FOSS, die Firma und der Markt
Open Source-Entwicklung ist zu einer eigenen Produktionsform neben Firmen und Märkten geworden. Robert A. Gehring erklärt ihre Gesetze.1. Einleitung: Software und Informationsgesellschaft
Das Fundament zur Informationsgesellschaft wird wesentlich durch Softwareentwicklung gelegt. Software ist es, die unsere Datenströme lenkt, die jenen Prozess am Leben erhält, in dem "der menschliche Verstand eine unmittelbare Produktivkraft und nicht nur ein entscheidendes Element im Produktionssystem"[1] darstellt.Die instantane Kommunikation in globalisierten Märkten, wie wir sie von den Börsentickern im Fernsehen oder den Auktionen bei Ebay kennen, ist ohne Software nicht denkbar. Aber auch die Kommunikation mit unseren Freunden und Verwandten in aller Welt erfolgt mit Unterstützung von Software: Telefongespräche werden im Telefonnetz durch Software vermittelt; die Briefe werden bei der Post von Maschinen sortiert, die von Software gesteuert werden; das Internet, das unsere Emails transportiert, läuft mit Software. Kurz gesagt, Software ist unverzichtbarer Teil des sozialen Gebäudes, das wir Informationsgesellschaft nennen.
Damit kommt der Informationstechnologie im Allgemeinen und der Software im Besonderen eine vergleichbare Rolle zu wie den Sklaven in der antiken Sklavenhaltergesellschaft, Land in der Agrargesellschaft, Rohstoffen und Energie in der modernen Industriegesellschaft: Software ist strategische Ressource und die Kontrolle über ihren Besitz und ihre Verteilung entscheidet über Macht und Reichtum.
Software gewinnt dergestalt eine politische Dimension und die Auseinandersetzungen um große Softwarehersteller – IBM in den 1960er und 1970er Jahren, Microsoft seit den 1990er Jahren – finden quasi automatisch im politischen Raum statt. Es geht darin um mehr als Marktanteile und Wettbewerbsregeln, macht Software die Informationsgesellschaft doch nicht nur möglich, sondern auch verletzlich.
Dort, wo Daten Kapital repräsentieren, entstehen neue Abhängigkeiten, wenn diese Daten in Datenformaten gespeichert und verarbeitet werden, die einer Fremdkontrolle unterliegen. Solche Abhängigkeiten können nicht nur teuer werden, wo es um den Einkauf von Lizenzen für entsprechende Software geht. Sie werden aus der Sicht der Datenbesitzer zu einer Existenzfrage, wenn die Verfügbarkeit der Daten und Programme der eigenen Einflusssphäre weitgehend entzogen ist. Die unternehmerische Freiheit findet dann ihre Grenzen in der Produktpolitik eines Softwareherstellers und nicht mehr nur in der Verfassung.[2] Proprietäre Software[3] mit proprietären Datenformaten liefert ihre Anwender, so gesehen, einer prekären Situation aus, und das Unbehagen darüber ist nur zu verständlich. Das Streben nach Sicherheit leitet die Suche nach Alternativen.
Die ökonomischen Besonderheiten von Netzwerkgütern,[4] die bei Software voll zum Tragen kommen, haben in einem unregulierten Markt zu einer hohen Konzentration geführt. Marktanteile von über 90 Prozent in bestimmten Segmenten sind nicht ungewöhnlich, Marktanteile von mehr als zwei Dritteln üblich. Märkte mit derart hoher Konzentration, man kann in einigen Fällen von der Ausbildung natürlicher Monopole sprechen, lassen die vollständige Konkurrenz des ökonomischen Standardmodells vermissen. Sie neigen dazu, unerwünschte Wettbewerbsergebnisse herbeizuführen.[5] In der Folge werden Ressourcen falsch gelenkt, durch den Anbieter verursachte Kosten nicht durch diesen getragen und Teile der Nachfrage nicht bedient.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich neben proprietärer Software eine andere Art von Software einen Platz im Softwareuniversum erobert: Freie und Open-Source-Software, kurz FOSS.[6] Diese unterscheidet sich von proprietärer Software in vielerlei Hinsicht, nicht zuletzt in den Institutionen auf denen sie aufbaut und den ökonomischen Machtverhältnissen, die sie herbeiführt.
Der Aufstieg von FOSS ist eng verknüpft mit dem Aufstieg des Internets. FOSS steuert das Internet zu erheblichen Teilen,[7] FOSS wird in lokalen und globalen Gemeinschaften im Internet verteilt entwickelt und über das Internet verbreitet, ohne dass dafür exklusive Eigentumsrechte nötig wären.
Knappheit am Informationsgut ist, abweichend von den üblichen Theorien zum geistigen Eigentum,[8] keine Voraussetzung im FOSS-Modell. Stattdessen herrscht ein Überfluss an Code. Diesem Umstand hat es FOSS zu verdanken, dass dem Phänomen in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, sowohl von Seiten der wissenschaftlichen Forschung als auch durch die populäre Presse.
Für wohl die meisten akademischen Ökonomen stellt das FOSS-Paradoxon eine echte Herausforderung dar: Wieso funktioniert das FOSS-Modell? Wie kann man mit etwas Geld verdienen, das niemandes exklusives Eigentum ist? Oder etwas allgemeiner gefragt: Wie lassen sich Ressourcen effizient und nachhaltig bereitstellen und bewirtschaften, wenn diese nicht ihrem Wesen nach knapp sind? Müssen öffentliche Güter[9] nicht zwangsläufig der "Tragödie der Allmende"[10] zum Opfer fallen, wie es Garret Hardin vorhergesagt hat? Würde es nicht zu einem Mangel an Software kommen, wenn diese nicht exklusiv vermarktet werden könnte, wie es die ökonomische Standardtheorie vorhersagt?
Der vorliegende Aufsatz geht diesen Fragen nach und sucht Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von FOSS, Unternehmen und dem Markt. Dabei wird ausgehend von den ökonomischen Randbedingungen diskutiert, auf welchem Fundament FOSS seit über zwei Jahrzehnten wächst und gedeiht. Statt einer "Tragödie der Allmende" (Hardin) erleben wir eine "Kommödie der Allmende" (Carol Rose).[11]