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China – vom Sturz der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart | China | bpb.de

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China – vom Sturz der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart

Nicola Spakowski

/ 14 Minuten zu lesen

Eine kurze Zeitreise durch Chinas Geschichte seit dem Ende des chinesischen Kaiserreichs vor dem Hintergrund globalhistorischer Entwicklungen.

"Vereint schreiten die Massen von Sieg zu Sieg", so die Propaganda 1957. Seit dem späten 19. Jahrhundert verfolgt die politische Elite das Ziel, China "reich und stark" zu machen - unter wechselnden ideologischen Vorzeichen. (© picture-alliance/dpa, HPIC ICC)

Mit dem Ende des chinesischen Kaiserreichs 1911 trat China in eine wechselvolle Geschichte ein, in deren Verlauf das Land vom halbkolonialen Staat an der Peripherie der Weltpolitik zur Großmacht aufstieg. Diese Geschichte verlief allerdings keineswegs linear, sondern war von Brüchen geprägt, die jeweils neuen globalen Konstellationen und Regimewechseln auf nationaler Ebene geschuldet waren. Über den gesamten Zeitraum war die politische Elite darum bemüht, den Entwicklungsrückstand des Landes aufzuholen und China "reich und stark" zu machen. Der Einhelligkeit im Ziel standen aber divergierende Ansichten über den Weg dorthin gegenüber: Welche Ideologie oder Regierungsform, welches Modell oder ausländische Vorbild passte am besten zu den Besonderheiten des Landes? Die Auseinandersetzungen um den richtigen Weg waren dabei verquickt mit dem Kampf um die Herrschaft über das Land.

Die folgende Darstellung gibt einen Überblick über die Hauptkapitel dieser mehr als hundertjährigen Geschichte: Republikzeit (1912-1949), sozialistische Phase der Volksrepublik unter Mao Zedong (1949-1976) und postsozialistische Phase seit 1978. Sie zeigt die globalhistorischen Bezüge der chinesischen Entwicklung auf und benennt die Ansätze, mit denen wechselnde Regime und konkurrierende Parteien China "reich und stark" machen wollten.

Die Republikzeit (1912-1949)

Die chinesische Republikzeit fiel in eine weltgeschichtlich bewegte Zeit, deren zentrale Entwicklungen und Ereignisse sich auch in China manifestierten: Revolutionen und Auflösung von Imperien, Imperialismus und Konflikte zwischen Großmächten, die in zwei Weltkriegen eskalierten, sowie der Wettstreit zwischen Ideologien. Die Revolution von 1911 bereitete dem seit 221 v. u. Z. bestehenden chinesischen Kaiserreich ein überraschendes Ende. Sie reihte sich in eine Kette von Reform- und Aufstandsbewegungen ein, die Chinas nationale Krise zu beheben suchten. Auslöser der Krise war die Niederlage in einer Reihe von Kolonialkriegen, mit denen die westlichen Großmächte seit 1839 eine "Öffnung" Chinas erzwangen. Als Ergebnis der "ungleichen Verträge" errichteten diese Mächte Konzessionen auf chinesischem Territorium und entzogen sich der chinesischen Gerichtsbarkeit ("Extraterritorialität"). Diese und weitere Privilegien für Mächte wie England, Frankreich, Russland, Deutschland und Japan machten China zur Halbkolonie. Die koloniale Erfahrung, von der späteren Staatsführung der Volksrepublik als "Jahrhundert der Demütigungen" zusammengefasst, spielt bis heute eine wichtige Rolle für die Herrschaftslegitimation der Kommunistischen Partei Chinas (Interner Link: KPCh). Die 1912 gegründete Republik China blieb in ihrer Souveränität beschnitten und war überdies dem zunehmenden Expansionsstreben Japans ausgesetzt. Antiimperialismus war deshalb ein wichtiger Faktor chinesischer Politik. Innenpolitisch stand in einer ersten Phase der Bestand der Republik als solche auf dem Spiel. Die Entwicklung seit den 1920er Jahren war von der Formierung und dann der Konkurrenz der beiden großen Parteien dominiert, der Guomindang (GMD, Nationale Partei) und der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). In ihrem Verhältnis lösten sich Phasen der Zusammenarbeit, sog. "nationale Einheitsfronten" (1924-1927, 1937-1945), und Phasen des Bürgerkrieges (1927-1937, 1946-1949) ab.

