Die NSU-Terroristin Beate Zschäpe bleibt auch nach vierzehn Jahren in Haft berechnend und verschlossen.
Frauen waren immer Teil der Geschichte des rechten Terrors in Deutschland, ihre Rolle wurde allerdings bis zu den schockierenden Enthüllungen zum NSU vollkommen verharmlost. Beate Zschäpe wurde schließlich das Gesicht von weiblicher Härte und Fanatismus. Denn ihr Bekenntnis zum Terror reichte über das Ende des NSU hinaus. Die heute 50-jährige Neonazistin verbrachte viele Jahre ihres Lebens mit den Haupttätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf engstem Raum in konspirativen Wohnungen in Chemnitz und Zwickau: versteckt und bewaffnet von sächsischen Kameraden und Kameradinnen, ausgestattet und getarnt mit zahlreichen falschen Ausweisen und Dokumenten. Bis zum Tod der beiden Haupttäter und dem Ende des NSU 2011 riss der Kontakt in die rechtsextreme Szene nie ab, das war auch Zschäpes Verdienst. So gab es auch nach Beginn der ersten rassistischen Morde des NSU im Jahr 2000 immer wieder Besuche, Waffenbeschaffungen oder Botenfahrten. Beate Zschäpes Zwickauer Kameradin Susann E. holte zusammen mit ihr sogar das getarnt angemietete Wohnmobil ab, in dem Böhnhardt und Mundlos nach einem Banküberfall in Eisenach Ende 2011 schließlich starben. E.s Ehemann, ein überzeugter Neonazi aus Zwickau, gilt als intimster Freund des Trios. Andre E. zwinkerte Zschäpe laut Tagesspiegel einmal verschwörerisch im Prozess zu, sie zwinkerte zurück. Ansonsten unterließ es Zschäpe strikt, ihre politischen Kontakte offenzulegen. Dabei verstand sich der NSU einem Statement im Bekennervideo zufolge als „Netzwerk von Kameraden“. Dennoch ging das Oberlandesgericht München bis zuletzt von einem isolierten Tat-Trio aus, und diese Einschätzung dürfte Beate Zschäpe gelegen gekommen sein, da sie ihrer Selbstdarstellung entsprach.
Doch zu den belegten Tatsachen gehört, dass die Terrorgruppe ihre aus Raubüberfällen erbeuteten Gelder nicht allein für sich verprasste, sondern anteilig an gewaltbereite rechte Gruppen und Zeitungsprojekte spendete. „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter …“, hieß es zum Beispiel 2002 im konspirativen Szene-Magazin Der weiße Wolf.
Doch auch in Haft suchte Beate Zschäpe weiterhin Kontakt zu Kameraden. Einen innigen Brief schrieb sie kurz vor Prozessbeginn 2013 ausgerechnet einem verurteilten Gewalttäter und Anhänger des internationalen Terror-Netzwerks „Combat 18“ aus Dortmund. In dem beschlagnahmten 13 DIN-A4-Seiten langen Schreiben tritt sie selbstbewusst auf und bescheinigt dem Brieffreund mit Blick auf die persönliche Beziehung: „Es könnte sein, dass Du in mir Deine Meisterin gefunden hast.“
Vertrauen im Kameradenkreis – Gefühlskälte nach außen
Als eiskalt dagegen wurde Zschäpes Auftritt im NSU-Prozess in München empfunden. Sie trägt bis heute nicht dazu bei, entscheidende ungeklärte Fragen um das NSU-Netzwerk aufzuklären. Der Münchner Senat ließ sie und die rechtsextremen Zeugen und Zeuginnen weitestgehend gewähren, setzte nicht alle legalen Druckmittel gegen diejenigen ein, die die Demokratie massiv gefährden.
