Ukrainische Städte im Film: animierte Kurzfilme für ein junges Publikum
Anna Onufriienko
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Drei Animationsfilme für Kinder und Jugendliche erzählen auf ganz eigene Weise vom Lebensgefühl in Großstädten und vermitteln einen Eindruck von zeitgenössischen Themen der ukrainischen Gesellschaft.
Hinweis: Der Text ist im Original auf Englisch verfasst und wurde von Kathrin Hadeler ins Deutsche übersetzt.
Einführung
Seit den Anfängen des ukrainischen Externer Link: Zeichentrickfilms vor fast 100 Jahren wurden Werke vor allem in der Kurzfilmform realisiert. Dies lag insbesondere daran, dass die Arbeit an den Filmen sehr mühevoll und zeitaufwändig war, da sie von Hand gezeichnet wurden. Hinzu kam, dass es keine eigene Sparte für Animationsfilme im Filmverleih gab. In der Regel wurden sie bei Filmvorführungen als Vorfilme gezeigt. Mit der massenhaften Verbreitung des Fernsehens änderte sich die Situation. In den 1960er- bis 1980er-Jahren kamen die ersten abendfüllenden Animationsfilme (besonders beliebt: „Die Schatzinsel“ („Ostrow Sokrowjschtsch“) aus dem Jahr 1988 von Regisseur Davyd Cherkasskyi ) und sogar animierte Fernsehserien (z. B. „Die Kosaken“ („Kosaki“), 1967-1995, von Regisseur Volodymyr Dakhno) auf den Markt. Trotz allem ist in diesem Bereich nach wie vor das Kurzfilmformat vorherrschend.
Der Trickfilm diente schon immer als Experimentierfeld und gewann besonders in Sowjetzeiten an Bedeutung, als Spielfilme vor allem im Stil des Sozialistischen Realismus gedreht werden mussten. Die Filmschaffenden suchten nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen und setzten sich – auch in Kinderfilmen – mit zentralen gesellschaftlichen oder philosophischen Fragestellungen auseinander. Jeder der drei hier besprochenen Kurzfilme wurde in einer ganz eigenen Filmästhetik und mit einer besonderen Technik realisiert. Trotz der formalen Unterschiede beschäftigen sich alle drei Filme mit dem gleichen Thema: der Urbanität. In anschaulichen Bildern beschreiben sie das Lebensgefühl von Menschen in Großstädten mit ihrem endlosen Strom von Ereignissen, Personen und Objekten. Sie erzählen von der Einsamkeit in der Masse und von freudigen Zufallsbegegnungen. Darüber hinaus lassen sich diese Filme bis zu einem gewissen Grad auch als dokumentarische Animationsfilme bezeichnen: Sie vermitteln einen Eindruck von tatsächlichen Ereignissen und Problemen in der ukrainischen Gesellschaft und bilden mitunter den aktuellen Alltag im Land mit dokumentarischer Genauigkeit ab.
Ein Haus auf Wanderschaft: „Halabudka“
Das kleine hübsche Häuschen Halabudka (ukrainisch für „kleine Hütte“) lebt umgeben von freundlichen Nachbargebäuden. Doch Jahr für Jahr müssen diese Häuser immer höheren und solideren Hochhäusern weichen, bis das kleine Häuschen schließlich als Letztes seiner Generation in der Stadt übrigbleibt. Die Neubauten machen sich über Halabudka lustig und schauen auf es herab. Also begibt sich das kleine Haus auf Wanderschaft. Auf seiner Reise begegnet es Gleichgestellten in anderen Ländern – einem Wigwam der amerikanischen Ureinwohner*innen, einer zentralasiatischen Jurte, einer Jaranga der Tschuktschen und einer japanischen Minka. Und obwohl es sehr gern und voller Freude Zeit mit ihnen verbringt, vermisst es dennoch seine Heimatstadt.
Der Trickfilm enthält sowohl inhaltliche als auch formale Bezüge zur Vergangenheit. Er wurde mit der in den 1920er-Jahren beliebten Externer Link: Cutout- oder Legetrick-Animationstechnik produziert, die Bildbearbeitung erfolgte am Computer. Zu Beginn vermittelt der Film den Eindruck eines frühen Stummfilms – beispielsweise durch die Sepiafärbung und die Einblendung von Zwischentiteln. Der farbige Teil ist dagegen wie eine Collage aus unterschiedlichen Mustern und Formen gestaltet.
Regisseur Manuk Depoyan war Architekt, bevor er sich dem Animationsfilm widmete. Er ist daher auch bestens mit dem Thema des Films – dem harmonischen Miteinander historischer und neuer Gebäude in einer Stadt – vertraut. Der Konflikt zwischen Altem und Neuem dient hier auch als Metapher für die Kluft zwischen den Generationen. Anhand des Films kann jungen Zuschauer*innen vermittelt werden, wie es sich anfühlt, von einer Gruppe wegen häufig rein äußerlichen und individuellen Merkmalen wie Alter oder Aussehen ausgeschlossen zu werden. Der Film regt zum Nachdenken darüber an, warum es wichtig ist, sich von anderen abzugrenzen und die gesellschaftliche Vielfalt zu akzeptieren.
Der fünfminütige Animationsfilm skizziert einen Tag in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw, wo der pulsierende Rhythmus des Stadtlebens nicht einen Augenblick stillzustehen scheint. Wir sehen Kyjiw aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in verschiedenen Stimmungen. Die Bilder fließen kreuz und quer ineinander über und vermitteln einen Eindruck vom Leben in einer im ständigen Wandel begriffenen Stadtlandschaft.
