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Plötzlich im Mittelpunkt | München 1972 | bpb.de

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Plötzlich im Mittelpunkt Palästinenser in der Bundesrepublik und der Anschlag 1972 in München

Joseph Ben Prestel

/ 16 Minuten zu lesen

Mit dem Anschlag rückte die palästinensische Diaspora in den Fokus des öffentlichen Interesses. Misstrauen und Ausweisungen wurden begleitet von einer erstarkenden pro-palästinensischen Solidaritätsbewegung.

PalästinenserInnen lebten lange Zeit von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt in der Bundesrepublik. Seit den späten 1950er Jahren zogen mehrere Tausend arabischsprachige Menschen, die im Völkerbundsmandat für Palästina (1920–1948) geboren worden waren, in Städte wie Mannheim, Münster oder Frankfurt. Die meisten von ihnen waren 1948 infolge des arabisch-israelischen Kriegs nach Jordanien, Syrien, Ägypten und in den Libanon geflüchtet. Nach ihrem Schulabschluss kamen sie in die noch junge Bundesrepublik Deutschland, um zu arbeiten oder zu studieren.

Mit dem Anschlag auf das israelische Team bei den Olympischen Spielen in München rückte diese Gruppe von MigrantInnen auf einmal in den Fokus des öffentlichen Interesses. Im Herbst 1972 fragten Printmedien vom "Spiegel" bis zur "Bild": Wie viele PalästinenserInnen lebten eigentlich in der Bundesrepublik? Konnte man ihnen vertrauen? Welche Verbindungen unterhielten sie zu bewaffneten Gruppen im Nahen Osten? Auch die Behörden nahmen PalästinenserInnen verstärkt ins Visier. Innerhalb eines Monats wurden Schätzungen zufolge über 200 Menschen aus der Bundesrepublik ausgewiesen, die Einreise für BürgerInnen arabischer Staaten erschwert und mehrere palästinensische Vereinigungen verboten.

Der Anschlag von München hatte somit auch spürbare Folgen für in der Bundesrepublik lebende PalästinenserInnen. Doch wie genau setzte sich die palästinensische Diaspora in Westdeutschland zusammen? Wie nahmen PalästinenserInnen die Ereignisse vom Herbst 1972 wahr? Und welche Reaktionen gab es auf die Presseberichte und die Maßnahmen der Bundesbehörden?

Der folgende Beitrag greift zur Beantwortung dieser Fragen auch auf palästinensische Quellen zurück. Verschiedene Archivdokumente, Interviews, Autobiografien, arabische Zeitungen und Zeitschriften geben Einblicke in eine noch kaum erforschte Geschichte von PalästinenserInnen in der Bundesrepublik. In einem ersten Schritt wird das Entstehen der palästinensischen Diaspora in Westdeutschland seit den späten 1950er Jahren dargestellt. Für diese Gruppe von Menschen stellten der Sechstagekrieg von 1967 und das Aufkommen politischer Gewalt durch palästinensische Gruppen einen gravierenden Einschnitt dar, wie der zweite Teil des Beitrags verdeutlicht. Der dritte Teil fokussiert auf den Anschlag von 1972 und seine Folgen für PalästinenserInnen in der Bundesrepublik. In einem letzten Schritt soll gezeigt werden, wie die Reaktion der Behörden zu einer neuen Mobilisierung von PalästinenserInnen und ihren linken Verbündeten führte.

Palästinensische Diaspora in Westdeutschland

Mit dem arabisch-israelischen Krieg und der Gründung Israels 1948 flüchteten etwa 700.000 PalästinenserInnen aus dem Gebiet des neuen jüdischen Staats. Die meisten PalästinenserInnen flohen nach Jordanien, das 1950 das Westjordanland und Ost-Jerusalem annektiert hatte. In den 1950er Jahren stammten etwa zwei Drittel der jordanischen Bevölkerung aus dem ehemaligen Völkerbundsmandat für Palästina. Die geflüchteten PalästinenserInnen befanden sich häufig in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Zum Verlust von Eigentum und der Erfahrung von Flucht und Vertreibung kam hinzu, dass viele der Nachbarländer Israels kaum ausreichende Studien- und Arbeitsmöglichkeiten boten. Vor diesem Hintergrund zogen insbesondere junge palästinensische Männer in Staaten, die ihnen bessere Zukunftsaussichten boten.

