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Wir bauen das moderne Deutschland | München 1972 | bpb.de

München 1972 Editorial Triumph und Terror. Olympia 1972 und das neue Deutschland Schwarzer September. Aufstieg des internationalen Terrorismus "Die Ereignisse des 5. Septembers". Die DDR und der Anschlag von München 1972 Terrorismusbekämpfung nach Olympia. Reaktionen des Bundesministeriums des Innern auf das Attentat von 1972 Erinnerung an das Olympia-Attentat 1972. Eine transnationale Spurensuche in Deutschland und Israel Plötzlich im Mittelpunkt. Palästinenser in der Bundesrepublik und der Anschlag 1972 in München The Games Must Go On. Chronologie der olympischen Kommerzialisierung seit 1972 Wir bauen das moderne Deutschland. Olympia 1972 im Spiegel der Architektur- und Stadtentwicklung

Wir bauen das moderne Deutschland Olympia 1972 im Spiegel der Architektur- und Stadtentwicklung

Elisabeth Spieker

/ 16 Minuten zu lesen

Der Olympiapark steht für eine nachhaltige, demokratische Architektur und zeigte 1972 das Selbstverständnis der deutschen Demokratie. Maßgeblichen Anteil daran hat das ikonische Ensemble aus Architektur und Landschaft.

Mit der Ausrichtung der XX. Olympischen Sommerspiele 1972 in München bot sich für die Bundesrepublik die Chance, sich von der Hypothek der Vergangenheit des "Dritten Reichs" und der Berliner Spiele von 1936 zu lösen und eine politische Wende zu mehr gesellschaftlicher Offenheit zu vollziehen. Für die bayerische Landeshauptstadt München war damit zudem die Möglichkeit verbunden, dringend benötigte Stadtentwicklungsmaßnahmen schneller voranzutreiben.

Deutschland zwischen Modernisierung und Hypothek der Vergangenheit

Unter dem Eindruck des "Wirtschaftswunders" und der Maßgabe der Sozialen Marktwirtschaft hatte Ludwig Erhard als Wirtschaftsminister bereits in den 1950er Jahren "Wohlstand für Alle" versprochen und den Menschen eine optimistische Zukunft ohne Entbehrungen aufgezeigt. Die Basis für ein besseres Leben mit mehr Freizeit sollte durch technischen Fortschritt und stetes Wirtschaftswachstum erreicht werden. Auch die Systemkonkurrenz zur schnell erstarkten DDR forcierte die Anstrengungen zu Industrialisierung und Rationalisierung in den verschiedensten Bereichen.

Doch schon die erste volkswirtschaftliche Krise 1966/67 dämpfte solche Hoffnungen. Die erste Große Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (1966–1969) hatte große innenpolitische Umwälzungen zu bewältigen. Viele junge Menschen empfanden ein Unbehagen am politischen Zustand und am gesellschaftlichen System der Bundesrepublik und lehnten sich gegen verkrustete Hierarchien, gegen die traditionellen Wertvorstellungen ihrer Eltern und gegen deren Schweigen zur Katastrophe des "Dritten Reichs" auf. Die "Unfähigkeit zu trauern" von Margarete und Alexander Mitscherlich unterstrich 1967 diese mangelnde Auseinandersetzung. Proteste gegen den Vietnamkrieg, die Pressemonopole, den Beschluss der Notstandsgesetze sowie für Hochschulreformen und eine überfällige politische und soziale Weiterentwicklung der Gesellschaft führten zu einer außerparlamentarischen Massenbewegung (APO) und mündeten in die Studentenunruhen des Jahres 1968.

Mit der Weltwirtschaftskrise 1973 erfuhr der Glaube an eine unbeschränkte Wirtschaftsentwicklung einen erheblichen Dämpfer, und es zeigten sich deutlich die "Grenzen des Wachstums", die eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Dennis Meadows 1972 in der gleichnamigen Studie prognostizierte. In der bisher hauptsächlich auf Wachstum und Wohlstand bedachten Gesellschaft kam eine menschlich-soziale Komponente hinzu, die den Anspruch aufzeigte, unterschiedliche gesellschaftliche Lebensbilder zuzulassen. In der sozialliberalen Ära ab 1969 unter Willy Brandt und seinem Bestreben nach "Kontinuität und Erneuerung" wurde dieser Wandel auch politisch angestrebt. In der Außenpolitik akzeptierte die Regierung faktisch die Koexistenz von "zwei Staaten in Deutschland" und versuchte, mit einer entschlossenen Politik der Entspannung die Grundlagen für einen Abbau der Differenzen des Kalten Krieges zu schaffen. Mit den Ostverträgen und dem Grundlagenvertrag im olympischen Jahr 1972 konnte eine Normalisierung der Beziehungen zur DDR dann tatsächlich erreicht werden.