Pu Yi, der letzte Kaiser Chinas, war bei seiner Abdankung noch ein Kind. Die Xinhai-Revolution 1911 beendete die 277-jährige Regentschaft der Qing-Dynastie. (© picture-alliance, Isadora/Leemage)

Die Revolution von 1911 war vom republikanischen Gedanken getragen und einem Nationalismus, der sich gegen die letzte Interner Link: Dynastie der Qing richtete. Diese hatte trotz schwerwiegender externer und interner Probleme nur halbherzige Reformen in Aussicht gestellt. Zentrale Figur der Revolution – wenn auch nicht unmittelbar an den Aufständen beteiligt – und erster Präsident der Republik war Sun Yat-sen (Sun Zhongshan, 1866-1925). Sun hatte dieses Amt aber nur für wenige Wochen inne und war gezwungen, 1912 die Macht an den Militärführer Yuan Shikai (1859-1916) abzutreten. Yuan, der sich zunächst zur Republik bekannt hatte, missachtete demokratische Prinzipien und versuchte kurz vor seinem Tod sogar noch, sich als Kaiser einzusetzen. Nach Yuans Tod zerfiel das Land in die Einflusssphären von Kriegsherren, die sich gegenseitig bekämpften.

Diese Vorgänge offenbarten die Schwäche der neuen Republik und die nur oberflächliche Verankerung des republikanischen Gedankens. Intellektuelle riefen um 1915 eine "Neue Kulturbewegung" aus, die die Probleme des Landes noch grundsätzlicher angehen sollte, nämlich mit einer Reform von Sprache, Kultur und Denken. Die verschiedensten Lehren und Werke aus dem "fortschrittlichen" Westen wurden eingeführt und übersetzt. Im Zentrum standen in den ersten Jahren liberale Ideen wie Individualismus, Demokratie und Wissenschaft. Dieser Kurs wurde von den Ergebnissen der Interner Link: Pariser Friedenskonferenz von 1919 allerdings in Frage gestellt: China hatte erwartet, als Siegermacht des Ersten Weltkriegs Jiaozhou ("Kiautschou"), das ehemals deutsche und dann von Japan übernommene Kolonialgebiet in der nordöstlichen Provinz Shandong, zurückzuerhalten. Entgegen der vom US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson propagierten Idee des Rechtes auf Selbstbestimmung verblieb Jiaozhou aber bei Japan. "Might" (Macht) hatte einmal mehr über "right" (Recht) gesiegt. Die chinesische Bevölkerung war entrüstet, und am 4. Mai 1919 zogen Studierende auf die Straße, um gegen die Beschlüsse der Konferenz, die Expansion Japans und die "Verräter" in der eigenen Regierung zu demonstrieren. Die sich aus diesen Protesten entwickelnde "Vierte-Mai-Bewegung" sollte spätere Studierenden-Demonstrationen inspirieren.

Die Demonstration vom 4. Mai 1919, bei der Studierenden in Peking gegen Chinas schwache Reaktion auf die Versailler Verträge demonstrierten, war das Muster für verschiedene spätere Protestbewegungen, nicht zuletzt die Demokratiebewegung von 1989. (© picture-alliance, CPA Media Co. Ltd)

Die Beschlüsse von Paris und die Verheerungen des Ersten Weltkrieges, die von chinesischen Europareisenden bezeugt wurden, ließen unter Intellektuellen Zweifel an der Überlegenheit der westlichen Kultur aufkommen. Viele unter ihnen verwarfen das Prinzip der graduellen Aufklärung und befürworteten erneut einen revolutionären Ansatz, für den die Interner Link: russische Oktoberrevolution ein Modell bot. Andere wandten sich konservativen, auf die chinesische Kultur gestützten Lösungen zu.

Die 1920er bis 40er Jahre waren innenpolitisch von der Konkurrenz der beiden großen Parteien gekennzeichnet: der 1912 von Sun Yat-sen gegründeten GMD, deren Führung 1926 Chiang Kai-shek (Jiang Jieshi, 1887-1975) übernahm, und der 1921 gegründeten KPCh, in der Interner Link: Mao Zedong (1893-1976) seit der zweiten Hälfte der 1930er Jahre eine dominante Position errang und 1943 offiziell die Parteiführung erlangte.