Ein besonders beliebtes Ziel waren dabei Golfstaaten wie Kuwait, Qatar oder Saudi-Arabien. In diesen Ländern, die mithilfe der Einnahmen aus dem Ölgeschäft ihre Städte und öffentliche Infrastruktur ausbauten, herrschte eine große Nachfrage nach gut ausgebildeten Arbeitskräften. Seit den späten 1950er Jahren wurde auch Westdeutschland zu einer wichtigen Destination für junge Palästinenser, die aus Jordanien oder Ägypten auswanderten, um zu studieren oder zu arbeiten. Die Bundesrepublik bot verschiedene Vorteile, vor allem im Hinblick auf Arbeitsmöglichkeiten. Das dynamische Wirtschaftswachstum hatte zu einem Arbeitskräftemangel geführt, den die westdeutsche Regierung mithilfe der Anwerbeabkommen für sogenannte Gastarbeiter zu lindern suchte. Auch mit Jordanien, aus dem viele Palästinenser auswanderten, gab es Gespräche über ein solches Abkommen, das jedoch nicht zustande kam.

Diese Lücke füllten private Vermittlungsagenturen. In der Ost-Jerusalemer Zeitung "Filastin" (Palästina) fanden sich in den frühen 1960er Jahren regelmäßig Anzeigen, die Arbeitsstellen in Westdeutschland versprachen. Briefwechsel zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und westdeutschen Firmen zeigen, dass sich Arbeitsvermittlungen in Jordanien direkt mit Arbeitgebern in der Bundesrepublik austauschten. Auf diese Weise kamen mehrere Tausend Palästinenser als Arbeiter nach Westdeutschland, ohne eine offizielle Arbeitserlaubnis zu besitzen. 1965 ging Bundespräsident Heinrich Lübke in einem Gespräch mit dem jordanischen König Hussein von 4.200 "jordanischen Gastarbeiter[n]" aus, die sich "illegal" in der Bundesrepublik aufhalten würden. Auch zum Studium zogen PalästinenserInnen nach Westdeutschland. Die im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern niedrigen Lebenskosten und die Gelegenheit, neben dem Studium arbeiten zu können, machten die Bundesrepublik besonders attraktiv. Politisch schien das Land für einige in seinem Verhältnis zu arabischen Ländern weniger belastet als etwa Großbritannien und Frankreich – besonders nach deren Angriff auf Ägypten in der Suez-Krise von 1956.

In der westdeutschen Öffentlichkeit wurden palästinensische MigrantInnen jedoch so gut wie nicht wahrgenommen. Bis heute ist ihre Spur in Archiven nur schwer nachzuverfolgen, denn die Menschen, die aus Gaza oder Ost-Jerusalem in die Bundesrepublik kamen, wurden von den Behörden meistens nach ihren Pässen kategorisiert, als Staatenlose oder Jordanier. "Palästina" existierte nicht als Nationalstaat, dementsprechend tauchen in deutschen Archiven aus der Zeit keine palästinensischen Staatsbürger auf. Auch in der zeitgenössischen Presse fand sich der Ausdruck "Palästinenser" nur selten. Viel eher war von "Palästina-Flüchtlingen" oder "Arabern" die Rede.

Aus historischer Perspektive können die PalästinenserInnen in der Bundesrepublik während der späten 1950er und frühen 1960er Jahre als Teil einer Diaspora bezeichnet werden. Der Begriff ist insofern treffend, als dass diese Menschen in der Bundesrepublik keinen Flüchtlingsstatus beanspruchten. Viel eher kamen sie als Arbeiter und Studierende aus dem Nahen Osten nach Westdeutschland. Der Begriff bietet sich zweitens an, weil PalästinenserInnen genau in dieser Zeit ein geteiltes Verständnis einer Nation im Exil entwickelten. Besonders für die 1959 gegründete Fatah (Bewegung zur Nationalen Befreiung Palästinas) und die Generalunion Palästinensischer Studenten (GUPS) wurde die Bundesrepublik zu einem bedeutenden Standort.