Die Bilder des Films wurden überwiegend von Hand als Externer Link: 2D-Animation gestaltet. In Yulia Shalimovas Zeichenstil spiegeln sich ihre langjährigen Erfahrungen als Buchillustratorin wider. Der Film ist in hellen Farben mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Gelb- und Blautöne (den Farben der ukrainischen Flagge) gehalten. Innerhalb des Bildausschnittes gibt es viel Weißraum. Shalimova verbindet in ihrer Animation verschiedene Stilmittel harmonisch miteinander – von der Buchgrafik über den Einsatz von Graffiti-Schablonen und Elementen des semi-abstrakten Minimalismus bis hin zu detailgetreuen Zeichnungen. Die Filmmusik stammt von Chloe Knibbs, einer bekannten britischen Komponistin und Klangkünstlerin. Ihr Soundtrack unterstreicht die Lyrik des Films.
Trotz seiner vornehmlich optimistischen Stimmung bildet der Film – mit der Corona-Pandemie und dem Widerhall des Krieges, der seit 2014 die Ostukraine erschüttert – auch die traurige Realität der heutigen Zeit ab. Ausgehend von seinem Titel lädt er dazu ein, die eigenen vier Wände zu verlassen und durch echte Erlebnisse zu „scrollen“, die nicht weniger aufregend sein können als Social-Media-Feeds. Er motiviert junge Menschen, nach den Besonderheiten in ihren eigenen Städten zu suchen und Schönheit in den kleinen, einfachen Dingen zu finden, die sie in ihrem Alltag umgeben.
Der Film ist ein Portrait der Stadt Dnipro im Südosten der Ukraine. Regisseur Mykyta Lyskov verarbeitet darin die Hassliebe zu seiner Geburtsstadt, in der er noch immer lebt. Plastiktüten fliegen durch die Straßen, der Wind pfeift ein trauriges Lied, der Kopf der Leninstatue explodiert, ein russisches Militärflugzeug in Form eines Adlers wirft ein Ei über der Stadt ab, aus dem eine riesige Pilzwolke aufsteigt. Vor diesem postapokalyptischen Hintergrund widmen sich die Figuren weiterhin ihrem Alltag – sie arbeiten, fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt, besuchen Schönheitssalons, streichen die Hauswände in den Farben der ukrainischen Flagge und versuchen sogar, Paarbeziehungen aufzubauen.
Jedes einzelne Bild des Films ist handgezeichnet. Für die Hintergründe und Details verwendete der Regisseur dagegen Fotoaufnahmen von Dnipro. Die rhythmische Architektur dieser Trabantenstadt, die Anzeigen für den Ankauf von Haaren oder den Verkauf von Arzneimitteln, eine Werbung mit der Telefonnummer der urbanen Legende „Pechnik“ (einem Holzofenmacher, der mit Feuerholz betriebene Kochöfen baut) – auf all diese Dinge kann man auch heute noch in den Straßen von Dnipro stoßen. Für das musikalische Leitmotiv ihres Films verwendeten Lyskov und sein Komponist Anton Baibakov sogar Geräusche von Verkehrsampeln, die so nur in Dnipro zu finden sind. Diesen realistischen Elementen fügt der Regisseur eine fantastische und surreale Ebene voller Metaphern und Zerrbilder hinzu. Auf diese Weise unterstreicht er die Absurdität einiger Situationen und schärft den kritischen Blick auf die sozialen Probleme der Stadt. Gleichzeitig trägt vor allem der genannte Wiederkennungswert zur Komik des Films bei.
Voller Ironie erzählt der Künstler von den Schwierigkeiten der Menschen, die Erfahrungen der Sowjetzeit hinter sich zu lassen und sich den aktuellen Problemen, wie beispielsweise der Umweltkrise, zuzuwenden. Der Film ist ein Plädoyer für ein stärkeres Bewusstsein und für mehr Rücksichtnahme und Herzlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen. Zahlreiche Auszeichnungen auf Festivals (z. B. die Goldene Taube im Next Masters Wettbewerb bei DOK Leipzig 2019) und die große weltweite Resonanz deuten darauf hin, dass der Film auch Teile der Lebenswirklichkeit eines internationalen Publikums widerspiegelt. Mit seiner Hilfe können junge Zuschauer*innen nicht nur ein besseres Verständnis vom Lebensalltag in postsowjetischen Gesellschaften entwickeln, sondern auch ihren Blick für die Unvollkommenheiten in ihrem eigenen Lebensumfeld schärfen.
Alle drei Animationsfilme versuchen, aktuellen Fragen nach gesellschaftlicher Entfremdung, der Bedeutung und Fragilität von zwischenmenschlichen Beziehungen und der Achtsamkeit für unsere Liebsten und die Welt um uns herum auf den Grund zu gehen. Ihren Held*innen gelingt es, den Zustand der Einsamkeit und des Chaos zu überwinden und ihr Glück zu finden – in einer innigen Beziehung oder in ihrer eigenen Rolle in der Gesellschaft.
Die jüngere Geschichte des ukrainischen Kinos ist eng mit dem Nation-Building-Prozess im Land verknüpft. Die Filme zeigen eine Chronologie des Krieges und den politischen Weg Richtung Westen.
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Anna Onufriienko ist Filmwissenschaftlerin am Oleksandr-Dovzhenko-Zentrum in Kyjiw, dem staatlichen Filmarchiv der Ukraine und Kuratorin von Ausstellungen am dortigen Filmmuseum. Darüber hinaus publiziert sie Bücher über den ukrainischen Film und koordiniert Programme für Filmretrospektiven.
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