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Wenn extrem rechte Gesinnung die Familie stört Wie die An- und Zugehörigenberatung im Umgang mit extrem rechten Familienmitgliedern unterstützen kann

Fachstelle Rechtsextremismus und Familie

/ 17 Minuten zu lesen

Neben Grundlagen der Beratungspraxis werden für innerfamiliäre Konflikte aufgrund extrem rechter Ansichten und Gesinnungen ein konkreter Beratungsansatz vorgestellt sowie Handlungsoptionen vermittelt.

An- und Zugehörigenberatung richtet sich nicht nur an Eltern, sondern an alle, die in ihrem sozialen Umfeld mit extrem rechten oder menschenfeindlichen Ansichten konfrontiert sind und Unterstützung im Umgang damit suchen. (© Adobe Stock/fizkes)

Zur Genese der An- und Zugehörigenberatung

Die Dynamik innerhalb von Familien, in denen extrem rechte Ansichten vertreten werden, kann eine Vielzahl von Herausforderungen und Belastungen mit sich bringen. Von Konflikten aufgrund der ideologischen Gesinnung der Familienmitglieder bis hin zu emotionalen Spannungen sind die Auswirkungen auf das familiäre Zusammenleben oftmals gravierend. In solchen Situationen kann professionelle Beratung von entscheidender Bedeutung sein, um Unterstützung und Orientierung zu erhalten.

Das Angebot der An- und Zugehörigenberatung richtet sich an Personen, die in ihrem familiären Kontext mit dem Phänomenbereich Rechtsextremismus konfrontiert sind. Das Wort „Zugehörige“ soll dabei unterstreichen, dass ein formal verwandtschaftliches Verhältnis keine Voraussetzung für eine Beratung ist. Ratsuchende können sich an die Fachstelle Rechtsextremismus und Familie (RuF) wenden, wenn beispielsweise Lebenspartner:in, Geschwister, Großeltern, Kinder, Eltern, Freund:innen oder andere Personen im nahen sozialen Umfeld extrem rechtes oder menschenfeindliches Verhalten zeigen, sich entsprechend äußern, sich in entsprechenden Kontexten bewegen und hierzu eine fachliche Einschätzung benötigt wird. In diesen Fällen bietet An- und Zugehörigenberatung Unterstützung, die stets auf der Freiwilligkeit seitens der Ratsuchenden beruht sowie auf deren Wunsch, sich kritisch mit den menschenfeindlichen Positionen ihrer An- und Zugehörigen auseinanderzusetzen.

Entstanden ist dieser Ansatz aus der ausschließlichen Elternberatung, welche selbst Ergebnis einer Professionalisierung im Feld der Beratung gegen Rechtsextremismus war: Wenn sich Jugendliche dem Rechtsextremismus zuwenden, so die ursprüngliche Idee, gäbe es oft im Hintergrund Eltern, die eine starke Wertedifferenz spüren und sich alleingelassen fühlen. Für diese Eltern sollte ein Beratungsangebot geschaffen werden (vgl. Baier et al. 2022; Niebling 2019).

Im Rahmen dieser Beratungsfälle entwickelte sich das Feld weiter: Neben Eltern rechtsorientierter Jugendlicher suchten vor allem Erwachsene Beratung, die in unterschiedlicher Art und Weise mit extrem rechten An- und Zugehörigen konfrontiert waren. Denn obwohl sich extrem rechte Gruppen auch jugendkulturell darstellen und versuchen, junge Menschen zu ideologisieren, ist Rechtsextremismus keinesfalls ein reines Jugendphänomen. Vielmehr gibt es auch erwachsene Personen, die sich seit vielen Jahren in extrem rechten Kreisen bewegen und fest in der Szene verankert sind. Auch ältere Personen können sich durch extrem rechte Mobilisierung angesprochen fühlen – obwohl sie zuvor keine Berührungspunkte hatten. So berichteten Beratungsnehmende etwa, dass ihre Verwandten sich durch die rassistische Mobilisierung von Pegida (seit 2014) oder die verschwörungsideologischen Querdenker-Demonstrationen (2020) erst der extremen Rechten zugewendet hätten. Dadurch entstehen vielfältige Konstellationen von An- und Zugehörigen, die sich damit konfrontiert sehen, einen Umgang für das alltägliche Zusammenleben oder auf gelegentlichen Familienfesten zu finden. Das führt nicht selten zu massiven Spannungen und Konflikten in den Familien.

