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Klasse und soziale Ungleichheit in China | China | bpb.de

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Klasse und soziale Ungleichheit in China

Yingjie Guo

/ 11 Minuten zu lesen

Jahrzehntelang bildete das Proletariat die gesellschaftliche Vorhut im Arbeiter- und Bauernstaat China. In Zuge der wirtschaftlichen Reformpolitik der Zeit nach Mao unterschied die Partei nicht länger zwischen guten und schlechten Klassen. Wie wirkt sich der ideologische Wandel auf die soziale Gleichheit in China aus?

Der idealisierte Klassenkampf: Im Rückblick auf ihre Gründung vor 100 Jahren feierte die Kommunistische Partei im Juni 2021 all ihre bestandenen Kämpfe mit einer spektakulären Gala-Show. (© picture-alliance, ASSOCIATED PRESS | Ng Han Guan)

Die Einteilung in Klassen und gesellschaftliche Schichten in der Volksrepublik China (VRCh) hat sich im Laufe der Jahrzehnte dramatisch geändert. Dieser Artikel analysiert, in welcher Form und weshalb sich die wichtigsten Veränderungen vollzogen haben. Die Antworten auf diese Fragen werfen nicht nur ein Licht auf die sich ändernden Muster der Klassenbildung und der sozialen Schichtung, sie machen auch den gesellschaftlichen und politischen Wandel in der VRCh insgesamt verständlicher.

Die Mao-Ära: Klasse unabhängig von Wirtschaft

Ganz offenkundig ist der Begriff der Klasse für die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) und die Volksrepublik zentral, nicht zuletzt weil er integraler Bestandteil der marxistisch-maoistischen Ideologie der Partei ist und auch in die Verfassung eingeschrieben ist und in staatlichen Hoheitszeichen wie etwa in der Flagge oder in der Nationalhymne vorkommt. Per Definition ist die Partei eine Klassen-Organisation, die Vorhut des Proletariats, während der Staat laut Verfassung als sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes definiert ist, angeführt vom Proletariat und begründet auf der Verbindung von Arbeitern und Bauern.

Die Kategorie des "Volkes", die zuerst in den frühen 50er Jahren genauer benannt wurde, umfasste die "guten", "revolutionären" Klassen, zu denen die Arbeiterschaft, die Bauern, die Kleinbourgeoisie und die Nationale Bourgeoisie gehörten. Zurecht konnte die KPCh beanspruchen, dass mit der Vollendung der "Bodenreform" (1950-1953), der Kampagne gegen die "Konterrevolutionäre" (1950-1951) und der "Sozialistischen Übertragung des Eigentums an Produktionsmitteln" (1953-1956) die Ausbeutung von Klassen durch andere Klassen abgeschafft war. Denn in der Tat hatten sich all die zunächst identifizierten Klassen bis 1956 in etwas ganz anderes verändert.

Zwischen 1950 und 1953 fand eine Neuverteilung des Grundbesitzes zugunsten der Bauern in der Volksrepublik China statt. Landbesitzer wie dieser Angeklagte in der Provinz Guangdong wurden meist einem sogenannten Volkstribunal vorgeführt, das im Freien Gericht hielt. (© picture-alliance, dpa | UPI)

Die Bourgeoisie, die Großgrundbesitzer und die Reichen Bauern hatten aufgehört, als eigene Klasse zu existieren, nachdem ihnen die Produktionsmittel weggenommen wurden. Die Kleinbourgeoisie, zu der auch die während der Kulturrevolution (1966-1976) unter Beschuss geratenen Intellektuellen gehörten, zählte im offiziellen Klassen-Schema der VRCh ab 1978 nicht länger als Klasse - nachdem sie der "Oberste Führer" Deng Xiaoping zum Proletariat erhoben hatte. Aus den Armen Bauern wurden Landbesitzer, als Einzelperson oder im Kollektiv, und das Proletariat wurde nominell Eigentümer sämtlicher urbaner Produktivvermögen der VRCh.

