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Das chinesische Wirtschaftsmodell im Wandel | China | bpb.de

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Das chinesische Wirtschaftsmodell im Wandel

Tobias ten Brink

/ 13 Minuten zu lesen

Seit den 1980er Jahren wuchs Chinas Wirtschaft und der Wohlstand der Bevölkerung kontinuierlich. Dafür musste China seine Wirtschaft umbauen. Welche Antriebskräfte steckten dahinter und wie wurde auf nationale sozio-ökonomische Probleme reagiert?

In einer chinesischen Fabrik in Huai'an in der Jiangsu Provinz arbeiten Mitarbeiter/-innen an der Fertigung von Druckleiterplatten für Smartphones. (© picture-alliance/dpa, Zhao Qirui/VCG, MAXPPP)

Die chinesische Wirtschaft ist für viele im Westen ein Paradoxon. Die Volksrepublik konnte den Lebensstandard und seine Wirtschaftsleistung seit den 1980er Jahren kontinuierlich steigern, womit eine Kommunistische Partei praktisch den größten Wirtschaftsaufschwung in der Geschichte der Moderne mitsteuerte. Zudem verbindet der mit dem historischen Erbe Chinas verbundene Versuch einer nationalen Entwicklung zwei Aspekte, die zuvor konkurrierenden Projekten der Moderne zugeordnet wurden: das der Vermarktlichung und das des Parteistaates. Faktisch hat dies eine kapitalistisch dominierte Gesellschaft neuen Typs hervorgebracht, in der der Parteistaat zwar auf Märkte setzt, diese jedoch mehr als andere Regierungen massiv zu steuern versucht.

Bis Ende der 2000er Jahre dominierte bei westlichen Unternehmen und Wirtschaftspolitikerinnen und -politikern eine Begeisterung über die scheinbar unbegrenzten Geschäftspotenziale, die diese wirtschaftliche Dynamik verhieß. In den letzten Jahren hat dagegen eine erhebliche Verschlechterung der internationalen Beziehungen Chinas mit westlichen Ländern stattgefunden, bis hin zu einem Interner Link: Handelskonflikt mit den USA und eskalierenden Feindseligkeiten während der Coronakrise. Dabei lässt die westlichen Machteliten vor allem eines immer nervöser werden: Chinas Wirtschaftsmodell fungiert nicht mehr länger allein als Werkbank der Welt, als kostengünstige Montage- und Fertigungsstätte für Exportprodukte, und als riesiger Binnenmarkt, auf dem beispielsweise deutsche Unternehmen Autos und Maschinen absetzen, sondern strebt zunehmend selbst nach wettbewerbsfähigen Unternehmen und technologischer Konkurrenzfähigkeit.

Die Phase einer wohlwollenden Anwerbung ausländischer Direktinvestitionen ab den 1990er Jahren vor dem Hintergrund technologischer Rückständigkeit wird nunmehr überlagert von dem Ziel der durch den Parteistaat beförderten autonomen Entwicklung. Hierzu gehört der großangelegte Versuch unter Staatspräsident Interner Link: Xi Jinping, die Wirtschaft besser zu kontrollieren und enge Verbindungen mit Unternehmen aufrechtzuerhalten bzw. zu vertiefen. In den letzten Jahren gewannen das technologische Upgrading und der langfristige Plan moderne digitale Technologien zu beherrschen an Bedeutung – mit einigen Erfolgen, wie Studien belegen. Eine Folge der verbesserten technologischen Leistungsfähigkeit der einheimischen Wirtschaft ist zugleich der zurückgehende Bedarf an ausländischen Investitionen. Die noch bis Ende der 2000er Jahre gewährte Vorzugsbehandlung für ausländische Unternehmen, vor allem Steuerbefreiungen, wurde in diesem Zusammenhang verringert.