In diesem Beitrag wird auf Grundlagen der Beratungspraxis eingegangen sowie auf den Kontext, in dem sich die Beratung bewegt. Es folgt eine Beschreibung des Beratungsansatzes der Fachstelle Rechtsextremismus und Familie (RuF) sowie der Beratung von An- und Zugehörigen anhand einiger Fallbeispiele. Schließlich werden Handlungsoptionen aufgezeigt, die für den Umgang mit extrem rechten Personen im eigenen persönlichen Umfeld hilfreich sein können.

Familie, Beratung und Macht

Beratung ist kein machtfreier Raum. Vielmehr ist in dem Verhältnis zwischen Individuen und Gruppen ein Machtverhältnis zu sehen (vgl. Schulze 2018, S. 36). Macht bedeutet in diesem Fall ein dynamisches Verhältnis: Macht wird nicht von Einzelnen besessen, sondern entsteht in sozialen Netzwerken und Interaktionen. Weil Macht auch immer mit Wissen verbunden ist (vgl. z. B. Foucault 1999), können Wissenshierarchien und Expert:innentum in Beratungssettings zu einem Machtgefälle führen.

Daraus folgen zwei Fragen für die Beratung: Was bewirkt dieses Machtverhältnis in der konkreten Beratungssituation, wenn sich Beratungsnehmende und Berater:innen gegenübersitzen? Und welche Machtverhältnisse bestehen im Kontext von Familie, die für die An- und Zugehörigenberatung zentral ist? Konkret geht es um vermeintliche Selbstverständlichkeiten und Vorannahmen der Berater:innen, durch die der Blick auf die Lebensrealitäten der Beratungsnehmenden verstellt wird (vgl. Schulze 2018, S. 37). Weil Letzteres Auswirkungen auf die konkrete Beratung hat, soll zuerst die Frage nach Macht im Kontext von Familie betrachtet werden, bevor auf den Umgang mit Machtverhältnissen in der Beratung eingegangen wird.

In der Vorstellung einer „normalen“ Familie stecken Ausschlüsse: Alleinerziehende, Patchwork- oder queere Familien werden als „anders“ wahrgenommen und oft nicht mitgedacht oder diskriminiert, wenn es um Familienpolitik oder mediale Sichtbarkeit geht. Meist wird eine vermeintlich normale Familie auch als mittelständisch, ohne behinderte Mitglieder, weiß bzw. deutsch gedacht.

Diese Ausschlüsse sind an vielen Stellen anschlussfähig an eine extrem rechte Ideologie. Auch in der extremen Rechten wird Familie ausschließlich in der Konstellation von Vater, Mutter und leiblichen Kindern gedacht. Hier findet eine ausgesprochene Abwertung von queeren Familien, solchen mit behinderten Angehörigen oder von multiethnischen Partnerschaften statt (vgl. Strehl/RuF 2021). Die Behauptung, „die Familie“ zu beschützen, die sich in extrem rechten und auch radikal-konservativen Kreisen oft findet, lässt sich so vielmehr als ein Angriff auf Familienkonstellationen verstehen, die nicht dem Bild einer „normalen“ Familie entsprechen. Es gibt einen Kampf um die Deutungshoheit, etwa wenn es darum geht, welche Familienform(en) von dem Schutzanspruch des Grundgesetzes profitieren dürfen (vgl. Kemper 2014). Vor allem der Bezug auf eine vermeintlich traditionelle Familie führt zu Diskriminierung und Ausschlüssen einerseits sowie zu einer Anschlussfähigkeit gesellschaftlicher Vorstellung von Familie an ein extrem rechtes Familienbild andererseits.

Darüber hinaus wird Familie oftmals ideell als Ort von Glück und Erholung begriffen. Die Familienmitglieder sollen sich „als Ganzes“ darin zeigen können und von den anderen so wie sie sind gesehen und wertgeschätzt werden – ein Heilsversprechen, das mit großen Risiken einhergeht (vgl. von Schlippe/Schweitzer 2016, S. 131). Gewalterfahrungen oder nichtfunktionale soziale Strukturen in Familien werden deswegen als individuelles Scheitern begriffen. Zudem gilt das Familienleben als Teil des Privaten, also jenes Orts, an dem kein Zugriff von außen – insbesondere nicht durch staatliche Stellen – erfolgen soll. Die Erwartung eines glücklichen Familienlebens und die Zurückgezogenheit in das Private erschweren es, im Zweifelsfall Hilfe zu suchen. Auch deshalb, weil dabei externe Personen in private Angelegenheiten einbezogen werden und vor diesen dazu noch offengelegt werden muss, dass das familiäre Glück nicht gegeben ist. Für die Beratung in diesem Kontext folgt daraus, dass Menschen sich tendenziell erst relativ spät an eine externe Stelle wenden beziehungsweise erst wenn ein Konflikt bereits eskaliert ist.

