Geht es um die Prävention von Rechtsextremismus, gilt er oft als erste Maßnahme: der Besuch einer KZ-Gedenkstätte, als Ort, der die Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen erzählt und die Erinnerung an die Verfolgten pflegt. Ähnlich ist es auch für Einrichtungen, die sich mit Täter:innenschaft beschäftigen. Auch sie gehören zu den Anlaufstellen außerschulischer politischer, historischer Bildung, wenn es um den Umgang mit Rechtsextremismus geht. Nach wie vor versprechen sich Politik und Pädagogik staatsbürgerlich-demokratische Lerneffekte von Gedenkstättenbesuchen: Sie sollen als „Teil einer zeitgemäßen Gedenkkultur“ helfen, „immun zu machen“ gegen „rechtsradikale Propaganda, Geschichtsklitterung und Relativierung von Naziverbrechen“ (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 09.04.2024).
Gedenkstättenpädagog:innen und Historiker:innen warnen indes bereits seit geraumer Zeit davor, die Angebote der historisch-politischen Bildung oder gar den bloßen Besuch einer NS-Gedenkstätte „zum Mittel der Katharsis, der nachhaltigen ‚Impfung‘ […] gegen antidemokratische Haltungen zu erheben“ (Behrens und Hoffstadt 2021, S. 11). Schon Volkhard Knigge verwies 2010 darauf, moderne Gedenkstättenarbeit laufe Gefahr, „als moralisch aufgeladene, eher diffuse Pathosformel“ verstanden zu werden (Knigge 2010). Zudem lassen die steigenden Fallzahlen rechter
In ihrem Anliegen, extrem rechten Forderungen nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ (Höcke) oder einem „Ende des deutschen Schuldkults“ zu widersprechen, sind es jene aktiven Gedenkstätten, die selbst zur Zielscheibe rechter und extrem rechter Angriffe werden. Dimension und Ausmaß einschüchternder, gewalthafter oder politisch-aggressiver Anwürfe gegen die Arbeit von NS-Gedenkstätten sind allerdings noch zu selten Thema empirischer Betrachtung. Dass sich Vehemenz und Häufigkeit, in denen sich NS-Gedenkstätten und ihre Mitarbeitenden mit rechten Attacken konfrontiert sehen, verdichtet haben, ist allerdings zweifellos beobachtbar.
Mehr rechtsmotivierte Angriffe auf NS-Gedenkstätten und NS-Erinnerungsorte
„Wir sind entsetzt über den gezielten Angriff auf das Gedenken“, twitterte die Gedenkstätten-Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora in einem Beitrag am 20. Juli 2022. Unbekannte hatten sieben Bäume abgesägt, die Engagierte des inklusiven Projekts „1000 Buchen“ in Erinnerung an die Ermordeten gepflanzt hatten. Bereits im September 2023 hatte eine Umfrage bei fünf großen KZ-Gedenkstätten in Deutschland bestätigt, dass es flächendeckend Sachbeschädigungen festzustellen gibt und sich das Gedenkstättenpersonal einer großen Bedrohung ausgesetzt sieht (tagesschau 22.09.2023).
