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Wider Verhöhnungen und Provokationen Wie Gedenkstätten auf rechtsextreme Angriffe reagieren können

Rikola-Gunnar Lüttgenau

/ 12 Minuten zu lesen

KZ-Gedenkstätten sind Tatorte nationalsozialistischer Verbrechen und Orte der Erinnerung. Damit geraten sie ins Fadenkreuz Rechtsextremer – durch Verhöhnung, Provokation oder juristische Angriffe. Der Historiker Rikola-Gunnar Lüttgenau zeigt auf, wie sich die Gedenkstätte Buchenwald gegen Vereinnahmung und Relativierung wehrt.

Durch dieses Torhaus betraten zwischen 1937 und 1945 zehntausende Häftlinge das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. KZ-Gedenkstätten als institutionalisierte Erinnerung an NS-Verbrechen sind Rechtsextremen ein ständiger Dorn im Auge. (© Claus Bach, Gedenkstätte Buchenwald)

Um ihre politischen Ziele als Alternative zu einer offenen, an den Menschenrechten ausgerichteten Gesellschaft durchzusetzen, müssen Rechtsextreme die Verbrechen des Nationalsozialismus (NS) kleinreden, die NS-Gedenkstätten als „Schuldkult“ diskreditieren und sich über sie erheben. Da Gedenkstätten die institutionalisierte Erinnerung an die Folgen der nationalsozialistischen Politik verkörpern, Interner Link: sind sie ihnen ein ständiger Dorn im Auge.

Anhand der Erfahrungen, die die Gedenkstätte Buchenwald in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremen gemacht hat, skizziert der Beitrag aktuelle Sachstände und mögliche Handlungsperspektiven für Gedenkstätten.

Welche Funktion übernehmen KZ-Gedenkstätten für eine Gesellschaft?

Seit der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft verkörpern die historischen Orte der NS-Verbrechen schmerzhafte Porträts unserer Gesellschaft. Mit ihrem späten Bekenntnis zum Erhalt der ehemaligen Konzentrationslager als Gedenkstätten und weiterer Erinnerungsorte an die NS-Verbrechen hat sich die Bundesrepublik Deutschland seit den 1990er-Jahren institutionalisierte Spiegel geschaffen, in denen die Gegenwart kritisch hinterfragt werden kann.

Dabei sind KZ-Gedenkstätten nicht einfach „authentische“ Orte, die für sich selbst sprechen. Wer eine Gedenkstätte gestaltet, diese Schauplätze des historischen Geschehens für eine Auseinandersetzung inszeniert, ist nicht „neutral“.

Entsprechend der „negativen“ Widmung der KZ-Gedenkstätten, die errichtet werden, um an etwas zu erinnern, das nicht sein soll, müssen sie auf der einen Seite für Besuchende so gestaltet sein, dass sie die Rolle eines „suggestiven Narrativs“ (Hoffmann 2000, S. 42) übernehmen können. Mit ihm können sich Besuchende die Überreste in ihrer Evidenz und in ihrer „epistemischen Ordnung“ (Korff 2005, S. 96) möglichst selbst erschließen. Es ist die Aufgabe der Gedenkstätten, hier die Belange der Denkmalpflege mit jenen der Bildungsarbeit in Übereinstimmung zu bringen.

Zu dieser Form einer reflektierten Inszenierung des historischen Ortes, gehört aber auch, ihn vor anderen, menschenverachtenden Nutzungen zu schützen. Die latente Gefahr eines Missbrauchs beschreibt die Autorin und Holocaust-Überlebende Ruth Klüger wie folgt (Klüger 1994, S. 258):

Zitat

Dagegen die Todesaura der KZ-Gedenkstätten, die Antimuseen, die von Auflösung reden: der Ort so konkret, das Geschehen nur noch der Phantasie zugänglich. Und wer weiß, was die daraus macht. War noch nie verlässlich, unsere Phantasie, die so gern von Perversem und Gewalttätigem träumt.

Die 1990er-Jahre: Zwischen akzeptierender Jugendarbeit und gesamtstaatlichem Bekenntnis

Am 23. Juli 1994 zogen 22 Jugendliche verwüstend durch die Gedenkstätte Buchenwald, warfen Scheiben ein und rissen vor dem Krematorium den Wagen des Häftlingskommandos „Singende Pferde“ aus seiner Verankerung.