In der Architektur waren die Auswirkungen der Fortschrittseuphorie in neuen städtebaulichen Leitbildern mit einer zunehmenden Urbanisierung zu erkennen. Die Kritik an der Gestalt der wiederaufgebauten Städte und an der mangelnden Sensibilität im Umgang mit den gewachsenen urbanen Strukturen wurde immer lauter, maßgeblich befördert durch kritische Publikationen etwa von Hans Paul Bahrdt, Jane Jacobs, Wolf Jobst Siedler, Alexander Mitscherlich oder John Kenneth Galbraith. Das bisherige Leitbild der "gegliederten und aufgelockerten Stadt" hatte gesichtslose, monotone Trabantenstädte im Grünen hervorgebracht, mit geringen Bebauungsdichten der Zersiedelung der Landschaft Vorschub geleistet und die Trennung des Lebens in die unterschiedlichen Funktionsbereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit befördert. Die Folge war ein hohes, kaum zu bewältigendes Verkehrsaufkommen in den Städten. Nun galten Urbanität durch Dichte, Verflechtung von Funktionsbereichen und soziale Durchmischung als Richtschnur zukünftiger Planungen. Zahlreiche Großsiedlungen und Stadterweiterungen entstanden, mit denen die Architektur einen Beitrag zur Erneuerung der Gesellschaft leisten wollte. Die hohen Erwartungen lösten sich allerdings in den meisten Fällen nicht ein. Oft wurden die Siedlungen von den Bewohnern als maßstabslose Betonburgen abgelehnt oder wurden zu sozialen Problemorten, die weder in ästhetischer noch sozialer Hinsicht befriedigen konnten. In den Kontext dieser Wandlungsprozesse und dieses Klimas des kulturellen und gesellschaftlichen Umbruchs sind die Motivation und die Planungskonzepte der Gestalter und Ingenieure für die Olympischen Spiele 1972 einzuordnen.

München in den 1960er Jahren – Stadt im Aufbruch

Die Bauplanungen im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen waren für die Perspektiven der Münchner Stadtentwicklung von besonderer Bedeutung. In der prosperierenden Stadt gab es genug Arbeit, und das Wirtschaftswunder hatte ein enormes Wachstum, einen höheren Lebensstandard und kürzere Arbeitszeiten, aber auch steigende Ansprüche an die Lebens- und Wohnverhältnisse zur Folge. Die Jahre 1957 bis 1960 gelten für die Stadtplanung in München als ein gravierender Einschnitt. Die Schutträumung und der Wiederaufbau waren 1956 so gut wie abgeschlossen, erste neue Siedlungsgebiete entstanden trotz zentraler Brachflächen außerhalb der Kernstadt und wurden in das Umland ausgedehnt, wodurch der Individualverkehr in das Zentrum zunahm. Ende 1957 hatte die Einwohnerzahl die Millionengrenze überschritten, und durch die zunehmende Nachfrage nach Wohnraum stiegen die Ausgaben für Wohnen, Verkehrsinfrastruktur und Einrichtungen wie Krankenhäuser und Schulen. Sie ließen sich nur noch über die Aufnahme von Krediten finanzieren. Zur Behebung der Wohnungsnot entstanden unter anderem die Siedlung Am Hasenbergl (1960–1968) – nach dem Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt – und die Entlastungsstadt Perlach (1967–1992), mit 25.000 Wohneinheiten für zunächst 80.000 Bewohner.

