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"Demokratisierung der Werknutzung" | Urheberrecht | bpb.de

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"Demokratisierung der Werknutzung" Ein Gespräch mit Petra Sitte (Die Linke)

/ 7 Minuten zu lesen

Schon zu analogen Zeiten war die soziale Stellung der Urheber nicht ausreichend abgesichert, sagt die Netzpolitikerin Petra Sitte (Die Linke) im Interview. Ihre Position gegenüber Verlagen, Labels und Filmstudios gelte es zu stärken. Zugleich fordert Sitte Klarheit bei digitalen Werken wie E-Books: Sind wir Käufer oder Nutzer?

Petra Sitte (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Im Internet geraten Nutzer immer wieder in Konflikte mit dem Urheberrecht, wenn sie selbst Werke verbreiten. Muss das Recht an den digitalen Wandel angepasst werden?

Unser Urheberrecht stammt noch aus den 1960er Jahren. Seitdem hat sich sehr viel verändert, bei der Produktion der Werke, bei Handel und Vertrieb. Die Werkträger haben sich geändert, zum Beispiel haben CDs die Schallplatten abgelöst. Entscheidend ist heute aber die Werkvermittlung über Dateien. Erstmals sind Kopien ohne Qualitätsverlust möglich. Die Möglichkeiten der Verbreitung und Rezeption von Wissen und Kultur haben erheblich zugenommen. Wir bezeichnen das auch gerne als Demokratisierung der Werknutzung. Die Entwicklung erfordert eine Modernisierung des Urheberrechts, aber keine Verschärfung. Denn Verschärfungen haben in der Vergangenheit zwar den Nutzern geschadet, aber den Urhebern nicht geholfen.

"Wir müssen die Verhandlungsmacht der Urheber stärken."

Das bestehende Urheberrecht scheint im Internet oft schwer durchsetzbar. Geht die technische Entwicklung zu Lasten der Kreativen?

Der Geldstrom zu den Urhebern war in analogen Zeiten besser nachzuvollziehen. Wir haben uns allerdings intensiver damit beschäftigt und festgestellt: Die Digitalisierung hat für die Kreativen nicht wirklich zu einer massiven Verschlechterung ihrer Situation geführt. Schon zu analogen Zeiten hat das Urheberrecht die soziale Stellung der Urheber nicht ausreichend abgesichert. Über die Jahrzehnte ist es eher zu einem Recht der Verwerter geworden, also zu einem Recht im Sinne von Verlagen, Produzenten und Studios. Die Urheber haben nicht unbedingt davon profitiert. Daraus folgt unser Ansatz: Die Digitalisierung bietet den Menschen neue Chancen, die Werknutzung zu intensivieren. Auf der anderen Seite muss die Politik einen Rechtsrahmen schaffen, damit die Urheber davon profitieren.

Noch scheinen die Summen vielerorts dürftig, die Geschäftsmodelle im Internet für die Urheber abwerfen. Bei einem Streaming-Portal müsste ein Musiker etwa 5 Millionen Mal im Jahr gespielt werden, damit er über die Runden kommt. Und das schaffen nur wenige Künstler. Wovon sollen Kreative leben?

Das stimmt. Die Gesellschaft muss das Auskommen der Urheber diskutieren. Dazu gehören auch die Tantiemen über die Verwertungsgesellschaften, die transparenter und gerechter verteilt werden müssen – ich denke da an die GEMA. Ebenfalls nachdenken sollte man über Pauschalvergütungssysteme wie die Kulturwertmark vom Chaos Computer Club oder die Kulturflatrate. Möglich wären auch eine Umverteilung von Rundfunkgebühren, wie Dokumentarfilmer sie vorschlagen. Auch Crowdfunding- und Stiftungsmodelle können Teil der Lösungen sein. Je länger ich mich mit der Misere der Kreativen beschäftige, desto eher halte ich auch ein bedingungsloses Grundeinkommen für diskussionswürdig, das ich früher eher abgelehnt habe. Wir brauchen einen neuen Ansatz, um Urheber besser zu stellen. Dazu gehört auch, die Verhandlungsmacht ihrer Verbände gegenüber der Verwertungsindustrie zu stärken.

"Am Ende geht es um die Marktmacht der Großen."

Auch wenn Werke über iTunes oder Amazon vertrieben werden, bleibt der Großteil der Einnahmen bei diesen Unternehmen und den Verwertern hängen, nicht bei den Urhebern. Müsste es hier nicht eine Protestbewegung der Kreativen geben?