Erfassungen und Unschärfen
Solche Vorfälle werden dokumentiert und wenn möglich zur Anzeige gebracht. Eine systematische, bundesweite Erfassung nach einheitlichen Kriterien gibt es bisher allerdings noch nicht. Die Nennung belastbarer Fallzahlen ist entsprechend schwierig, aber das bereits vorhandene Zahlenmaterial liefert ein erstes Bild: Für den Zeitraum 2016 bis 2020 recherchierten Journalist:innen der Süddeutschen Zeitung (SZ) und des Norddeutschen Rundfunk (NDR) über 200 Übergriffe auf NS-Gedenkorte und veröffentlichten eine unvollständige Chronik (Laudenbach und Goetz 2022), das Magazin Katapult markierte die Tatorte auf einer Deutschlandkarte (Graschl und Müller 2022). Aufschlussreich ist die Antwort der Bundesregierung, mit der sie im Juli 2024 anlässlich einer Kleinen Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei Auskunft über ihren Kenntnisstand zur Entwicklung der vergangenen fünf Jahre gab: Zwischen Anfang 2019 und Mitte 2024 waren 1.721 gemeldete Straftaten mit dem „Angriffsziel ‚Gedenkstätte‘“ zu verzeichnen. Die Daten stammen aus der Erfassungsmatrix des „Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK), der über 1.000 dieser Straftaten als rechtsmotiviert einstuft (Deutscher Bundestag 2024). Der Deutschlandfunk verwies allerdings richtigerweise auf ein „Statistik-Dilemma“, das die Aussagekraft dieser Zahlen eingrenzt: Denn die Polizei erfasst in der Kategorie „Gedenkstätte“ jedes Gedenkzeichen, unabhängig davon, woran dort jeweils erinnert wird. Zum „Angriffsziel ‚Gedenkstätte‘“ fänden sich etwa auch Einträge zu Beschmutzungen von Bismarck-Statuen. Eine präzise Aussage darüber, wie oft etwa KZ-Gedenkstätten oder Erinnerungsorte zum Gedenken an die Opfer von NS-Verbrechen angegriffen würden, sei, so die klarstellende Einordnung der Journalist:innen, „schlicht nicht möglich“ (Dietrich, Kuball und Sim 2024). Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) führt dagegen NS-Gedenkorte gesondert auf, Synagogen, jüdische Friedhöfe und jüdische Institutionen sind jeweils weitere Kategorien. In seinem Monitoring- und Jahresbericht für 2024 fasst der Verein zusammen, dass allein in diesem Jahr Gedenkorte 436-mal zum Tatort eines antisemitischen Vorfalls wurden (2023: 272-mal; RIAS 2025, S. 56).
Eine Sensibilität für Aussagen und Verhaltensweisen, die auf extrem rechten Einstellungen basieren, ist in der Gedenkstättenarbeit notwendig, denn nicht nur Sachbeschädigungen, gezielte Provokationen und persönliche Angriffe fordern die Gedenkstätten in ihrer Struktur und täglichen Arbeit heraus: „Menschen mit rechter Gesinnung scheuen sich nicht länger, KZ-Gedenkstätten zu besuchen und hier offen rechtsextremistisches Gedankengut zu äußern“, konstatiert Oliver von Wrochem, Leiter der Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland (tagesschau 2023). Diese Erfahrung machen viele, die in diesem Feld tätig sind, Gruppen als Guides durch die Ausstellungen begleiten und in Workshops mit Jugendlichen oder in der Erwachsenenbildung ins Gespräch gehen. Die Verschiebung der vielzitierten Grenzen des Sagbaren und die gesellschaftliche Normalisierung extrem rechter Haltungen und Äußerungen zeigen auch hier spürbare Auswirkungen. Rechte Geschichtspolitik und Geschichtsrevisionismus in ihren Spielarten (Wagner/Steinbacher 2025) verfangen auch im Alltäglichen der historisch-politischen Bildung.
Dass das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus angegriffen und in Frage gestellt wird, hat Kontinuität in Deutschland. Meist waren es Überlebende der NS-Verbrechen, die die ersten Gedenkorte und Dokumentationsstellen in der noch jungen Bundesrepublik gegen massive Widerstände der schweigenden postnazistischen Gesellschaft erkämpften. Angefeindet wurden sie auch von Neonazis: So zündeten Neonazis 1992 die Baracken auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen an (Morsch 2014).
Die Herausforderungen, die sich aktuell vielen Häusern stellen, erstrecken sich von strukturellen Maßnahmen – zum Beispiel Hausordnungen, die im Umgang mit rechtsmotivierten Vorfällen Handlungssicherheit geben können – bis hin zu fachlichen Fragen: Wann sind Diskussionen pädagogisch sinn- und wertvoll – und wo verlaufen die Grenzen, die Bestand haben und verteidigt werden müssen, um die Würde der Orte und das Gedenken an die Opfer zu schützen?
Inwiefern Gedenkstätten Rechtsextremismus in ihrer Bildungsarbeit verhandeln, wurde 2022 am Beispiel der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in Nordrhein-Westfalen untersucht.