Politische Gewalt seit 1967

Für PalästinenserInnen war der Sechstagekrieg von 1967 eine wichtige Zäsur. Der überraschend schnelle Sieg Israels über die Armeen Ägyptens, Jordaniens, Syriens und des Irak erschütterte die politische Landschaft im Nahen Osten. PalästinenserInnen rückten nun von den pan-arabischen Allianzen ab, auf die sie zuvor im Konflikt mit Israel gebaut hatten. Anstatt auf die Armeen Ägyptens oder Syriens setzten sie nun verstärkt auf einen eigenständigen Kampf gegen den jüdischen Staat. Mit dieser neuen Strategie war die Stunde bewaffneter Gruppen wie der Fatah oder der neugegründeten Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) gekommen, die bis 1969 zu dominanten Kräften innerhalb der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) aufstiegen.

PalästinenserInnen bemühten sich fortan auch verstärkt um die Aufmerksamkeit einer globalen Öffentlichkeit für ihre Sache. In Westeuropa erhoffte man sich besonders Beistand von linken Gruppen, die seit den 1960er Jahren ihre Solidarität mit der "Dritten Welt" verkündeten. So suchte die palästinensische Diaspora in der Bundesrepublik verstärkt den Kontakt zur Studentenbewegung und der Neuen Linken. Nach dem Sechstagekrieg veröffentlichten PalästinenserInnen Publikationen auf Deutsch, in denen sie den Konflikt mit Israel als einen Kampf gegen den Kolonialismus und Teil der "Befreiungskämpfe der Dritten Welt" präsentierten. Auch mit Demonstrationen, Diskussionsveranstaltungen oder der Verbreitung palästinensischer Symbole wie dem sogenannten Arafat-Schal (Kufiya) half die palästinensische Diaspora dabei, eine linke Solidaritätsbewegung mit PalästinenserInnen in der Bundesrepublik in den späten 1960er Jahren aufzubauen.

Zur palästinensischen "globalen Offensive" nach 1967 gehörte auch politische Gewalt gegen israelische BürgerInnen und Einrichtungen. Mitglieder der PFLP entführten beispielsweise im Juli 1968 eine Passagiermaschine der israelischen Fluggesellschaft El Al von Rom nach Algier. Am 10. Februar 1970 kam es auch in München zu einem Anschlag: In der Transithalle des Flughafens München-Riem versuchten drei bewaffnete Palästinenser, die Passagiere einer El-Al-Maschine als Geiseln zu nehmen. Dabei töteten sie einen israelischen Staatsbürger. Am 21. Februar 1970 verübte die Splittergruppe "Volksfront zur Befreiung Palästinas – General Command" (PFLP-GC) einen Bombenanschlag auf ein Flugzeug der Swissair, das von Zürich nach Tel Aviv fliegen sollte. Alle 47 PassagierInnen starben.

Die Anschläge vom Frühjahr 1970 führten zu Diskussionen zwischen verschiedenen palästinensischen Gruppen über den Sinn und Zweck politischer Gewalt außerhalb des Nahen Ostens. Die Demokratische Volksfront zur Befreiung Palästinas (DFLP), die in mehreren westdeutschen Städten Unterstützer hatte, kritisierte Aktionen wie den Anschlag auf die Swissair-Maschine. Diese Form der Gewalt sei nichts anderes als "individueller Terror", der nicht zu einer Massenbewegung führen könne. Auch die PFLP stand den Anschlägen der PFLP-GC wenig positiv gegenüber. Allerdings lehnte sie eine allgemeine Kritik an politischer Gewalt außerhalb des Nahen Ostens ab.

Im Herbst 1970 eskalierte die Gewalt auch in Jordanien, das sich nach 1967 zu einem wichtigen Stützpunkt bewaffneter palästinensischer Gruppen entwickelt hatte. Ein bereits länger schwelender Konflikt mit dem haschemitischen Königshaus um die Kontrolle im Land mündete in einem Bürgerkrieg, der als "Schwarzer September" in die palästinensische Geschichte eingehen sollte. Nach der Niederlage in Jordanien verlegten Gruppen wie die Fatah und die PFLP ihre Aktivitäten vor allem nach Beirut, das zum Zentrum palästinensischer Politik wurde.