Solche Versäumnisse bei der Aufklärung der rechtsextremen Terrorszene könnten aber weiteren grausamen Taten Vorschub leisten. Wichtige Fragen zu den Verbrechen des NSU bleiben jedenfalls unbeantwortet. Zum Beispiel: Woher hatten Böhnhardt und Mundlos die detaillierten Informationen zu den Orten, an denen sie neun Menschen aus rassistischen Gründen ermordeten? Gab es nicht doch Hilfe beim Ausspionieren möglicher weiterer Tatorte? Ungeklärt bleibt auch, wie eine Versandtasche mit der Bekenner-DVD in der Post der „Nürnberger Nachrichten“ landete, Zschäpe selbst will sie nicht eingeworfen haben. Wie kam die hochexplosive Nagelbombe für den Anschlag in der Keupstraße nach Köln?
Bekenntnis durch Härte
Die Frau aus Jena verweigerte den Hinterbliebenen sichtbares Mitgefühl. Deren verzweifelte Frage, warum ausgerechnet ihre Familienmitglieder sterben mussten, bleibt unbeantwortet. Einige wie Gamze Kubaşık glauben nicht an Zufall. Der Kiosk ihres ermordeten Vaters Mehmet Kubaşık lag genau zwischen den Dortmunder Neonazi-Treffpunkten „Deutscher Hof“ und „Thüringer Hof“. Der Tatort war mutmaßlich sorgfältig ausgekundschaftet worden, Fluchtwege wurden geplant. Ganz in der Nähe wohnte der berüchtigte Dortmunder Neonazi Siegfried Borchardt, genannt SS-Siggi. Im Brandschutt des Zwickauer NSU-Verstecks wurde eine Munitionspackung mit der handschriftlichen Aufschrift „Siggi“ gefunden.
Vor der Urteilsverkündung im Jahr 2018 entschuldigte sich Beate Zschäpe bei den Opferfamilien. Viele hielten das damals für Kalkül. Inzwischen kurz vor einem möglichen Haftablauf, soll sich vieles im Leben von Beate Zschäpe nun geändert haben. Im Gespräch mit Abgeordneten des bayerischen NSU-Untersuchungsausschusses, die sie 2023 im Gefängnis befragten, räumte sie Schuld ein, will aber die Verbrechen „nicht mitgetragen“ haben.
Rückblick: November 2011
Schwer bewaffnet hatten sich die beiden Neonazis Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach in ihrem unter falschem Namen angemieteten Wohnmobil verschanzt, als die Polizei anrückte. Beide wurden kurze Zeit später mit Kopfschüssen tot aufgefunden, die Ermittler gehen bis heute von Selbstmord aus. Beate Zschäpe hörte wenig später in ihrer Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße vom Tod der beiden Männer. Gegen 15 Uhr brachte sie dann ihre beiden Katzen Heidi und Lilly in Körben zur Nachbarin und setzte das Obergeschoss des Hauses, in dem das Trio seit vier Jahren lebte, in Brand. Eine 83-jährige Hausbewohnerin fiel den Flammen beinahe zum Opfer. Zschäpe floh zu Fuß in Richtung der Bahngleise nach Osten.
Die von der Rechtsterroristin Beate Zschäpe in brandgesetzte letzte Wohnung des NSU-Kerntrios in Zwickau. (© Getty Images, Marco Prosch)
Die von der Rechtsterroristin Beate Zschäpe in brandgesetzte letzte Wohnung des NSU-Kerntrios in Zwickau. (© Getty Images, Marco Prosch)
Kurz vor halb vier rief sie mit ihrem roten Mobiltelefon einen engen Vertrauten an: André E.
