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Zeitgenössische Kunst in Iran – zwischen Kreativität, Kommerzialisierung und Kontrolle | Iran | bpb.de

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Zeitgenössische Kunst in Iran – zwischen Kreativität, Kommerzialisierung und Kontrolle

Hannah Jacobi

/ 9 Minuten zu lesen

Iran ist bekannt für seinen Film, seine Literatur und seine bildende Kunst. Dort gibt es eine lebendige und kreative Szene, die sich trotz Wirtschaftskrise und Zensur ihre Freiräume schafft. Ihre Entwicklung skizziert die Kunsthistorikerin Hannah Jacobi.

Trotz Wirtschaftskrise und staatlicher Zensur gibt es in Iran eine vielfältige Kunst- und Kulturszene. (© picture-alliance, ZUMA Wire)

In Iran existiert eine sehr aktive lokale Kunstszene. An die 200 Galerien sollen allein in Teheran registriert sein; jeden Freitagabend finden dutzende Galerieeröffnungen statt. Die privaten Galerien dominieren seit Anfang der 2000er Jahre das Kunstgeschehen, das sich bis heute vor allem in der Hauptstadt konzentriert, obwohl es auch in anderen Städten interessante Galerien, Ausstellungsorte und Künstler-Initiativen gibt. Als öffentlich zugängliche Orte, die privat betrieben werden, bieten sie weitgehend unabhängige Freiräume für die Kunst.

Daneben finden sich insbesondere in Teheran einige bedeutsame Museen für moderne und zeitgenössische Kunst. Noch aus vorrevolutionärer Zeit stammt das 1977 eröffnete Externer Link: Teheraner Museum für Zeitgenössische Kunst (TMoCA), das neben einer umfangreichen Sammlung iranischer Kunst auch die größte Sammlung westlicher moderner Kunst außerhalb Europas und den USA besitzt. Zusammen mit dem 1978 fertig gestellten Kulturzentrum Niavaran ist das TMoCA einer der herausragendsten Bauten des bekannten iranischen Architekten Kamran Diba. Beide Institutionen unterstehen dem Ministerium für Kultur und Islamische Führung, dem Erschad.

Seit 2012 findet nunmehr zwei Mal im Jahr die Tehran Auctions statt und seit 2018 gibt es die Teer Art Fair, eine Messe für zeitgenössische Kunst, die sich an internationalen Standards misst. Mit der Argo Factory hat im Januar 2020 das erste große Privatmuseum für zeitgenössische Kunst in Teheran eröffnet, finanziert von der Externer Link: Pejman-Foundation. Seit einigen Jahren ergreifen einzelne, vermögende Privatpersonen die Initiative und gründen Stiftungen wie die Pejman-Foundation, um die bildende Kunst zu fördern.

Die Grenzen zwischen privat und öffentlich, unabhängig und staatlich können im Kunstbereich Irans nicht eindeutig gezogen werden. Viele Künstler und Künstlerinnen agieren unabhängig und beziehen in ihren Arbeiten auch politisch Stellung. Stellen sie jedoch öffentlich aus, greifen teils die Behörden ein, zum Beispiel schon durch die Auswahl der Arbeiten. Dabei wird die rote Linie der Zensur nicht immer gleich gezogen; mal gibt es mehr, mal weniger Spielraum. Und so wird teils auch in staatlich betriebenen Kunstinstitutionen gute Kunst aus der unabhängigen Szene ausgestellt; es gab und gibt immer wieder Kollaborationen zwischen beiden Seiten, deren Umfang auch von der (kultur-)politischen Situation im Land abhängig ist.