Nach gemeinsamen Anstrengungen um eine Einigung des Landes gegen die Kriegsherren und den Imperialismus zerbrach 1927 die erste, 1924 geschmiedete "nationale Einheitsfront". Die GMD kam unter Chiang Kai-shek an die Macht und verlegte die Hauptstadt ins südliche Nanjing. Die zehnjährige Herrschaft Chiangs bis zum Ausbruch des Krieges mit Japan 1937 wird als "Nanjing-Dekade" bezeichnet. Diese war von Militarismus und Repression geprägt, und Teilen der GMD galten sogar die faschistischen Regime Italiens und Deutschlands als Modell für China. China blieb allerdings auch unter GMD-Herrschaft nur bedingt geeint. Randgebiete und weiterhin von Warlords kontrollierte Regionen entzogen sich weitgehend dem Zugriff der Zentrale. Eine technokratische, im Ausland ausgebildete Elite bemühte sich um die Modernisierung des Landes, konzentrierte sich dabei aber auf die Städte. Besonders Shanghai, das durch die Existenz der ausländischen Konzessionen geradezu ein Sinnbild des halbkolonialen Status Chinas war, galt mit seiner an westlichen Stilen angelehnten Architektur, den Konsummöglichkeiten und der "modernen" Kultur international als "Paris des Ostens". Demgegenüber wurden die ländlichen Gebiete – von einigen Experimenten des "ländlichen Aufbaus" abgesehen – von der GMD vernachlässigt. Chiangs Machtbasis lag beim Militär, bei Großgrundbesitzern und Industriellen, und die soziale Frage, also der Status der Arbeiter und Bauern, spielte für die GMD keine Rolle.

Die Erste Einheitsfront von KPCh und GMD endete im April 1927 mit dem Terror von Shanghai: Die Nationalisten kooperierten mit lokalen Banden und massakrierten hunderte, wenn nicht tausende Kommunisten und andere Linke. (© picture-alliance, CPA Media Co. Ltd)

Die Kommunisten verfolgten demgegenüber einen revolutionären Ansatz, bei dem zunächst die Arbeiterfrage und die Mobilisierung in den Städten im Vordergrund stand. Seit 1927, als sich die Partei unter der Verfolgung der Truppen Chiangs in entlegene Gebiete Südchinas zurückzog, rückten zunehmend die Bauern als revolutionäre Kraft in den Blick. In der Frage der Revolutionsstrategie bestanden wiederholt Konflikte mit Moskau, das Emissäre nach China entsandt hatte. Seit den späten 1930er Jahren sprach sich Mao Zedong für eine "Sinisierung" des Interner Link: Marxismus aus und signalisierte damit den Anspruch, einen eigenständigen Weg für China zu finden. Die Kommunisten errangen zwischen 1931 und 1934 die Kontrolle über einige ländliche Gebiete in Südchina, die als "Sowjetgebiete" nach kommunistischen Prinzipien verwaltet wurden. Hierzu gehörte v. a. die Umverteilung des Bodens. Die wiederholten Attacken der Nationalen Armee Chiang Kai-sheks zwangen sie aber zum Rückzug, der als "Langer Marsch" (1934/35) in die Geschichte einging. Nach der Einstellung des Bürgerkrieges Ende 1936 unterhielt die KPCh – neben einigen weniger konsolidierten bzw. bloßen Guerillagebieten – einen relativ stabilen Stützpunkt im Nordwesten des Landes um die Stadt Yan’an. In der sog. "Yan’an-Dekade" (1936-1947) wurde Mao Zedong zur dominanten Kraft der KPCh. Seine Schriften und Reden wurden zur Parteidoktrin, die keine Abweichungen duldete. In der politischen Praxis stand die Mobilisierung der Bauern für Verteidigung und Produktion im Mittelpunkt. Die vorgebliche Ausrichtung an den Interessen der ländlichen Bevölkerung wurde zu einer wichtigen Leitlinie der Partei, deren Wurzeln in den Städten lag.