Der erst 34-jährige und sehr engagierte Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel hatte sich bereits mit Beginn seiner Amtszeit 1960 einer umfassenden und übergreifenden Stadtentwicklungspolitik angenommen. Auch Juristen und Soziologen sollten in die Arbeitsgemeinschaft mit Architekten einbezogen werden. Der Kieler Stadtbaurat Herbert Jensen gestaltete als Leiter der neuen Arbeitsgruppe Stadtentwicklungsplanung wesentlich das auch als "Jensen-Plan" bezeichnete Entwicklungskonzept. Der Münchner Stadtrat verabschiedete am 10. Juli 1963 den auf 30 Jahre angelegten Plan, der die Erfordernisse der gesamten Stadtregion berücksichtigen und allen zukünftigen Entwicklungen zugrunde gelegt werden sollte. Eingeschlossen waren Überlegungen für einen Sportpark und ein Großstadion auf dem Oberwiesenfeld, die Verbesserung der Stadtstruktur, eine Fußgängerzone in der Innenstadt, die weitere Planung und Erschließung neuer Wohngebiete und eine intensive Vernetzung mit dem Umland. Vorausschauend war ebenso angedacht, den Individualverkehr einzuschränken und ein öffentliches Verkehrsnetz für S- und U-Bahn deutlich zu priorisieren. Eine Kurzfassung des Jensen-Plans war im Februar 1967 auch Bestandteil der Wettbewerbsunterlagen für den Ideen- und Bauwettbewerb der olympischen Sportstätten.

Der Stadtentwicklungsplan hatte den Grundstein gelegt, um in der kurzen Planungszeit bis zu den Olympischen Spielen die dafür notwendigen Maßnahmen überhaupt realisieren zu können. Der umfassende Ausbau des öffentlichen Verkehrs- und Schienennetzes war bereits am 1. Februar 1965 mit dem Spatenstich für den Bau der U-Bahn begonnen worden. Nach dem Zuschlag für die Spiele im April 1966 wurden die Vorhaben deutlich beschleunigt und die Linien in Richtung Oberwiesenfeld vorgezogen. Bis 1972 entstanden die Nord-Süd-Linie U6, die davon abzweigende und zum Oberwiesenfeld führende Olympialinie U3 und eine West-Ost-Verbindung der S-Bahn zwischen Haupt- und Ostbahnhof, einschließlich zahlreicher neuer Bahnhöfe. Der im Gegensatz zum Münchner Süden strukturschwache und durch Industrieansiedlungen, Arbeiterviertel und Sozialwohnungen benachteiligte Norden konnte aufgewertet und als Naherholungsgebiet mit Sportanlagen ausgewiesen werden. München avancierte zwar schon seit 1964 aufgrund seiner rasanten Entwicklung zu "Deutschlands heimlicher Hauptstadt", jedoch verbesserte sich sein Image durch die Olympischen Sommerspiele auch international enorm. Die visionäre, zukunftsweisende Gestaltung konnte die bislang vorherrschenden konservativen und regional geprägten Leitvorstellungen und das klassizistische Erbe um das weit über München und Bayern hinausreichende Bild einer modernen, zukunftsorientierten Stadt ergänzen und bereichern. Vogels Erfolge mündeten 1972, noch vor der Eröffnung der Olympischen Spiele, in seine Berufung zum Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau im Kabinett von Willy Brandt.

München wird Olympiastadt

Als Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), am 28. Oktober 1965 an Hans-Jochen Vogel herantrat, um ihm den Vorschlag für die Bewerbung der Stadt München zur Ausrichtung der Olympischen Spiele zu unterbreiten, hatten sich zwei Persönlichkeiten gefunden, die "selbstbewusste und letztlich typische Vertreter der ersten beiden Generationen der jungen Bundesrepublik" waren, "angetrieben von einer großen Arbeitsmoral und dem Wissen um ihre Verantwortung für die Verbesserung der Gesellschaft". München schien für Daume als kunst- und sportbegeisterte Stadt ein idealer Austragungsort zu sein und prädestiniert zur Durchsetzung seines Konzepts einer Symbiose aus Sport, Kunst und Kultur. Bedenken bestanden aus politischen Gründen: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte kurz zuvor das NOK der DDR vollständig anerkannt und damit die politisch längst vollzogene Teilung der beiden deutschen Staaten auch auf den Sport übertragen. Sowohl Vogel als auch die Bundesregierung unter CDU-Kanzler Ludwig Erhard sahen den Beschluss des IOC als Hindernis für die Ausrichtung der Spiele. Sie wollten nicht von der noch geltenden Hallsteindoktrin und dem Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik abrücken – zwei deutsche Mannschaften bei Olympia bedeuteten quasi eine Anerkennung der DDR. Willy Brandt jedoch sah darin die Chance einer innerdeutschen Annäherung, Willi Daume wiederum eine Möglichkeit, die Bundesrepublik sportlich zu etablieren und sie in Systemkonkurrenz zur DDR als weltoffenes, demokratisches Land zu präsentieren. Die DDR konnte letztlich mit eigener Mannschaft, Flagge und Hymne an den Spielen 1972 teilnehmen.