In den fünf Jahren vor dem Anschlag auf die olympischen Sommerspiele hatte sich somit viel verändert: Nach dem Sechstagekrieg hatten PalästinenserInnen eine weltweite Offensive gegen Israel begonnen, in der sie sowohl enge Verbindungen zu Linken in der Bundesrepublik knüpften als auch Anschläge in zahlreichen Ländern verübten. Dabei vertraten palästinensische Gruppen keine einheitliche Haltung zu politischer Gewalt außerhalb des Nahen Ostens. Vielmehr war eine unübersichtliche Landschaft bewaffneter Gruppen entstanden, die unterschiedliche politische Positionen einnahmen, zum Teil miteinander konkurrierten und verschiedene Verbündete im links-alternativen Milieu der Bundesrepublik hatten.

Der Anschlag 1972 und seine Folgen

Im Herbst 1972 stand die palästinensische Diaspora in Westdeutschland plötzlich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Am 5. September 1972 entführte und tötete ein Kommando der palästinensischen Organisation Schwarzer September elf Mitglieder des israelischen Olympiateams. Bei dem Feuergefecht mit westdeutschen Sicherheitskräften am Flughafen Fürstenfeldbruck kamen auch ein Polizist und fünf der acht palästinensischen Entführer ums Leben. Einige Wochen später, am 29. Oktober, entführten Palästinenser eine Lufthansa-Maschine, die von Damaskus nach Frankfurt fliegen sollte, und pressten so die drei überlebenden Attentäter aus dem Gefängnis in der Bundesrepublik frei.

Nach dem Anschlag in München berichtete die westdeutsche Presse ausführlich über PalästinenserInnen in der Bundesrepublik. Für die Titelstory der Ausgabe vom 17. September 1972 wählte "Der Spiegel" als Überschrift ein Zitat des Münchner Kriminalpolizeidirektors Gustav Stogel: "Der Araber – dem ist nicht zu trauen". Die "Bild"-Zeitung setzte über ein Interview mit dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz die Schlagzeile: "Die Araber können jeden Tag wieder zuschlagen". Der Herausgeber des "Stern", Henri Nannen, forderte, "alle Staatsangehörigen jener arabischen Staaten, die das Treiben der palästinensischen Terrororganisationen fördern, fristlos aus dem Bundesgebiet auszuweisen". Die Zeitschrift "Quick" behauptete, dass der israelische Geheimdienst von 2000 bis 3000 Studenten und Arbeitern in der Bundesrepublik ausgehe, die "von palästinensischen Terror-Organisationen geschickt wurden".

Auch die westdeutschen Behörden sahen in der palästinensischen Diaspora eine Bedrohung. Bereits zwei Tage nach dem Anschlag von München wurden die Einreise von Staatsbürgern aus arabischen Staaten erschwert und die Visumsbestimmungen deutlich verschärft. Das Bundesinnenministerium ordnete an, besonders Menschen aus arabischen Staaten, die als Touristen einreisen wollten, an der Grenze zurückzuweisen. Mit Merkblättern auf Deutsch, Französisch, Englisch und Arabisch versuchte die Bundesregierung, an Flughäfen um Verständnis für die Kontrollen, Restriktionen und langen Wartezeiten zu werben. Trotzdem sah sie sich mit einer Welle von Protesten, insbesondere von deutschen Botschaften und Reisenden aus dem Nahen Osten, konfrontiert.

In den folgenden Wochen wiesen die Behörden außerdem zahlreiche PalästinenserInnen aus der Bundesrepublik aus. Der Bundesverfassungsschutz schätzte, dass innerhalb eines Monats nach dem Anschlag 255 Ausweisungsverfügungen gegen BürgerInnen arabischer Staaten ergangen seien. Die Ausweisungen wurden zumeist mit der Mitgliedschaft oder Unterstützung der Generalunion Palästinensischer Studenten oder der Fatah begründet. Am 4. Oktober 1972 verbot Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher schließlich die GUPS und die Generalunion Palästinensischer Arbeiter (GUPA).