Auf der Flucht 2011 entsorgte Zschäpe ihr Handy und machte sich auf den Weg nach Eisenach. Am kommenden Tag wurde sie in der Nähe des Fundortes der Leichen ihrer „Kameraden“ gesehen. Nach jahrelanger Funkstille rief sie die Eltern von Mundlos und Böhnhardt an, um sie kurz und knapp über den Tod ihrer Söhne zu informieren, stellte sich dabei als „Uwes Beate“ vor. Den Eltern von Uwe Böhnhardt sagte sie Recherchen des Norddeutschen Rundfunks zufolge noch, dass sie sich nicht stellen, sondern weggehen wolle. Dann legte sie auf. Die Böhnhardts hatten ihren Sohn und seine Freunde bis 2002 noch heimlich getroffen, dann war auch der letzte familiäre Kontakt des Trios abgerissen. Mit einem Bahnticket, auf dem handschriftlich „Susann E.“ eingetragen war, fuhr Zschäpe über Hannover nach Bremen, danach ging es über Braunschweig, Magdeburg und Halle nach Jena, wo sie sich stellte. Warum sie ausgerechnet den Fluchtweg nach Norddeutschland einschlug, bleibt bis heute unklar. Vermutlich suchte sie Hilfe. Neonazi-Kontakte gab es viele – auch im Untergrund.
Tarnung: Die unauffällige Frau von nebenan
„Es ist durchaus denkbar, dass der Gruppe noch weitere Straftaten zuzurechnen sind“, räumte Generalbundesanwalt Harald Range bei einer Pressekonferenz am 1. Dezember 2011 in Karlsruhe ein. Auch der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, konstatierte: „Noch gibt es zahlreiche Lücken.“ Daran hat sich nicht viel geändert. Vor allem Zschäpe gab den Ermittlern lange viele Rätsel auf. Sie galt als „durchsetzungsfähig“ und betonte bei einer ersten polizeilichen Vernehmung, Mundlos und Böhnhardt hätten sie nie zu etwas gezwungen. Während ihrer Zeit im Verborgenen wurden Komplizen wie Holger G. aus Hannover von dem Trio immer wieder misstrauisch „gecheckt“, aber auch mit Geld und Urlauben belohnt. Trotzdem wollen Helfende wie er kein Täterwissen gehabt haben.
Zschäpe soll für die finanziellen Angelegenheiten zuständig gewesen sein. „Sie hatte das Geld“, erinnern sich auch Urlaubsbekanntschaften; das Trio verbrachte wochenlange Campingurlaube an der Ostsee.
Radikalisierung im braunen Netz
Noch bis 2003 prangte Beate Zschäpes Foto auf Fahndungsplakaten. Als „Bombenbastler von Jena“ wurden sie und ihre beiden „Kameraden“ Mundlos und Böhnhardt seit 1998 bezeichnet. Vier vorbereitete Rohrbomben, 1,4 Kilogramm TNT und diverses Propagandamaterial wurden in einer von Zschäpe angemieteten Garage im Stadtteil Burgau sichergestellt. Als ein Haftbefehl gegen Uwe Böhnhardt erlassen wurde, flohen die beiden anderen mit ihm aus Thüringen. Unterschlupf fanden sie etwa hundert Kilometer von Jena entfernt in Chemnitz. Ein Freund aus Sachsen, der den in Jena beschlagnahmten Sprengstoff geliefert hatte, vermittelte ihnen in der Hochburg der Chemnitzer Neonazi-Szene, im sogenannten Fritz-Heckert-Gebiet, in dem sich kriminelle Jugendcliquen alias »Heckert-SS« tummelten, eine erste konspirative Wohnung. Wenig später kamen die drei bei dem Betreiber des Szene-Heftchens »Sachsens Glanz« in der Friedrich-Viertel-Straße für wenige Wochen unter, so ging es immer weiter mit neuen Unterschlupfen.
Weil den Neonazis im Untergrund immer wieder das Geld ausging, organisierten die Thüringer Kameraden in der Anfangsphase Konzerte zugunsten der Flüchtigen und sammelten dabei für sie: allen voran die alten Kameraden aus Jena um Ralf Wohlleben.
