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3x3 zu Vielfalt in der Bildung

Clara Eder Theresa Samuelis

/ 5 Minuten zu lesen

Unsicherheit von Lehrkräften im Umgang mit vielfältigen Klassen, kaum Thematisierung nicht-westlicher Perspektiven im Unterricht, aber viele Forschungsprojekte zum Thema Diversität: Wie steht es um Vielfalt in der Bildung?

Wie steht es um Vielfalt in der Bildung? ( NeONBRAND / bearbeitet / Externer Link: Unsplash / Lizenz: Externer Link: Unsplash License )

Im 3x3 stellen wir drei Akteurinnen und Akteuren dieselben drei Fragen. Für den Themenschwerpunkt Gesellschaft der Vielfalt haben wir die Professorin für Grundschulpädagogik Dr. Diemut Kucharz, den Lehrer und Projektleiter Frank G. Pohl vom Antidiskriminierungsnetzwerk Schule der Vielfalt und die Schülerin Maryam interviewt.

1. Was bedeutet "gesellschaftliche Vielfalt" für den Bildungskontext?

Professorin Dr. Diemut Kucharz (privat / bearbeitet)

Prof’in Dr. Diemut Kucharz: Es bedeutet einerseits, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt in den Bildungseinrichtungen wiederfindet, also nicht nur im Klassen-, sondern auch im Lehrerzimmer. Andererseits geht es nicht mehr, wie vielleicht noch in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren, um eine Angleichung und Herstellung von Homogenität in Bildungskontexten. Heute kann in keiner Schulart oder Bildungseinrichtung von einer homogenen Klassen- oder Lerngruppenzusammensetzung ausgegangen werden. Überall ist Unterricht und Lernen für heterogene Lerngruppen zu organisieren.

Frank G. Pohl: Die Heterogenität der Gesellschaft in Deutschland spiegelt sich seit Jahren in den Klassenzimmern wider. Dabei ist es Auftrag von Inklusion im weiteren Sinne, diese soziale und kulturelle Vielfalt anzuerkennen. Im Bildungskontext ist bedeutsam, dass Diversität auch dort vorkommt, wo sie vermeintlich nicht offensichtlich erscheint. In der schulischen Realität sind zum Beispiel Menschen jüdischen Glaubens, Kinder, die in sogenannten Regenbogenfamilien aufwachsen wie auch Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*-Menschen oft unsichtbar. Sie haben Angst davor, beleidigt und ausgegrenzt zu werden. Und leider ist diese Angst nicht unbegründet.

Maryam: Gesellschaftliche Vielfalt bedeutet für mich eine Chance. Wenn man in einer vielfältigen Gesellschaft aufwächst, kommt man automatisch mit anderen Meinungen, Perspektiven und Kulturen in Kontakt und setzt sich damit auseinander. Aber nicht nur das: Fremdes wird zu Vertrautem und man lernt, dass man keine Angst vor Dingen haben muss, die anders sind, als bei einem selbst. Kinder machen beim Spielen mit anderen Kindern keinen Unterschied zwischen Hautfarben, Sprachen oder Ethnien, Vorurteile werden erlernt. Daher ist ein Aufwachsen ohne Vorurteile mit gesellschaftlicher Vielfalt wichtig.

2. Wie sollten Schulen mit dem Thema Vielfalt konkret umgehen?

Prof’in Dr. Diemut Kucharz: Thematisiert wird es in aller Breite und auf allen Ebenen: in der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen, in der Bildungsadministration und -politik genauso wie in Wissenschaft und Forschung. Wie Vielfalt aber gelebt und gefördert wird, unterscheidet sich dagegen von Schule zu Schule erheblich. Es gibt viele Schulen, die einen positiven und vorbildlichen Umgang mit Vielfalt praktizieren. Hier sind zum Beispiel diejenigen Schulen zu nennen, die mit dem Externer Link: Deutschen Schulpreis ausgezeichnet werden. Anderen Schulen fällt es dagegen schwerer – und das liegt nicht nur an der fehlenden Professionalität der Akteurinnen und Akteure vor Ort. Vielmehr funktioniert unser gesamtes Bildungssystem noch wie im ausgehenden 19. Jahrhundert und ist am Lernen im Klassenverband (eine Lehrkraft und 25 bis 30 Schülerinnen und Schüler), gleichschrittigem Vorgehen (Organisation von Benotung, Zeugnissen, Versetzungs- und Übergangsregelungen etc.) und alleiniger Orientierung am Leistungsvermögen pro Klassenstufe orientiert. Hier braucht es ein radikales Umdenken. Die Inklusion könnte dafür einen Anstoß geben.

Frank G. Pohl (privat / bearbeitet)

Frank G. Pohl: Alle Lehrkräfte, ganz unabhängig vom Unterrichtsfach, werden in ihrer täglichen Arbeit mit dem Thema Vielfalt konfrontiert und müssen Möglichkeiten entwickeln, damit umzugehen – auch um selbst keine Angst davor haben, Fehler zu machen. Die Mehrheit behandelt zum Beispiel Themen wie Homo- und Transphobie im Unterricht nicht. In den Schulbüchern kommen lesbische und schwule Lebensweisen ebenfalls nicht vor, wie eine Untersuchung von Melanie Bittner zeigt. Dabei orientieren sich viele Lehrkräfte heute noch am Schulbuch, insbesondere, wenn sie in einem Themenfeld nicht ganz firm sind. Der Informationsbedarf zu unterschiedlichen Lebensweisen ist enorm, das weiß ich aus den Rückmeldungen bei unseren Fortbildungen. Obwohl Lehrkräfte den Auftrag haben, die gegenseitige Akzeptanz aller Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität zu fördern, wird die entsprechende Aus- und Fortbildung in Deutschland bisweilen vernachlässigt. Antidiskriminierungspädagogik ist nicht verpflichtend, weder an der Uni noch im Studienseminar. Das sollte sich meiner Meinung nach ändern, denn wenn es ein bloßes Themenangebot bleibt, erkennen viele "das Problem" nicht und lassen sich nicht fortbilden.

