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This Rain Will Never Stop — Filmbesprechung | Die Ukraine im Film | bpb.de

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This Rain Will Never Stop — Filmbesprechung

Philipp Bühler

/ 4 Minuten zu lesen

In episodischer Form erzählt der künstlerische Dokumentarfilm von einem jungen Syrer im Donbass, der sich zwischen seiner kurdischen Heimat und der umkämpften Ostukraine bewegt.

Andriy Suleyman lebt in der Ostukraine, sehnt sich aber nach seiner kurdischen Heimat. Szenenbild aus dem Film „This Rain Will Never Stop“ von Alina Gorlova. (© jip Film & Verleih)

Regie: Alina Gorlova
Ukraine, Lettland, Deutschland, Katar 2020
Dokumentarische Form

Altersempfehlung: ab 16 Jahren, ab Klasse 11

Wie aus einer anderen Wirklichkeit erscheinen die ersten Bilder, sie evozieren den Begriff Seelenlandschaft. Die aus distanzierter Externer Link: Aufsicht gefilmten Dünen und Krater einer namenlosen Hügelkette ziehen vorüber, ein elektronisch pochender Externer Link: Soundtrack verstärkt die mystische Aura. Das Externer Link: Science-Fiction-Szenario vervollständigt sich, als im Hintergrund die apokalyptisch brennenden Schlote einer Fabrik auftauchen. Doch dies ist die Realität, in der Fabrik werden Panzer zusammengesetzt, stählerne Terminatoren eines längst laufenden Kriegs. Wie von Geisterhand wird ein Geschütz aufgeschraubt, der Mensch ist das verzichtbarste Element in dieser kalten Mechanik des Todes. Noch bevor in Alina Gorlovas außergewöhnlichem, bereits von 2017 bis 2019 gedrehtem Dokumentarfilm „This Rain Will Never Stop“ handelnde Personen auftauchen, fallen Namen von Orten, die man heute aus den Nachrichten kennt: Interner Link: Sjewjerodonezk, Lyssytschansk, Rubischne, Nowoajdar. Die Ukraine bereitet sich auf einen Krieg vor, der sich vom Osten auf weite Teile des Landes ausweiten wird.

Ein individuelles Schicksal in der universellen Kriegsdystopie

Andriy Suleyman, 20, ist in Syrien geboren, sein Vater ist Kurde, seine Mutter Ukrainerin. Im Jahr 2012 floh die Familie nach Lyssytschansk in der Ostukraine, woher die Mutter stammt. Eher zufällig stieß die Filmemacherin Gorlova auf den jungen Rettungssanitäter, der von einem Krieg in den anderen kam, worauf sie sich entschloss, ihre persönliche Aufarbeitung der Kriegsgeschehnisse in ihrer Heimat ganz auf ihn zu konzentrieren. Auch die bemerkenswerte, radikal filmische Ästhetik des Projekts war zunächst nicht vorgesehen. Die Externer Link: düstere Schwarzweißoptik, in der Unterschiede zwischen Menschen und Landschaften zu verschwimmen scheinen, reflektiert nicht zuletzt Andriys Schicksal. Wenn wir ihn im Lauf des Films mit verwundeten Soldaten in einer Prothesenwerkstatt sehen, könnten die Aufnahmen ebenso aus Syrien wie aus dem Donbass stammen. Bei den anfänglichen Bildern einer toten Wüstenlandschaft ist noch nicht einmal auszumachen, um welchen Planeten es sich handelt. Die Ähnlichkeit zu den dystopischen Filmvisionen von David Lynch, Werner Herzog und Andrej Tarkowski (Externer Link: „Stalker“, UdSSR 1979) wirkt, als sei sie von Gorlova genau so gewollt.

In ihrer poetischen Bildsprache ist Krieg ein menschheitsgeschichtlicher Kreislauf, der Vertreibung, Flucht und unermessliches Leid, aber auch Verantwortung mit sich bringt. Andriy fühlt sich, soviel lässt die fragmentarische Erzählung erkennen, den Menschen in diesem Krieg verbunden. Seine freiwillige Tätigkeit beim Roten Kreuz soll einen Beitrag leisten. Aber wie schon das Fehlen jeden Kommentars verdeutlicht, setzt der Film nicht auf Identifikation. Bevor Andriy sich und seine Motivation anderen zu helfen auf der Bühne eines vollbesetzten Theatersaals vorstellt – man denkt instinktiv an das später zerbombte Theater in Mariupol –, probt er mit einer Freundin seine Rede. Er wirke wie ein Roboter, sagt sie ihm scherzhaft, doch die Reduzierung des Menschen auf seine Funktion im Krieg ist ein zentrales Motiv des Films. Zwar finden seine Worte über Syrien beim ukrainischen Publikum spürbar Anklang, die Parallele ist allen bewusst. Doch mitten in diesen berührenden Moment einer verbindenden Solidarität schneidet Gorlova die martialischen Bilder einer Militärparade. Im Krieg sprechen nicht Menschen, sondern die Waffen.