Um rassistisch motivierte Morde geplant zu begehen, sei ein langer Radikalisierungs- und Ideologisierungsprozess notwendig, sagte der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke als Sachverständiger im NSU- Bundestagsuntersuchungsausschuss. Am 9. September 2000 war dieser Prozess bei Mundlos und Böhnhardt offensichtlich abgeschlossen, sie begingen ihren ersten Mord an Enver Şimşek, 38 Jahre alt, Vater zweier Kinder. Inzwischen lebten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in der Nähe des befreundeten Ehepaars E. in Zwickau. Der letzte von zehn NSU-Morden geschah 2007: der tödliche Überfall auf die Polizistin Michèle Kiesewetter, 22, und ihren Kollegen Martin A., 24, der den Angriff in Heilbronn schwer verletzt überlebte. Vier Jahre blieb es ruhig um die untergetauchten Neonazis, dann begannen sie wieder mit den Banküberfällen. Der letzte in Eisenach endete mit dem anschließenden Tod von Böhnhardt und Mundlos.
Bei ihrer Festnahme im November 2011 redete Zschäpe nur wenig, doch sie betonte, dass Böhnhardt und Mundlos ihre Familie gewesen seien. Sie sagte auch aus, dass die beiden Uwes im Gegensatz zu ihr aus einem „behüteten Elternhaus“ stammten. Sie selbst wuchs in unsicheren Verhältnissen auf: Ihre alleinerziehende Mutter studierte in Rumänien, war selten beim Kind. Den Vater, einen rumänischen Zahnarzt aus Nordrhein-Westfalen, lernte sie nie kennen. Nach der zehnten Klasse, im Juni 1991, verließ Zschäpe die Staatliche Regelschule Johann Wolfgang von Goethe, arbeitete zunächst als Malergehilfin und absolvierte später eine Ausbildung in einem Gartenbaubetrieb. In der Nachbarschaft ihres Plattenbauviertels Jena-Winzerla schloss sie sich der rechtsextremen Jugendclique „Winzer-Clan“ an und lernte Uwe Mundlos kennen. Ein Foto von 1991 zeigt den damals 17-jährigen Professorensohn in typischer rechter Szenekleidung mit Springerstiefeln, umgekrempelten Jeans und schwarz-rot-goldenen Hosenträgern. Mundlos und seine Freunde dominierten den Jugendtreff des Viertels, schon jetzt kristallisierte sich die Kerntruppe der späteren „Kameradschaft Jena“ heraus: Ralf Wohlleben, Andre Kapke, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Holger G. Wohlleben und G. wurden 2018 in München zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Neonazis um Uwe Böhnhardt (graue Jacke, 4.v.l.), Andre Kapke (2.v.r.), Ralf Wohlleben (3.v.r.) und Uwe Mundlos (r.), aufgenommen im Herbst 1996 in Erfurt im Umfeld eines Prozesses gegen den Holocaust-Leugner Manfred Roeder (© ddp/AP, dapd)
Neonazis um Uwe Böhnhardt (graue Jacke, 4.v.l.), Andre Kapke (2.v.r.), Ralf Wohlleben (3.v.r.) und Uwe Mundlos (r.), aufgenommen im Herbst 1996 in Erfurt im Umfeld eines Prozesses gegen den Holocaust-Leugner Manfred Roeder (© ddp/AP, dapd)
Ihre damalige „Kameradschaft Jena“ fand bald Anschluss an den größeren „Thüringer Heimatschutz“ und die jungen Leute nahmen seit 1995 an Treffen der „Anti-Antifa Ostthüringen“ teil, welche sich als ein „Organ der Feindbeobachtung“ verstand.