Macht in der Beratung

In einer Beratung sitzen sich Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen gegenüber. Einerseits die Ratsuchenden, die sich oft in einem persönlichen Ausnahmezustand befinden, weil etwa ein Konflikt in der Familie eskaliert ist. Andererseits haben die Berater:innen die Rolle von Fachleuten, die persönlich nicht involviert sind, auf einen Schatz an fachlichem sowie Erfahrungswissen aus anderen Beratungsfällen zurückgreifen können. Sie erkennenmit dem Blick von außen leichter festgefahrene Strukturen. Das kann als unterstützend wahrgenommen werden, wenn das Benennen die Auflösung von festgefahrenen Strukturen ermöglicht und Beratungsnehmende so Handlungsoptionen und Handlungsmächtigkeit erfahren. Diese unterschiedlichen Rollen können aber auch zu einem Hierarchieverhältnis führen.

Dies bedeutet für die An- und Zugehörigenberatung, dass eine Sensibilität für mögliche Ressourcen und Rollenverständnisse der Ratsuchenden wichtig ist. Vielleicht zögert ein Vater, sich an das Jugendamt zu wenden, obwohl er Sorge vor gefährdendem Verhalten durch die extrem rechte Mutter hat, weil er in der Vergangenheit Erfahrungen mit institutionellem Rassismus gemacht hat. Oder Personen nehmen ein Beratungsangebot nicht wahr, weil sie keine formelle Verwandtschaft vorweisen können. Solche Thematiken können in der Beratung nur aufgegriffen und bearbeitet werden, wenn die Berater:innen ein Verständnis vom Kontext haben, in dem die eigene Beratung stattfindet. Das beinhaltet auch, dass sie die eigene Positionierung reflektiert haben und diskriminierungssensibel arbeiten.

Eine Haltung der Berater:innen, die den Beratungsnehmenden generell Respekt zurückspiegelt und Anerkennung für deren Schritt aufbringt, sich externe Hilfe zu suchen, schafft die Grundlage für ein vertrauensvolles Beratungssetting. Gleichzeitig ist es fachlich in einigen Bereichen geboten, Beratungsaufträge abzugeben. Wenn es beispielsweise um massive häusliche Gewalt geht, tritt die Thematik der extrem rechten Einstellung von Angehörigen mitunter in den Hintergrund. Dann ist ein Verweis an dafür spezialisierte Beratungsstellen der beste Weg für die Beratungsnehmenden. Hier besteht die Aufgabe der Beratungsstelle darin, bei der Vermittlung zu unterstützen und Verweisstrukturen vorzuhalten.

Handlungsfelder und Vorgehen der Beratung

Auftrag der An- und Zugehörigenberatung ist es, die Beratungsnehmenden darin zu unterstützen, schwierige und konfliktbehaftete Themen im Kontext von extrem rechter Ideologie in ihren Familien zu adressieren. Die Beratungsnehmenden stehen dabei im Fokus: Sie sollen darin unterstützt werden, einen Umgang mit ihren extrem rechten An- und Zugehörigen zu finden. Dabei sind die wichtigsten Faktoren, dass erstens die Lösungswege für die Beratungsnehmenden passend und emotional auszuhalten sind und zweitens extrem rechte Einstellungen weder bagatellisiert noch gänzlich ausblendet werden. Letzteres beinhaltet auch, dass mögliche Betroffene von Diskriminierung oder rechter Gewalt mitgedacht werden. Das können Kinder sein, die menschenverachtende Reden mithören, aber auch Familienmitglieder oder Freund:innen, die von extrem rechter Hetze adressiert werden. Die individuellen Grenzen der Beratungsnehmenden, die Thematisierung und Abgrenzung zu extrem rechter Ideologie sowie der Schutz von Betroffenen spezifizieren somit den Beratungsauftrag von RuF.

In der Beratung geht es um die Stärkung von Personen, die sich extrem rechter Ideologie entgegenstellen wollen. Aus diesem Grund berät RuF keine Angehörigen, die selbst der extremen Rechten angehören oder deren Ideologie vertreten. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Interner Link: Ausstiegs- und Distanzierungsberatung, bei der es um eine kritische Auseinandersetzung mit eigenen menschenverachtenden Einstellungen und Handlungen sowie um den Verzicht auf Gewalt geht (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ e. V. 2019, S. 10). Ratsuchende der An- und Zugehörigenberatung stemmen sich hingegen in ihren Familien und deren Umfeld zum Teil schon lange gegen menschenverachtende Einstellungen und geraten damit an die eigenen Grenzen. Deswegen ist das Hauptanliegen der An- und Zugehörigenberatung die Suche nach Ressourcen, Strategien und funktionierenden Grenzziehungen der Beratungsnehmenden.