Einblicke in die Bildungsarbeit von NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten in NRW zum Thema Rechtsextremismus
Das Thema Rechtsextremismus ist durchaus in den Fokus gedenkstättenpädagogischen Handelns gerückt. Unabhängig vom Selbstverständnis oder der ortsspezifischen Bezüge zu den NS-Verbrechen und der jeweiligen Einrichtungsstruktur, stehen Gedenkstätten vor der Aufgabe, sich zum Themenkomplex rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt zu verhalten. Das gilt auch und vor allem deshalb, da sie in ihrer (praktischen) Arbeit auf vielfältige Weise und kontinuierlich mit dem Thema konfrontiert sind: Aus Politik und Schule kommen Erwartungen und Anfragen nach themenspezifischen Bildungsangeboten. Teilnehmende äußern konkrete Fragen und beziehen sich auf Kontinuitäten sowie aktuelle Formen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. In den Reihen der eigenen Strukturen entsteht der Bedarf nach Handlungsstrategien im Umgang mit extrem rechten Handlungen und Angriffen vor Ort.
Bildungsauftrag angenommen?
Dass diese und ähnliche Herausforderungen von konkreter Bedeutung für die Arbeit von NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten vor Ort sind, zeigen die Ergebnisse einer empirischen Studie des Forschungsschwerpunktes Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA) der Hochschule Düsseldorf
Herausforderungen für Professionalität und Struktur
Wenn Gedenkstätten in ihrer Bildungsarbeit zur NS-Geschichte auch auf den aktuellen Rechtsextremismus eingehen, stoßen sie dabei oft auf grundsätzliche Fragen der historisch-politischen Vermittlungsarbeit: So geht es etwa um die (Un)Vergleichbarkeit oder um Spezifika und (Dis)Kontinuitäten im Spannungsfeld von Geschichte und Gegenwart. (Krane 2024, S. 17, 21-22).
Die Ergebnisse der Erhebung verdeutlichen darüber hinaus, welche strategischen Fragen zur Ausrichtung und zu den Zielen der gedenkstättenpädagogischen Arbeit geklärt werden müssen – insbesondere im Austausch zwischen den verschiedenen Einrichtungen (Krane 2024, S. 23). Ein zentraler Punkt hierbei ist die kritische Auseinandersetzung mit den vielfältigen gesellschaftspolitischen Erwartungen an Gedenkstätten. So beschreiben auch die befragten Einrichtungen, dass sie mit der bereits oben angesprochenen „Hoffnung auf Heilung“ extrem rechter Haltungen konfrontiert sind (Krane 2024, S. 17-19). Dementsprechend brauche es klare Abgrenzungen von überhöhten Erwartungen von außen – aber auch eine realistische Abwägung der eigenen Ansprüche und Möglichkeiten. Die Befragten verweisen hier auf die lokalen und historischen Kontexte und auf die Besonderheiten der am jeweiligen Ort erinnerten Geschichte(n). Sie bilden den Rahmen für inhaltliche Fragen. Geht es darüber hinaus um den gegenwärtigen Rechtsextremismus als Thema der historisch-politischen Bildung, kommen weitere Faktoren hinzu. Entscheidend sind dann auch die konkreten Arbeitsbereiche der einzelnen Einrichtungen sowie die Qualifikationen und Expertisen der Mitarbeiter:innen. Diese Aspekte beeinflussen die Entwicklung eines themenspezifischen Profils und helfen dabei, Zuständigkeiten klar zu definieren, Grenzen der eigenen Kompetenz zu erkennen und Vermittlungsaufgaben realistisch einzugrenzen (Krane 2024, S. 20-21, 23).
Ansätze
Die strukturelle Grundvoraussetzung für die gedenkstättenpädagogische Arbeit zum Thema Rechtsextremismus sind ausreichende personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen. Allerdings mangelt es bislang an spezifischen Landes- und Bundesförderungen, die es möglich machen, dass sich die Expert:innen der historisch-politischen Bildung an den historischen Orten mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe nachhaltig befassen können (Krane 2024, S. 22). Dies spiegelt sich auch in dem Befund, dass über 90 Prozent der befragen Gedenkstätten einen Bedarf an Fortbildungen und Fachaustausch zu aktuellem Rechtsextremismus äußern (Krane 2024, S. 18, 23). Hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, dass Vermittler:innen über ein beständig zu aktualisierendes Fachwissen sowie einschlägige Expertise zum Themenkomplex Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus verfügen. Ebenso wichtig ist die Zusammensetzung des Teams. Vielfalt in Herkunft, Perspektiven und Ausbildung wird als zentral angesehen – auch im Hinblick auf eine breite gesellschaftliche Repräsentanz sowie interdisziplinäre Zugänge. Der Zusammenarbeit in Kooperationen und Netzwerken wird ebenfalls ein hohes Maß an Bedeutung beigemessen. Institutionen und Akteur:innen auch jenseits der Gedenkstätten-Landschaft, als Ansprech- und Kooperationspartner:innen in der Bildungs-, Beratungs- und Forschungsarbeit im Feld der Rechtsextremismusprävention, der Diskriminierungskritik und Demokratiepädagogik werden zudem als wichtige Unterstützer:innen und Multiplikator:innen beschrieben (Krane 2024, S. 17, 20, 22).