Das Kameradschaftsspektrum radikalisierte sich offen. Auch Zschäpe galt früh als überzeugte Neonazistin, die auch schon mal zulangte. Gemeinsam nahmen Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt und der später in Niedersachsen lebende G. an Aufmärschen und Aktionen teil. Es war wohl auch kein Zufall, dass die beiden Männer 1996 gemeinsam mit den Jenaer Anführern Wohlleben und Kapke zu einem Prozess gegen den Rechtsterroristen Manfred Roeder fuhren, um zu protestieren. Der unbelehrbare Altnazi Roeder war ein Vorbild der radikalen Szene. Auch ihm gelang es, jahrelang unbehelligt abzutauchen und mit Spendengeldern der Szene durch die Welt zu jetten.
Die aktionistisch orientierten Jenaer Neonazis Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hatten sich von den saufenden und grölenden Skinhead-Kameraden aus dem Plattenbauviertel längst entfernt. Auch regionale Anführer wie Wohlleben und Kapke reichten nicht mehr als politische Inputgeber aus: Nach und nach hatte insbesondere Uwe Mundlos Kontakte unter anderem nach Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bayern, in den Norden und vor allem nach Sachsen aufgebaut. Die drei waren Überzeugungstäter in einem rechtsextremen Netzwerk. Immer wieder wurde in Jenaer Neonazi-Kreisen auch die Gewaltfrage diskutiert. Während sich Anführer wie der spätere stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Wohlleben zögerlich gegenüber einer Bewaffnung gezeigt haben sollen, tendierte das Trio offen in diese Richtung. Sie befanden sich früh auf der Schwelle zum Rechtsterrorismus, so ein ehemaliger Weggefährte. Zwischen 1997 und 1998 tauchten mehrere Kofferbomben im Raum Jena auf, abgestellt an öffentlichen Orten. Vor allem Böhnhardt geriet ins Visier der polizeilichen Fahnder.
Als militante Neonazis aus Gera 1997 begannen, mit einer Organisation namens „White Youth“ Nachwuchs für das Netzwerk „Blood & Honour“ (B&H) zu rekrutieren, zählten die drei Jenaer bereits zum Umfeld. Gegründet wurde B&H zehn Jahre zuvor in Großbritannien von dem Sänger der Skinband „Skrewdriver“, im Jahr 2000 wurde es in Deutschland verboten. Rasch breitete sich ein klandestines Netz militanter Neonazis in Europa aus, 1994 wurde die deutsche Sektion gegründet. Mit einschlägiger Musik und konspirativen Konzerten ließ sich viel Geld verdienen. Doch den Anführern ging es um weit mehr: 1998 hieß es auf einem B&H-Deutschlandtreffen, man wolle die „Patrioten“ einen, „nicht nur in der Musik, sondern im Kampf“, denn: „Wir sind mehr als eine Musikbewegung!“ Entsprechend war in einem der geheimen Szene-Texte zu lesen: „Die Patrioten von heute müssen auf den größten aller Kriege, den Rassenkrieg, vorbereiten, und dafür muss man geheime Strukturen schaffen und bereit sein, sein Leben zu opfern.“
Im Krieg gegen das System
Die Szene, in der sich Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos bewegten, rüstete auf für den „Krieg gegen das System“. In Großbritannien hatte sich bereits ein terroristischer B&H-Ableger namens „Combat 18“ (C18) gebildet. Konzeptionell strebte C18 danach, Divisionen in diversen europäischen Ländern aufzubauen. Die Organisation galt als bewaffneter Arm von B&H, intern auch als Konkurrenz. Erklärtes Ziel war es, „Furcht und Terror unter den Feinden zu verbreiten“.
Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe scheinen bereits zu Jenaer Zeiten, noch bevor sie in den Untergrund gingen, unzählige Insider-Schriften und Strategiepapiere verschlungen zu haben. Bei den Hausdurchsuchungen 1998 fanden sich zahlreiche Hardcore-Hefte wie etwa Der weiße Wolf – Rundbrief inhaftierter Kameraden der Justizvollzugsanstalt Brandenburg und viele weitere Materialien, die eindeutige Hinweise auf die Radikalisierung und Vernetzung des NSU lieferten. Darunter befand sich zum Beispiel auch die Neonazi-Postille Hamburger Sturm, zu deren Machern der heute führende NPD-Drahtzieher Torben Klebe zählte. In den gefundenen Heften wurde zum Teil offen zur Anwendung von Gewalt aufgerufen: „Man darf nicht vergessen, dass wir im Krieg sind mit diesem System und da gehen nun mal einige Bullen oder sonstige Feinde drauf.“
Unbehelligtes Untergrundleben
Als Beamte des Landeskriminalamtes in Thüringen Ende Januar 1998 die Wohnungen von Beate Zschäpe und Uwe Mundlos aufbrachen sowie von Uwe Böhnhardts Mutter in das Zimmer ihres Sohnes vorgelassen wurden, offenbarte sich ihnen eine Welt neonazistischer Fanatiker. Eine Reihe von Bombenattrappen in der Region um Jena hatte sie zur Sprengstoffwerkstatt und dem braunen Innenleben des Trios geführt. Schnell war klar: Das waren keine harmlosen Mitläufer. Diese drei waren ideologisch gefestigt und gefährlich kreativ. In Beate Zschäpes Wohnung im sechsten Stock eines Hochhauses wunderten sich die Polizisten nicht nur über die Wanddekoration über der Wohnzimmercouch (Armbrust, Pistole, Wurfstern, Macheten und ein Gewehr); neben Bildern, die das „Dritte Reich“ verherrlichen, fanden sie auch ein handgefertigtes Brettspiel mit der Bezeichnung „Pogromly“, eine Art antisemitisches Monopoly.
Mit dem Anrücken der Polizei verschwanden die Verdächtigen, allen voran Uwe Böhnhardt. Erst zwei Tage später, am 28. Januar 1998, wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen; Zeit genug zum Abtauchen für Neonazis, die sich längst mit solch einem Szenario beschäftigt hatten. Sie schienen es geradezu darauf angelegt zu haben. Immerhin waren sie Teil einer Neonazi-Szene, die in den 1990er Jahren hochaktiv und äußerst militant war. Die drei hatten sich vor ihrem Verschwinden aus Jena nicht einmal Mühe gegeben, Spuren zu verwischen. So hätten die Beamten bereits 1998 Anzeichen für ein bundesweit gut vernetztes, ideologisch geschultes, überaus radikales Tätertrio erkennen können. Den damals noch sehr jungen Neonazis war es nicht nur gelungen, genug TNT für mehrere Bomben zu besorgen, sie verfügten auch über Kontakte in ein militantes Unterstützerspektrum. Auch die Wahl der Fluchtorte in den folgenden Jahren, Chemnitz und Zwickau, schien kein Zufall zu sein. Sie bezogen Waffen über den wohl bekanntesten thüringischen Neonazi, Ralf Wohlleben, den bekannten Jenaer Szene-Laden „Madley“ und bekannte Connections in Sachsen. Viele Hinweise, deren ermittlungstechnische Auswertung den NSU-Terrorismus vielleicht hätte verhindern können, verstaubten in den Asservatenkammern der Polizei. Allein eine damals beschlagnahmte Telefonliste, die Uwe Mundlos zugeordnet wird, liest sich wie ein Who-is-who derjenigen, die ihnen beim Gang in den Terrorismus halfen. Gegen Beate Zschäpe gab es 1998 keinen Haftbefehl, sie hätte sich stellen können. Doch sie blieb an der Seite ihrer Kameraden.