Wenn es Konflikte in Familien gibt, bei denen insbesondere das Thema Rechtsextremismus eine Rolle spielt, gibt es keine einfachen Lösungen. Meist handelt es sich um eine Verschränkung aus persönlichen Konflikten, die schon weit eskaliert sind oder lange nicht thematisiert wurden, und politischen Konflikten, die aus der menschenverachtenden Einstellung einzelner Familienmitglieder und dem Widerspruch dazu durch die Beratungsnehmenden resultieren. Der Ansatz der Beratung setzt bei der Stärkung der Beratungsnehmenden an, sodass diese durch Hilfe zur Selbsthilfe befähigt werden. Es soll keine Abhängigkeit vom Beratungsprozess oder von den Berater:innen entstehen. Stattdessen werden den Beratungsnehmenden Ressourcen und Methoden an die Hand gegeben, um ihrem Problem selbst gestärkt zu begegnen.

Oft erscheint die Situation den Ratsuchenden als ausweglos. Sie haben mitunter das Gefühl, bereits alles versucht zu haben. Hier stellen sich der An- und Zugehörigenberatung zwei Aufgaben: eine fachliche Beratung und Einschätzung zum Phänomen Rechtsextremismus sowie die Begleitung bei der Suche nach individuell passenden Handlungsoptionen.

Die fachliche Beratung umfasst vor allem eine Einschätzung der Zusammenhänge, in denen sich der oder die Angehörige in der extrem rechten Szene bewegt. Wenn Angehörige sich über die Ablehnung von Hygienemaßnahmen während der Corona-Pandemie in verschwörungsideologischen Gruppen organisiert und erst kürzlich in eine extrem rechte Gedankenwelt verstrickt haben, ergibt sich eine spezifische Einschätzung für die Beratung. Diese fällt anders aus, wenn es sich um Angehörige einer jungen, militanten Neonazi-Szene handelt, die sich als eine Mischung aus Kaderschmiede und Ideenwerkstatt inklusive Schießübungen präsentiert. Die Berater:innen können hier fundierte Einschätzungen zu verschiedenen extrem rechten Szenen, deren Spezifika und möglichen Gefährdungen geben. Wieder anders stellt sich die Situation dar, wenn Verwandte zwar ein extrem rechtes Weltbild vertreten, sich aber keiner konkreten Gruppierung angeschlossen haben. Auch hier stehen die Berater:innen mit Wissen zur extrem rechten Ideologie und ihren Facetten den Beratungsnehmenden zur Seite.

Die andere Aufgabe ist die prozesshafte Beratung, in der individuelle Handlungsstrategien gefunden und reflektiert werden können. Dafür gibt es keine Schablone, die den Beratungsnehmenden an die Hand gegeben werden könnte, sondern es sind deren jeweilige Präferenzen und Bedürfnisse in den Blick zu nehmen. Fühlt sich jemand in einer familiären Situation so unwohl, dass er oder sie bei einem Kontaktabbruch begleitet werden möchte, muss dies abgewogen und gestaltet werden. Es kann aber auch um eine Aushandlung dessen gehen, was wie in der Familie gesagt werden kann. Fühlt sich eine Beratungsnehmerin sicher in konfrontativen Situationen, können Argumentationsstrategien und Grenzen der Konfrontationen besprochen werden. Oder aber ein Beratungsnehmer möchte lieber Ansätze suchen, die mehr auf der Stärkung verbündeter Familienmitglieder oder Freund:innen beruhen, um so gestärkt in Auseinandersetzungen zu gehen. Entsprechende Handlungsstrategien können nicht von den Berater:innen vorgegeben, sondern müssen gemeinsam mit den Beratungsnehmenden entwickelt werden.