Dieser Beitrag beleuchtet einige Antriebskräfte für den Wandel des chinesischen Wirtschaftsmodells und zeigt auf, wie der Parteistaat auf landesinterne sozio-ökonomische Probleme reagiert. Ein Fokus liegt zudem auf der chinesischen Sorge davor, in die "Falle mittlerer Einkommen" zu tappen, d.h. in eine längere Phase stagnierender Wirtschaftsleistung. Diese Befürchtung hat erhebliche Maßnahmen besonders im Bereich der Weiterentwicklung von Technologien und der Qualifizierung von Arbeitskräften vorangetrieben, was die Konkurrenzfähigkeit Chinas in der Weltwirtschaft aufwertete – und auf internationaler Ebene Missfallen auslöste. Die Weiterentwicklung der chinesischen Wirtschaft, so die Wahrnehmung vieler im Westen, gefährdet eine bestehende, funktionierende Ordnung, nämlich die liberale, westlich-dominierte Weltwirtschaft. Um dies nachvollziehbar zu machen, werden zunächst wichtige Merkmale des chinesischen Kapitalismus erläutert, die der Erklärung des historischen Wachstumsschubes aber auch von jüngeren Wachstumsproblemen dienen.

Der Wirtschaftsboom der 2000er Jahre

Grob vereinfacht lässt sich das chinesische "Wirtschaftswunder" in zwei Phasen einteilen: Von den 1980er Jahren, dem Beginn der Reform und Öffnung des Landes, bis zur Jahrtausendwende konnte China enorm von Produktivitätsentwicklungen profitieren, die mit der weitreichenden Industrialisierung einhergingen. Ein weiterer Vorteil der nachholenden Entwicklung war das schier unerschöpfliche Angebot an preisgünstigen Arbeitskräften. Zudem profitierte China von der Phase der liberalen Globalisierung: Günstige wirtschaftliche Konstellationen ermöglichten es, Teile der Wirtschaft auf den Interner Link: Export auszurichten. Eine Verschiebung des Zentrums der globalen Wertschöpfung in Richtung Ostasien ab den 1980er Jahren verwandelte das chinesische Festland in einen strategischen Standort an der einstigen Peripherie. Eine Voraussetzung hierfür bildeten technologische Fortschritte hinsichtlich der Kommunikation in und zwischen Unternehmen, die die Möglichkeiten einer Auslagerung relevanter Arbeitsprozesse verbesserten. Große westliche Konzerne konnten so Teile komplexer Produktionsprozesse an Subunternehmer in unterentwickelten Regionen delegieren. Bekannt wurde etwa der riesige taiwanesische Kontraktfertiger Foxconn, der auf dem chinesischen Festland Smartphones und Laptops u.a. für Apple montiert. Westliche Industrieunternehmen beförderten damit die Industrialisierung Chinas. Darüber hinaus trug die autoritäre politische Administration der Volksrepublik zur nachholenden Entwicklung bei, indem sie Märkte und einheimische Unternehmen entschlossen förderte.

Chinas Kapitalismus

Seit den 2000er Jahren fügten sich dann zentrale Wirtschaftsinstitutionen zu einer nach quantitativen volkswirtschaftlichen Effizienzkriterien erfolgreichen Spielart des staatlich-durchdrungenen Kapitalismus zusammen. Die fortwährende Reinvestition von Kapital und das Ziel der Profitmaximierung setzte sich in der Volksrepublik vor dem Hintergrund einer Verschiebung der Kontrollkapazitäten von staatlichen Behörden auf das Management zahlloser Unternehmen durch. Eine gemischte Wirtschaft regelt diese Beziehungen. Während reformierte Staatsunternehmen nach wie vor bedeutende Sektoren der Wirtschaft wie etwa die Schwerindustrie, den Transport- und Energiesektor dominieren, konnten besonders auf subnationalen Ebenen staatsnahe Privat- und Mischunternehmen an Bedeutung gewinnen.