Die 1990er Jahre waren gekennzeichnet von einer Aufrüstung der Szene: Sprengstoff- und Waffenfunde gab es bei diversen Gruppen. Im Jahr 2000 hatten sich die Funde von Waffen, Munition und Sprengstoff im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Mindestens 15 Homepages mit Bombenbauanleitungen wurden entdeckt, und zwischen 1999 und 2002 gab es 178 Funde von hochexplosivem Material und Brandvorrichtungen bei Neonazis. Und doch schien die wachsende Militanz seitens der beobachtenden Geheimdiensten nicht allzu ernst genommen zu werden. Immer wieder wurden bewaffnete Neonazis auch von der Polizei als subkulturell geprägte deutsche Einzeltäter abgetan. In einem 2004 verfassten geheimen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Titel „Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtextremisten“ wurde nur vor einem möglichen „Feierabendterrorismus“ gewarnt.
Der NSU entsteht – Terror aus Chemnitz und Zwickau
Isoliert waren die drei Mitglieder des Trios nie wirklich, sie konnten ungestört auf vielen ihrer Reisen ein klandestines Netzwerk aufbauen. Im Mai 1999 erhielt die Polizeiinspektion Eisenberg beispielsweise einen Hinweis, dass Uwe Böhnhardt sich öfter bei privaten Partys in Rudolstadt-Schwarza aufhalte. Mehrmals traf er sich in den ersten Jahren mit seinen Eltern. Beate Zschäpe berichtete dem Bundeskriminalamt laut dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel 2024 von der angeblichen Liebschaft Uwe Mundlos’ mit einer Schweizer Combat-18-Aktivistin.
Dabei hätten Alarmsignale wahrgenommen werden können. Nicht nur, dass neben den thüringischen Geheimdienstinformanten auch ein V-Mann aus Brandenburg behördenintern vor dem Fluchtziel „Raum Chemnitz“
In Chemnitz wurden Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt von Kameraden der Blood-&-Honour-Sektion Sachsen in unterschiedlichen Wohnungen mitten im berüchtigten rechten Kiez der Stadt untergebracht. Ab 1999 begannen sie, die Parole „Taten statt Worte“ umzusetzen. Das frühe, intensive Studium konspirativer Schriften spricht für die These, dass der NSU nicht autark handelte. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bemühten sich um größtmögliche Anerkennung in einem sympathisierenden bundesweiten Milieu. Immerhin hieß es schon in einem Strategiepapier zur Bildung von rechten Terrorzellen: „Diese einsamen weißen Wölfe müssen respektiert und allein gelassen werden, um die schlimmsten Feinde unserer Rasse zu verfolgen. Sie erwarten keine Unterstützung und Hilfe, aber sie verdienen Anerkennung und Verständnis.“
Die berechnende Terroristin
2018 erfolgte die Verurteilung von Beate Zschäpe und vier weiteren Helfern des NSU wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation.
Die Rechtsterroristin Beate Zschäpe im Polizeigewahrsam. (© Getty Images, Bundeskriminalamt)
Die Rechtsterroristin Beate Zschäpe im Polizeigewahrsam. (© Getty Images, Bundeskriminalamt)
Neben vielen anderen haben Gamze Kubaşık und Semiya Şimşek durch die Mordserie des rechtsterroristischen NSU ihre Väter verloren. Die Angehörigen der Opferfamilien haben viel Leid, Ignoranz, falsche Beschuldigungen und institutionellen Rassismus erfahren müssen. Sie gehörten zu denen, die mit einem Schweigemarsch in Kassel bereits 2006 auf die Mordserie und einen möglichen rechtsextremen Hintergrund hinwiesen. Seither kämpfen sie um Aufklärung und Erinnerung. Die inhaftierte Beate Zschäpe trägt nicht dazu bei. Der Psychiater Henning Saß, der sie während des Prozesses beobachtete, formulierte den „Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit“ mit „deutlichen antisozialen Tendenzen“. Saß sah keine „Anzeichen einer persönlichen Betroffenheit, eines gefühlsmäßigen Mitschwingens und einer spürbaren Anteilnahme an den Aussagen der Zeugen in entsprechenden Prozesssituationen, die zeitweise durchaus emotional berührenden Charakter trugen“.