Außenpolitisch wurde die Expansion Japans zu einem immer größeren Problem: Bereits 1931 hatte Japan die Mandschurei besetzt, und 1937 brach der Zweite Sino-Japanische Krieg (1937-1945) aus. Während das Vorrücken der Japaner den Patriotismus der chinesischen Bevölkerung entfachte, räumte Chiang Kai-shek der Verfolgung der Kommunisten Priorität ein. Er willigte erst in einen Kurswechsel ein, als er im Dezember 1936 von seinem General Zhang Xueliang festgesetzt wurde. In Folge dieses sogenannten Xi’an-Zwischenfalls taten sich GMD und KPCh in einer "Zweiten nationalen Einheitsfront" (1937-1945) im Kampf gegen die Japaner zusammen. Im Verlaufe des Krieges wurden weite Teile des Landes von japanischen Truppen besetzt. Millionen von chinesischen Opfern, Zerstörungen, Flucht, japanische Kriegsverbrechen und die spätere Interner Link: Leugnung der Kriegsschuld auf japanischer Seite tragen bis heute zu den außenpolitischen Spannungen zwischen China und Japan bei.

Während des Krieges 1937- 45 eroberten japanische Truppen große Teile Chinas. Shanghai wurde im Herbst 1937 eingenommen. (© picture-alliance, akg-images)

Mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour 1941 wurde der Sino-Japanische Krieg Teil des Zweiten Weltkrieges. China gehörte nun zu den Alliierten, die im Zuge der Allianz ab 1943 ihre Konzessionen und Sonderrechte auf chinesischem Boden aufgaben. GMD und KPCh waren beide an der Verteidigung des Landes beteiligt, das Kriegsende 1945 wurde aber vom Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki herbeigeführt. Die Einheitsfront der beiden Parteien im Kampf gegen Japan zeichnete sich von Beginn an durch Spannungen und Konkurrenz aus. Nach Kriegsende scheiterten Verhandlungen über eine Koalitionsregierung, und 1946 brach erneut ein Bürgerkrieg aus, den die Kommunisten – trotz nachteiliger Ausgangslage – 1949 gewannen. Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong auf dem Tiananmen-Platz in Peking die Volksrepublik China aus. Die GMD-Regierung floh auf die Insel Taiwan, wo die Republik China fortlebte. Die Truppen der Volksbefreiungsarmee nahmen sukzessive das gesamte Territorium Chinas ein, auch die Randregionen Tibet und Xinjiang, in denen bis heute immer wieder Widerstand gegen die Kontrolle durch die Han-chinesische Zentralregierung aufflammt.

Am 9. September 1945 unterzeichnete Japan in Nanjing die Kapitulation seiner China-Armee. Auf dem chinesischen Festland war damit der Krieg noch nicht beendet: Von der KPCh geführte Truppen kämpften mit der National-Armee der GMD um den Sieg. Erst mit der Flucht Chiang Kai-sheks und seiner Gefolgschaft nach Taiwan und der Gründung der Volksrepublik China 1949 war der Bürgerkrieg beendet. (© picture-alliance, akg-images)

Die sozialistische Phase unter Mao Zedong (1949-1976)

Die Jahre nach der kommunistischen Machtübernahme bis zu Maos Tod waren vom Kalten Krieg bestimmt. China gehörte dem sozialistischen Lager an und war von der westlichen Welt weitgehend isoliert. Die KPCh gestaltete das Land nach sozialistischen Prinzipien um, geriet dabei aber in einen Konflikt über die Frage von Tempo und Ansatz der sozialistischen Transformation. Mao Zedong, der einen eigenen Weg für China suchte, setze mit dem "Großen Sprung nach vorn" (1958-1961) und der "Großen proletarischen Kulturrevolution" (1966-1976) einen besonders radikalen Ansatz um, der großes Leid über die Bevölkerung brachte und auch zum Bruch mit der Sowjetunion führte.