Insbesondere für die Begleitung der Ratsuchenden bei der Entwicklung passender Lösungswege arbeitet die An- und Zugehörigenberatung mit Aspekten des systemischen Ansatzes. Dieser ist durch den Blick auf Ressourcen und Ausnahmen statt auf Defizitorientierung gekennzeichnet. Die Interpretation von Geschehnissen durch die Beratungsnehmenden und die Bedeutung, die sich für sie daraus ergibt, werden durch die Berater:innen anerkannt. Die Haltung der Beratenden umfasst Wertschätzung, Neugierde, Partizipation, Autonomie und Eigenverantwortung aller Beteiligten (Ritscher 2020). Der Grundgedanke ist, dass die Ratsuchenden selbst kompetent sind, um ihre Probleme zu lösen. Sie sind die Expert:innen ihres eigenen Lebens und müssen darin ernstgenommen und wertgeschätzt werden. Die Beratung unterstützt dabei, Ressourcen und Grenzen kennenzulernen. Sie dient dazu, Impulse in ein bestehendes System zu hineinzugeben und dadurch Veränderungen anzuregen. Der Blick ist dabei insbesondere auf mögliche Lösungen und ungenutzte Ressourcen gerichtet.

Ergänzt wird dies durch einen machtkritischen Ansatz, in dem auch unterschiedliche gesellschaftliche Positionierungen berücksichtigt werden. Das beinhaltet unter anderem, dass Klarheit bezüglich der Grenzen der eigenen Kompetenzen sowie des Beratungsauftrags der Fachstelle besteht. In einigen Fällen werden deswegen Kontakte beispielsweise zu Selbsthilfegruppen oder Betroffenenberatungen hergestellt. Hierfür hält die Beratungsstelle eigene Verweisstrukturen bereit oder steht für eine kooperative Beratung mit anderen spezialisierten Einrichtungen zur Verfügung.

So verschieden die Beratungskonstellationen sind, so unterschiedlich sind auch die Kontexte, in denen sich die Fragen der Ratsuchenden stellen. Deswegen wird auch das System, in dem das Beratungsanliegen verortet ist, einbezogen. Allen Beratungen gleich ist lediglich, dass es sich um sehr sensible Themen handelt, sodass eine Beratung immer vertraulich stattfindet und auf Wunsch anonym bleiben kann. Ort, Dauer und Umfang der Beratung richten sich dabei nach dem Bedarf der Ratsuchenden. Manche empfinden es als ausreichend, eine fachliche Einschätzung der individuellen Situation zu erhalten, um sich handlungsfähig zu fühlen, andere benötigen längerfristige Unterstützung und Reflexionsräume.

Beispiele aus der Beratungspraxis

Wie Beratungskonstellationen aussehen können, zeigt dieser Abschnitt exemplarisch. Wichtig ist zu betonen, dass jeder Fall unterschiedlich gelagert ist und individuell betrachtet werden muss. Die folgenden Beispiele dienen zur Veranschaulichung möglicher Beratungsprozesse.

Beispiel 1: Erwachsene im persönlichen Nahfeld

Während der Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen knüpfte der Vater einer Beratungsnehmenden Kontakte in die verschwörungsideologische Szene. Nachdem er zunächst „nur“ Videos über die vermeintliche Schaffung des Virus geteilt hatte, verstrickte er sich immer weiter in Verschwörungserzählungen, bis er schließlich klar antisemitisch aufgeladene Bilder bediente. Über Demonstrationen hatte er zudem Kontakte in die Reichsbürger-Szene geknüpft. Er lehnt jede Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen ab und äußert sich immer wieder geschichtsrevisionistisch. Die Ratsuchende fühlt sich oft vor den Kopf gestoßen. Sie fragt sich, ob sie und andere Verwandte solche ideologischen Tendenzen übersehen haben und ob beziehungsweise wie ein Kontakt zum Vater weiterhin möglich sein kann.

In einer Beratung bietet sich der Raum, zu klären, in welchem Verhältnis die Angehörigen zueinander stehen. Es ist bedeutend, ob sie sich etwa nur zu besonderen Anlässen sehen oder täglich in Kontakt stehen. Auch mögliche Abhängigkeiten voneinander können in die Betrachtung einbezogen werden. Sinnvoll ist zudem die Frage nach möglichen Unterstützer:innen, sowohl innerhalb der Familie als auch darüber hinaus. Weil ebenfalls die Frage nach Gestaltung oder Einschränkung des Kontakts im Raum steht, würde auch dies Thema der Beratung werden. Dabei geht es darum, zu klären, wie ein Verhältnis aussehen kann, das weder die Einstellungen des Vaters bagatellisiert noch die Beratungsnehmerin in eine andauernde Konfliktsituation bringt. Dazu gehört auch, zu identifizieren, welche Grenzen im gemeinsamen Umgang realistischerweise gezogen und gehalten werden können.