Wie es um die Klassen auch stand, den eigentlichen Staatskörper der Volksrepublik bildete während der Interner Link: Mao-Ära "das Volk", "die Herren des Landes", die die "bösen", "reaktionären" Klassen wie Kapitalisten, Großgrundbesitzer und Reiche Bauern unterdrückten. Die "guten" Klassen sind seit 1954 in der Nationalflagge und in staatlichen Emblemen repräsentiert, obwohl sich die Kategorisierung der Klassen in China laufend geändert hat. Auch die in der Verfassung verankerte Definition des Staates ist dieselbe geblieben. Während der Mao-Ära wurden politische Macht, gesellschaftlicher Status und die Chancen im Leben unausweichlich nach Kriterien der Klasse differenziert. Gleichheit galt nur innerhalb der einzelnen "guten" Klassen.

Zwar erklärte die Kommunistische Partei 1956 die Auseinandersetzungen zwischen den Klassen in der Volksrepublik für grundsätzlich beendet, ergänzte jedoch, dass der Klassenkampf noch lange Zeit andauern würde - und hielt sich so die Möglichkeit zu weiteren Kampagnen offen. Gleichzeitig fuhr die Partei fort, Bürger nach der Quelle ihres Lebensunterhalts in den drei Jahren vor Gründung der VRCh 1949 zu klassifizieren. Nachkommen, die später geboren wurden, erbten die Zuordnung von ihren Vätern und Großvätern. Diese Etikettierungen fanden in offiziellen Unterlagen bis 2002 Verwendung, wobei die Kategorien der Großgrundbesitzer und der Reichen Bauern 1979 behördlich für ungültig erklärt und allen, die ihnen zugeordnet worden waren, dieselben Rechte wie anderen Bürgern zugesprochen wurden.

Die Praxis der Einordnung in Klassen diente ordnungspolitischen Zwecken; Ziel war, die Zuverlässigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu erschließen und ihr Verhalten auf vielfältige Weise zu kontrollieren. Individuen, die in diesen Kontrollmechanismus gerieten, wurden auf die unterste Stufe der sozialen Rangordnung der VRCh verbannt, in vielerlei Hinsicht ihrer Bürger- und politischen Rechte enthoben. Wenn es um Bildung ging, um eine Anstellung, das berufliche Weiterkommen, die Karrieremöglichkeiten, gesellschaftliche Verbindungen, die Wahl des Ehepartners und viele anderen Lebensbereiche, so hatten diese Menschen schlechte Chancen.

Die Zeit nach Mao: Ein neues Klassensystem entsteht

Die "Interner Link: Reform- und Öffnungspolitik", die 1978 einsetzte, löste im Wesentlichen den Klassenkampf ab. Jetzt sollte das Ziel des Kommunismus mittels wirtschaftlicher Entwicklung erreicht werden, durch Marktwirtschaft und Privatisierung bestimmter Segmente. Diese grundlegende Verschiebung brachte neue ordnungspolitische Prinzipien und andere Arten der materiellen oder symbolischen Belohnung gesellschaftlicher Kräfte mit sich. Die Bedeutung der Klasse wurde nunmehr fast rein symbolisch, jetzt, wo die Partei den Klassenkampf nicht mehr für notwendig hielt. Dabei spielte die Wirtschaft eine viel maßgeblichere Rolle bei der Entstehung von Klassen und sozialen Schichten als während der Mao-Ära. Allerdings ist die Politik als ursächlicher Bestandteil unlöslich mit den wirtschaftlichen Prozessen verwoben.

Ein Meilenstein des ideologischen Wandels der Kommunistischen Partei war Parteisekretär Jiang Zemins Neudefinition der KPCh im Jahr 2001: Die Partei war von da an nicht länger eine Klassen-Organisation, sondern eine nationale Partei, die die "grundlegenden Interessen der überwiegenden Mehrheit des chinesischen Volkes" vertritt. In Jiangs Sinne gehörten zum "Volk" nicht nur die Klassen, die auf der Nationalflagge repräsentiert sind, sondern alle Bürgerinnen und Bürger der Volksrepublik. Für die neuen gesellschaftlichen Gruppen, die sich seit 1978 herausgebildet hatten und zu denen auch Menschen zählten, die mit enormen Kapitaleinsätzen arbeiteten und zu den reichsten des Landes gehörten, wurde eine neue Kategorie geschaffen, die der "Erbauer des Sozialismus". Auch die Arbeiter und Bauern wurden ihr zugerechnet.

