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Mentale Gesundheit von Lehrkräften in der Pandemie | Corona und die neue Lernwelt | bpb.de

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Mentale Gesundheit von Lehrkräften in der Pandemie

Leonie Meyer

/ 6 Minuten zu lesen

Viele Lehrkräfte kommen während der anhaltenden Corona-Situation an ihre Belastungsgrenze. Julia Hansen vom Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung sprach mit uns über Stress im Lehrberuf in Zeiten von Distanz- und digital-gestütztem Unterricht.

Die Corona-Pandemie belastet viele Lehrende in ihrem Berufsalltag. (Foto: Julia M Cameron Externer Link: pexel.com, bearbeitet durch Externer Link: werkstatt.bpb.de)

Wie hat sich das Stresslevel von Lehrenden durch die Pandemie verändert?

Julia Hansen: Wir haben im Oktober 2020 eine Externer Link: Studie zur Lehrergesundheit in der Corona-Pandemie im Rahmen der Schulstudie "Externer Link: Präventionsradar" durchgeführt. Die Studie deutet darauf hin, dass der Schulalltag unter Corona-Bedingungen die Lehrkräfte belastet. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie führten binnen kürzester Zeit zu deutlichen Veränderungen des Berufsalltags von Lehrkräften: sie mussten, zusätzlich zum Unterricht, besonderes Augenmerk auf Abstandsregeln und die Maskenpflicht legen, Kommunikationswege mit den Elternhäusern finden, sich mitunter neue digitale Kompetenzen aneignen und flexibel auf die wechselnde Lernsituation reagieren. All das hat den Arbeitsalltag stark verändert und kann zu einem erhöhten Stresserleben führen. Unsere Studie zeigt, dass rund 90 Prozent der befragten Lehrenden das Unterrichten im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie als anstrengender empfanden.

Hinzu kommen die persönlichen Ängste und Sorgen um das eigene Wohlergehen und auch um das der Schülerinnen und Schüler. Jede zweite Lehrkraft, die sich an der Studie beteiligt hat, gab an, Angst zu haben, sich bei den Schülerinnen und Schülern anzustecken. Auch Sorgen um die Lernfortschritte spielten eine Rolle. Hervorzuheben ist die Belastung durch die Ungewissheit, was in den nächsten Monaten passieren wird. Betrachtet man das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung in dieser Berufsgruppe, so zeigte unsere Studie, dass rund 28 Prozent der Befragten ausgeprägt emotional erschöpft sind, sich ausgelaugt und ausgebrannt fühlen.

Gesundheitsforscherin Julia Hansen (© IFT-Nord gGmbH)

Welche konkreten pandemiebedingten Änderungen im Lehralltag empfinden Lehrende als besonders belastend?

Julia Hansen: Ein Großteil der Befragten gab an, das Unterrichten als anstrengend zu empfinden. Als Hauptgrund dafür sahen sie die Umsetzung der Corona-Schutzmaßnahmen in der Klasse an, gefolgt vom Eigenschutz. Eine Rolle spielte auch die Belastung durch die Ausfälle von Kolleginnen und Kollegen und die Aufarbeitung von Lernrückständen. Die Studie deutet aber auch auf weitere Belastungsursachen hin: generelle Schwächen des Bildungs- und Schulsystems, wie große Klassengrößen, Personalmangel, fehlende Digitalisierung, fehlende öffentliche Wertschätzung und Anerkennung des Lehrberufs, ständige Anpassung und erwartete Erreichbarkeit verbunden mit einer Planungsunsicherheit und der Zunahme an Verantwortung kämen demnach in der Zeit der Corona-Pandemie verstärkt zum Tragen.

Weitere Stress auslösende Aspekte sind der erhöhte Verwaltungsaufwand, der Mangel an Pausen sowie private, durch die Corona-Pandemie entstandene Herausforderungen. Lehrkräfte sind ja wie viele andere derzeit auch mehrfach belastet und beispielsweise als Elternteile auch für das Homeschooling ihrer Kinder zuständig. Als weitere belastende Faktoren genannt wurden der fehlende Kontakt zum Kollegium und fehlender Ausgleich in der Freizeit sowie die allgemeine Mehrarbeit. Ein weiterer Punkt, den die Lehrkräfte anbrachten, ist der hohe Aufwand für die Elternkommunikation, insbesondere durch fehlende Strukturen.

Wir haben die Umfrage im Oktober 2020 gemacht, seitdem ist in dem Bereich einiges passiert, aber die erhöhte Kommunikation mit den Eltern – das heißt alle Eltern, teilweise auch die Schülerinnen und Schüler einzeln erreichen zu müssen – ist eine Situation, die vorher in der Form nicht gegeben war. Rund 84 Prozent der Befragten gaben an, aufgrund der Corona-Pandemie Überstunden zu machen. Im Mittel arbeiteten die Lehrenden rund sechs Stunden in der Woche mehr – also fast einen ganzen Arbeitstag.

Welche Lehrenden sind von der derzeitigen Situation besonders betroffen?

Julia Hansen: Die Belastungsursachen unterscheiden sich entsprechend der Funktion, die eine Lehrkraft bekleidet. In unserer Studie zeigte sich, dass Schulleitungen im Schnitt neun Überstunden pro Woche machten, also rund drei Stunden mehr als Lehrpersonal ohne Leitungsfunktion. Die Hauptbelastung für die Schulleitung war beispielsweise der Ausfall der Kolleginnen und Kollegen.