Beispiel 2: Kinderfreundschaften

Eltern wenden sich an die Beratungsstelle und bitten um Unterstützung im Umgang mit dem Freund ihres siebenjährigen Kinds. Die Eltern des befreundeten Kindes gehören einer Neonazi-Gruppe an. Die Kinder haben sich in der Schule kennengelernt. Die Eltern möchten die Freundschaft nicht unterbinden, machen sich aber Sorgen, welchen Einflüssen ihr Kind im Haus der extrem rechten Eltern ausgesetzt sein könnte.

Auch wenn hier kein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen den Eltern besteht, spielt dieser Fall selbstverständlich in den familiären Kontext hinein. Es geht hier um den Schutz sowohl des Kindes der Ratsuchenden als auch gegebenenfalls des Kindes aus der extrem rechten Familie und darüber hinaus um den Schutz anderer Kinder aus der Schulklasse.

Hier ist zunächst eine Facheinschätzung zur Frage des Aufwachsens in extrem rechten Familien wichtig. So kann etwa geklärt werden, womit Kinder in solchen Familien konfrontiert sein können und welche Gefährdungsrisiken für diese Kinder bestehen. Gemeinsam mit den ratsuchenden Eltern kann eine Einschätzung erfolgen, welchen konkreten Gefahren ihr Kind im Kontakt mit den extrem rechten Eltern ausgesetzt sein kann. Für die ratsuchenden Eltern ist zudem relevant, Konsequenzen aus diesem Wissen zu ziehen.

Ein Gespräch der Beratungsnehmenden mit den extrem rechten Eltern zu führen, in dem Bedenken geäußert und Grenzen gezogen werden, kann Klarheit bringen. Es muss allerdings gut vorbereitet sein. Ziel eines solchen Gesprächs kann es sein, Regeln für den Umgang der Kinder miteinander einzufordern: zum Beispiel dass die Kinder sich nicht im Haus der extrem rechten Eltern treffen dürfen, wohl aber in der Schule, auf öffentlichen Plätzen oder im Zuhause der Ratsuchenden. Je nachdem, ob die extrem rechten Eltern ein Interesse daran haben, dass ihr Kind die Freundschaft aufrechterhält, können solche Umgangsregeln erfolgreich sein.

Die Schule beziehungsweise die Lehrkräfte mit einzubeziehen und einen Umgang in der Institution mit dem Thema Rechtsextremismus einzufordern, kann sinnvoll sein, auch um alle Kinder vor Diskriminierung und Übergriffen zu schützen. Liegt der Fokus auf der Begleitung der gesamten Schule, bietet sich die Einbeziehung der Mobilen Beratung an. Die Betroffenenberatung kann ebenfalls Kooperationspartnerin werden, wenn der Schutz von Menschen, die von rechter Gewalt in der Klasse oder dem Kollegium betroffen sind, im Vordergrund steht.

Wichtig ist in jedem Fall zu bedenken, dass auch Kinder aus extrem rechten Familien ein Anrecht auf Schutz und Unterstützung haben. Gleiches gilt für Kinder, die Diskriminierungserfahrungen machen.

Beispiel 3: Elternberatung

Eltern wenden sich an die Beratungsstelle: Ihre 13-jährige Tochter ist in der Schule wiederholt aufgefallen, weil sie sich abfällig gegen Geflüchtete geäußert und Hakenkreuze auf der Toilette gemalt hat. Die Eltern wünschen sich Unterstützung.

Im Unterschied zu den anderen Fällen sind die Eltern hier in der erzieherischen Verantwortung. Deswegen geht es darum, den Kontakt aufrechtzuerhalten und positiv zu gestalten. Dazu gehört zum einen, dass Grenzen gesetzt werden und deren Einhaltung durchgesetzt wird, zum anderen, dass Wege der Kommunikation zwischen Eltern und Kind aufrechterhalten werden. Die Gründe der Jugendlichen für die Hinwendung zum Rechtsextremismus sind hier von besonderer Bedeutung. Dabei können soziale und familiäre Faktoren einbezogen werden, ebenso wie weitere biografische Besonderheiten. Aber auch ein selbstkritischer Blick der Eltern darauf, ob eventuell Vorurteile in der eigenen Familie gelebt und reproduziert werden, kann bei der Erforschung der Ursachen helfen.