Eine Besonderheit dieses Wirtschaftsmodells liegt in der Bedeutung von privat-öffentlichen Wachstums- oder Upgrading-Koalitionen: Im Gegensatz zu früheren Formen des Staatskapitalismus agiert der Staat hier nicht vorwiegend als eine zentral steuernde Einheit. Staatliche Einflussnahme beruht auch und gerade auf engen lokalen Koalitionen, typischerweise bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern von Lokalregierungen und lokalen Unternehmen. Die lokalen Wachstumskoalitionen befinden sich in einem Standortwettbewerb mit anderen lokalen Bündnissen und überbieten sich bei der Einwerbung und Anlage von industriellen sowie hiermit verbundenen infrastrukturellen Investitionen. So etablierte sich ein Setting, in dem lokale politische Entscheidungsträger/-innen ein privaten Eigentümer/-innen ähnelndes wirtschaftliches Verhalten entwickelten. Durch die permanente Konkurrenz zwischen den lokalen Koalitionen führte dieser Koordinationsmechanismus in den 2000er Jahren nicht in erster Linie zu entwicklungshemmender Rentenabschöpfung bzw. Korruption, sondern entfaltete eine ökonomisch produktive Wirkung. Bei aller Vielfalt der industriellen Produktionsregime in unterschiedlichen Landesteilen erwiesen sich diese dem BIP-Fetischismus verpflichteten Wachstumskoalitionen, die zudem keinerlei Partizipationsrechte der arbeitenden Bevölkerung vorsehen, als förderliche Grundlage des stark auf industriellen Wertschöpfungsprozessen basierenden Entwicklungspfades.

Langfristige Strategien durch finanzielle Sonderkonditionen

Neben den Wachstumskoalitionen förderten weitere institutionelle Besonderheiten ein vergleichsweise kohärentes Wirtschaftsmodell. Dazu gehören produktive Querwirkungen zwischen den Sphären Unternehmenskontrolle und Investitionsfinanzierung: Große Unternehmen werden in einem hohen Maße von nationalen, häufig parteistaatlichen Akteuren, kontrolliert, während der Einfluss transnationaler Investoren auf diese Unternehmen gering ist. Komplementär hiermit verbunden ist eine herausragende Rolle für national kontrollierte Kreditinstitute, die einen beträchtlichen Beitrag zur Unternehmensfinanzierung leisten. Die durch nationale Kreditinstitute sichergestellte Investitionsfinanzierung versorgt große nationale Unternehmen, darunter viele staatseigene Unternehmen, reichlich und zu Sonderkonditionen mit Finanzmitteln, wodurch diese vergleichsweise sichere mittel- bis langfristige Strategien verfolgen können.

Alles in allem konnten sich große chinesische Unternehmen nicht nur darauf verlassen, bevorzugte landesinterne Kanäle zur Investitionsfinanzierung nutzen zu können, sondern auch darauf, dass die Kontrolle ihrer Unternehmen in wenigen, gut vernetzten einheimischen Händen liegt. Zudem vertrauten sie darauf, dass ihre guten Verbindungen zu staatlichen Stellen dafür sorgen, dass ausländische Firmen zwar technologische Innovationen ins Land bringen – im Rahmen von "Techniktransfer für Marktzugang"-Tauschgeschäften – aber durch entsprechende Restriktionen daran gehindert werden, ihre Entwicklungsvorteile auszuspielen und damit lokale Unternehmen zu verdrängen. Zudem versuchten chinesische Konzerne und lokale Behörden beispielsweise über Joint Ventures (JV) einen Technologietransfer zu organisieren, allerdings nicht immer sehr erfolgreich. Ein klassisches Beispiel sind internationale Automobilhersteller, die seit den 1980er Jahren nur gemeinsam mit einem JV- Partner eine Fertigung in China aufbauen durften.