Ausblick
Die Ansprüche an NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte sind hoch, wenn es um Formate und Angebote der Rechtsextremismusprävention und der historisch-politischen Bildung für eine Gesellschaft der Vielen geht. Teils werden sie nur überboten von den Erwartungen an deren Wirksamkeit, gelten sie doch als besonders geeignet für eine an Menschen- und Grundrechten orientierte Demokratiepädagogik, die einem „Nie wieder!“ verpflichtet sei (Siebeck/von Wrochem 2022). Wenn historische oder auf historische Bezüge verweisende Orte für demokratiepädagogische Arbeit zum aktuellen Umgang mit der extremen Rechten in Dienst genommen werden, scheint das noch einmal mehr problematisch vor dem Hintergrund der potenziellen Entfremdung von ihrem eigentlichen Gegenstand. Denn „niemand hat gemordet (und niemand ist gestorben), damit wir heute etwas lernen können, zum Beispiel über Demokratie“, formuliert es Sarah Kleinmann 2015 anlässlich der Tagung #erinnernkontrovers mit Blick auf kritische Perspektiven zu den Wirkungserwartungen gegenüber gegenwartsbezogener Gedenkstättenarbeit (Kleinmann 2015). Wenn zugleich fraglich ist, ob es sinnvoll oder wünschenswert sein mag, mit den NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten auch die Geschichte des Nationalsozialismus auf ihre „Verwendbarkeit als pädagogisches Instrument [zu] reduzieren“, wenn „schlichte moralische Grundbegriffe“ auch ohne Kenntnis über die NS-Verbrechen vorauszusetzen sein müssten (Herbert 2000, S. 566), scheint die Gedenkstätte als Ort der Rechtsextremismusprävention nachgerade ungeeignet. Zur selben Zeit aber sehen sich NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte auch jenseits moralischer Aufladungen mit dem ‚alten‘ Anliegen betraut, ein „gegenwartsorientiertes, reflektiertes Geschichtsbewusstsein zu fördern“ (Knoch 2020, S. 5) – auch aus eigenem Wunsch und Auftrag heraus.
Wo flächendeckend erhobene Daten zur aktuellen Lage von NS-Gedenkstätten und ihrem ‚Ort‘ zwischen Rechtsruck und Rechtsextremismusprävention noch fehlen, geben die Studien-Ergebnisse aus Nordrhein-Westfalen bereits Auskunft über das hohe Problembewusstsein jener Gedenkstätten, die der gegenwärtigen extremen Rechten als aggressivem Akteur und zugleich als Gegenstand der eigenen politischen Bildungsarbeit Aufmerksamkeit und Kraft widmen müssen oder wollen. Zugleich kommen Leerstellen, Ressourcen- und Strukturmängel zur Sprache. Ihnen mit Abhilfe zu begegnen und für Kapazitäten, Fortbildung und Fachlichkeit im Querschnitt und in der Expert:innenarbeit Sorge zu tragen, wird eine Schlüsselrolle spielen, um den Herausforderungen von rechts begegnen zu können. Angesichts der skizzierten Aufträge und (selbstformulierten) Ansprüche im „Spannungsfeld zwischen Wirkungshoffnung und notwendiger Enttäuschung“ (Chmiel et al. 2025) ist ein erster Schritt getan, sofern der Tragweite der Problematik strukturiert Rechnung getragen wird – in Gedenkstättenpädagogik, Begleitforschung, Standpunkt und Erwartungshaltungen.