Reichsbürger:innen bilden eine heterogene Mischung aus verschwörungsideologisch und teilweise rechtsextrem denkenden Menschen in Deutschland. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gehörten dem Milieu 2023 bis zu 25.000 Personen an (BfV 2024).
Angesichts solcher Zahlen ist es wahrscheinlich, dass viele Menschen mit Reichsbürger:innen in Kontakt kommen – auch über Vereine. Diese fußen jedoch auf dem Grundgesetz und den Grundrechten für alle Bürger:innen,
Vereinen kommt eine besondere Bedeutung im sogenannten vorpolitischen Raum zu. Hier wird nicht nur Alltag, Freizeit, Sport oder Wohlfahrt organisiert, hier werden auch Werte miteinander geprägt und verhandelt. Aus der Sicht von Reichsbürger:innen ergeben sich gute Möglichkeiten, Vereine zu unterwandern und dadurch den gesellschaftlichen Diskurs zu verändern. Daher soll in diesem Text der Frage nachgegangen werden, wie sich Reichsbürger:innen im Vereinswesen einbringen, welche Probleme entstehen und wie man sich dagegen wehren kann.
Wie Reichsbürger:innen das Vereinswesen nutzen
Die Reichsbürger-Szene ist gut vertraut mit Vereinsstrukturen. Von Szene-Anhänger:innen wurden bereits zahlreiche eigene Vereine oder zumindest vereinsähnliche Organisationen gegründet, um sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und reichsideologische Ansichten zu verbreiten. Beispielhaft genannt sei hier der nicht registrierte Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“, der Drohschreiben gegen Amsträger:innen versandte und auch strafrechtlich in Erscheinung trat. Im Jahr 2020 wurde diese Gruppierung verboten (Bundesministerium des Innern und für Heimat 2020).
Gleichzeitig streben viele Reichsbürger:innen Mitgliedschaften in anderen Vereinen an. Das kann jede Vereinsart sein: Schützenvereine genauso wie Kleingarten- oder Kulturvereine, auch Vereine im Bereich Schule und Erziehung, Umwelt/Natur oder Landwirtschaft sind für Reichsbürger:innen attraktiv.
Beispiele aus Rutenberg in Brandenburg oder Halsbrücke in Sachsen zeigen, dass Reichsbürger:innen auch subtilere Unterwanderungstaktiken anwenden. In Rutenberg versuchten Mitglieder des „Königreichs Deutschland“ (KRD), eine landwirtschaftliche Genossenschaft für sich zu gewinnen und somit weitere Immobilien und Landfläche für die Reichsbürger-Organisation zu akquirieren. Dabei präsentierten sich die Reichsbürger:innen als naturnah und alternativ, um ein ähnlich gelagertes Milieu anzusprechen. Die Genossenschaft bestand unter anderem aus zugezogenen Menschen, die alternative Lebenskonzepte auf dem Land umsetzen wollen. In der Kleinstadt Halsbrücke in Sachsen erwarb das KRD einen Bauernhof und wollte diesen als Stützpunkt der Organisation ausbauen.
Das lokale Vereinswesen spielt bei den genannten Beispielen aus Sachsen und Brandenburg eine wichtige Rolle. Reichsbürger:innen versuchen gezielt, lokale Vereinsvorsitzende oder besonders engagierte Vereinsmenschen anzusprechen und für die eigene Sache zu gewinnen. In den meisten Fällen verschleiern sie ihre Gesinnung und Ziele und geben sich, wie im Fall der Genossenschaft aus Brandenburg als an alternativen Lebenskonzepten Interessierte aus. Die Idee dahinter: Wer erst einmal durch Vereinsaktivitäten im Ort bekannt wird, ist später weniger leicht für andere Dinge zu kritisieren. Auch können Reichsbürger:innen eine Vereinsmitgliedschaft nutzen, um weitere Anhänger:innen in den Verein zu holen. In einem Fall aus Sachsen versuchten sie gezielt, Menschen für einen Verein zur Schulgründung in einem Forum der verschwörungsideologischen Anastasia-Bewegung zu rekrutieren. Insbesondere Personen mit pädagogischem Sachverstand sollten in den Verein eintreten.
Wann der Vorstand handeln sollte
Für Vereine und deren Vorstände ist also wichtig, solche Versuche der Unterwanderung zu erkennen und zu unterbinden. Wie schon angesprochen zeigt sich die Gesinnung nicht immer so offensichtlich wie durch das Hissen der schwarz-weiß-roten Fahne, die als Erkennungszeichen des rechtsextremen und reichsideologischen Milieus gilt. Diese Fahnen finden sich immer wieder in Kleingartenanlagen– sie sind längst kein Einzelfall mehr. Zwar führt dies auch zu Widerspruch bei den übrigen Gartenpächter:innen, zugleich zeigen sich viele Gartenvereine schnell überfordert, für solche Diskussionen oder Konflikte unter den Mitgliedern Lösungen zu finden.