Nachlassendes Wirtschaftswachstum und neue Herausforderungen

Nach der globalen Krise von 2008/09 und den hiermit in Verbindung stehenden großen Konjunkturprogrammen der chinesischen Regierung konnten zwar im internationalen Vergleich nach wie vor relativ hohe Wachstumsraten des Interner Link: Bruttoinlandsproduktes erzielt werden. Doch die Werte der 2000er Jahre wurden nicht mehr erreicht. Vor diesem Hintergrund wurden in der innerchinesischen wie westlichen Forschung Herausforderungen für das Wirtschaftsmodell thematisiert, mit sehr heterogenen Befunden. So erwarten einige Autorinnen und Autoren eine signifikante Destabilisierung des Wirtschaftsmodells, etwa durch Überschuldung. Andere führen dagegen Gründe für eine grundlegende Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an. Dagegen präsentiert die chinesische Regierung die niedrigeren Wachstumsraten als den "neuen Normalzustand" eines gemächlicheren aber qualitativ hochwertigeren Wachstums.

Drei der zentralen Herausforderungen für das Wirtschaftsmodell lassen sich wie folgt skizzieren: Erstens kam es zu einer Destabilisierung des Systems der Investitionsfinanzierung. Exemplarisch stehen hierfür Probleme der Überkapazitäten und der Interner Link: Überschuldung, die nur bedingt steuerbar sind. Als Beispiel können Wirtschaftsskandale in der nordöstlichen Provinz Liaoning (u.a. Handel mit politischen Mandaten und Fälschung offizieller Statistiken) dienen, die in Verbindung mit den überreichlich vorhandenen Finanzmitteln für große Unternehmen stehen. Die gegen diese Kehrseite des Systems gerichteten "angebotsseitigen Strukturreformen" zielten ab Ende 2015 dementsprechend auf die Beseitigung der Probleme der industriellen Überkapazitäten und der Überschuldung von Unternehmen bzw. der Verschuldung verbundener Lokalregierungen. Nicht überall scheinen die Maßnahmen zur Reduzierung des Verschuldungsgrades von Unternehmen und Lokalregierungen jedoch zu greifen. Industriemetropolen mit besonders hohen Schuldenlasten wie Shenyang und Wuhan wurden daher durch Finanzmittel der Zentralregierung unterstützt.

Autonomieverlust und Anti-Korruptionsbekämpfung unter Xi Jinping

Die hiermit verbundene, auf eine Stärkung des Parteiapparates orientierte Macht-Rezentralisierung unter Xi Jinping ist in diesem Zusammenhang als ein Versuch zu verstehen, diese Instabilitäten zu beseitigen. Die Parteimacht in Politik und Wirtschaft ist seit 2013 durch den Neuaufbau bzw. die Aufwertung vorhandener Strukturen gestärkt worden, etwa durch die Zentrale Führungsgruppe zur umfassenden Vertiefung der Reformen. Zudem werden, sehr zum Missfallen des Westens, auch und gerade Staatsunternehmen unterstützt und Privatunternehmen stärker reguliert, selbst Giganten wie der Internetkonzern Alibaba. Ob sich damit das Ziel größerer sozio-ökonomischer Stabilität erreichen lässt, ist fraglich, denn gleichzeitig war in den Jahren vor der Coronakrise eine sinkende Investitionsbereitschaft auf lokaler Ebene zu beobachten.

Dies steht, zweitens, mit einer weiteren Herausforderung in Verbindung: den großen Antikorruptionskampagnen der Regierung seit 2013. Grassierende Korruption in den 2010er Jahren war Ausdruck einer Legitimationskrise der Kommunistischen Partei. In der chinesischen Diskussion fand das Phänomen der "Günstlingswirtschaft" (renren weiqin) große Aufmerksamkeit, die das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Parteistaatsorganisation erschütterte. Der Kampf gegen ebendiese Korruption, der der Stabilisierung des Parteistaates dient, destabilisierte jedoch zugleich den nicht-liberalen Koordinationsmechanismus der lokalen Wachstumskoalitionen, die bis dato beinahe ungehindert agieren konnten. In den letzten Jahren ist daraufhin eine Selbstbeschränkung und der Verlust an Autonomie bei lokalen Verwaltungen zu beobachten. Zwar ist es eher unwahrscheinlich, dass es hiermit zur dauerhaften Lähmung der Wachstumskoalitionen kommt. Doch hat diese Entwicklung das Geschäftsklima verschlechtert, was nachteilig auch für viele ausländische Unternehmen ist, die in China tätig sind oder es werden wollen.