Die Grenzen verwischen: private Gelder und staatliche Zensur

Aktuell bedroht nicht nur die andauernde wirtschaftliche Krise die Existenz vieler Ausstellungsorte in Iran. Ebenso rückt der Bereich der bildenden Kunst, der in den vergangenen zehn Jahren enorm gewachsen ist, verstärkt in den Fokus der Behörden. Das bedeutet nicht nur mehr Kontrolle von Ausstellungen, Vorträgen oder Workshops, sondern auch mehr direkte Einmischung durch die Behörden. Hinzu kommt die Angst vieler Kunst- und Kulturschaffenden, dass der Kunstbereich auch von staatlicher Seite verstärkt als Bereich der kommerziellen Ausbeutung wahrgenommen wird – die vergangenen Entwicklungen deuten in diese Richtung. Im April 2016 gingen hunderte von Akteuren und Akteurinnen aus der Kunstszene auf die Straße: Sie protestierten gegen die Übernahme des TMoCA durch die Rudaki-Stiftung, die ebenfalls dem Erschad untersteht. Die Demonstrierenden hatten mehr Vertrauen in die staatliche Kontrolle als in die kommerziellen Interessen der Rudaki-Stiftung, die zwar staatlich gelenkt wird, jedoch Umsatz erwirtschaften muss. Dabei ging es auch um die wertvolle und weiterhin nicht gänzlich zugängliche Sammlung moderner Kunst des Museums.

Die Kunstszene wehrt sich: Am 9. April 2016 wird vor dem Teheraner Museum für Zeitgenössische Kunst gegen Ausverkauf und Kommerzialisierung protestiert. (© picture-alliance, NurPhoto)

So schreitet die Kommerzialisierung des Kunstbereichs weiter voran und die öffentliche Hand, die in Iran nicht immer eine helfende ist, mischt mit. Fand 2009 nach den Protesten gegen die mutmaßlichen Wahlfälschungen noch eine deutliche Abgrenzung aller wichtigen Galeristen und Galeristinnen, Kunstschaffenden sowie Theoretikern und Theoretikerinnen vom TMoCA statt und gab es während der Regierungszeit von Mahmoud Ahmadinedschad über Jahre hinweg keine Kooperationen zwischen dem Museum und der unabhängigen Szene, wird eine eindeutige Abgrenzung heute immer schwieriger. Viel Geld aus unbekannten Quellen fließt durch die staatlichen Institutionen, die privaten Stiftungen und finanziell potente Galeristen und Galeristinnen sowie Sammler und Sammlerinnen in den Kunstbereich; wer wo und wie beteiligt ist, wird immer undurchsichtiger. Jedoch gibt es kaum alternative Möglichkeiten finanzieller Unterstützung für Kunstschaffende, kleine Galerien und freie Projekte.

Film und Literatur in und aus Iran

Was der Bereich der bildenden Kunst erst in den vergangenen Jahren verstärkt erlebt, ist in den Bereichen der Literatur, des Films und der Musik schon lange Alltag. Die Filmproduktion ist fest in staatlicher Hand; sie kontrolliert und zensiert nicht nur, sondern investiert, vertreibt und unterstützt in großem Stil. Dabei stehen kommerzielle Interessen und gesellschaftliche Einflussnahme im Vordergrund. Die unabhängigen, alternativen Filmproduktionen, für die das iranische Kino international bekannt ist, machen nur einen sehr geringen Anteil aus.

"Der Wind wird uns tragen" von Abbas Kiarostami erzählt, wie ein Journalist in ein Dorf in die kurdische Provinz Irans reist. Es geht um die Schönheit der Landschaft, das Dorfleben und um Begräbniszeremonien. (© picture-alliance, Collection Christophel)

Heute gehören Filmemacher wie Asghar Farhadi, Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof zu den international gefeierten Größen. Geprägt haben das iranische Kino seit den 1960er Jahren Regisseure wie Dariush Mehrjui und Sohrab Shahid Saless, aber auch die Dichterin Forugh Farrokhzad, deren experimenteller Kurzfilm Khaneh Siah Ast ("Das Haus ist schwarz", 1962) den Weg in Richtung eines neuen Realismus geebnet hat. Wie kein anderer aber hat Abbas Kiarostami dem iranischen Film auch nach der islamischen Revolution seinen Stempel aufgedrückt. Seine Kameraführung und die oftmals ländlichen Milieus in seinen Filmen ermöglichten einen direkten Zugang zur Realität, die er zugleich hinterfragte.