Weil ein Kontaktabbruch hier keine Option ist, wird die Frage nach dem gemeinsamen Zusammenleben zentral. Vor allem geht es dabei darum, zu verhindern, dass sich immer dieselben Konflikte in der Familie abspielen und ein Dialog so unmöglich wird (vgl. RuF et al. 2019). Dabei gilt es auch einen Blick auf die Familienstrukturen zu werfen und zu entscheiden, wer einen guten Draht zu dem Kind hat und das Gespräch suchen kann. Eine wichtige Entscheidung ist auch, welche Regeln im Zusammenleben vereinbart werden können. Eine Priorisierung unterschiedlicher Regeln und deren Einhaltung muss unter Einbeziehung der Tochter erfolgen.

Weil es hier auch um eine Auseinandersetzung der Jugendlichen mit den eigenen menschenverachtenden Haltungen und um eine Distanzierung davon geht, kann die Einbeziehung einer Ausstiegs- und Distanzierungsberatung gewinnbringend sein.

Was tun? Einige Handlungsempfehlungen

Auch wenn keine pauschalen Ratschläge gegeben werden können, sollen hier einige hilfreiche Denkanstöße folgen.

  • Sich schlau machen
    Viele Personen erkennen extrem rechte Codes, Argumentationsmuster oder Tätowierungen nicht direkt. Wenn ein Verdacht besteht, hilft es zunächst, selbst zu recherchieren. Zu extrem rechten Codes lassen sich einige Broschüren auch online finden , ebenso zu gängigen Verschwörungserzählungen.

  • Nicht allein bleiben
    In der Regel werden Situationen, in denen sich Angehörige extrem rechter Ideologie zugewendet haben, als bedrohlich oder belastend empfunden. Deswegen ist es wichtig, damit nicht allein zu bleiben. Gespräche mit Freund:innen, vertrauten Verwandten oder anderen Personen können eine erste Entlastung bringen.

  • Nicht zögern mit der BeratungsanfrageBereits die Einschätzung, ob der eigene Fall gravierend genug ist, um sich an eine Beratungsstelle zu wenden, kann eine große Hürde darstellen. Ein Erstgespräch mit fachlicher Einschätzung geben alle Beratungsstellen gerne. Auch die weitere Unterstützung richtet sich nach dem Bedarf der Ratsuchenden, weshalb gilt: Wenn die Situation mit extrem rechten An- und Zugehörigen belastend ist, reicht dies bereits als Beratungsgrund aus. Sollte sich im Beratungsprozess herauskristallisieren, dass die extrem rechte Einstellung der/des Angehörigen nicht das hauptsächliche Problem ist, kann auf ein Netzwerk an Verweisberatungsstellen zurückgegriffen werden.

  • Betroffene stärken
    Wenn es in der Familie Personen gibt, die von extrem rechter Hassrede oder Gewalthandlungen persönlich gefährdet sind, ist es wichtig, dass diese nicht allein gelassen werden. Zu wissen, dass es in der Familie Personen gibt, die eine extrem rechte Einstellung, entsprechende Kommentare oder Handlungen nicht tolerieren, kann für die Betroffenen wichtig sein. Gleichzeitig können die gegenseitige Unterstützung und das Einbeziehen verschiedener Perspektiven alle Beteiligten stärken.

  • Eigene Grenzen respektieren
    Jede Person hat Grenzen, sowohl was Themen angeht, die mit An- und Zugehörigen noch diskutiert werden können, als auch was die Konfliktbereitschaft mit Menschen betrifft, die ihr nahestehen. Hier gilt es auf die eigenen Grenzen zu hören, sie wahr- und ernst zu nehmen. Und dann Wege zu suchen, die die eigenen Grenzen wahren und zugleich die menschenverachtende Einstellung von An- und Zugehörigen nicht bagatellisieren oder unwidersprochen lassen.

  • Menschenfeindliche Äußerungen nicht tolerieren
    Rechtsextremismus ist menschenverachtend. Die Amadeu Antonio Stiftung zählt seit 1990 mindestens 219 Todesopfer rechter Gewalt (Amadeu Antonio Stiftung). Das allein sollte reichen, um extrem rechte und menschenfeindliche Äußerungen nicht unwidersprochen zu lassen. Insbesondere im familiären Kontext können solche dazu führen, dass sich Familienmitglieder unsicher und bedroht fühlen. Anwesende Kinder können Einstellungen übernehmen oder Diskriminierungen reproduzieren. Das alles sind Gründe dafür, auch und gerade im privaten Kontext nicht zu schweigen, wenn dort menschenverachtende Hetze betrieben wird.

Demokratie, Menschenrechte und der gesellschaftliche Zusammenhalt sind große Worte. Es gibt Situationen, in denen sie auch im Kleinen zur Sprache kommen und verteidigt werden müssen. Dabei unterstützt die An- und Zugehörigenberatung.