Angst vor der "Falle der mittleren Einkommen"

Drittens sieht sich die chinesische Machtelite durch das Problem der sogenannten "Falle der mittleren Einkommen" bedroht: Mit dem starken Wachstum in China gingen steigende Löhne und ein höherer Lebensstandard einher – von 1998 bis 2010 wuchsen die Reallöhne von Industriearbeiterinnen und -arbeitern jährlich um etwa 10 %. Doch damit stiegen auch die Produktionskosten, was die Wettbewerbsfähigkeit schwinden lässt. Daraus ergibt sich folgendes Szenario: Die Interner Link: Volkswirtschaft kann nicht mehr mit den Billiglohnländern mithalten, ist aber auch noch nicht so weit entwickelt, dass sie in Bezug auf die technologische Qualität der Produkte mit den am höchsten entwickelten Industrieländern konkurrieren könnte. Wirtschaftliche Interner Link: Stagnation wäre die Folge. Solch eine Lage hat bereits eine Reihe anderer Volkswirtschaften in diese Situation geführt, darunter Schwellenländer wie Brasilien oder Mexiko. Die Staatsführung versucht daher, mit mehr Nachdruck als je zuvor, durch Upgrading-Maßnahmen die "Falle der mittleren Einkommen" zu umgehen und den Sprung zu einer Industrienation mit durchschnittlich hohen Einkommen zu schaffen. Produktivitätsfortschritt wird vor allem durch technologische Entwicklung angestrebt. Umfangreiche Programme im Bereich der Technologieentwicklung wie die "Made in China 2025"-Strategie waren die Folge, ergänzt um steigende Bildungsausgaben.

Das Ergebnis: In vielen Bereichen wie der Unterhaltungselektronik, Internettechnologie, Künstlicher Intelligenz oder Elektroautos haben chinesische Unternehmen durch hohes Lerntempo ihre technologische Rückständigkeit überwunden. Das Spektrum, in dem China noch von westlichen Investitionen und dem damit verbundenen Technologieimport profitieren kann, wird enger. Die chinesische Wirtschaft ist mit anderen Worten von der verlängerten Werkbank der Welt zum ernstzunehmenden Konkurrenten avanciert.

Ausblick

Das chinesische Wirtschaftsmodell ist nach der Phase des extrem hohen Wachstums in den 2000er Jahren mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert – auch bereits vor der Coronakrise. Die wirtschaftspolitische Reaktion hierauf, vor allem seit den 2010er Jahren: Eine weitaus härtere Gangart der chinesischen Regierung beim Versuch der Wirtschaftsregulierung und entschlossene Upgrading-Aktivitäten, um den Übergang in eine innovationsgetriebene Entwicklungsphase einzuleiten, auch und gerade um die Falle mittlerer Einkommen zu umgehen. Noch ist es zu früh, eine abschließende Bewertung des Wandels des chinesischen Wirtschaftsmodells vorzulegen. Doch eines ist sicher: Was landesintern vergleichsweise einfach zu legitimieren ist, stößt im Westen auf Ablehnung, wenn nicht auf aktive Gegenwehr.

Nüchtern betrachtet, konnte China als eine aufholende Wirtschaftsmacht, ähnlich wie andere Wirtschaften in früheren Entwicklungsphasen, von den Entwicklungsvorsprüngen der dominanten Ökonomien profitieren. Bis in das Jahr 2008 konnten Konflikte zwischen China und den westlichen Volkswirtschaften – um Handelsungleichgewichte, Währungskurse, Verletzungen von gewerblichen Schutzrechten etc. – begrenzt werden. Doch nicht auf Dauer, denn die chinesische Wirtschaftsentwicklung bringt eine Kräfteverschiebung mit sich: Zwar sind noch immer viele chinesische Unternehmen als untergeordnete Teile in die transnationalen Produktionsverbünde großer westlicher Unternehmen eingebunden und auch den Großteil der Profite erzielen letztere. Doch die Unternehmen der entwickelten Volkswirtschaften schufen sich in den letzten Jahrzehnten zugleich neue Konkurrenten in dem Maße, wie sie selbst versuchten, vom Wachstum auf dem chinesischen Festland zu profitieren.