In München formierte sich unterdessen ein großes gemeinsames Interesse an der Ausrichtung der Spiele, wenn auch mit unterschiedlichen Motiven. Die Stadt konnte mit Finanzierungszusagen des Bundes und des Freistaats Bayern sowie der Beschleunigung ihrer Infrastrukturprojekte rechnen, der Freistaat erwartete wirtschaftliche Verbesserungen für die Region und der Bund einen Prestigegewinn und die Verbesserung des noch immer belasteten internationalen Ansehens. In der Präambel der Bewerbung kam aber auch die große Bedeutung einer bewussten Abgrenzung zu den Spielen 1936 in Berlin zur Sprache – und dass im Falle einer Ausrichtung Deutschland die Chance und Verpflichtung habe, diese internationale Aufgabe zur Stärkung von Frieden und Völkerverständigung einzusetzen. Ein gewichtiger Grund für die Vergabe nach München dürfte aber auch das Bemühen der Initiatoren gewesen sein, sich vom Gigantismus der vergangenen Spiele zu verabschieden und ein bescheideneres Konzept anzustreben.

Sportpark Oberwiesenfeld

Das Oberwiesenfeld bot ideale Voraussetzungen für den Standort der zentralen olympischen Sportstätten. Auf der etwa 280 Hektar großen, brachliegenden Fläche im Münchner Norden lagerte die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Kriegstrümmer. Der Schuttberg im Süden des Geländes mit einem Volumen von etwa 10 Millionen Kubikmetern war schon seit 1948 für die Freizeitgestaltung der Münchner vorgesehen und diente – mit Gras und Buschwerk bewachsen – als Freizeitbrache und im Winter als Rodelhügel für die Bevölkerung der umliegenden Stadtviertel.

Für Sport- und Freiflächen und ein Großstadion auf dem Oberwiesenfeld gab es bereits seit 1965 aus einem Wettbewerb stammende, ausgearbeitete Pläne. Der siegreiche Entwurf der Architekten Rüdiger Henschker und Wilhelm Deiss war angesichts der sehr kurzen Vorbereitungszeit eine wichtige Komponente in der Olympiabewerbung. Innerhalb von zwei Wochen mussten weitere Sportbauten sowie ein Olympisches Dorf ergänzt werden, wobei die Stadt München die drei Hauptsportstätten – Stadion, Sporthalle und Schwimmhalle – in eine über den Mittleren Ring gespannte Platte einfügte.

Nach der Entscheidung für München wurde jedoch heftige Kritik an den offiziell vorgestellten Planungen laut. Peter C. von Seidlein, Vorsitzender des Bundes deutscher Architekten Bayern, richtete seine Kritik vor allem gegen die Monumentalität der einen Kilometer langen und 400 Meter breiten "Platte": "Es bedarf nicht des Hinweises auf das Reichssportfeld von 1936 oder gar auf das Nürnberger Reichsparteitagsgelände, um klarzumachen, daß der bauliche Ausdruck dieser ersten Olympischen Spiele in Deutschland nach 1945 von nichts weiter entfernt zu sein hat, als von hohler und in fataler Weise erinnerungsträchtiger Monumentalität." Erst am 1. Februar 1967 wurden nach monatelangen Diskussionen ein Ideenwettbewerb zur städtebaulichen Planung für das Oberwiesenfeld und ein Bauwettbewerb zur Gestaltung der Hauptsportstätten ausgelobt. Für die Architektur gab es somit zwei entscheidende Prämissen: eine zurückhaltende bauliche Gestaltung in menschlichem Maßstab und eine gute Möglichkeit zur Nachnutzung als Sport- und Freizeitpark. Beidem wurde ein sehr hoher Stellenwert beigemessen.