Quellen / Literatur

Amadeu Antonio Stiftung (o. J.): Todesopfer rechter Gewalt. Online: Externer Link: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/ (abgerufen am 4.6.2024).

Baier, Dirk; Krieg, Yvonne; Kliem, Sören (2022): Rechtsextreme Gewalt im Jugendalter. In: Milbradt, Björn; Frank, Anja; Greuel, Frank; Herding, Maruta (Hg.): Handbuch Radikalisierung im Jugendalter. Phänomene, Herausforderungen, Prävention. Opladen, Berlin, Toronto, S. 265–278.

Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ e. V. (Hg.) (2019): Qualitätsstandards in der Ausstiegsarbeit. Jena.

Foucault, Michel (1999): In Verteidigung der Gesellschaft. Frankfurt am Main.

Kemper, Andreas (2014): Die Keimzelle der Nation – Teil 2. Wie sich in Europa Parteien und Bewegungen für konservative Familienwerte, gegen Toleranz und Vielfalt und gegen eine progressive Geschlechterpolitik radikalisieren. Berlin.

Niebling, Torsten (2019): Chancen für eine besser gelingende Zukunft? Beratung von Angehörigen rechtsextrem gefährdeter Jugendlicher. In: Becker, Reiner; Schmitt, Sophie (Hg.): Beratung im Kontext Rechtsextremismus. Felder – Methoden – Positionen. Frankfurt am Main, S. 212–230.

Notz, Gisela (2015): Kritik des Familismus. Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes. Stuttgart.

Ritscher, Wolf (2020): Systemische Modelle für die Soziale Arbeit. Ein integratives Lehrbuch für Theorie und Praxis. 6. Aufl. Heidelberg.

RuF (Fachstelle Rechtsextremismus und Familie); Rote Linie; ElternStärken (Hg.) (2019): Familien und Demokratie stärken. Anregungen zur Beratung von Eltern und Angehörigen von rechtsextrem orientierten Söhnen und Töchtern.

von Schlippe, Arist; Schweitzer, Jochen (2016): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen. 3. Aufl. Göttingen, Bristol.

Schulze, Heidrun (2018): Macht in der Beratung und wie wir in der Beratung Gesellschaft machen. In: Schulze, Heidrun; Höblich, Davina; Mayer, Marion (Hg.): Macht. Diversität. Ethik in der Beratung. Wie Beratung Gesellschaft macht. Opladen, Berlin, Toronto, S. 31–56.

Strehl, Carmen; Fachstelle Rechtsextremismus und Familie (2021): Familie als Sehnsuchtsort der extremen Rechten. In: PRISMA (Hg.): (Un)sichtbare Frauen. Fragestellungen und Analysen zur Kategorie Geschlecht in der Präventions- und Ausstiegsarbeit. Hamburg, S. 27–44.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In der Fachstelle Rechtsextremismus und Familie (RuF) werden auch Fachkräfte, die beruflich mit extrem rechten Familienzusammenhängen konfrontiert sind, beraten. Die An- und Zugehörigenberatung richtet sich aber nur an Privatpersonen.

  2. Die Orientierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Sozial- und Familienpolitik an der Vorstellung einer „normalen“ Familie wird auch Familismus genannt (vgl. Notz 2015).

  3. Die geschilderten Fälle sind fiktiv. Aufgrund des sensiblen Themas beschreiben wir Fälle ausschließlich anonymisiert und abgewandelt. Jedoch sind Aspekte und Themen durchaus in tatsächlichen Beratungsfällen vorgekommen, die Fallbeschreibungen wurden nicht dramatisiert.

  4. Zum Beispiel unter Externer Link: https://bundesverband-mobile-beratung.de/themen/codes-und-symbole/

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Die Beratung von An- und Zugehörigen ist seit 2001 eine der Kernaufgaben der Fachstelle Rechtsextremismus und Familie (RuF). Als bundesweite Fachstelle ist RuF zuständig für Fragen rund um das Aufwachsen in extrem rechten Familien, mögliche Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung in diesem Kontext und Handlungsstrategien für den Umgang mit extrem rechts eingestellten Personen im eigenen Nahfeld. Die Fachstelle RuF bietet deswegen Fortbildungen an und arbeitet seit vielen Jahren mit verschiedenen Fachkräften aus diesem Themengebiet in einem Netzwerk zusammen. Die Expertisen aus diesen unterschiedlichen Bereichen prägen die Beratungspraxis.