Deshalb darf es eigentlich nicht verwundern, wenn chinesische Unternehmen bzw. die eng mit diesen verbundenen politischen Machteliten in vielfältiger Weise die einstige, untergeordnete Bedeutung als Werkbank der Welt zu reduzieren suchen und in bestimmten Bereichen wie den digitalen Technologien konkurrenzfähiger werden. All dies führt zu einer neuen, konfliktträchtigeren Lage – ob bewusst von der chinesischen Regierung herbeigeführt, wie viele im Westen denken, oder nicht.

Die Tatsache, dass die chinesische Wirtschaft als Erste der großen Volkswirtschaften weltweit im Gefolge der Coronakrise wieder an Fahrt aufnimmt, verringert das Konfliktpotential nicht. Jüngst hat der Aufschwung in China bereits wieder den Export etwa elektronischer Produkte beflügelt. Es ist absehbar, dass westliche Staaten es nicht endlos zulassen werden, dass die Finanzmittel aus Konjunkturpaketen, mit denen sie eigentlich die Binnennachfrage steigern wollen, in die Volksrepublik transferiert werden. Insofern ist es auch fraglich, ob der von der chinesischen Regierung erwünschte sanfte Übergang zu einer harmonischeren Beziehung unter dem neuen US-Präsidenten Biden wirklich eintreten wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe ten Brink, Tobias (2019): China's Capitalism. A Paradoxical Route to Economic Prosperity. Philadelphia: University of Pennsylvania Press; McNally, Chris (2012): Sino-Capitalism: China’s Reemergence and the International Political Economy, World Politics, 64: 4, 741-776; vgl. Heberer, Thomas/Müller, Armin (2020): Entwicklungsstaat China: Politik, Wirtschaft, sozialer Zusammenhalt und Ideologie: Friedrich Ebert Stiftung.

  2. Vgl. Breznitz, Dan/Murphree, Michael (2011): Run of the Red Queen: Government, Innovation, Globalization, and Economic Growth in China. New Haven and London: Yale University Press; Murphy, Flynn (2017): China’s Silicon Valley. Nature, 545, 29-31.

  3. Freilich sorgten für diesen Erfolg auch internationale Faktoren, wie etwa der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001, der den globalen Handel mit China beförderte. Vgl. ten Brink 2019.

  4. Vgl. Oi, Jean C. (1995): The Role of the Local State in China's Transitional Economy. The China Quarterly, 144, 1132-1149; Kostka, Genia/Zhou, Jianghua (2013): Enterprise-government alliances in state capitalist economies: Evidence from low-income markets in China. Business and Politics, 15:2, 245-274; ten Brink 2019: 95-99. Zum Vergleich Chinas mit anderen großen Schwellenländern, siehe: May, Christian/Nölke, Andreas/ten Brink, Tobias (2019): Public-Private Coordination in Large Emerging Economies: The Case of Brazil, India and China. Contemporary Politics, 25:3, 276-291.

  5. Zum Vergleich des chinesischen Systems der Investitionsfinanzierung mit dem in Indien, Brasilien und Südafrika, siehe Nölke, Andreas/ten Brink, Tobias/Claar, Simone/May, Christian (2020): State-permeated Capitalism in Large Emerging Economies. Basingstoke: Routledge.

  6. Prud'homme, Dan (2019): Reform of China’s ‘Forced’ Technology Transfer Policies, Externer Link: https://www.law.ox.ac.uk/business-law-blog/blog/2019/07/reform-chinas-forced-technology-transfer-policies.

  7. Dieser Zwang ist in den letzten Jahren schrittweise gelockert worden. Vgl. zudem Chin, Gregory T. (2018): The Evolution of Government-MNC Relations in China: The Case of the Automotive Sector, in: Zhang, Xiaoke/Zhu, Tianbiao (Hrsg.) (2018): Business, Government and Economic Institutions in China. London. Palgrave Macmillan, 81-104.