Olympische Architektur als Zeichen für ein neues Deutschland

Die Stuttgarter Architekten Behnisch & Partner – Günter Behnisch, Fritz Auer, Winfried Büxel, Erhard Tränkner und Carlo Weber – gewannen in Zusammenarbeit mit dem Architekturprofessor Jürgen Joedicke am 13. Oktober 1967 den Wettbewerb. Der Entwurf war eng an den Leitmotiven der Bewerbung "Olympische Spiele im Grünen und der kurzen Wege" orientiert, die die Initiatoren der Spiele, Willi Daume und Hans-Jochen Vogel, zuvor formuliert hatten. "Kurze Wege" waren zu verstehen im Sinne einer Nähe der Sportstätten zur Stadt wie auch einer räumlichen Verdichtung an einem Ort, "im Grünen" mit Blick auf den Schwerpunkt eines parkartigen Charakters und die spätere Nutzung als Sport- und Freizeitpark. Aus diesen Vorgaben entwickelten Behnisch & Partner das Gesamtkonzept einer modellierten Landschaft mit in Mulden eingefügten Stadien- und Hallenkörpern und überspannten diese mit einem transparenten Zeltdach – "Situationsarchitektur" genannt. Die Architekten um Günter Behnisch verstanden darunter keine fest vorgegebene Form, sondern einen offenen Entwurfsansatz, um die bauliche Gestalt mit den beteiligten Personen aus den Elementen des Ortes schrittweise zu entwickeln: die überörtlichen Bindungen des Oberwiesenfeldes zur Stadt und zu anderen Grünanlagen, den bereits im Bau befindlichen Fernsehturm, den Trümmerschuttberg des Zweiten Weltkriegs im Süden des Geländes und den aus dem nördlich davon verlaufenden Nymphenburg-Biedersteiner Kanal aufgestauten See. Verbindendes Element war die olympische Landschaft. Ausgehend vom Leitmotiv des Schuttberges sind die Geländebewegungen nach Norden weitergeführt. Sie verbinden durch auf Dämme gelegte Wege und Brücken die Sportstätten im Süden mit den olympischen Wohnanlagen und der Hochschulsportanlage im Norden.

Eine große Herausforderung war die Realisierung der Zeltdachkonstruktion. Als Vorbild diente das Dach des Deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Montréal 1967, das der Stuttgarter Architekt und Leichtbauexperte Frei Otto entwickelt hatte. Aufgrund der um das Zehnfache größeren Dimension der Dachfläche und des weiten, frei gespannten Randes über dem Stadion musste eine neue konstruktive Lösung gefunden werden. Das vorgespannte, leichte Flächentragwerk aus Seilnetzen konnte erst durch eine intensive Zusammenarbeit und den Austausch von Ideen und Wissen zwischen den zahlreichen beteiligten Ingenieuren, so unter vielen weiteren dem Bauingenieurbüro Leonhardt und Andrä mit Jörg Schlaich sowie Frei Otto, ermöglicht werden. Mit der Dach-Landschaftsidee wurden gestalterische und technisch-innovative Pionierleistungen umgesetzt, die weltweit neue Maßstäbe setzten.

Die terrassierte Wohnsiedlung des olympischen Männerdorfes konzipierten die Architekten Heinle, Wischer und Partner. Die Wohnungen sind nach Süden ausgerichtet und in drei Arme strukturiert, die nach Westen ausgreifen. Vorgelagert sind kleiner dimensionierte Reihenhäuser. Zentrum und Rückgrat bildet eine Gruppe von Hochhäusern, die entlang der Lerchenauer Straße das Wohngebiet vor Verkehrslärm schützt. Die heute sehr beliebte Wohnanlage repräsentiert die experimentellen und visionären Stadt- und Wohnmodelle der späten 1960er Jahre, die zu den neuen, flexiblen Lebensmodellen der neuen Gesellschaft passten und mit neuesten wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten realisiert wurden. Ganz im Süden schließt sich teppichartig das zweigeschossige Studentendorf an, geplant von den Münchner Architekten Werner Wirsing und Günther Eckert und als olympisches Frauendorf genutzt. Es wurde inzwischen wegen großer Brandschutz- und bauphysikalischer Mängel und der schlechten Bausubstanz und Qualität des Betons mit Ausnahme von 12 Eckhäusern in Viererblöcken abgerissen. Eine Sanierung der denkmalgeschützten Flachbauten war aus wirtschaftlichen und technischen Gründen nicht möglich, sodass in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz ein Wiederaufbau nah am Original erfolgte.

