inklusive und offene Gesellschaft zu schaffen, in der Rechtsextremismus keinen Platz hat. Primärprävention ist von entscheidender Bedeutung, um die Verbreitung rechtsextremer Ideologien und die Radikalisierung von Individuen zu verhindern. Dieser Ansatz konzentriert sich auf die Schaffung eines demokratischen gesellschaftlichen Umfelds, in dem Rechtsextremismus keinen Nährboden findet. Wirksame Konzepte und Ansätze, die auf menschenrechtsorientierte Bildung, Community-Engagement, Partizipation und Förderung von Vielfalt setzen, sind der Schlüssel zur erfolgreichen Primärprävention von Rechtsextremismus.

Quellen / Literatur

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Behn, Sabine; Bohn, Irina; Karliczek, Kari-Maria; Lüter, Albrecht; Sträter, Till (2013): Lokale Aktionspläne für Demokratie. Zivilgesellschaft und Kommune in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. Weinheim. Caplan, Gerald (1964): Principles of preventive psychiatry. New York.

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Tuider, Elisabeth; Müller, Mario; Timmermanns, Stefan; Bruns-Bachmann, Petra; Koppermann, Carola (2012): Sexualpädagogik der Vielfalt. Praxismethoden zu Identitäten, Beziehungen, Körper und Prävention für Schule und Jugendarbeit. Weinheim/Basel.

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Fussnoten

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Judith Rahner, politische Bildnerin, studierte Gender-Studies und Erziehungswissenschaften und verantwortet bei der Amadeu Antonio Stiftung den Programmbereich Rechtsextremismus. Sie ist Leiterin der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus, die Zivilgesellschaft, Politik und Medien im Umgang mit Rechtsextremismus berät und schult.