Zum 8. Mai 1995 wollte der thüringische Landesvorstand der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands, inzwischen „Die Heimat“) ein Blumengebinde im Gedenken „an die anderen Opfer“ ablegen. Gemeint waren die Toten des sowjetischen Speziallagers Nr. 2, die von der NPD als „Ahnen“ und „Helden“ verehrt werden.

Am 1. November 1996 zogen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die später den NSU gründeten, in SA-Uniformen durch das ehemalige Lager. Sie wurden von der Polizei in Verwahrung genommen – nicht ohne zuvor noch im Gästebuch zu hinterlassen: „Ich bin sehr stark enttäuscht über die mangelnde Tolleranz [sic!] und das mangelnde Verständnis, welches hier deutschen Besuchern entgegengebracht wird“ (Lüttgenau 2021).

Diese Beispiele zeigen die verschiedenen Modi rechtsextremer Vorfälle in den 1990er-Jahren: Zerstörung, Relativierung, Provokation und Identifikation. Sie waren damals so zahlreich, dass auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald eine eigene Polizeiwache eingerichtet wurde. Im Osten Deutschlands ist dies die Zeit, die 2019 rückblickend das Hashtag #baseballschlägerjahre erhielt (Bangel 2022). Und es ist eine Zeit, in der mit dem Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit versucht wurde, Interner Link: rechtsextremen Jugendlichen nicht mit klaren Grenzen, sondern mit Verständnis zu begegnen. Dass Rechtsextreme ehemalige KZ auch dazu missbrauchten, sich durch die Identifikation mit den Tätern in ihrer Menschenverachtung zu radikalisieren, wurde weitgehend ausgeblendet.

Zugleich änderten sich zu jener Zeit die Rahmenbedingungen, unter denen in Deutschland Gedenkstättenarbeit geleistet wurde. Im Einigungsvertrag bekannte sich 1990 die Bundesrepublik erstmals dazu, Verantwortung für ehemalige Konzentrationslager „als zeithistorische Orte gesamtstaatlicher Bedeutung“ (Hütter 2012) zu übernehmen. Konkret wurden zunächst die drei ehemaligen Mahn- und Gedenkstätten der DDR – Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen – vom Bund finanziell gefördert. Die anderen großen KZ-Gedenkstätten folgten später.

Waren die ehemaligen Konzentrationslager im Westen noch mühsam gegen den Widerstand regionaler Behörden als Gedenkstätten aufgebaut worden, Interner Link: wurden sie nun zu staatlichen Einrichtungen einer neuen deutschen Erinnerungskultur.

Wie ist die Lage heute?

Schmierereien und Schändungen von Denkmälern gehören also nicht erst seit dem Erstarken der Partei Alternative für Deutschland (AfD) zum Alltag einer Gedenkstätte. Gleichwohl verharrten die Vorfälle nach den 1990er-Jahren zunächst auf einem, aus heutiger Sicht, niedrigen Niveau. Bis etwa 2020 war die Gedenkstätte Buchenwald etwa alle vier Wochen gezwungen, der Polizei einen Vorfall zu melden. Inzwischen muss fast wöchentlich Anzeige erstattet werden, wie eine interne Auswertung der Gedenkstätte zeigt.

Die gegenwärtigen rechtsextremen Aktionsformen greifen teilweise jene der 1990er-Jahre auf. So wollte die frisch gewählte thüringische Landtagsfraktion der AfD am 27. Januar 2015, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, einen Kranz auch im Gedenken an die Opfer des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 ablegen – wie knapp zwanzig Jahre zuvor die NPD. Das Prinzip ist dasselbe: Das Gedenken an den Holocaust soll missbraucht werden, um deutsche Opfer gleichzustellen und so den Holocaust zu relativieren.

Die Vorfälle haben inzwischen jedoch eine Qualität erlangt, die die Gedenkstätten vor neue Herausforderungen stellt. Die heutigen Aktionsformate variieren zwischen gezielter Provokation und „Selbstverharmlosung“ . Zum einen, um den eigenen Diskursraum auszuweiten; zum anderen, um die Gedenkstätte als Institution zu delegitimieren und einzuschüchtern (vgl. bspw. Sturm 2025).