Parteisekretär Interner Link: Xi Jinpings Vision des "Chinesischen Traums" bildete 2012 eine weitere wichtige Wegmarke: der Diskurs eines nationalen Strebens mit dem gemeinsamen Ziel der Erneuerung Chinas, der die Kommunistische Partei und die Gesellschaft vereint. Der Chinesische Traum ist viel mehr ein nationales Projekt als eine Klassenbewegung, und er muss national motiviert sein, nicht auf der Basis von Klassen.

Während der gesamten "Reform- und Öffnungsphase" und ganz besonders in der Ära Xi Jinpings hat die KPCh es vermieden, von Klassen oder konfliktträchtigen, gesellschaftlichen Beziehungen zu sprechen, die das Bild nationaler Identität, Einheit, Harmonie und gemeinsamen Wohlstands stören könnten. Jedoch haben die gewaltigen Veränderungen der Produktionsbedingungen in der Post-Mao-Ära die soziopolitische Landschaft Chinas neu gestaltet. Jetzt lassen sich bürgerliche und proletarische Klassen finden, die den Marx'schen Kriterien genügen. Die offiziell klassifizierten Industriearbeiter "haben ihre Welt verloren" und sind nicht länger dem Namen nach die Herren und Privilegierten, sondern Bettler.

Die Klasse spielt nicht länger eine zentrale Rolle bei der gegenwärtigen historischen Mission der Kommunistischen Partei. Viele Chinesinnen und Chinesen gehören inzwischen stattdessen zu Chinas neuer Unterklasse, die sich aus entlassenen Arbeitern der Staatsbetriebe und arbeitslosen oder unterbeschäftigten Stadtbewohnern, die Unterhaltszahlungen der Regierung erhalten, zusammensetzt. Auch die 200 oder 300 Millionen Wanderarbeiter, die in den Städten kein Anrecht auf die gleichen bürgerlichen Rechte und nicht den gleichen Zugang zu Dienstleistungen wie offiziell registrierte Stadtbewohner haben, gehören dieser Unterklasse an. Obwohl sie oft, vor allem in akademischen Werken, als "Chinas neue Arbeiterklasse" bezeichnet werden, gelten die Wanderarbeiter, so lange sie keine städtische Registrierung vorweisen können, offiziell als Bauern.

Aus Sicht der Partei ist es unerheblich, dass das Proletariat nicht länger die fortschrittlichste Kraft ist. Es ist umso besser, dass es nicht mehr den Mainstream - und die Zukunft - der Gesellschaft ausmacht. Denn die neue Mission der Partei gilt der wirtschaftlichen Entwicklung und der Schaffung von Wohlstand. Dafür braucht es viel eher Produzenten und Konsumenten mit ausreichender Kaufkraft als revolutionäre Kräfte, die bereit für den Klassenkampf sind. Der dafür optimale Aufbau der Gesellschaft hat die Form einer Olive, mit einer neuen Mittelklasse, die den Hauptanteil bildet. Es ist daher nicht überraschend, dass die Partei danach trachtet, das Wachstum der oberen Gesellschaftsschicht anzukurbeln, die Anzahl der Ärmsten zu verringern, und dabei die Reichweite der Mitte zu vergrößern.

Vor einiger Zeit hat die KPCh verkündet, dass die "absolute Armut" erfolgreich beseitigt und eine "angemessen wohlhabende Gesellschaft" etabliert worden sei. Jetzt hat die Partei beschlossen, dass die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden der staatlichen Betriebe gedeckelt und die privaten Firmen ermutigt werden müssen, sich in Form von Wohltätigkeit an der "dritten Umverteilung" zu beteiligen. Auch hartes Durchgreifen gegen die Steuerflucht von Stars der Unterhaltungsindustrie sowie die Kontrolle undurchsichtiger Einkünfte von Besserverdienern dienen diesem Ziel.