Mao Zedong bei der Verkündung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949. (© picture-alliance, United Archives)

Die Produktionssteigerung, die der "Große Sprung nach vorn" 1958 - 1961 bewirken sollte, scheiterte in der Praxis, als Werkzeuge und Kochtöpfe in den "Hochöfen im Hinterhof" eingeschmolzen wurden. (© picture-alliance, CPA Media Co. Ltd)

Als die KPCh 1949 die Kontrolle über das gesamte Territorium übernahm, schwebte ihr der Aufbau eines modernen, sozialistischen Industriestaates vor, für den die Sowjetunion das Vorbild abgab. Die beiden Länder schlossen 1950 einen Freundschaftsvertrag, und China erhielt in großem Umfang sowjetische Aufbauhilfe. Nach einer Phase der politischen und ökonomischen Konsolidierung wurde die Umgestaltung des Landes nach sozialistischen Prinzipien in Angriff genommen: schrittweise Kollektivierung der Landwirtschaft und Verstaatlichung von Industrie und Handel. Neue Organisationseinheiten – in den Städten sog. "Einheiten" (danwei), auf dem Land Produktionsgruppen und später die Volkskommunen – verbanden Produktion und die Regelung sozialer Belange. Politische Kampagnen gehörten bereits in den frühen 1950er Jahren zum Alltag der Bevölkerung. Innerhalb der KPCh bildete sich allerdings bald ein Konflikt heraus, wie schnell China zu sozialistischen Formen übergehen solle. Mao Zedong trat für eine schnelle Entwicklung und Umgestaltung ein und formulierte 1958 die Idee der "permanenten Revolution". Der in diesem Jahr initiierte "Große Sprung nach vorn", eine Produktionskampagne, die auch die Dörfer in die Stahlproduktion einbezog, und die gleichzeitig eingeführten Volkskommunen als höchste Stufe der Kollektivierung erwiesen sich als Misserfolg: Der Stahl aus den Kleinhochöfen der Dörfer war nicht brauchbar, unter dem Druck der Produktionssteigerung wurden teilweise Werkzeug und Küchenutensilien eingeschmolzen, die Landwirtschaft wurde vernachlässigt, und die Kollektivierung des sozialen Lebens traf auf den Widerstand der Bevölkerung. Tragische Folge des „Großen Sprungs“ war eine große Hungersnot, die geschätzte 15 bis 43 Millionen Menschen das Leben kostete. Es setzten sich vorübergehend gemäßigte Kräfte um Liu Shaoqi (1898-1969) durch, die sich um eine ökonomische Konsolidierung bemühten, aber die Spaltung der Partei vertiefte sich. 1966 rief Mao die "Große proletarische Kulturrevolution" aus, um die Errungenschaften der Revolution gegen die "Revisionisten" zu retten. Er mobilisierte die Jugend gegen den in seinen Augen erstarrten Parteiapparat und die sog. "vier Alten" (alte Denkweisen, alte Kultur, alte Gewohnheiten, alte Sitten) und deren Repräsentanten. Auch die Nachfolgefrage spielte eine Rolle für den Ausbruch des Konfliktes, dem u. a. Liu Shaoqi, ursprünglich als Nachfolger Maos vorgesehen, zum Opfer fiel. Die Kulturrevolution war eine Phase der politischen Radikalisierung, Verfolgung und Gewalt, die sich gegen Parteikader, Intellektuelle und all diejenigen richtete, die sich in irgendeiner Weise als „Klassenfeinde“ verdächtig gemacht hatten. Zu den Schrecken der Kulturrevolution gehörten Hinrichtungen, lokale Massaker, öffentliche Demütigungen, Verhaftungen, die massenweise Zwangsverschickung von Jugendlichen aufs Land und die Zerstörung von Kulturdenkmälern. Der Personenkult um Mao erreichte in diesen Jahren seinen Höhepunkt.

Die Kulturrevolution wurde 1969 offiziell für beendet erklärt, der Konflikt um die Nachfolge Maos setzte sich bis zu dessen Tod aber fort. Linke Kräfte um die sog. "Viererbande" standen einer gemäßigten Gruppe um Zhou Enlai (1898-1976) und Interner Link: Deng Xiaoping (1904-1997) gegenüber.