Nachdem Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag, die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen am 17. Januar 2017 in Dresden als „dämliche Bewältigungspolitik“ diffamiert hatte, wendete sich das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD) gegen sein Erscheinen zum 27. Januar in der Gedenkstätte. Höcke bekundete – noch ganz im Sinne der „Selbstverharmlosung“ –, er wolle doch nur seiner Trauer Ausdruck verleihen und widersetzte sich dem Wunsch der Überlebenden (Zeit Online 2017). Die Polizei musste ihn von der Gedenkfeier fernhalten.

Mittlerweile haben führende Mitglieder der AfD wiederholt versucht, die Arbeit der Stiftung zu behindern oder dort Positionen zu verbreiten, die dem Zweck der Gedenkstätte zuwiderlaufen. Wahlplakate mit dem Slogan „Mut zur Wahrheit“ wurden illegal in der Gedenkstätte aufgehängt, Seminare und Gedenkfeiern gestört (Lüttgenau 2021). Vor allem werden jedoch die sozialen Medien dazu genutzt, Geschichtsrevisionismus zu verbreiten (Lüttgenau 2024).

Die AfD belässt es dabei nicht bei Worten und symbolischen Aktionen. Um die Arbeit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora öffentlich infrage zu stellen und zu behindern, nutzt sie unter anderem das Instrument der Kleinen Anfragen in den Parlamenten (Deutscher Bundestag 2024) oder den Weg über gerichtliche Auseinandersetzungen.

Was ist zu tun?

Sich selbst einen rechtlichen Schutzrahmen schaffen

Der Umgang mit Rechtsextremen erfordert nicht nur kluge Bildungsprogramme, sondern auch angemessene rechtliche Rahmenbedingungen, damit Gedenkstätten den rechtsextremen Aktionsformen nicht schutzlos ausgeliefert sind. Nur so können sie ihrer zentralen Aufgabe nachkommen, die Würde der Opfer zu schützen.

Infolge zahlreicher Vorfälle – vom Tragen von Thor-Steinar-Kleidungstücken über den Besuch rechtsextremer Videoblogger bis hin zur versuchten Teilnahme an Veranstaltungen (vgl. Lüttgenau 2021) – wurde die Hausordnung der Gedenkstätte in den letzten Jahren mehrfach überarbeitet (Gedenkstätte Buchenwald). Nicht gestattet ist zum Beispiel „das Tragen von Kleidungsstücken und Symbolen, deren Herstellung oder Vertrieb nach allgemein anerkannter Ansicht im rechtsextremen Feld anzusiedeln sind“. Um einem Missbrauch des Ortes in den sozialen Medien entgegenzuwirken, heißt es: „Jede Veröffentlichung in den Printmedien oder im Internet (unter anderem Social Media) bedarf der Genehmigung durch die Direktion der Stiftung.“ Zum Schutz des Ortes und der Veranstaltungen behält sich die Gedenkstätte vor, „von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die durch antidemokratische, antisemitische, antiziganistische, rassistische, andere menschenfeindliche, dem Stiftungszweck widersprechende Äußerungen in Erscheinung getreten sind oder treten oder Parteien und Organisationen mit solchen Äußerungen angehören, den Zutritt zur Gedenkstätte zu verwehren oder sie von der Teilnahme an einer Veranstaltung auszuschließen“.

Verschiedene Rechtsstreite haben gezeigt, dass die rechtlichen Grundlagen einer Institution, wie sie zum Beispiel in einem Stiftungsgesetz niedergelegt sind, vor Gericht von elementarer Bedeutung sind. So wurde die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora im August 2024 durch einen von Björn Höcke beauftragten Rechtsanwalt aufgefordert, Aussagen über geschichtsrevisionistische Positionen einzelner Akteure der Thüringer AfD zu unterlassen. Die Stiftung sei an das „staatliche Neutralitätsgebot“ gebunden und ihre Aussagen „nicht durch den Stiftungszweck“ gedeckt.