Es ist bis heute umstritten, ob der "Schwarze September", der hinter dem Anschlag von München steckte, von der Fatah direkt kontrolliert wurde. Sicher ist, dass die Gruppe aus Mitgliedern der Fatah bestand und Kontakte zu hohen Fatah-Funktionären, insbesondere zu Salah Khalaf, hatte. GUPS und GUPA waren Anfang der 1970er Jahre wiederum eng mit der Fatah verbunden. Es lassen sich schließlich auch Verbindungen zwischen dem Anschlag und der palästinensischen Diaspora in Westdeutschland ziehen; so hatte etwa der Anführer der Täter von München vermutlich in der Bundesrepublik studiert.

Die Ausweisungsverfügungen verdeutlichen jedoch, dass es bei den Ausweisungen nicht primär um direkte Verbindungen zum Schwarzen September ging. Vielmehr betrachteten die westdeutschen Behörden und Teile der Presse mehrere palästinensische Gruppen als Bedrohung, die nicht länger in der Bundesrepublik geduldet werden sollte. So wurde am 21. September 1972 eine 23-jährige Palästinenserin, die in Hamburg studierte, nach Israel abgeschoben, weil sie für die Fatah aktiv war. Der in Karlsruhe lebende Ahmad Awayes wurde mit der Begründung ausgewiesen, dass er ein "führender Funktionär" von Fatah und GUPS in der Bundesrepublik sei und daher ein "erhöhtes Sicherheitsrisiko" darstelle. Eine weitere Ausweisungsverfügung in Hamburg argumentierte, dass durch die Maßnahme "Terroristen (…) die tatsächliche oder ideelle Unterstützung durch Gleichgesinnte und Sympathisanten genommen werden" solle. Dabei sei es unerheblich, ob die Betroffenen mit deutschen Staatsbürgern verheiratet seien oder nicht, denn: "Die Beunruhigung der hier lebenden Bevölkerung, die Furch[t] vor weiteren zum Teil bereits angekündigten Gewalttaten und die weltweite Beachtung der von deutschen Behörden zu ergreifenden Maßnahmen begründen den Vorrang des öffentlichen Interesses."

Die martialischen und mitunter xenophoben Kommentare in der westdeutschen Presse zeigen, dass diese weitreichenden Maßnahmen durchaus antizipiert wurden. Henri Nannen schrieb im "Stern" zu den von ihm geforderten Ausweisungen: "Leider werden davon auch Unschuldige betroffen. Aber der Satz, daß es besser ist, zehn Schuldige davonkommen zu lassen, als einem Unschuldigen Unrecht zu tun, gilt nur im Frieden. Im Krieg gilt der umgekehrte Satz." Die "Quick" säte grundsätzliches Misstrauen gegen palästinensisch-deutsche Ehepaare. "Mehrere Dutzend (…) Ehen zwischen Palästinensern und deutschen Frauen", so die Illustrierte, würden von terroristischen Gruppen aus Beirut gesteuert. "Grund: Die Ehe gilt als perfekte Tarnung."

Palästinensische Reaktionen und Grundrechte von MigrantInnen

Verschiedene palästinensische Publikationen rechtfertigten den Anschlag des Schwarzen September. In der PLO-Zeitschrift "Filastin al-Thawra" (Palästina der Revolution) wurden die getöteten Täter kurz nach den Ereignissen in München als "Märtyrer" bezeichnet. Bei dem Anschlag handele es sich, so der Chefredakteur der Zeitschrift, um "revolutionäre Gewalt" und "ein weiteres Gefecht" im Kampf gegen Israel. Die "westliche Öffentlichkeit" würde jedoch nur die Gewalt der Palästinenser wahrnehmen und kritisieren, die Gewalt Israels würde sie ignorieren. Palästinenser würden niemals auf diese Öffentlichkeit Rücksicht nehmen.

In den folgenden Wochen konzentrierte sich die Berichterstattung palästinensischer Publikationen vor allem auf die Maßnahmen der westdeutschen Behörden. Am 27. September 1972 beschrieb "Filastin al-Thawra" in einem ausführlichen Artikel die Festnahmen und Ausweisungen von PalästinenserInnen aus der Bundesrepublik und fragte: "Ist das die Rückkehr des Nazismus (…) gegen die Araber?" Eine Woche später berichtete die Zeitschrift: "Der deutsche Nazismus gegen unsere Jugend geht weiter." Am 11. Oktober veröffentlichte "Filastin al-Thawra" auf der Titelseite die Abbildung eines Reisepasses, in den auf Deutsch gestempelt war: "abgeschoben".