Nach dem Scheitern des "Großen Sprungs", der eine Hungersnot mit vielen Millionen Toten verursachte, setzten sich vorübergehend Kräfte um Liu Shaoqi (3.v. l.) und Deng Xiaoping (r.) mit einem gemäßigten Programm durch. (© picture-alliance/dpa, AFP)

Die "Große proletarische Kulturrevolution" forderte viele Millionen Opfer. Der Kampf gegen hohe KP-Kader wie Liu Shaoqi, die angeblich "den kapitalistischen Weg" beschritten hatten, wurde mit aller Härte geführt. Die Aufnahme stammt aus dem August 1968. (© picture-alliance, CPA Media Co. Ltd)

Es war das Signal für den Beginn einer neuen Ära, als im Februar 1972 die Bilder von US-Präsident Nixons Besuch in China um die Welt gingen. (© picture-alliance/AP)

Die 1970er Jahre stellten eine Übergangsphase dar, die durch unklare Machtverhältnisse und die Annäherung an die USA gekennzeichnet war, welche mit dem Besuch des US-amerikanischen Präsidenten Richard Nixon 1972 den Durchbruch erfuhr. Mit der Sowjetunion war es über die Frage des sozialistischen Kurses 1960 zum Bruch gekommen, und China und die USA einte der neue Hauptgegner. 1971 übernahm die Volksrepublik den Sitz für China bei den Vereinten Nationen, den bis dahin die Interner Link: Republik China auf Taiwan innehatte. Es folgte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit wichtigen Ländern, u. a. 1972 mit der BRD und 1979 mit den USA.

Als erster Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland besuchte Helmut Schmidt Ende Oktober 1975 die Volksrepublik China. Auf dem Plakat der Frauen steht: "Wir unterstützen mit aller Entschiedenheit den Kampf der europäischen Völker gegen den Hegemonismus." Der Begriff "Hegemon" wurde in China zu dieser Zeit synonym für Sowjetunion verwendet. Die sino-sowjetischen Beziehungen waren nach dem Ussuri-Konflikt 1969 eingefroren. Eine Annäherung bahnte sich erst Mitte der 1980er Jahre an. (© picture-alliance/dpa)

Mit dem Tod Maos und der Verhaftung der "Viererbande" 1976 war die Phase des Maoismus beendet. Deng Xiaoping setzte sich Ende 1978 endgültig als neuer "starker Mann" Chinas durch. Die Interner Link: KPCh verzichtete auf eine umfassende Aufarbeitung der Kulturrevolution und eine kompromisslose Verurteilung Maos. Der Verweis auf die Schrecken der Kulturrevolution – in China als "zehn Jahre Chaos" bezeichnet – half aber, "Reform und Öffnung" seit 1978 zu legitimieren.

Die postsozialistische Phase seit 1978

Die von Deng Xiaoping Ende der 1970er Jahre eingeleitete Reformpolitik fiel zusammen mit einem Globalisierungsschub, der China die Voraussetzung für die Integration in die Weltwirtschaft und das Wirtschaftswunder der kommenden Jahrzehnte bot. Die chinesische Führung nahm seither permanent Anpassungen des Wirtschaftssystems und industriepolitischer Zielsetzungen vor, um immer neue Wachstumspotentiale zu erschließen. Die Reformen des politischen Systems hielten sich demgegenüber in Grenzen. Bis heute ist China ein autoritäres System, dessen Kritiker von der KPCh verfolgt werden.

Chinas Wirtschaftsreformen waren von einem graduellen und experimentellen Vorgehen gekennzeichnet und unterschieden sich damit grundlegend von der Transformation anderer ehemals sozialistischer Länder, wo der Kapitalismus übergangs- und kompromisslos eingeführt wurde ("Big Bang"). Mit der selektiven Zulassung marktwirtschaftlicher Prinzipien und der Öffnung Chinas gegenüber dem Weltmarkt wurde ein Reformkurs eingeschlagen, der die Versorgungslage schnell verbesserte und immer höhere Wachstumsziffern generierte. Diese führten einerseits zu einem deutlichen durchschnittlichen Wohlstandszuwachs, andererseits aber auch zu wachsender sozialer Ungleichheit und erheblichen Umweltproblemen. Ungleichheit besteht v. a. zwischen Stadt und Land. So war 2020 das durchschnittliche Einkommen eines Stadtbewohners 2,5-mal höher als das eines Landbewohners. Mit den Umweltproblemen, die durch Energieverbrauch, Industrieproduktion und Baumaßnahmen verursacht werden, nahm China 2020 Rang 120 im Environmental Performance Index (EPI) ein, der von der Universität Yale erstellt wird.