Das Verwaltungsgericht Weimar urteilte jedoch, dass die Stiftung nicht nur befugt, sondern im Gegenteil verpflichtet sei, zu geschichtsrevisionistischen Bestrebungen Stellung zu nehmen (Lüttgenau 2025):

Das Eintreten für die Würde der Opfer erfordert, dass die Antragsgegnerin jeder Relativierung oder Geringachtung des Leidens der Opfer aktiv entgegentritt und diese Geringachtung auch unter Benennung der entsprechenden Äußerungen und der Personen und Institutionen, von denen die Äußerungen stammen, darstellt. Hierzu zählen auch Äußerungen, die in einer politischen Auseinandersetzung getätigt werden. Man würde der Antragsgegnerin die Möglichkeit, ihren Stiftungszweck zu verfolgen, entziehen, wenn sie dazu nicht Stellung nehmen und sie einordnen dürfte.

Auch das Straf- und Versammlungsrecht geben den Gedenkstätten Werkzeuge in die Hand, die Orte zu schützen. So wurde das Strafgesetzbuch bereits in den 1990er-Jahren nachgebessert: Nachdem eine Verurteilung des Vorsitzenden der NPD wegen Volksverhetzung gescheitert war, wurde der entsprechende Artikel (§ 130, Artikel 3, StGB) erweitert. Seitdem ist es in Deutschland keine Meinung mehr, den Holocaust zu leugnen, sondern eine Straftat. Und als in einem Prozess um die Störung der Totenruhe in Buchenwald ein Verteidiger argumentierte, dass die Gräber historisch ja gar nicht als Friedhof angemeldet worden wären und daher keine Störung der Totenruhe vorliegen könne, initiierte der Freistaat Thüringen, dass ehemalige Konzentrationslager als Totengedenkstätten den Friedhöfen gleichgestellt werden. Erst seitdem ist in ihnen „beschimpfender Unfug“ strafbar (§ 168, Artikel 2, StGB).

Darüber hinaus werden seit 2005 viele Gedenkstätten durch eine Ergänzung des Versammlungsgesetzes geschützt, da eine Versammlung dann untersagt werden kann, wenn durch sie „die Würde der Opfer beeinträchtigt wird“ (§ 15, Artikel 2, VersG).

Interne und externe Kommunikation

Konflikte mit Rechtsextremen erfordern nicht nur eine gute Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch eine permanente Fortbildung der Mitarbeitenden: Wie lauten die derzeitigen Codes der Szene? Wie verhalte ich mich bei beschimpfenden Anrufen und Mails? Was ist strafrelevant?

Neben dem kontinuierlichen Austausch der Mitarbeitenden untereinander ist auch die reibungslose Kooperation mit Polizei und Justiz sicherzustellen. Interner Link: Eine Gedenkstätte muss sich darauf verlassen können, dass Hausverbote umgesetzt werden. Auch Angestellte der Justiz sollten aufgeklärt werden, dass die Vergatterung zur Grünpflege einer Gedenkstätte, wie sie als „Strafe“ für rechtsextreme Jugendliche mehrfach ausgesprochen wurde, didaktisch wenig zielführend ist.

Darüber hinaus ist es notwendig, rechtsextreme Angriffe nicht nur zu dokumentieren, sondern sie auch öffentlich zu machen. Nur so können sich Kolleg:innen anderer, befreundeter Institutionen und Verwaltungen solidarisieren und eine eigene Haltung zu den neuen Aktionsformen der Rechtsextremen entwickeln.

Der digitale Raum als neues Wirkungsfeld

Regelmäßiges Monitoring des digitalen Raumes zeigt, wie über die historischen Orte der Verbrechen gesprochen wird: Was wird von Rechtsextremen kleingeredet oder geleugnet? Welche Suchanfragen gibt es? Und welche Antworten hält die eigene Website parat?

Zu den Konsequenzen des permanenten Monitorings der Gedenkstätte Buchenwald gehört es, dass sie sich im Jahr 2022 entschied, neue forensische Gutachten über die eigenen Sammlungsgegenstände in Auftrag zu geben. Anlass war, dass in den sozialen Medien immer wieder die historische Tatsache der Produktion von Geschenkartikeln aus Menschenhaut im KZ Buchenwald infrage gestellt wurde, auf der eigenen Website aber nichts zu den menschlichen Überresten, die als Beweise der Verbrechen in der Sammlung aufbewahrt werden, zu finden war. Seit März 2024 sind die Ergebnisse des Gutachtens auf der Website als Dossier veröffentlicht und nach entsprechender Optimierung zeigt die größte Suchmaschine (zumeist) dieses Dossier als eine der ersten Quellen an, wenn Suchende „Lampenschirm“ und „KZ“ eingeben (Kirsten/Lüttgenau 2025).