Ähnliche Schlagzeilen waren auch in der Zeitschrift der PFLP, "al-Hadaf" (Das Ziel), zu finden. Mitte Oktober prangte auf der Titelseite eine Spielkarte mit Fotos von Willy Brandt und Adolf Hitler. Während Hitler mit einem Hakenkreuz abgebildet war, wurde Brandt mit einer Kombination aus Hakenkreuz und Davidstern gezeigt – eine Verbildlichung der antisemitischen Parole "Nazi-Israel". In der Ausgabe war zu lesen, dass die Maßnahmen gegen palästinensische und arabische Studenten und Arbeiter das "hässliche Gesicht des neuen Nazismus der westdeutschen Regierung" zeigen würden.

Anfang der 1970er Jahre verbreiteten verschiedene pro-palästinensische Veröffentlichungen die antisemitische Gleichsetzung Israels mit dem nationalsozialistischen Regime, durch die aus jüdischen Opfern Täter gemacht wurden. Auch in der Bundesrepublik war in linken Publikationen von einem "neuen Antisemitismus" zu lesen, der sich nun aber eben nicht mehr gegen Juden richten würde. Kurz nach dem Anschlag veröffentlichte der Münchner Trikont-Verlag beispielsweise ein Buch mit dem Titel "Der neue Antisemitismus: Die Liquidierung von Ausländerorganisationen in der BRD; zum Verbot von GUPS und GUPA".

Das Verbot von GUPS und GUPA sowie die Ausweisungswelle im Herbst 1972 mobilisierten jedoch Menschen über krude Vergleiche mit dem Nationalsozialismus hinaus. Gegen das Vorgehen der Behörden brachte sich eine Koalition aus linksradikalen Gruppen (K-Gruppen), Studentenverbänden und Organisationen, die sich für die Rechte von MigrantInnen einsetzten, in Stellung. Am 8. Oktober kam es in Dortmund zu einer Demonstration, an der nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur 4.000 Menschen teilnahmen.

Auch die Westdeutsche Rektorenkonferenz, Vorgänger der Hochschulrektorenkonferenz, kritisierte in einer Stellungnahme vom 2. Oktober 1972 die Ausweisungen. Der Bischof von Münster, Heinrich Tenhumberg, wiederum wandte sich in einem Brief an Bundeskanzler Willy Brandt. Er schrieb, dass die "Verhaftungswelle" unter der Bevölkerung der Stadt erhebliche Unruhe ausgelöst habe. Tenhumberg appellierte an Brandt, PalästinenserInnen Rechtsschutz zu geben und die Grundrechte aus dem Grundgesetz und der europäischen Menschenrechtskonvention zu achten.

Auch PalästinenserInnen, ihre Familien und EhepartnerInnen organisierten sich und gingen rechtlich gegen die Ausweisungen vor. Am 18. Juli 1973 errangen zwei Palästinenser einen Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht, das in den Ausweisungen eine Verletzung ihrer Grundrechte und einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip sah. Aus der Erfahrung der Ausweisungen entstand unter anderem die "Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten deutschen Frauen" (heute "Verband binationaler Familien und Partnerschaften").

Das Schicksal der aus der Bundesrepublik ausgewiesenen PalästinenserInnen gestaltete sich allerdings unterschiedlich. Diejenigen, die in die Bundesrepublik zurückkehrten, mussten hierfür mitunter langwierige Gerichtsprozesse in Kauf nehmen, waren von ihren Familien getrennt oder hatten Schwierigkeit, wieder eine Arbeit zu finden. Auch nach ihrer Rückkehr konnten ehemalige Mitglieder der GUPS mit Auflagen belegt werden, wie etwa einer täglichen Meldepflicht bei der Polizei. Die DDR bot an, mehrere Studenten aufzunehmen, die Westdeutschland 1972 verlassen mussten. So kam es, dass 29 aus der Bundesrepublik ausgewiesene Palästinenser ihr Studium in Ostdeutschland fortsetzten.