Maryam: Lehrerinnen und Lehrer nutzen bei uns beispielsweise geschlechtergerechte Sprache, die auch inter- und transsexuelle Menschen anspricht und anerkennt. Außerdem bieten Willkommensklassen an unserer Schule nicht nur Deutschunterricht für Geflüchtete, sondern geben auch anderen Schülerinnen und Schüler die Chance, sich mit Themen wie Flucht und Migration auseinanderzusetzen. Was allerdings in meinen Augen fehlt, sind konkrete gemeinsame Projekte über die Willkommensklassen hinaus, in denen geflüchtete Kinder mit in Deutschland aufgewachsenen Kindern ihr gelerntes Deutsch anwenden und sich kulturell austauschen können. Das haben wir zwar schon mal gemacht, zum Beispiel als wir gemeinsam ein Plakat zum Thema erstellt und es in der Schülerzeitung veröffentlicht haben. Aber solche Projekte sind selten. Im Lehrplan fehlen außerdem auch Einheiten zu historischen Epochen auf anderen Kontinenten. Geschichte wird fast nur mit Blick auf Europa beziehungsweise Deutschland gelehrt. Nur die Themen Kolonialismus und amerikanische Geschichte geben einen Einblick in andere Kulturen – allerdings auch aus einer westlichen Perspektive. Dabei wäre es genauso wichtig, andere Länder und Kontinente zu betrachten: Ohne dieses kulturübergreifende Wissen ist ein kultureller Austausch zwischen Menschen mit und ohne Migrationserfahrung sehr schwer.

3. Wie können digitale Medien dabei helfen, Diversität im Unterricht zu thematisieren, dafür zu sensibilisieren und Vielfalt zu leben?

Prof’in Dr. Diemut Kucharz: Digitale Lernmedien können sinnvoll in einem differenzierten Unterricht eingesetzt werden. Über digitale Medien könnte Diversität zudem stärker als etwas Selbstverständliches präsentiert werden. Und wenn es um die Produktion von medialen Beiträgen geht, könnten Schülerinnen und Schüler sich in ihrer ganzen Vielfalt – zum Beispiel über die Sprache – einbringen.

Frank G. Pohl: Das Thema Diversität, wie es sich gerade in Fragen von Liebe und Geschlecht zeigt, ist für Jugendliche in der Pubertät von enormer Bedeutung. Gerade deshalb lässt sich hier besonders gut und beispielhaft eine gegenseitige Akzeptanz gegenüber dem Anderssein und ein respektvoller Umgang miteinander erlernen. Professionell aufbereitete und didaktisch durchdachte digitale Medien können für Lehrkräfte dabei ein Fundus sein, um fachlich korrekte und altersangemessene Antworten zu geben. Und sie bieten zudem die Chance des interaktiven und kreativen Lernens. Schule kann so seinem Bildungsauftrag zeitgemäß gerecht werden.

Maryam: Digitale Medien, vor allem soziale Netzwerke, ermöglichen einen Kulturaustausch, der vor 20 Jahren noch nicht möglichen gewesen ist. Über Instagram, Facebook, Twitter und Co. können sich Schülerinnen und Schüler international über Themen unterhalten, die sie interessieren. Unabhängig von Filterblasen, die es natürlich auch gibt, baut das zunächst einmal Barrieren des Misstrauens ab und man ist offener für Neues. Erfahrungen werden ausgetauscht und man kommt mit Themen und Meinungen in Kontakt, die einen vielleicht sogar dazu inspirieren zu seiner eigenen Individualität zu stehen und sie zu leben.

Über unsere Interviewpartner:

Prof’in Dr. Diemut Kucharz ist Professorin für Grundschulpädagogik mit dem Schwerpunkt Sachunterricht an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind u. a. der Umgang mit Heterogenität, offener Unterricht, Sprachförderung im Elementar- und Primarbereich, jahrgangsübergreifendes Lernen und Inklusion.

Frank G. Pohl ist Lehrer und Projektleiter der Fachberatungsstelle für das Antidiskriminierungsnetzwerk Externer Link: Schule der Vielfalt in der Landessektion Nordrhein-Westfalen. Vor seiner Abordnung hat Pohl ehrenamtlich Anti-Gewalt-Projekte geleitet und Unterrichtsmaterialien zu Antidiskriminierung und LSBTI*Q veröffentlicht.

Maryam ist 16 Jahre alt und besucht die 11. Klasse eines Berliner Gymnasiums im Bezirk Treptow-Köpenick.

Clara Eder studiert Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Im Rahmen ihres Schwerpunkts beschäftigt sie sich hauptsächlich mit Politik und Gesellschaft, generell interessiert sie aber alles, was im Netz passiert. Die Redaktion der werkstatt.bpb.de unterstützt sie seit Januar 2018.

Theresa Samuelis ist seit Oktober 2016 Redakteurin für werkstatt.bpb.de. Sie studierte Theaterwissenschaft, Französische Philologie und Angewandte Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin und an der Université Laval Quebec in Kanada. Während des Studiums hospitierte und arbeitete sie unter anderem für die Pressestelle der Schaubühne Berlin sowie die Onlineredaktionen des ZDFtheaterkanals und des Suhrkamp Verlags. Neben ihrer Tätigkeit für die KOOPERATIVE BERLIN ist sie als freie Autorin für Online und Hörfunk tätig.