Trotz Xi Jinpings Bescheidenheitskampagne werden Angebote für Superreiche auch 2021 noch prominent zur Schau gestellt. Auf der China International Import Expo in Shanghai war im November dieser mit 400.000 Edelsteinen verzierte Porsche zu bewundern. (© picture-alliance, Zhu Jipeng / Costfoto | Zhu Jipeng / Costfoto)

Nutzen und Gefahren sozialer Ungleichheit

Gleichzeitig haben sich auch die Vorstellungen von Ungleichheit dramatisch verändert. Die maoistische Betonung der Gleichheit wurde in der ersten Reformphase negativ als "Gleichmacherei" verunglimpft, Ungleichheit dagegen als gut angesehen. Nach Deng Xiaopings Ansicht hinderte die "Gleichmacherei" die Menschen daran, initiativ zu werden und hart zu arbeiten. Von Ungleichheit dagegen würde der Einzelne, aber auch die Gesellschaft als Gesamtheit profitieren. Zu Beginn der Reform- und Öffnungspolitik hatte es deshalb höchste Priorität, das Konzept der "Gleichmacherei" zu verwerfen, zuzulassen, dass die Einkommen in bis dahin ungeahntem Ausmaß auseinanderklafften und manche Menschen, Gruppen und Regionen vor anderen reich wurden.

Ungleichheit der Pro-Kopf-Einkommen in China im Jahr 2019. (bpb, mr-kartographie, Gotha) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Im Jahr 2020 gehörten den oberen 1 Prozent der chinesischen Bevölkerung 30,6 Prozent des gesamten Reichtums. Das Ausmaß der Ungleichheit weckt Zweifel am Anspruch der KPCh, dass die Partei die Interessen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vertritt und für soziale Gerechtigkeit sorgt. Dass Präsident Xi im Jahr 2021 die Abschaffung der "absoluten Armut" und das Erreichen "allgemeinen Wohlstands" erneut betonte, war neben anderen Dingen eine Antwort auf diese Situation.

Die Ungleichheit in der Reform-Ära hat wirtschaftliche und politische Gründe. Einerseits ist sie auf wirtschaftliche Faktoren wie die Verhältnisse hinsichtlich der Produktionsmittel, wirtschaftliches Kapital und durch Besitz ermöglichte Marktkapazität, die Beschäftigungsverhältnisse, Einkommen, Bildungsabschlüsse, Kompetenzen usw. zurückzuführen. Andererseits bleibt die politische Macht ein bestimmender Faktor für die Lebenschancen, und sie spielt weiterhin eine kritische Rolle in Bezug auf die gesellschaftliche Schichtung.

Auf der Mikroebene geht die Ungleichheit im Gegensatz zur Mao-Ära vorrangig auf ökonomische Zusammenhänge zurück, auch wenn die Wirtschaft oft mit der Politik verflochten ist. Auf der Makroebene sind es die politischen Entscheidungen der KPCh, die es Millionen von Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht haben, zuerst reich zu werden, während gleichzeitig Millionen andere an das untere Ende der Gesellschaft verdrängt wurden.

Auch das Registriersystem für Haushalte ist ein politischer Mechanismus, durch den auf der Makroebene die Ungleichheit verstärkt wird. Das Pro-Kopf-Einkommen ist auf dem Land durchschnittlich dreimal so niedrig wie in der Stadt. Noch bis vor kurzem gelang es nur einer kleinen Minderheit der 200 bis 300 Millionen Wanderarbeiter, eine städtische Haushaltsregistrierung sowie dieselben Rechte und Zugänge zu grundlegenden Dienstleistungen wie reguläre Stadtbewohner zu erlangen. Die Mehrheit der Wanderarbeiter wurde in den Städten als Bürger zweiter Klasse behandelt. Auch wenn die Regierung das Haushaltsregistrierungssystem inzwischen reformiert und es den Landbewohnern erleichtert hat, sich in der Stadt anzumelden, bleibt es wegen der hohen Mieten und Hauspreise für die allermeisten schwierig, sich dauerhaft niederzulassen.