Fazit

Der Anschlag von München erschütterte die Olympischen Sommerspiele auf gewaltsame und verstörende Weise. Die dramatischen Szenen vom 5. September 1972 und die Ermordung von elf Mitgliedern des israelischen Olympia-Teams haben sich bis heute tief in die kollektive Erinnerung eingeschrieben. In den Wochen nach dem Anschlag veränderte sich auch das Leben von vielen PalästinenserInnen in der Bundesrepublik. Die palästinensische Diaspora, die sich in den 1960er Jahren gebildet hatte, geriet durch den Anschlag ins Zentrum einer öffentlichen Auseinandersetzung um Migration und Gewalt. Aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Fatah oder der GUPS wurden zahlreiche PalästinenserInnen aus der Bundesrepublik ausgewiesen.

In den Augen bewaffneter palästinensischer Gruppen unterstrichen die Maßnahmen der westdeutschen Behörden, dass die Bundesregierung ein Feind der palästinensischen Sache war. PalästinenserInnen lebten jedoch auch nach 1972 in der Bundesrepublik und waren politisch aktiv. Auch die Kontakte zwischen der Bundesregierung und der Fatah wurden nach kurzer Zeit wieder aufgenommen. Im Herbst 1975 eröffnete der Fatah-Funktionär Abdallah Frangi die "Informationsstelle Palästina" als PLO-Vertretung in Bonn.

Auf die linke Solidaritätsbewegung mit PalästinenserInnen in der Bundesrepublik hatte der Anschlag von 1972 einen paradoxen Effekt. Nur wenige radikal linke Gruppen wie die RAF befürworteten den Anschlag explizit. Für größere Teile der Linken wurden die Ereignisse von München jedoch schnell vom Verbot palästinensischer Vereinigungen und der Ausweisungswelle überlagert. Auf diese Weise kam es in der Bundesrepublik im Herbst 1972 zu einer pro-palästinensischen Mobilisierung, die sich nun besonders auf die Rechte von MigrantInnen in Westdeutschland konzentrierte. Damit stach die Reaktion der radikalen Linken auch im internationalen Vergleich hervor. In Frankreich etwa hatten die Ereignisse von München eine Reihe von Linken dazu bewegt, sich von der palästinensischen Sache abzuwenden. Es war ein nicht intendiertes Ergebnis der Maßnahmen gegen PalästinenserInnen, dass ausgerechnet in dem Land, in dem der Anschlag stattgefunden hatte, pro-palästinensischer Aktivismus an Dynamik gewann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bundesarchiv (BArch), B 136/4374.

  2. Zu Kuwait vgl. Farah Al-Nakib, Kuwait Transformed. A History of Oil and Urban Life, Stanford 2016, S. 91–119.

  3. Vgl. dazu den Briefwechsel in: Auswärtiges Amt, Politisches Archiv (PA AA), Bestand B 36, Akte 197.

  4. Vgl. etwa die Anzeige in: Filastin, 19.9.1961, S. 4.

  5. BArch, B 149/2246.

  6. PA AA (Anm. 3).

  7. Zu den Beweggründen von PalästinenserInnen, in der Bundesrepublik zu studieren, vgl. etwa Abdallah Frangi, Der Gesandte. Mein Leben für Palästina, München 2011, S. 83; William Nassar, Taghribat bani "fath". Arba’un ’amman fi mataha fathawiyya, Ramallah 2005, S. 22.

  8. Vgl. Joseph Ben Prestel, Heidelberg, Beirut und die "Dritte Welt". Palästinensische Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland (1956–1972), in: Zeithistorische Forschungen 3/2019, S. 442–466.

  9. Zum Diaspora-Begriff vgl. Julie Peteet, Problematizing a Palestinian Diaspora, in: International Journal of Middle East Studies 4/2007, S. 627–646.

  10. Vgl. Ido Zelkovitz, Students and Resistance in Palestine: Books, Guns, and Politics, London 2015.

  11. Vgl. Paul Thomas Chamberlin, The Global Offensive. The United States, the Palestine Liberation Organization, and the Making of the Post-Cold War Order, Oxford 2012.

  12. Vgl. Quinn Slobodian, Foreign Front. Third World Politics in Sixties West Germany, Durham 2011.

  13. Vgl. Prestel (Anm. 8), S. 452–464.

  14. Vgl. Chamberlin (Anm. 11).

  15. Vgl. Wolfgang Kraushaar, "Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?" Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus, Reinbek 2013.