Ich habe große Sympathien dafür, wenn wir die Machtkonzentrationen bei Zwischenhändlern, bei Konzernen verhindern. Falls sich Urheber einmal zusammentun und sagen, wir boykottieren eure Plattformen, weil ihr uns zu wenig zahlt, dann wär das in Ordnung. Man hat sich ja über das Internet schon oft stark machen können, und plötzlich standen Tausende auf der Straße, zum Beispiel gegen das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA.

Was kann die Politik tun?

Wir wollen Vertriebsmodelle fördern, bei denen Urheber mehr profitieren. Das ist natürlich leicht gesagt, und wir können das nicht befehlen. Die Urheber müssen sich selbst von der Allmacht der Konzerne emanzipieren. Aber in der Urheberrechtsdebatte schicken die Verwerter oft die Urheber vor, um ihre eigenen Interessen zu vertreten. Da wird dann eine Gemeinschaft gebildet, obwohl sich Urheber und Verwerter gar nicht auf Augenhöhe begegnen. Es gibt große Verwerter, Monopolisten, kleinere Verwerter und die Urheber. Am Ende geht es meist weder um die Urheber, noch um die kleineren Anbieter, sondern um die Marktmacht der Großen. Diese Zusammenhänge müssen wir auch offenlegen. Außerdem müssen wir die Verhandlungsmacht der Urheber gegenüber Verwertern wie Musiklabels und Verlagen stärken – durch eine Reform des Urhebervertragsrechts.

Was genau fordern Sie?

Das wichtigste ist, das Urheber endlich angemessen vergütet werden. Diesen Anspruch wollen wir durchsetzungsstark ausgestalten. Dazu darf sich die Verwerterseite nicht mehr wie bisher immer wieder für nicht zuständig erklären. Und wenn die Verbände beider Seiten sich nicht einig werden, soll zur Not eine Rechtsverordnung greifen – nicht willkürlich, sondern auf der Basis eines vorherigen Schlichtungsfahrens. Hier fordern wir zudem ein Verbandsklagerecht für Berufsverbände, wenn Vergütungsregeln nicht eingehalten werden. Wir fordern im Urhebervertragsrecht eine Einschränkung von Total-Buy-out-Verträgen einzuführen, und wir wollen die Möglichkeit des Rechterückrufs verbessern. Wenn Rechte eingeräumt wurden, aber dann nicht genutzt werden, sollen sie nach einer gewissen Zeit automatisch wieder an die Urheber fallen. Und wir wollen sicherstellen, dass Verwertungsgesellschaften die Gelder aus der Privatkopieabgabe zukünftig nur noch an Urheber ausschütten, nicht an Verwerter.

"Kontrollideen nutzen den Kreativen nicht."

Bislang kreist die Debatte eher um Urheberrechtsverletzungen. Welche Maßnahmen halten Sie für angemessen?

Grundsätzlich dürfen die Maßnahmen in der digitalen Welt nicht über die in der analogen Welt hinausgehen. Deshalb sind viele der diskutierten Instrumente gegen Urheberechtsverletzungen völlig überzogen. Inhalte-Kontrollen wie die "Deep Packet Inspection" (ein Verfahren zur Überwachung und Filterung von Datenpaketen; die Red.), die Grundrechte verletzen, lehnen wir grundsätzlich ab. Das Internet sollten wir so frei wie möglich gestalten. Es besteht auch immer die Gefahr, dass repressive Instrumente für andere Bereiche Modell stehen. Wir sprechen ja schon von Cyber-Kriegen. Was halten Sie von Ideen aus der Union, zum Beispiel Warnhinweismodelle gegen Urheberrechtsverletzungen einzuführen?

Diese Kontrollideen führen weder zu einer Besserstellung der Kreativen noch zu mehr Akzeptanz des Urheberrechts in der Bevölkerung. Die Gefahr ist doch, dass die Menschen sagen: "Also wenn ihr das Recht so praktiziert, dann ist es nicht meins." Die Anonymität im Netz muss bleiben. Dass repressive Maßnahmen nichts bringen, sehen wir auch bei den Massenabmahnungen. Da geht es nicht darum, den Urhebern mehr Geld zukommen zu lassen, sondern darum, dass sich einige Juristen eine goldene Nase verdienen. Manche Kanzleien verschicken da 600.000 Abmahnungen in einem Jahr und verdienen Millionen. Das Geschäftsmodell der Massenabmahnungen muss man austrocknen.

Während sich die Situation beim Filesharing etwas entspannt, warnen manche Kommentare schon vor einer Abmahnwelle wegen Urheberrechtsverletzungen in Sozialen Netzwerken. Sehen Sie hier neue Probleme?