Olympische Nachhaltigkeit

Für die Aufgaben einer funktionierenden Nutzung nach den Spielen konnte das bisher in den Gartenschauen gezeigte und in Parks praktizierte "Betreten des Rasens verboten", das auch für den Englischen Garten galt, dem Erholungs- und Aktivitätsbedürfnis des Stadtmenschen nicht mehr gerecht werden. Es musste ein neuer Ansatz für dessen geänderte Bedürfnisse geschaffen und ein zukunftsweisender Ort für eine selbstbestimmte, neue Gesellschaft entwickelt werden. Behnisch & Partner hatten ein Konzept zur Nutzung des Geländes für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen formuliert und schlugen die Modellierung bestimmter Zonen als Erholungsbereiche vor. Wichtig war, "den Charakter des jetzt schon vorhandenen Geländes (…) zu erhalten, d.h. es muß im Gegensatz zum Stadtgebiet, das den Menschen mit einer Fülle von Regelungen, Ordnungen und Pflichten beengt, der Bevölkerung ein Gebiet geboten werden, das ihr frei zur Verfügung steht und bei dem die im normalen Stadtgebiet erforderlichen Regelungen des menschlichen Zusammenlebens möglichst weit abgebaut sind (keine Zäune, keine asphaltierten Wege, keine "schönen" Grünanlagen, keine Gebühren zahlen usw.)". Dabei waren sich alle Beteiligten einig, dass die Funktion als nacholympischer Sport- und Freizeitpark eine höhere Gewichtung bei der Planung erhalten musste als die olympische Nutzung – ohne dass allerdings der Begriff "Nachhaltigkeit" verwendet worden wäre.

Die weiteren Gestaltungsgrundlagen entwickelten die Architekten, insbesondere der Projektleiter für den Gesamtplan, Carlo Weber, in enger Abstimmung mit Günther Grzimek, der nach dem Wettbewerbsgewinn mit der Grünplanung beauftragt wurde. Der Landschaftsarchitekt und Professor an der Hochschule für bildende Künste in Kassel vertrat das Konzept einer Dialektik von Stadt und Landschaft, das vorsah, die urbane Stadt mit zusammenhängenden Grünflächen und Freiräumen zu durchziehen sowie Landschaft in die Stadt zu integrieren, um der zunehmenden Verstädterungsproblematik entgegenzuwirken. Das von ihm so bezeichnete "Leistungsgrün" verstand er als Kompensation der Alltagserfahrungen des Menschen in der Industriegesellschaft. Er forderte damit den aktiven Gebrauch und die Aneignung der Grünflächen, die viel mehr den veränderten Lebensbedingungen der entstehenden Freizeitgesellschaft entsprachen als das bislang vorherrschende dekorative Grün. Als wichtigstes übergeordnetes Planungsziel galt ihm, eine "Erholungs- und Freizeitlandschaft zu entwickeln, die über die Spiele hinaus der Münchner Bevölkerung ein Zentrum vielfältiger Aktivität mit entsprechenden Angeboten bietet. (…) Die Anlage muß extrem flexibel und belastbar im Sinne hoher Nutzungsintensität sein".