Damit finden die Ergebnisse auch langsam Eingang in die sozialen Medien. Im Meer der unregulierten Desinformation mag dies nur ein kleiner Tropfen sein, aber für einige Nutzer:innen bietet es eine hilfreiche Orientierung in den oft aus dem Ruder laufenden Diskussionen.

Während das Dossier versucht, den historischen Quellen Geltung zu verschaffen, setzt die Website „Geschichte statt Mythen“ bei gegenwärtigen Diskursen an: Seit August 2024 engagiert sich das Projekt gegen geschichtsrevisionistische Narrative in Thüringen und darüber hinaus. Auf der Website werden Social-Media-Posts rechter Akteur:innen analysiert, aktuelle Debatten eingeordnet und revisionistische Codes dechiffriert.

Auf dem Prüfstand: Inhalte der bisherigen Gedenkstättenarbeit

Die Auseinandersetzungen mit Rechtsextremen verdeutlichen, dass es für Gedenkstätten in Zukunft immer weniger ausreichen wird, Interner Link: lediglich vor Ort Ausstellungen zu entwickeln und angemessene Bildungsformate anzubieten. Es gehört zunehmend zu ihren Pflichten, Positionen aktiv zu thematisieren, die ihrem Zweck entgegenstehen. Die Würde der Opfer wird nicht nur am historischen Ort verteidigt, sondern wenn nötig auch auf den Marktplätzen und im digitalen Raum.

Des Weiteren braucht die Bildungsarbeit eine stärkere Fokussierung auf die Akteur:innen, nicht nur auf die Opfer. Um zu verstehen, wie die Verbrechen möglich wurden, müssen sich die inhaltlichen Schwerpunkte mehr den (Mit-)Täter:innen und Profiteur:innen der NS-Gesellschaft widmen. Mit ihnen werden die Motivationen und strukturellen Gründe sowie die Verantwortlichkeiten deutlich, die zu den Taten führten. Die NS-Verbrechen erscheinen dann nicht mehr als die Tat Einzelner, sondern als ein Gesellschaftsverbrechen. Gespeist nicht nur von individuellem Hass und abstrakter Bürokratie, sondern ebenso von Eigennutz und Feigheit. Eine Auseinandersetzung, die schmerzhaft ist, da sie die Verantwortung eines jeden Individuums thematisiert.

Zugleich bedeutet diese akteursorientierte Bildungsarbeit, dass sie sich mit der eigenen Lebenswelt besser verknüpfen lässt. So wird es zu einem niedrigschwelligeren Angebot. Wenn zum Beispiel nicht nur das Schicksal eines jüdischen Sportstars im KZ erzählt, sondern auch thematisiert wird, wie ein Sportverein seine jüdischen Fußballer bereits im Frühjahr 1933 ausschließt, können sich die heutigen Mitglieder eines Clubs mit der eigenen Verantwortung im Verein auseinandersetzen. So wird auch das historische Ereignis Buchenwald, von dem es allzu häufig leichtfertig heißt, es sei „unvorstellbar“, plötzlich aus der eigenen Lebenswelt heraus nahbar und nachvollziehbar – um den Anfängen zu wehren.

Quellen / Literatur

Bangel, Christian (2022): #baseballschlägerjahre. Ein Hashtag und seine Geschichten. In: Rechte Gewalt in den 1990er Jahren. Aus Politik und Zeitgeschichte 49-50/2022, S. 4-9. Online unter: Externer Link: www.bpb.de/515769 (abgerufen am 19.05.2025).

Deutscher Bundestag (2024): Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Götz Frömming, Martin Erwin Renner, Volker Münz, Beatrix von Storch und der Fraktion der AfD, 2.9.2024. Drucksache 20/12697. Online unter: Externer Link: https://dserver.bundestag.de/btd/20/126/2012697.pdf (abgerufen am 21.05.2025).

Duras, Marguerite (1998): Der Schmerz, München.