Noch sind Abmahnungen bei Facebook ja Einzelfälle. Da müssten Gerichte auch erst mal die Verantwortlichkeiten klären, insbesondere die von Facebook selbst. Jetzt ist es ja so, dass ein großer Anbieter die Risiken, die mit einer üblichen Nutzung einhergehen, zum Beispiel dem Anzeigen von Vorschaubildern, einfach auf die Nutzer abwälzt. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

"Wir brauchen eine Gleichbehandlung digitaler und analoger Werkstücke."

Was im Vergleich zu anderen Bundestagsfraktionen auffällt: die Linke beschäftigt sich viel mit den Rechten, die Nutzer an digitalen Werken wie E-Books haben. Was ist hier Ihr Ansatz?

Erst neulich habe ich beim Friseur mit einer 70-jährigen Frau gesprochen, die dort ein E-Book las und davon begeistert war. E-Books werden eine ganz gebräuchliche Nutzungsform werden. Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen eine Gleichbehandlung mit analogen Büchern.

Sie fordern zum Beispiel, dass der Verbraucher E-Books weiterverkaufen darf, was heute noch in den Nutzungsbedingungen verboten wird. Voraussetzung für einen Weiterverkauf wäre, dass der Verkäufer sein Werkexemplar von seinem Endgerät löscht und es nicht einfach dupliziert. Wer soll die Löschung kontrollieren?

Das muss niemand kontrollieren. Wir haben dieses Thema aufgegriffen, weil es mit unserem Grundansatz zu tun hat. Wir wollen, dass die Menschen möglichst ungehindert an Wissen und Informationen kommen. Dazu gehören digitale Verbreitungswege. Und die Dateihändler müssen jetzt einfach ihr Geschäft klar definieren. Sie suggerieren heute den Kunden, uns Verbrauchern, immer noch, wir würden bei ihnen etwas kaufen und danach auch besitzen. Aber tatsächlich schließen die Kunden bei E-Books keinen Kauf-, sondern nur einen Lizenzvertrag. Sie dürfen es nutzen, nicht aber darüber verfügen. Sie dürfen es nicht verschenken oder weiterverkaufen. Wenn aber gleichzeitig die Preise der E-Books so hoch sind wie jetzt, dann muss der Kunde auch die gleichen Rechte bekommen wie beim Kauf von körperlichen Werkexemplaren.

Wenn die Löschung nicht kontrolliert wird, könnte sich ein nur einmal erworbenes E-Book millionenfach verbreiten. Es wird einfach immer weiter kopiert…

Ich denke nicht, dass dann eine große Welle ausbricht, wenn wir dem Nutzer mehr Verfügungsgewalt über erworbene Dateien geben. Noch sortiert sich ja der Markt. Es gibt unterschiedliche Plattformen und Gerätetypen. Und je mehr sich das begradigt und normiert wird, desto wichtiger wird die Frage der Nutzerrechte. In der analogen Welt wird auch nicht kontrolliert, ob ich mein Buch fotokopiere, bevor ich es verkaufe. Warum soll das beim Dateihandel mit Repressionen kontrolliert werden? In diesen Fragen ist ja auch noch viel in Bewegung. Es gibt auch neue Modelle wie die digitale Leihbücherei, wo der Nutzer eben bewusst nur ein paar Wochen Zugriff auf ein Werk hat. Das ist vielleicht auch ein Weg.

Wären Sie auch zufrieden, wenn E-Books billiger werden, weil der Nutzer weniger Rechte hat?

Nein. Im Kern geht es darum: Die Anbieter sollen erst einmal klarstellen, ob sie Käufern oder nur Nutzern gegenüberstehen. Wir haben den grundsätzlichen Konflikt: Wer ist Herr über die Werke? Und wir als Linke haben gesagt, wir wollen, dass die Käufer möglichst selbst entscheiden können, wie sie mit den Werken umgehen. Vor dem Bücherschrank meines Vaters standen auch viele Freunde und Bekannte. Sie haben seine Bücher gelesen und ausgeliehen. Ob ich als Käufer allein auf ein Werk zugreife oder einem anderen Zugang verschaffe, gehört eben zum Risiko des Anbieters. Einen gewissen Kontrollverlust müssen wir im Dateiverkauf auch akzeptieren. So ist das im Leben. Ich kann nicht die völlige Kontrolle behalten. Das läuft sonst auf eine Bevormundung hinaus.

Interview: Alexander Wragge

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