Auch die Literatur unterliegt einer strengen Zensur; es kann Jahre dauern, bis ein Buch die Genehmigung zur Veröffentlichung erhält, wenn überhaupt. Doch obwohl schon seit Jahren ein Rückgang der Buchverkäufe zu verzeichnen ist, wird in Iran weiterhin viel gelesen. Die internationale Buchmesse, die alljährlich in Teheran stattfindet, ist die größte in der Region. Hierzulande sind vor allem zeitgenössische Autoren und Autorinnen wie Fariba Vafi und Amir Hassan Cheheltan bekannt – letzterer veröffentlicht seine Bücher nicht selten zuerst auf Deutsch, da sie in seiner Heimat nicht durch die Zensur kommen würden.

In der modernen Literatur spiegelt sich die komplexe Modernisierungsgeschichte des Iran. Prägte Sadeq Hedayat schon in den 1930ern einen realistischen und psychologischen Blick auf die iranische Gesellschaft, so revolutionierte und modernisierte in den 1940ern Nima Youschidsch die persische Dichtung durch die Verwendung des freien Verses. In den 1960ern sorgte Farrokhzads direkter Ausdruck von Gefühlen in ihren Gedichten für Aufruhr. Huschang Golschiri, dessen Roman Schazdeh Ehtedschab ("Prinz Ehtedschab", 1968) 1974 von Bahman Farmanara sehr erfolgreich verfilmt wurde, und Simin Daneshvar, die mit Suvashun 1969 als erste Frau in Iran einen Roman veröffentlichte, setzten durch ihren Erzählstil neue Maßstäbe – auch über Iran hinaus.

Kunst – vor der Revolution

Obwohl das intellektuelle Milieu der 1960er und 70er Jahre Interner Link: nach dem Staatsstreich von 1953 von Enttäuschungen und Ressentiments gegenüber dem Regime von Mohammad Reza Schah Pahlavi geprägt war, trug die Kulturpolitik maßgeblich zu der sogenannten Blütezeit der modernen iranischen Kunst und Kultur bei. Neben gezielten Förderungen durch Auslandsstipendien und die Übernahme von Ateliermieten wurde 1962 mit der Hochschule für Angewandte Kunst die zweite wichtige künstlerische Lehrstätte in Iran nach der Eröffnung der Fakultät für Bildende Künste der Teheraner Universität im Jahr 1940 gegründet.

Die Eröffnung des TMoCA 1977 war nur eines der vielen Projekte des sogenannten Kunstbüros von Farah Pahlavi, der Ehefrau Mohammad Reza Schahs und iranischen Kaiserin. Auch wenn es Versuche etwa der Gruppe Talar-e Iran (später Talar-e Ghandriz, 1964-77) gab, unabhängige und kritische künstlerische Projekte zu realisieren, waren viele Künstlerinnen und Künstler dem umfassenden, nationalen Projekt der Herrscherdynastie der Pahlavis gegenüber nicht abgeneigt. So genossen die Künstler der sogenannten Sagha-khaneh-Bewegung – Parviz Tanavoli und Charles Hossein Zenderoudi sind heute ihre bekanntesten Vertreter – die volle Unterstützung des Kunstbüros. Sie versuchten durch die Zusammenführung abstrakter, formalistischer Ansätze der westlichen modernen Kunst mit traditioneller, schiitischer Symbolik eine nationale, genuin iranische moderne Kunst zu schaffen. Einen ähnlichen Anspruch auf Authentizität durch die Rückkehr zum vorgeblich Eigenen erhoben auch Vertreter einer sich gegen die westliche Moderne richtenden, religiös-nativistischen Denkrichtung, die eine der unterschiedlichen Strömungen der politischen Opposition gegen das Pahlavi-Regime prägte und letztendlich den Weg zur islamischen Revolution ebnete.