  16. Al-’amaliya al-kharijiya fi al-’amal al-fidayi’ bayna al-irhabiya wa al-thawriya, in: al-Hurriya 504/1970, S. 10f.

  17. Hawla al-’amaliyat al-kharijiya, in: al-Hadaf 32/1970, S. 4f.

  18. "Der Araber – dem ist nicht zu trauen", in: Der Spiegel, 17.9.1972, S. 24.

  19. "Die Araber können jeden Tag wieder zuschlagen", in: Bild, 5.10.1972.

  20. Henri Nannen, Wir sind im Krieg, in: Stern, 17.9.1972, S. 3.

  21. Warum die arabischen Terroristen ausgerechnet in der Bundesrepublik morden, in: Quick, 20.9.1972, S. 14.

  22. Vgl. BArch, B 106/85158; PA AA, B 36/564.

  23. Vgl. Auszug aus BfV-Informationsspiegel vom 16.10.1972, in: BArch, B 136/4374.

  24. Vgl. Yezid Sayigh, Armed Struggle and the Search for State: The Palestinian National Movement, 1949–1993, Oxford 1997, S. 306–310.

  25. Vgl. Kay Schiller/Christopher Young, The 1972 Munich Olympics and the Making of Modern Germany, Berkeley–Los Angeles 2010, S. 203.

  26. Vgl. BArch, B 106/115427.

  27. Verband Integrierter Studentenschaften (Hrsg.), Dokumentation: Araberausweisungen … GUPS und GUPA Verbot, Wuppertal 1972, S. 15f.

  28. Ebd., S. 16f.

  29. Nannen (Anm. 20).

  30. Quick (Anm. 21).

  31. Fi ulimbiad ailul al-aswad, in: Filastin al-Thawra 12.1/1972, S. 6f.

  32. Vgl. Rais al-tahrir, Bayna al-’unf al-thawri wa al-’unf al-fashi, in: Filastin al-Thawra 12/1972, S. 3. Für ein weiteres Beispiel vgl. Al-’amaliya kashafat al-inhiaz al-imbiriali, in: al-Hadaf 168/1972, S. 6f.

  33. Hal hiya ’awdat al-naziya …did al-‘arab?, in: Filastin al-Thawra 14.1/1972, S. 12f.

  34. Al-Naziya al-almaniya did shababna mustamirra, in: Filastin al-Thawra 15.1/1972, S. 5.

  35. Filastin al-Thawra 16.1/1972.

  36. Vgl. Al-Hadaf 173/1972.

  37. Mu’amalat al-ri’aia al-alman bi mithl shi’ar ’unsuri, in: al-Hadaf 173/1972, S. 4.

  38. Vgl. Tenhumberg setzt sich für Palästinenser ein, in: Süddeutsche Zeitung, 9.10.1972, S. 6; zu den Gruppen, die sich gegen die Ausweisungen einsetzten, vgl. Verband Integrierter Studentenschaften (Anm. 27).

  39. Vgl. Rektoren kritisieren Ausweisungspraxis, in: Süddeutsche Zeitung, 5.10.1972, S. 2.

  40. Vgl. Brief von Heinrich Tenhumberg an Willy Brandt vom 6.10.1972, in: BArch, B 136/4374.

  41. Vgl. Quinn Slobodian, The Borders of the Rechtsstaat in the Arab Autumn. Deportation and Law in West Germany, 1972/3, in: German History 2/2013, S. 204–224; Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 35, 382.

  42. Vgl. Lauren Stokes, Fear of the Family. Guest Workers and Family Migration in the Federal Republic of Germany, New York 2022, S. 182–189.

  43. Vgl. z.B. Gerd Aschmann, Ein unbequemer Gast, in: Die Zeit, 23.9.1983.

  44. Vgl. Lutz Maeke, DDR und PLO. Die Palästinapolitik des SED-Staates, Berlin 2017, S. 111–118.

  45. Vgl. BArch, B 106/131504.

  46. Vgl. Richard Wolin, The Wind from the East. French Intellectuals, the Cultural Revolution, and the Legacy of the 1960s, Princeton 2010, S. 350–357.

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ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin mit einem Schwerpunkt auf der Beziehungsgeschichte zwischen Europa und dem Nahen Osten.
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