Die Wanderarbeiter halten die chinesische Wirtschaft am Laufen und sind doch unterprivilegiert. Wie hier in Jinan in der Provinz Shandong kommen in den chinesischen Großstädten Tag für Tag tausende von Arbeiterinnen und Arbeitern auf der Suche nach Gelegenheitsjobs zusammen. (© picture-alliance, dpa/HPIC | Wang Feng)

Ein weiterer entscheidender Faktor für Ungleichheit ist die Unterteilung der Wirtschaft in unterschiedliche Bereiche. Angestellte des Parteienstaates werden im Allgemeinen besser bezahlt und sind sozial besser abgesichert als andere, die außerhalb des Systems arbeiten. Angestellte der vom Staat kontrollierten Wirtschaftsbereiche - wozu der Finanzsektor, das Versicherungswesen, Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke, Transport- und Lagerunternehmen, Post und Telekommunikation gehören - verdienen sehr viel mehr als Angestellte anderer Wirtschaftsfelder. Das durchschnittliche Einkommen von Angestellten des öffentlichen Sektors ist im Allgemeinen höher als das von Angestellten in der Privatwirtschaft. 2019 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen von Angestellten der Staatsunternehmen 98.899 Yuan, in der Privatwirtschaft lag es bei 53.604 Yuan.

Auf der Mikroebene ist die Rolle des Staates bei der sozialen Schichtung weniger offensichtlich, zum Teil weil es vielen Menschen während der Reform-Ära durch eigene Anstrengungen gelungen ist, "zuerst reich zu werden". Trotzdem ist der wirtschaftliche Erfolg des Einzelnen keinesfalls unabhängig von der Politik, zumal es Bürgerinnen und Bürger gibt, die direkt oder indirekt von politischen Netzwerken oder durch Bestechung profitiert haben - auch wenn die Größenordnung dieser Fälle schwer feststellbar ist.

Ideologische Widersprüche und politische Unsicherheit

Der Wechsel der KPCh weg von Maos chinesischer Revolution hin zu wirtschaftlicher Entwicklung hat das Klassen-Schema der Volksrepublik verändert und neue kausale Zusammenhänge für Ungleichheit geschaffen. Diese Veränderungen entkräfteten auch die Annahmen, die in der Vergangenheit die ideologische Untermauerung für die Verteilung materieller und symbolischer Belohnungen innerhalb der Gesellschaft bildeten. In der Folge hat die Kommunistische Partei andauernd mit ideologischen Unstimmigkeiten und Widersprüchen zwischen ihrer offiziell verkündeten Ideenlehre und der tatsächlichen Praxis zu kämpfen. Schlicht gesagt gelingt es ihrer Ideologie nicht, die pragmatischen Reformen zu legitimieren.

Obwohl das Konzept der Klassen in der Post-Mao-Ära zunehmend bagatellisiert wurde, bleibt es in der politischen Realität eine große Herausforderung für die Partei. Denn viele der "guten" Klassen der Mao-Ära gehören jetzt, in Zeiten von "Reform und Öffnung", zu den Verlierern, während auf Seiten der Gewinner neben den Profiteuren von festgeschriebenen politischen Privilegien die ehemals als schlecht angesehenen Klassen zu finden sind. Die Verlierer können die Schuld für ihren schwindenden Status und Wohlstand mit Fug und Recht nicht nur bei der Marktwirtschaft, sondern auch bei der Partei suchen. Und die Gewinner haben allen Grund, politische Veränderungen und Unsicherheit zu fürchten. Ungleichheit wird gleichzeitig gefördert und gebremst, um einerseits ökonomische Anreize zu schaffen, andererseits die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Allgemeiner Wohlstand ist eine attraktive Botschaft, ob er aber erreicht werden kann, bleibt fraglich.

Übersetzung vom Englischen ins Deutsche: Sabine Peschel

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die fünf Sterne auf der chinesischen Nationalflagge symbolisieren die vier Werktätigenklassen: Arbeiter, Bauern, Kleinbürger und "patriotische Kapitalisten", der große Stern steht für die Kommunistische Partei. In einer anderen Lesart stehen die fünfstrahligen Sterne für China, die Mandschurei, Mongolei, Xinjiang und Tibet.