Zeitgenössische iranische Kunst – aktuelle Beispiele

(© Farshid Maleki/Foto: Mehdi Pilehvari) (© Raana Farnoud/Foto: Natalie Taleghani) (© Shahab Fotouhi) (© Iman Afsarian) (© Ghazaleh Hedayat) (© picture-alliance, MAXPPP)

Kunst – nach der Revolution

Mit der Revolution von 1979 entstand die sogenannte Revolutionskunst, die sich nun am sozialistischen Realismus orientierte und für propagandistische Zwecke eingesetzt wurde. Die Veränderungen waren grundlegend und umfassend, die "Kulturrevolution" zu Beginn der 1980er Jahre betraf vor allem die Curricula der Universitäten. Bis heute kümmern sich nach der Revolution gegründete Institutionen wie die Hozeh Honari (Kulturzentrum für islamische Kunst und islamische Entwicklung), die direkt dem Revolutionsführer untersteht, um die propagandistische Kunst. Zum Teil sind die frühen Wandmalereien aus den 1980er Jahren mit Darstellungen von Märtyrern und religiösen Themen heute berühmt – die neuere Propagandakunst ist im Vergleich eher uninspiriert.

Die unabhängige Kunst, die sich nach der Revolution vollständig in den privaten Raum zurückzog, suchte eigene Wege, auch um sich von der religiös-islamistischen politischen Linie der Staatskunst abzusetzen. Mit der sogenannten Reform-Ära 1997 bis 2005 wurde sie wieder öffentlich sichtbar und sogar staatlich unterstützt. 1998 wurde Alireza Samiazar, der zuvor mit einem Stipendium des Erschad nach Großbritannien gegangen war, der neue Direktor des TMoCA. Unter seiner Führung wurde ausgerechnet ein staatliches Museum zur treibenden Kraft hinter der neuen, aufstrebenden zeitgenössischen Kunst.

Neue Tendenzen, konzeptuelle Ansätze und kritische Positionen wurden Ende der 1990er Jahre und zu Beginn der 2000er in den Arbeiten der damals noch sehr jungen Künstlerinnen und Künstler Bita Fayyazi, Shahab Fotouhi, Barbad Golshiri, Neda Razavipour oder auch Jinoos Taghizadeh sichtbar. Ihre Kunst wurde auch durch die langsame Öffnung des Landes und die Verbreitung des Internets möglich. Vorbereitet wurden sie in einigen der privaten Kunstklassen bekannter vorrevolutionärer Künstler wie Aydin Aghdaschloo, Hannibal Alkhas, Mehdi Hosseini und auch Abbas Kiarostami. Denn abseits der vielen Kunstuniversitäten und -fakultäten hat sich in Iran ein System des privaten Unterrichts etabliert, das die zeitgenössische Kunstproduktion bis heute beeinflusst. Den zeitgenössischen Entwicklungen in der Kunst hat jedoch auch eine Generation von Kunstschaffenden, die sich nach der Revolution etablierten, den Weg geebnet – zu ihnen gehören unter anderem Raana Farnoud, Shahla Hosseini und Farshid Maleki. Sie gehen neue Wege und grenzen sich sowohl von den Modernisten als auch von einer nachrevolutionären, ideologisch vereinnahmten Kunst ab. Sie haben zur heutigen Vielfalt der Kunst in Iran beigetragen, die sich auch in den Werken jüngerer Kunstschaffender zeigt. Dazu zählen die altmeisterlichen, realistischen und zugleich atmosphärischen Malereien von Iman Afsarian, die recherche-basierten Objekte und Installationen von Nazgol Ansarinia, die konzeptuelle, analoge Fotografie von Mohammad Ghazali sowie die fragilen, genre-übergreifenden Arbeiten von Ghazaleh Hedayat.

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In Recherchen, Projekten, Texten und Vorträgen arbeitet die Kunsthistorikerin Hannah Jacobi zur globalen Kunst mit einem Schwerpunkt auf der zeitgenössischen Kunst in Iran. 2017 ist ihr Buch "Stimmen aus Teheran. Interviews zur zeitgenössischen Kunst im Iran" (Edition Faust) erschienen. Zurzeit bereitet sie ein Publikations- und Ausstellungsprojekt zu konzeptuellen Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst Irans vor.