Wir sehen aber auch, dass insbesondere diejenigen, die eine hohe emotionale Erschöpfung aufweisen, die Corona-Situation als sehr belastend empfanden – belastender als Lehrpersonal, dass kaum oder wenige Symptome der emotionalen Erschöpfung zeigt. Darüber hinaus hatten die befragten Lehrkräfte im Vergleich zur Schulleitung häufiger Angst zur Schule zu gehen und sich bei den Schülerinnen und Schülern anzustecken. Sie machten sie sich vermehrt Sorgen um die eigene Gesundheit. Bei Lehrkräften, die der Risikogruppe angehören, war der Anteil derjenigen, die mit Angst zur Schule gehen, auch größer als bei der Vergleichsgruppe. Das Alter spielte bei der Studie keine große Rolle, allerdings umfasst die Risikogruppe natürlich vor allem den Anteil der über 60-jährigen.

Wie wirkt sich Stress auf die Berufszufriedenheit von Lehrenden aus?

Julia Hansen: Ganz allgemein ist die Berufszufriedenheit unter Lehrkräften hoch. Die Mehrheit des befragten Lehrpersonals gab an, mit ihrem Beruf zufrieden zu sein. Wir haben die Befragten gebeten einzuschätzen, ob die Berufszufriedenheit durch die Corona-Situation verändert wurde. Und wir sehen durch die Studie, dass die Pandemie an der Berufszufriedenheit bislang nicht viel verändert hat. Rund 87 Prozent waren der Auffassung, dass ihre Berufszufriedenheit nicht durch die Corona-Situation beeinflusst wurde. Etwa zwölf Prozent berichteten, dass sie unzufriedener geworden sind. Nur bei weniger als einem Prozent hat die Situation die Zufriedenheit verstärkt. Wir haben in unserer Studie betrachtet, inwieweit die Berufszufriedenheit mit dem Erschöpfungsgrad zusammenhängt. Die Ergebnisse zeigen, dass Lehrkräfte, die emotional ausgelaugt sind, eine niedrigere Berufszufriedenheit aufweisen. Das heißt, etwa 96 Prozent der Befragten mit niedrig ausgeprägter emotionaler Erschöpfung waren zufrieden mit dem Lehrberuf. Bei Lehrpersonal mit ausgeprägter emotionaler Erschöpfung, also denjenigen, die ausgebrannt sind, war der Anteil mit etwa 64 Prozent doch deutlich geringer. Auch hier spielte das Alter der Lehrenden keine große Rolle.

Wie könnte das Stresslevel von Lehrenden in der Pandemie reduziert werden?

Julia Hansen: Das ist eine gute Frage und ich fürchte, eine einfache Lösung, um das Stresslevel von Lehrkräften zu reduzieren, gibt es nicht. Denn das Stresserleben ist sehr individuell. Stress ist zudem nicht immer grundsätzlich negativ besetzt. Es gibt auch positiven Stress, von dem man annimmt, dass er uns leistungsfähiger macht. Aber während sich ein Teil der Lehrkräfte trotz Mehrarbeit in der Corona-Pandemie nicht ausgelaugt und ausgebrannt fühlte, erlebte der andere Teil diese Mehrarbeit als sehr überfordernd. Es ist einfach so: Manche Menschen sind von Natur aus belastbarer als andere. Aber jeder Mensch kann versuchen, Stress abzubauen und zu lernen, gelassener mit stressigen Situationen umzugehen. Bewegung, Spaziergänge an der frischen Luft und die Ausübung von sportlichen Aktivitäten eignen sich gut. Ganz generell kann jeder etwas für sich und sein Wohlbefinden tun. Auch systematische Entspannungsmethoden wie beispielsweise autogenes Training können dabei helfen, negativem Stress gezielt vorzubeugen.

Unsere Studie zeigt noch weitere Punkte, die sich positiv auf die Belastung auswirken können. Wir sehen Zusammenhänge zwischen der Kommunikation innerhalb der Schule und dem Grad an emotionaler Erschöpfung. Das heißt, die Kommunikation innerhalb der Schule zeigte sich als Präventivfaktor: Lehrkräfte, die sich gut und ausreichend über Neuerungen und Entscheidungen von ihrer Schulleitung informiert fühlten, wurden weniger stark von der Corona-Situation beeinträchtigt. Hinsichtlich der strukturellen Ebene sehen wir, dass sich die Lehrkräfte klare und einheitliche Vorgaben vom Ministerium wünschen würden. Weitere Wünsche waren die Bereitstellung von Materialien, zum Beispiel von Schutzmitteln und technischen Geräten, ein höherer Arbeitsschutz durch Maskenpflicht im Unterricht, Fortbildungen zum digitalen Lernen, mehr Personal und stärkerer Praxisbezug bei den Maßnahmen sowie eine schnellere Informationsvermittlung und das Vorantreiben der Digitalisierung.

Über unsere Interviewpartnerin

Dr. Julia Hansen ist leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) in Kiel. Im Rahmen der von ihr geleiteten Schulstudie "DAK-Präventionsradar" wurde im Oktober 2020 eine Befragung zur Belastung von Lehrpersonen in der Corona-Pandemie durchgeführt.

Das IFT-Nord entwickelt Maßnahmen zur Vermeidung gesundheitlicher Risiken und zur Gesundheitsförderung. Eine wichtige Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche. Themenschwerpunkte sind die Prävention des Rauchens und riskanten Alkoholkonsums sowie die Förderung von Bewegung, Ernährung und psychischer Gesundheit. Daneben bilden die Erforschung der Ursachen und Häufigkeiten des Auftretens von Risikoverhaltensweisen im Kindes- und Jugendalter sowie die wissenschaftliche Prüfung der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung Schwerpunkte des gemeinnützigen Instituts.

Unterstützungsangebote

Leonie Meyer ist Redakteurin für werkstatt.bpb.de. Daneben studierte sie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Master Politikwissenschaft. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt auf den Wechselwirkungen von Sozialen Netzwerken und Politik bzw. politisch-historischer Bildung.