Grzimeks Idee einer grünen Spiel-, Sport- und Freizeitlandschaft wurzelte in den sozialen und sozialpsychologischen Erkenntnissen aus seiner Zeit als Gartenamtsleiter in Ulm und reflektierte die Tendenzen der gesellschaftlichen Modernisierung in den späten 1960er Jahren. Er strebte eine visuelle und räumliche Öffnung des Grüns zur Stadt an, das im Sinne einer modernen, neu zu definierenden Stadtplanung die zurückgedrängten Grün- und Kommunikationsräume ausgleichen sollte. So seien "Berg, See, Wiesen und Pfade in die Stadt gebrachte Elemente der Landschaft" und als "Fortsetzung und Akzentuierung der Stadtarchitektur" zu verstehen. Er entwickelte die formalen topografischen Elemente aus einem dialektischen Gegen- und Nebeneinander von Berg und Tal, Hang und Ebene, See und Ufer, Baum und Hain, Rasen und Wiese und setzte ihnen die sozialen Entsprechungen von Privatheit und Kommunikation, Offenheit und Geschlossenheit, Gruppierung und Vereinzelung, Bewegung und Ruhe gegenüber. Die vielfältig differenzierten Bereiche sollten den unterschiedlichen Bedürfnissen entgegenkommen oder sie sogar bewusst anregen. "Das mosaikartige Nebeneinander von ruhigen Nischen und lebendigen, offenen Räumen mit vielseitigen Kommunikationsangeboten, also mit Aufforderungscharakter zum Selbsttätigwerden oder doch zum engagiert Beobachten, ist für die Landschaft Oberwiesenfeld charakteristisch." Sie sei als "Ort des profanen Gebrauchs" zu verstehen, als "robuste Architektur aus Grünelementen (…), die naturhaft und zugleich strapazierfähig wie ein guter Gebrauchsgegenstand sein soll". Grzimek konzipierte den Olympiapark also nicht einfach als Grünfläche zur Erholung der Stadtbevölkerung, sondern als "Projektion einer sozialen Utopie, die durch den konkreten, olympischen Gestaltungsauftrag in einer Zeit der gesellschaftlichen Befreiung am Ende der sechziger Jahre zu einem beachtlichen progressiven, sozialen Experiment wird".

Fazit

Das Ensemble aus Dach und Landschaft für die Olympischen Spiele 1972 ist Ausdruck einer weltweit wichtigen Umbruchphase in der Architektur- und Zeitgeschichte und zeigt, dass sich Kennzeichen demokratischer Architektur in ihren Entstehungsprozessen finden lassen und im Denken und Handeln der Beteiligten und den Bedingungen der Planung begründet sind. Das Konzept von Behnisch & Partner ist mit dem Impetus einer sozialen, demokratischen, kulturellen und ästhetischen Identität verbunden. Architekten, Landschaftsplaner, Ingenieure, Künstler und Bauherren einte das Ziel, ein gemeinsames, herausragendes Werk ohne Pathos und Monumentalität zu schaffen, dem ein menschlicher Maßstab zugrunde liegt. Die Ästhetik des leichten, schwingenden, transparenten Zeltdachs über der weich modellierten Landschaft unterstreicht das experimentelle Wagnis einer radikal neuen architektonischen Bildsprache. Günter Behnisch hatte zwar formuliert: "Eigentlich wollten wir gar kein Dach, weil nicht die Vorstellung zugrunde lag, Häuser zu bauen, sondern Sport in der Landschaft zu schaffen." Dennoch gilt es als eine der signifikanten, ikonischen Skulpturen des 20. Jahrhunderts und als Meisterwerk der Bauingenieurskunst. Der Olympiapark steht nach wie vor für das gebaute Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik und zeigt in herausragender Weise, dass eine nachhaltig und demokratisch geplante Architektur auch über Jahrzehnte funktioniert und Bestand hat.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ludwig Erhard, Wohlstand für Alle, Düsseldorf 1957.

  2. Alexander Mitscherlich/Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1967.

  3. Dennis L. Meadows et al., The Limits to Growth, New York 1972.

  4. Hans Paul Bahrdt, Die moderne Großstadt. Soziologische Überlegungen zum Städtebau, Reinbek 1961.

  5. Jane Jacobs, Tod und Leben großer amerikanischer Städte, Berlin 1963.

  6. Wolf Jobst Siedler/Elisabeth Niggemeyer/Gina Angreß, Die gemordete Stadt. Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum, Berlin 1964.

  7. Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt/M. 1965.

  8. John Kenneth Galbraith, Gesellschaft im Überfluss, München–Zürich 1963; ders., Die moderne Industriegesellschaft, München–Zürich 1968.