Foucault, Michel (1980-88): Von anderen Räumen. In: Ders., Schriften in vier Bänden, Band IV 1980–1988. Frankfurt a. M. 2005, S. 935.

Gedenkstätte Buchenwald: Hausordnung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Online unter: Externer Link: https://www.buchenwald.de/dam/jcr:1c97e82a-8854-4363-9e99-5f6ded8f046b/Hausordnung_Buwa_23_2.pdf (abgerufen am 14.08.2025).

Hoffmann, Detlef (2000): Authentische Erinnerungsorte oder: Von der Sehnsucht nach Echtheit und Erlebnis. In: Meier, Hans-Rudolf/Wohlleben, Marion (Hrsg.): Bauten und Orte als Träger von Erinnerung, Zürich.

Hütter, Hans Walter (2012): Erinnerungs-, Gedenk und Geschichtspolitik des Bundes im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland. In: Härtel, Ines (Hg.): Handbuch Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt, Band II: Entfaltungsbereiche des Föderalismus, S. 695-716, hier S. 709f.

Killguss, Hans-Peter (2025): Leitbilder und Hausordnungen. In: Ders./Reimann, Sabine/Sturm, Michael (Hrsg.): Positionierte Orte. Impulse zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in NS- Gedenkstätten und -Erinnerungsorten. S. 84-89. Online unter: Externer Link: https://museenkoeln.de/downloads/nsd2/2025%20Positionierte%20Orte.pdf (abgerufen am 17.07.2025).

Kirsten, Holm/Lüttgenau, Rikola-Gunnar (2025): Menschliche Überreste – Beweise der Verbrechen. In: Reflexionen 2025. Jahresmagazin der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, S. 102–111. Online unter: Externer Link: https://www.buchenwald.de/geschichte/themen/dossiers/menschliche-ueberreste (abgerufen am 21.05.2025).

Klüger, Ruth (1994): weiter leben, München.

Korff, Gottfried (2005): Betörung durch Reflexion. Sechs um Exkurse ergänzte Bemerkungen zur epistemischen Anordnung von Dingen. In: te Heesen, Anke/Lutz, Petra: Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln/Weimar/Wien.

Kubitschek, Götz (2017): Selbstverharmlosung. In: Sezession 76. Steigra, S. 26-28.

Lüttgenau, Rikola-Gunnar (2021): Besucher:innen, die nicht willkommen sind. In: Reflexionen 2021. Jahresmagazin der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, S. 56-65. Online unter: Externer Link: https://www.stiftung-gedenkstaetten.de/reflexionen/reflexionen-2021/besucher-innen-die-nicht-willkommen-sind (abgerufen am 19.05.2025).

Lüttgenau, Rikola-Gunnar (2024): Vom „National-SOZIALISMUS“, dem „Deutschen Demokratischen Reich“ und Vorfahren, die keine Verbrecher waren …“, in: Reflexionen 2024. Jahresmagazin der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, S. 58-67. Online unter: Externer Link: https://www.stiftung-gedenkstaetten.de/reflexionen/reflexionen-2024/vom-nationalsozialismus (abgerufen am 19.05.2025).

Lüttgenau, Rikola-Gunnar (2025): Gedenkstätten dürfen nicht neutral sein! In: Reflexionen 2025, Jahresmagazin der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, S. 54–59. Online unter: Externer Link: https://www.stiftung-gedenkstaetten.de/reflexionen/reflexionen-2025/gedenkstaetten-duerfen-nicht-neutral-sein (abgerufen am 02.06.2025).

Sturm, Michael (2025): „Dieses Gedenkstättenzeug“. Die AfD und ihr Umgang mit der NS-Vergangenheit. In: Ders./Reimann, Sabine/Killguss, Hans-Peter (Hrsg.): Positionierte Orte. Impulse zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in NS-Gedenkstätten und – Erinnerungsorten. S. 17-25. Online unter: Externer Link: https://museenkoeln.de/downloads/nsd2/2025%20Positionierte%20Orte.pdf (abgerufen am 16.07.2025).

Zeit Online (2017): Höcke legt sich mit KZ-Gedenkstätte an. Online unter: Externer Link: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-01/holocaust-gedenktag-bjoern-hoecke-afd-kz-buchenwald-ausladung (abgerufen am 21.05.2025).