Neben der angestrebten Mitgliedschaft von Reichsbürger:innen oder Verschwörungsideolog:innen in einem Verein kann es auch Probleme bei bestehenden Mitgliedschaften geben:
Es ist in beiden Fällen damit zu rechnen, dass Reichsbürger:innen die schrittweise Übernahme von Vereinen anstreben. Sie stellen sich für Vorstandsposten zur Wahl, um dadurch Macht und Zugriff im Verein zu erhalten. Reichsbürger:innen suchen besonders solche Vereine auf, die eine gewisse Nähe zu ihrer Ideologie und ihren Inhalten besitzen.
Handlungsempfehlungen: Was Vereine und deren Vorstände tun können
Um zu verhindern, dass Reichsbürger:innen, Verschwörungsideolog:innen oder Rechtsextreme in den eigenen Verein eintreten, braucht es drei Dinge.
Vereine und deren Vorstände sollten gut über das Vorgehen der extremistischen Milieus in ihrem lokalen Umfeld informiert sein. Wichtig ist hier, sich über diese Gruppen und ihre Praktiken zu informieren. Hilfreiche Informationsquellen sind neben dem Internet – zum Beispiel Externer Link: der Bundesverband Mobile Beratung oder Externer Link: Belltower News, die digitale Zeitung der Amadeu Antonio Stiftung – Publikationen wie der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht oder Analysen der demokratischen Zivilgesellschaft. Insbesondere die Publikationen der landesweiten Teams der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (z. B. „Sachsen rechts unten“ [Kulturbüro Sachsen 2024]), aber auch die Hinweise der landesweiten oder regionalen Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten können hier hilfreich sein. Lokale Beratungs- und Informationsangebote zu nutzen, ist auch empfehlenswert. Eine sehr gute Anlaufstelle sind das Landes-Demokratiezentrum des eigenen Bundeslandes sowie die bereits angesprochenen Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus.
Vereine sollten eine Satzung und Hausordnung besitzen, die zum Ausdruck bringt, dass sich der Verein zu den Werten des Grundgesetzes bekennt. Jegliche Ansichten oder Agitationen eines Mitglieds, die infrage stellen, dass das Grundgesetz und insbesondere die Grundrechte akzeptiert werden, sollten Anlass bieten, die Mitgliedschaft zu untersagen, zu überprüfen beziehungsweise das Mitglied auszuschließen. Im Frühjahr 2024 beispielsweise entzog ein Bremerhavener Schützenverein einer Person die Mitgliedschaft, weil diese zugleich Mitglied der reichsideologischen Gruppe „Indigenes Volk Germaniten“ war (Kohlwes 2024). Bereits zuvor hatte das Ordnungsamt Bremerhaven dem Mann die Waffenbesitzkarte entzogen. Nachdem der Fall im Schützenverein bekannt geworden war, entschloss man sich, die Vereinssatzung zu überarbeiten. Menschen mit extremistischen Ansichten sollen künftig keine Mitgliedschaft mehr erhalten. Das entschiedene Vorgehen einer Vereinsführung sowie auch der Sicherheitsbehörden gegen Reichsbürger:innen ist wichtig, insbesondere auch wegen der nach wie vor hohen Zahl von legalen und illegalen Waffenträger:innen im Milieu. Und um auf das Beispiel des Kleingartenvereins zurückzukommen: Auch das Hissen einer Reichsflagge oder ähnlicher Insignien kann durch Satzung oder Hausordnung unterbunden werden.
Für die entsprechenden Eintragungen in der eigenen Satzung gibt es Hilfe im Netz. Die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) in Mecklenburg-Vorpommern hat vor Kurzem die vierte Auflage ihrer Broschüre Im Verein – Gegen Vereinnahmung (RAA Mecklenburg-Vorpommern 2024) herausgebracht. Darin finden sich wichtige Hinweise zum Thema Satzungsänderung oder dem Ausschluss von Mitgliedern wegen extremistischen Verhaltens. Vereine, die Immobilien betreiben oder anmieten, sollten zusätzlich eine Hausordnung aufsetzen, die rassistische, antisemitische oder sonstige menschenfeindliche Bekundungen untersagt. Gibt es dann, beispielsweise bei einer Versammlung, entsprechende Äußerungen oder Schriftstücke, besteht eine eindeutige rechtliche Grundlage, um die Person, unabhängig von einer bestehenden Mitgliedschaft, von der Versammlung auszuschließen. Zudem können Vereine, in Ergänzung zur Lektüre der angesprochenen Broschüren, eigene Routinen oder Leitfäden entwickeln, wie sie im Falle einer Situation mit Reichsbürger:innen handeln wollen. Es gilt der Leitsatz: Prävention ist immer eine gute Investition. In einem Leitfaden könnten beispielsweise die ersten fünf Schritte festgehalten werden, die abgearbeitet werden müssen, wenn Reichsbürger:innen als Neumitglied Interesse zeigen oder wenn unter den bestehenden Mitgliedern Reichsbürger:innen identifiziert werden.
Informationsbeschaffung: Sammlung verfügbarer Informationen zum Sachverhalt. Hierbei können sowohl textliche als auch mündliche Informationen eingeholt werden.