  9. Vgl. Bayerischer Architekten- und Ingenieurverband (Hrsg.), München und seine Bauten nach 1912, München 1984, S. 53.

  10. Vgl. ebd., S. 54, S. 56.

  11. Vgl. Kay Schiller/Christopher Young, München 1972. Olympische Spiele im Zeichen des modernen Deutschland, Göttingen 2012, S. 48.

  12. Vgl. Andres Lepik/Hilde Strobl, Die Neue Heimat (1950–1982). Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten, München 2019, S. 148ff., S. 177–182.

  13. Vgl. Hans-Jochen Vogel, Die Amtskette. Meine 12 Münchner Jahre. Ein Erlebnisbericht, München 1972, S. 36f., S. 140.

  14. Vgl. Stadtplanungsamt München (Hrsg.), Stadtentwicklungsplan einschließlich Gesamtverkehrsplan der Landeshauptstadt München, München 1963.

  15. So titelte "Der Spiegel" in seiner Ausgabe vom 22.9.1964.

  16. Schiller/Young (Anm. 11), S. 24, S. 29.

  17. Vgl. Vogel (Anm. 13), S. 96–99.

  18. Vgl. Hans Dieter Krebs, München 1972: Denkmal und Vermächtnis, in: Bundesinstitut für Sportwissenschaft/Deutsches Olympisches Institut (Hrsg.), Willi Daume. Olympische Dimensionen. Ein Symposion, Bonn 2004, S. 51–62, hier S. 52f.

  19. Vgl. Hans-Jochen Vogel, Rede vor dem Stadtrat, 20.12.1965, Stadtarchiv München/RP738/3.

  20. Vgl. Jan C. Rode, Willi Daume und die Entwicklung des Sports in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1970, Göttingen 2010, S. 209ff.

  21. Peter C. von Seidlein/BDA Bayern, Brief an Edgar Luther, 7.6.1966, Stadtarchiv München/Olympiade1972/321.

  22. Architekten waren Rolf Gutbrod und Frei Otto.

  23. Der Wiederaufbau wurde vom Architekturbüro Bogevischs Buero zusammen mit Werner Wirsing von 2006 bis 2010 geplant.

  24. Carlo Weber, Überlegungen zu Einrichtungen und Maßnahmen zur Nutzung des Geländes während der Olympischen Spiele und nach den Spielen, 27.3./13.5.1969, saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau am KIT Karlsruhe/Werkarchiv Günter Behnisch & Partner/Olympia-Bauakten.

  25. Vgl. Günther Grzimek, Das "Leistungsgrün". Anregung zu einer neuen Betrachtung der Grünplanung, in: Garten und Landschaft 9/1963, S. 210–215; Andreas König, Günther Grzimek. Ein Landschaftsarchitekt der Nachkriegszeit. Berufliche Entwicklung, Konzepte und Arbeiten, Diplomarbeit, Technische Universität München 1996, S. 108.

  26. Günther Grzimek, Grünplanung für die Olympiaanlage auf dem Oberwiesenfeld München, 28.2.1969, saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau am KIT Karlsruhe/Werkarchiv Günter Behnisch & Partner/Olympia-Bauakten.

  27. Ders. et al., Bau der Landschaft, in: Karl Krämer/Heinz Krehl/Olympia-Baugesellschaft (Hrsg.), Olympische Bauten in München 1972. Bestandsaufnahme Herbst 1970, Stuttgart 1970, S. 36–45, hier S. 38.

  28. Ders., Spiel und Sport im Olympiapark München, in: Gerda Gollwitzer (Hrsg.), Spiel und Sport in der Stadtlandschaft. Erfahrungen und Beispiele für morgen, München 1972, S. 10–33, hier S. 10.

  29. Ebd., S. 11f.

  30. Ebd., S. 12f.

  31. König (Anm. 25), S. 202.

  32. Günter Behnisch, Gespräch mit der Verfasserin am 5.9.2001.

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ist promovierte Ingenieurswissenschaftlerin, Architektin, Architekturhistorikerin und arbeitet bei Behnisch Architekten in Stuttgart. Zuletzt kuratierte sie im Team die Ausstellung "Bauen für eine offene Gesellschaft" zum 100. Geburtstag von Günter Behnisch in Stuttgart.
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