In welchem Maße und Tempo das chinesische Wirtschaftssystem reformiert werden sollte, war in der politischen Führung nach 1978 stark umstritten. Dies galt auch für die Frage, ob Wirtschaftsreformen von einer politischen Öffnung begleitet sein müssten. Die erste Reformdekade, die von marktwirtschaftlichen Anreizen in ausgewählten Sektoren gekennzeichnet war, endete mit der Tiananmen-Krise 1989. Die Proteste stellten zum einen eine Antwort auf die negativen Folgen der Wirtschaftsreformen, insbesondere grassierende Inflation und Korruption, dar, zum anderen waren sie getragen von dem Wunsch nach Freiheitsrechten und Mitbestimmung. Mit der Interner Link: Niederschlagung der Studentenproteste am 4. Juni 1989 offenbarte die KPCh ihren Willen, die Macht zu behalten. Spätere Bewegungen für eine Demokratisierung Chinas – etwa die Veröffentlichung der für Demokratie und Freiheitsrechte eintretenden "Charta 08" im Dezember 2008 durch Aktivisten um Liu Xiaobo (1955-2017), dem 2010 der Friedensnobelpreis verliehen wurde, und die Proteste in Hongkong 2019/20 – wurden ebenso entschlossen unterdrückt. Wo immer die KPCh ihre Macht herausgefordert sieht, antwortet sie mit Repression und Gewalt. Dies gilt insbesondere für die ethnischen Proteste in Tibet und Xinjiang.

In den 1990er Jahren wurden bislang experimentell verfolgte Ansätze der Wirtschaftsreform institutionalisiert, und es wurden die grundlegenden Rahmenbedingungen für ein marktwirtschaftliches System geschaffen. Die Rationalisierung des Staatssektors hatte millionenfache Entlassungen zur Folge. Mit Chinas Interner Link: WTO-Beitritt im Jahr 2001 konnte der Weltmarkt noch besser für das Wachstum des Landes genutzt werden.

Die Staatsführung verfolgte seit 1978 wechselnde Interner Link: Wachstumsstrategien. Die zunächst praktizierte Strategie der Exportorientierung, bei der billige chinesische Arbeitskräfte in ausländischen Unternehmen oder Joint Ventures Waren für den Weltmarkt produzierten, beließen China auf einer unteren Stufe der Wertschöpfungskette und machten es von der Nachfrage auf dem Weltmarkt abhängig. Mit gezielter Industriepolitik wurde seit 2006 die eigenständige Innovation gefördert, die aus "Made in China" "Made by China" machen sollte. Gleichzeitig wurde die Binnennachfrage angekurbelt, v. a. über einen Urbanisierungsschub und die Förderung einer konsumierenden Mittelschicht. Überdies entschied die Staatsführung, nicht mehr nur ausländische Investoren für die Produktion in China zu gewinnen, sondern selbst im Ausland zu investieren. Dies geschah seit 1999 unter dem Motto "going global" und seit 2013 mit gezielterem geographischem Zuschnitt und noch systematischer unter dem Dach der "Belt and Road"-Initiative oder "Neuen Seidenstraße". Bis heute spielen Planung, Industriepolitik und die gezielte Förderung von Staatsbetrieben eine wichtige Rolle im chinesischen Wirtschaftssystem.

Neue Seidenstraße

Die Formel der Neuen Seidenstraße – auch bekannt als "One Belt, One Road" (OBOR) oder "Belt(s) and Road(s) Initiative" (BRI) – hatte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im September und Oktober 2013 während seiner Staatsbesuche in Kasachstan und Indonesien eingeführt. Aufgebaut werden soll ein globales Transportnetzwerk, das bis nach Afrika reicht und auch die Erschließung einer neuen Arktis-Route (in Kooperation mit Russland) umfasst.