Unvereinbarkeit feststellen: Anhand der eigenen Satzung sowie gültigen Werteordnung entscheiden, ob Mitglied beziehungsweise Neumitglied gegen Vereinsprinzipien verstößt. Dabei sollte möglichst konkret dargelegt werden, worin der Verstoß besteht.
Sofern das Mitglied/Neumitglied nicht mit den Werten des Vereins harmoniert, sollte der Ausschluss vorbereitet werden. Eine genaue Abfolge befindet sich in der Broschüre der RAA (siehe unter Quellen/Literatur).
Wenn der Fall uneindeutig ist, sollte zuerst ein Gespräch mit der Person vorbereitet und geführt werden. Das Ziel sollte darin bestehen, für die Werte des Vereins zu sensibilisieren und auf deren Berücksichtigung Wert zu legen.
Eine eventuelle Nicht-Aufnahme beziehungsweise ein Ausschluss sollte transparent gegenüber den eigenen Mitgliedern kommuniziert werden.
Vereine und Vorstände brauchen die Unterstützung der übrigen Mitglieder für den Umgang mit Reichsbürger:innen, Verschwörungsideolog:innen oder Rechtsextremen. Hierbei zahlt es sich aus, wenn Vereine frühzeitig die eigenen Mitglieder informieren, warnen und sensibilisieren. Kommt es zu einem Mitgliedsentzugsverfahren, sollte für die anderen Mitglieder klar sein, auf welcher Grundlage dies geschieht und was die Gründe sind. Wie weiter oben beschrieben, kann es durchaus Ziel der Reichsbürger:innen sein, dass sich die Mitglieder über das richtige Vorgehen uneinig sind. Sollte sich ein Konflikt anbahnen, kann der Vorstand auch Expert:innen berufen, die beispielsweise auf einer Mitgliederversammlung deutlich machen, weshalb von der Gruppe oder Ideologie Gefahren ausgehen. Insbesondere in Fällen, wo es sich um strittige Themen handelt, sollte zusätzlich mit politischer Bildung reagiert werden, zum Beispiel wenn das problematische Mitglied keine offensichtlichen extremistischen Inhalte vertritt, dafür aber Vorstufen eines solchen Denkens, beispielsweise in Form von Verschwörungsideologien.
Kleiner Exkurs: Was tun, wenn Mitglieder an Verschwörungserzählungen glauben?
Was ist, wenn Mitglieder des eigenen Vereins immer wieder in der Gegenwart anderer Mitglieder oder Nutzer:innen der Vereinsangebote den menschengemachten Klimawandel leugnen oder wenn von Deutschland als Firma oder besetztem Land gesprochen wird? In einem solchen Fall ist es vielleicht nicht notwendig, sofort mit Entzug der Mitgliedschaft zu reagieren. Gleichzeitig können solche Ansichten Ausdruck eines geschlossenen, demokratiefeindlichen Weltbildes sein. In jedem Fall sollte dem Mitglied klar gemacht werden, dass der Verein für bestimmte Werte steht, die von allen Mitgliedern zu pflegen sind. Im Falle von Verschwörungserzählungen könnte beispielsweise gelten, dass diese zwar persönlich überzeugend gefunden werden können, dass man aber zurückhaltend mit der Verbreitung solcher umstrittenen Aussagen im Vereinsumfeld sein soll, zumal Außenstehende möglicherweise nicht zwischen den Ansichten eines einzelnen Mitglieds und denen des Vereins unterscheiden können.
Sollten andere Vereinsmitglieder den Versuch unternehmen, mit dem Mitglied zu sprechen, das an Verschwörungserzählungen glaubt, können sie nach dem Grundsatz verfahren, dass es in der Regel nicht möglich ist, mit rein sachlich belegten Argumenten das Mitglied umzustimmen. Wohl aber kann es gelingen, die eigene, nicht verschwörungsideologische Perspektive anzubieten. In der Praxis heißt das, dem Mitglied könnten immer wieder kritische Fragen zu dessen Ansichten und den konsumierten Medien gestellt werden.
Fazit: Vereine als Stütze der Demokratie
Vereine sind keine unpolitischen Orte, sondern Teil der wehrhaften Demokratie. Indem sie ein gewisses Maß an Wissen über potenziell demokratiefeindliche Bedrohungen besitzen, indem sie die eigene Satzung oder Hausordnung überprüfen und überarbeiten und indem sie sich um die Unterstützung ihrer Mitglieder bemühen, kann der Bedrohung durch Reichsbürger:innen, Verschwörungsideolog:innen und Rechtsextreme begegnet werden. Darüber hinaus besteht für Vereine die Chance, sich an Festen, Demonstrationen oder Aktionen der demokratischen Zivilgesellschaft zu beteiligen. In diesem Sinne können sich Vereine vernetzen und koordinieren sowie Teil einer Gemeinschaft sein, die sich für ein vielfältiges, demokratisches und offenes Deutschland einsetzt.