Fussnoten

Fußnoten

  1. Marguerite Duras notierte bereits am 27. April 1945 in ihrem Pariser Tagebuch über die universale Bedeutung der Lager: „Das erstaunte Amerika sieht zu, wie die riesigen Krematorien Europas rauchen. […] Wir gehören zur Rasse derer, die in den Krematorien verbrannt werden, und zu den Vergasten von Maidanek, wir gehören auch zur Rasse der Nazis. Die gleichmachende Funktion der Krematorien von Buchenwald, des Hungers, der Massengräber von Bergen-Belsen, an diesen Gräbern haben auch wir unseren Teil, diese so unglaublich identischen Skelette sind die einer europäischen Familie. Nicht auf einer Sundainsel oder in einer entlegenen Gegend des Pazifik haben diese Ereignisse stattgefunden, sondern auf unserem Boden, auf dem Boden Europas.“ (Duras 1998, S. 57f.)

  2. Diesen Mechanismus, den „andere Räume“ für eine Gesellschaft übernehmen, beschreibt Michel Foucault wie folgt: „Es gibt gleichfalls – und wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation – wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte.“ Michel Foucault, Von anderen Räumen; in: ders., Schriften in vier Bänden, Band IV 1980–1988; Frankfurt a. M. 2005, S. 935.

  3. Von 1945 bis 1950 nutzte die sowjetische Militäradministration das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers für eines ihrer Speziallager. Dort wurden vorrangig lokale Funktionsträger der NSDAP, aber auch Jugendliche und Denunzierte interniert.

  4. Zu den wenigen Analysen gehören: Lieske, Dagmar: Die Gedenkstätte Sachsenhausen – Ein Erinnerungsort der extremen Rechten?, in: Langebach, Martin/Sturm, Michael (Hg.): Erinnerungsorte der extremen Rechten, Wiesbaden 2015, S. 287–300.
    Siepe, Daniela: Die Rolle der Wewelsburg in der phantastischen Literatur, in Esoterik und Rechtsextremismus nach 1945, in: Schulte, Jan-Erik (Hg.): Die SS, Himmler und die Wewelsburg, Paderborn 2009, S. 488–510.

  5. Mit dem Begriff beschreibt der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek eine – von ihm im Übrigen kritisch gesehene – Medienstrategie der AfD: „Es ist der Versuch, die Vorwürfe des Gegners durch die Zurschaustellung der eigenen Harmlosigkeit abzuwehren und zu betonen, daß nichts von dem, was man fordere, hinter die zivilgesellschaftlichen Standards zurückfalle“ (Kubitschek 2017, S.28).

  6. Kleine Anfragen sind ohne Frage ein wichtiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle. In den hier benannten Fällen wurden jedoch vor allem bereits öffentlich zugängliche Informationen erneut nachgefragt. Es drängte sich so der Eindruck auf, dass mit den veröffentlichten Fragen Symbolpolitik betrieben werden sollte, mit dem Ziel die Arbeit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora zu delegitimieren.

  7. S. zum Thema Leitbilder und Hausordnungen von Gedenkstätten und Erinnerungsorten den gleichnamigen Beitrag von Hans-Peter Killguss (2025) in der Broschüre „Positionierte Orte“.

  8. In den kommenden Jahren werden bisherige Suchmaschinen zunehmend durch Künstliche Intelligenz (KI) und Große Sprachmodelle wie ChatGPT ersetzt werden. Diese statistischen Wahrscheinlichkeitsmodelle haben derzeit noch Schwierigkeiten mit historischen „Unwahrscheinlichkeiten“ wie der Herstellung menschlicher Präparate im KZ Buchenwald, erst recht, wenn sie von massenhafter Desinformation in den sozialen Medien begleitet werden. Wenn ChatGPT nach den Lampenschirmen von Buchenwald gefragt wird, behauptet es – entgegen aller Beweise – deren Existenz sei zweifelhaft. Erst wenn man das System auf die Website der Gedenkstätte hinweist, revidiert es seine Aussage.

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Rikola-Gunnar Lüttgenau studierte Geschichts- und Medienwissenschaften. Er ist Ausstellungskurator und leitet die Strategische Kommunikation der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.