Neben der Modernisierung und dem Neubau von Häfen, Flughäfen, Autobahnen und Schienennetzen beinhaltet die chinesische Neue Seidenstraße auch den Aufbau von Telekommunikations- sowie Elektrizitätsnetzen. Nicht nur Lateinamerika und Afrika, sondern insbesondere die Länder Mittel- und Osteuropas sind Ziele der chinesischen Seidenstraßen-Offerten. Mit 16 Ländern Mittel- und Osteuropas unterhält Peking ein besonderes Kooperationsformat: Das 16+1-Gipfeltreffen, mit Griechenland erweitert zum 17+1-Format. Die Investitionen des chinesischen Staatsunternehmens COSCO in den Hafen von Piräus und der Bau von Eisenbahnverbindungen zwischen Griechenland (Piräus), Budapest (Ungarn) und Belgrad (Serbien) haben insbesondere in Brüssel für Diskussionen über die langfristigen Implikationen der chinesischen Aktivitäten für das übergeordnete Ziel einer außen- und handlungspolitisch geschlossenen auftretenden EU gesorgt. Nachdem zunächst die USA nationale Sicherheitsbedenken bezüglich der Einbindung chinesischer Unternehmen in den Aufbau von 5G-Netzen geäußert hatten, ist auch innerhalb der EU die Skepsis gegenüber Pekings Digitaler Neuen Seidenstraße gewachsen.

Die VR China setzt bei ihrem globalen Aufbau von Seidenstraßen-Korridoren auf die Intensivierung ihrer Kontakte mit regionalen Zusammenschlüssen. So vereinbarten Interner Link: Peking und Moskau eine "Verknüpfung" zwischen Chinas eurasischer Landbrücke, dem durch Zentralasien verlaufenden Seidenstraßenkorridor der VR China, und der von Moskau propagierten Interner Link: Eurasischen Wirtschaftsunion. 2020 wurde mit dem Abschluss des RCEP-Abkommens ein asiatischer Wirtschaftsraum (bislang ohne Indien) mit Potential zur Freihandelszone begründet, der neben den ASEAN-Staaten auch die VR China einbezieht. Mit der EU hofft Peking seit langem auf ein Freihandelsabkommen – vereinbart wurde im Dezember 2020 zunächst ein Investitionsabkommen, das auf die oben skizzierten Bedenken der EU bezüglich chinesischer Investitionen reagiert und grundlegende Spielregeln fixiert.

Autorin: Nele Noesselt, Universität Duisburg-Essen

Die neue Seidenstraße. Durch Klick auf den Kartenausschnitt wird eine Karte der gesamten Seidenstraße angezeigt. Interner Link: Download als PDF (mr-kartographie, Gotha) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Im Jahr 2010 stieg China zur zweitgrößten Volkswirtschaft auf, und 2020 lag sein Anteil am kaufkraftbereinigten globalen Bruttoinlandsprodukt bei 18,24 Prozent – im Vergleich zu 2,26 Prozent im Jahr 1980. Chinas Gewicht in der Weltwirtschaft hat auch sein politisches Gewicht erheblich erhöht. Ein Einschnitt lag in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, die ihren Ausgang in den USA genommen hatte, China aber in geringerem Maße traf. Die politische Führung sah sich in ihrem Kurs bestätigt und tritt seither auch international selbstbewusster auf. Dies schlägt sich v. a. in der härteren Gangart nieder, die in den Territorialkonflikten im Ost- und Südchinesischen Meer eingenommen wird. Interner Link: Xi Jinping, der 2012/13 als Parteichef bzw. Staatspräsident eingesetzt wurde, artikuliert zum einen noch deutlicher den Weltmachtanspruch Chinas, zum anderen verstärkte er die politische Repression nach innen. Gegenüber der chinesischen Bevölkerung gibt die KPCh die Geschichte Chinas unter ihrer Führung als reine Erfolgsgeschichte aus und betont, dass diese auch nach außen "gut erzählt" werden müsse.

Weitere Inhalte

lehrt Sinologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Ihr Forschungsinteresse gilt der Geschichte Chinas im 20. und 21. Jahrhundert. Sie befasst sich insbesondere mit sozialhistorischen Fragestellungen, der Geschichte des chinesischen Feminismus sowie Fragen von Vergangenheit und Zukunft im Transformationsprozess Chinas. Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen zählt die Monographie "China seit 1978. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft", Stuttgart: Kohlhammer 2022.