Jugendkriminalität - Zahlen und Fakten
Jugendliche Kriminelle scheinen brutaler geworden zu sein. Kommt es zu gewalttätigen Übergriffen, wird meist rasch die Forderung nach einem härteren Durchgreifen gegenüber den Tätern laut – in den Medien, der Politik, der Öffentlichkeit. Der Kriminologe und Rechtswissenschaftler Wolfgang Heinz skizziert die Jugendkriminalität in Deutschland. Diese sei insgesamt nicht brutaler geworden und auch die Zahlen der Delikte seien rückläufig.
Über kriminelle Jugendliche wurde und wird zu allen Zeiten geklagt. Die wohl schönste poetische Ausdrucksform dieser Klage hat vor 400 Jahren Shakespeare gefunden: "Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und dreiundzwanzig, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: Denn dazwischen ist nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen, balgen."[1] Weniger poetisch, aber weitaus wirkmächtiger sind die Schlagzeilen heutiger Medien, etwa der Titel "Junge Männer: Die gefährlichste Spezies der Welt."[2] Solche und ähnliche Berichte bestimmen weitgehend unser "Wissen" über Jugendkriminalität, unsere "Kriminalitätsfurcht" und unsere kriminalpolitischen Einstellungen.
Jugendkriminalität und "gefühlte" Jugendkriminalität
Diese "gefühlte" Kriminalität stimmt mit der Realität nur begrenzt überein. Befragungsdaten über selbstberichtete Delinquenz, also freiwillige Angaben zur persönlichen Straffälligkeit, zeigen zunächst, dass Jugendkriminalität ubiquitär ist, das heißt im "statistischen Sinne" (wie zum Beispiel Karies) "normal". "Anormal" ist es, dabei erwischt oder deshalb bestraft zu werden. In Schülerbefragungen gaben – in Abhängigkeit vom erfragten Deliktsbereich – teilweise bis zu 70 Prozent an beziehungsweise zu, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens eines der dort erfragten Delikte verübt zu haben. In der jüngsten Studie, die 2007/2008 bei einer deutschlandweit repräsentativen Schülerstichprobe in Jahrgangsstufe 9 durchgeführt wurde, war dies bei 43,7 Prozent der männlichen und 23,6 Prozent der weiblichen Befragten der Fall (siehe Schaubild 1). Diese selbstberichtete Delinquenz bietet Einblick in das sogenannte Dunkelfeld, nämlich hinsichtlich jener Delikte, die der Polizei nicht bekannt werden.Nimmt man auch Schwarzfahren, ein typisches Jugenddelikt, in die Befragung auf, liegen die Zahlen noch darüber: In einer im Jahr 2000 in fünf deutschen Städten beziehungsweise Landkreisen durchgeführten Befragung hatten insgesamt 71,4 Prozent der männlichen und 67,6 Prozent der weiblichen Jugendlichen angegeben, mindestens ein Delikt begangen zu haben; 53,2 Prozent der männlichen und 38,5 Prozent der weiblichen Jugendlichen hatten hierbei auch Schwarzfahren zugegeben. Jugendkriminalität ist danach kein Minderheitenphänomen.


Schaubild 1 zeigt, dass schwere Formen der Kriminalität selten sind. Jugendkriminalität bewegt sich innerhalb eines Kontinuums, an dessen einem Ende die große Mehrzahl der Jugendlichen mit jugendtypischen, wenigen und leichten Delikten steht, und an dessen anderem Ende sich relativ wenige Jugendliche mit vielen und/oder schweren Delikten befinden. Aus Schaubild 1 lässt sich auch ablesen, dass zwischen weiblichen und männlichen Jugendlichen bei einem Delikt wie Ladendiebstahl die Unterschiede in der Begehungshäufigkeit gering sind. Mit der Schwere des Delikts werden aber die Unterschiede größer. Jugendkriminalität ist überwiegend Jungenkriminalität. Diese ist höher und in der Regel schwerer als diejenige der jeweiligen Altersgenossinnen.
Kriminalstatistiken zeigen, dass junge Menschen in jeder Gesellschaft und zu allen Zeiten (insgesamt gesehen) sehr viel häufiger kriminell werden als Erwachsene (siehe Schaubild 2).[3] Jugendzeit ist die Zeit höchster Aktivität und des Erkundens von Grenzen. Allerdings unterscheiden sich die Zahlen je nach Art des Delikts: So werden der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) in Deutschland zufolge Körperverletzungsdelikte vor allem von 18- bis unter 21-Jährigen verübt, während bei der Wirtschaftskriminalität die Gruppe der 50- bis unter 60-Jährigen die höchsten Raten aufweist.


Die Höherbelastung junger Menschen mit registrierter Kriminalität setzt sich, wie Schaubild 2 zeigt, nicht weit in das Vollerwachsenenalter hinein fort. Dies zeigen alle nationalen wie internationalen Statistiken. Ein gegen Strafnormen verstoßendes Verhalten bleibt für die weit überwiegende Zahl der jungen Menschen eine Episode im Rahmen ihres Reifungs- und Anpassungsprozesses. Diese Episode wird zumeist ohne Intervention durch Polizei und Justiz beendet.
Bei den von jungen Menschen typischerweise verübten Delikten handelt es sich mehrheitlich um leichtere Delikte, vor allem aus dem Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte. Das Deliktspektrum der Erwachsenen ist demgegenüber wesentlich breiter und schwerer als das junger Menschen. Erwachsene – und nicht Jugendliche – sind die typischen Täter des Drogen-, Waffen- und Menschenhandels und weiterer Spielarten der Organisierten Kriminalität, der Gewalt in der Familie, der Korruption, der Wirtschafts- und Umweltkriminalität. Derartige Erwachsenendelikte sind allerdings schwerer zu entdecken und schwerer nachzuweisen. Insofern ergibt sich eine statistische Überrepräsentation junger Menschen auch als Folge der Unterrepräsentation von Erwachsenen. Jugendliche sind übrigens häufiger Opfer von Gewalt, insbesondere von innerfamiliärer Gewalt, als Täter von Gewalt.