  2. Jiang, Zemin (2001), ‘Zai qingzhu Zhongguo gongchandang chengli bashi zhounian dahui shang de jianghua’ (Rede anlässlich der Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas), in Jiang Zemin, Lun sange daibiao (Über die Ideen des dreifachen Vertretens), Beijing: Zhongyang wenxian chubanshe, S. 169.

  3. Blecher, M. (2002) "Hegemony and Worker’s Politics in China", in The China Quarterly, Nr. 170, S. 283-303: 283.

  4. Solinger, D. (2004), "The New Crowd of the Dispossessed: The Shift of the Urban Proletariat from Master to Mendicant", in Peter Gries und Stanley Rosen (Hg.), State and Society in 21st-Century China: Crisis, Contention, and Legitimation, New York und London: RoutledgeCurzon, S. 50.

  5. Um Xi Jinpings Kurs auf den "Wohlstand für alle" zu folgen, muss der Staat sein Sozial- und das Steuersystem reformieren. Direkte Steuern wie Erbschafts-, Immobilien und Vermögenssteuer sollen erhöht oder überhaupt erst eingeführt werden. Neben Transferzahlungen und Steuern soll noch eine dritte Umverteilung den "Bauch der Olive" stärken: Reiche Individuen und gewinnstarke Unternehmen sollen in Form von hohen Spenden an die Gesellschaft zurückgeben.

  6. Deng, Xiaoping (1993), "Zai Wuchang, Shenzhen, Zhuhai, Shanghai dengdi de tanhua yaodian" (Wesentliche Punkte der Reden in Wuchang, Shenzhen, Zhuhai, Shanghai und an anderen Orten), in: Deng Xiaoping, Selected Works of Deng Xiaoping, Band 3, Beijing, Renmin chubanshe.

  7. Das System hat eine Geschichte von mehr als 2000 Jahren. Die Volksrepublik führte 1951 ein neues System ein, das dazu diente, die persönlichen Daten der Mitglieder eines Haushalts zu registrieren. Ab Mitte der 1950er Jahre entwickelte es sich zu einem politischen Werkzeug, mittels dessen die Binnenmigration kontrolliert wurde. Ab den späten 50er Jahren bis in die beginnenden 80er Jahre war es sehr schwierig für Bürger der Volksrepublik, längere Zeit in Dörfern oder Städten zu leben, in denen sie nicht registriert waren - nicht zuletzt weil Lebensmittel rationiert waren und nur an Bürgerinnen und Bürger verkauft werden durften, die eine Anmeldebescheinigung oder Lebensmittelkarten besaßen. Während der 60er und 70er Jahre waren auch Öl, Zucker, Kleidung und Stoffe weitgehend rationiert, nachdem Chinas Wirtschaft als Auswirkung der politischen Kampagnen, der sich verschlechternden Beziehungen zur Sowjetunion und in der Folge von Naturkatastrophen stark geschrumpft war. Für Menschen mit einer dörflichen Registrierung war es besonders schwer, in einer Stadt eine Haushaltsanmeldung zu bekommen. Das System wurde ab 1978 weniger effizient, nachdem die Regierung die Kontrolle über die Binnenmigration gelockert und einer großen Zahl von bäuerlichen Wanderarbeitern erlaubt hatte, in städtischen Regionen zu arbeiten.

  8. Nationales Statistikamt der Volksrepublik China, China Statistical Yearbook 2020. Externer Link: http://www.stats.gov.cn/tjsj/ndsj/2020/indexch.htm

Weitere Inhalte

Yingjie Guo ist Professor für Sinologie an der Universität Sydney. Seine Forschungsschwerpunkte sind Chinas kultureller Nationalismus und chinesische kulturelle Identitäten sowie der Klassendiskurs im Post-Mao-China. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehören "Unequal China: Political Economy and Culture Politics, Handbook of Class and Stratification in the People’s Republic of China" sowie "Local Elites in Post-Mao China".