  8. Vgl. Shambaugh, David (2016): China's Future. Cambridge: Polity Press; Klein, Matthew/C. Pettis, Michael (2020): Trade Wars Are Class Wars: How Rising Inequality Distorts the Global Economy and Threatens International Peace. New Haven: Yale University Press.

  9. Vgl. Naughton, Barry/Tsai, Kellee (Hrsg.) (2015): State Capitalism, Institutional Adaptation, and the Chinese Miracle. New York: Cambridge University Press; Lardy, Nicholas R. (2019): China's Economic Growth Falls Short of Potential, Externer Link: https://www.piie.com/commentary/op-eds/chinas-economic-growth-falls-short-potential.

  10. Naughton, Barry (2016): Supply-Side Structural Reform at Mid-year: Compliance, Initiative, and Unintended Consequences. China Leadership Monitor, Externer Link: https://www.hoover.org/research/supply-side-structural-reform-mid-year-compliance-initiative-and-unintended-consequences.

  11. Vgl. zum historischem Wandel der Steuerungstätigkeit des Parteistaates: Schubert, Gunter/Alpermann, Björn (2019): Studying the Chinese Policy Process in the Era of ‘Top-Level Design’: The Contribution of ‘Political Steering’ Theory. Journal of Chinese Political Science, 24, 199–224.

  12. Eine nuancierte Analyse bietet: Ang, Yuen Yuen (2020): China's Gilded Age. The Paradox of Economic Boom and Vast Corruption. Cambridge University Press.

  13. Gill, Indermit S./Kharas, Homi (2015): The Middle-Income Trap Turns Ten, Policy Research Working Paper 7403, World Bank Group, siehe: Externer Link: http://documents1.worldbank.org/curated/en/291521468179640202/pdf/WPS7403.pdf.

  14. Vgl. Li, Hongbin/Li, Lei/Wu, Binzhen/Xiong, Yanyan (2012): The End of Cheap Chinese Labor. The Journal of Economic Perspectives, 26:4, 57-74.

  15. Für eine Analyse der Orientierung auf den Binnenmarkt, jüngst von der chinesischen Regierung wieder einmal neu formuliert, diesmal als Strategie der „dualen Zirkulation“, siehe South China Morning Post (2020): Externer Link: https://www.scmp.com/economy/china-economy/article/3110184/what-chinas-dual-circulation-economic-strategy-and-why-it.

  16. Vgl. Liu, Xielin/Schwaag Serger, Sylvia/Tagscherer, Ulrike/Chang, Amber Y. (2017): Beyond catch-up—can a new innovation policy help China overcome the middle-income trap? Science and Public Policy, 44:5, 656-669; Hirn, Wolfgang (2020): Shenzhen. Die Weltwirtschaft von morgen. Frankfurt a.M.: Campus; Zenglein, Max J./Holzmann, Anna/Wessling, Claudia (2020): Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten. Auswirkungen auf Europa. Externer Link: https://merics.org/de/studie/chinas-streben-nach-dominanz-globalen-zuliefer-und-wertschoepfungsketten-auswirkungen-auf.

  17. Aktuelle Informationen zu diesen und anderen Problemen wie etwa der hohen Abhängigkeit des Wirtschaftswachstums von öffentlichen Infrastrukturausgaben sind zu finden auf: Externer Link: https://carnegieendowment.org/chinafinancialmarkets. Und hier: Externer Link: https://www.csis.org/programs/chinese-business-and-economics.

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Tobias ten Brink ist Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Chinas und Leiter des China Global Center an der Jacobs University Bremen. Seine aktuelle Forschung konzentriert sich auf die sozio-ökonomische Entwicklung in China und die internationalen Folgen des Aufstiegs der Volksrepublik, mit einem Fokus auf Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie das chinesische Innovationssystem, basierend vorwiegend auf Ansätzen der Vergleichenden und Internationalen Politischen Ökonomie.