Eine Parade ukrainischer Soldaten. Szenenbild aus dem Film „This Rain Will Never Stop“ von Alina Gorlova. (© jip Film & Verleih)

Auf der Suche nach Heimat im ewigen Kreislauf von Flucht und Ankommen

Einen emotionalen Anker findet diese kühle Analyse erst in einer persönlichen Reise Andriys in den Irak. Er selbst beschreibt es nicht ganz unzutreffend als „Arbeitsreise“, doch vor allem besucht er im irakischen Kurdengebiet seine Verwandtschaft. Die tränenreiche Begegnung mit dem hierher geflohenen Teil der syrischen Familie sowie die ständigen Telefonate mit Vater und Mutter in der Ukraine vermitteln einen starken Eindruck von der inneren und äußeren Zerrissenheit geflohener Familien im Krieg. Andriys Verwandtschaft lebt heute über die halbe Welt verstreut. Den Verlust der Heimat erlebt der junge Mann besonders schmerzhaft, als unerwartet sein Vater stirbt. Andriy organisiert die Überführung des Leichnams, doch die Beerdigung findet ohne ihn statt – widrige Umstände verhindern seine Einreise nach Syrien, wo ihm überdies der Militärdienst droht.

„This Rain Will Never Stop“ erscheint rückblickend, im Wissen um den russischen Angriffskrieg seit Februar 2022, als ein Film unheimlicher Déjà-vus, doch er ahnt nichts voraus, sondern beschreibt nur die Gegenwart. Flüchtende rennen auf Züge, die Familien kommunizieren über Skype und zeigen sich Handyvideos, im Donbass verteilen Hilfskräfte Holzöfen und Dämmmaterial für den Fall der Energieknappheit. Die Filmemacherin hat diesen ewigen Kreislauf des Krieges in elf Kapitel aufgeteilt, bezeichnet mit arabischen Ziffern, das letzte trägt die Zahl Null. In einer besonders kontrastreichen Externer Link: Montage von Bild und Ton führt Gorlova alles zusammen: Eine tanzende Hochzeitsgesellschaft in Deutschland, wo Andriys Bruder heiratet, die feiernde Menge einer Gay-Pride-Parade, ukrainische Folkloretänzerinnen und das in Reih und Glied marschierende Militär bewegen sich, in immer hektischer geschnittenen Bildern, zum selben pulsierenden Beat. Ein sich verzweifelt behauptendes Leben fügt sich in eine gleichförmige Choreografie der Massen. Wie im ganzen Film wertet Gorlova nicht, bleibt irritierend neutral und überlässt die Interpretation solcher Analogien dem Publikum. Ganz unmissverständlich ist hingegen das Bild einer überschwemmten Brücke in Syrien, die der Regen unbrauchbar gemacht hat. Sie müsste dringend repariert werden. Doch der Regen ist wie der Krieg, er hört niemals auf.

Verfügbarkeit: Im Kino

Filminformationen

  • Originaltitel: Цей дощ ніколи не скінчиться

  • Land: Ukraine, Lettland, Deutschland, Katar

  • Jahr: 2020

  • Gattung: Dokumentarische Form

  • Sprache: Kurdisch, Russisch, Ukrainisch, Arabisch, Deutsch

  • Regie: Alina Gorlova

  • Drehbuch: Alina Gorlova, Maksym Nakonechnyi

  • Kamera: Vyacheslav Tsvetkov

  • Montage: Olha Zhuarba, Simon Mozgovyi, Alina Gorlova

  • Ton: Vasyl Yavtushenko

  • Produktion: Maksym Nakonecheny, Olena Yakovitska

  • Mitwirkende: Andriy Lazgin Suleiman, Lazgin Khalil Suleiman, Mezgin Khalil Suleiman, Payman Mezgin Suleiman, Malva Mezgin Suleiman, Khoshnav Suleiman u. a.

  • Preise: International Documentary Filmfestival Amsterdam (IDFA) 2020: First Appearance Award; goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films 2021: Golden Lily Award für den Besten Film u.a.

  • Länge: 104 Minuten

Mehr Informationen zum Film:

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Aus Politik und Zeitgeschichte
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Philipp Bühler arbeitet als freiberuflicher Filmjournalist und Medienpädagoge. Zuvor studierte er Politikwissenschaft, Geschichte und Anglistik in Berlin. Von ihm erschienen zahlreiche Publikationen für die Bundeszentrale für politische Bildung, die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen und die Deutsche Filmakademie.