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Das politische System Polens | Polen | bpb.de

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Das politische System Polens Historische und aktuelle Entwicklungen

Sonja Priebus Aleksandra Maatsch

/ 14 Minuten zu lesen

Das politische System Polens ist formal parlamentarisch, doch die starken Befugnisse des Präsidenten machen ihn zu einem zentralen Machtfaktor mit Vetorecht und Blockadepotenzial.

Premierminister Donald Tusk (Bürgerplattform) im Sejm kurz vor der Vertrauensabstimmung – nach dem knappen Wahlsieg des PiS-nahen Karol Nawrocki zum Präsidenten. Die politische Spaltung zwischen nationalkonservativem und liberalem Lager prägt weiterhin die Machtverhältnisse in Polen (Aufnahme: 11. Juni 2025). (© picture-alliance, Anadolu | Omar Marques)

In vielen Demokratien verfügt der Präsident nicht über ausreichend weitreichende Machtbefugnisse, um das politische System in nennenswerter Weise beeinflussen zu können. In Deutschland beteiligt sich der Präsident nicht am Gesetzgebungsprozess und nimmt zur Tagespolitik selten Stellung. Die Machtbefugnisse des Präsidenten in Polen sind jedoch umfassender und daher ist auch sein potenzieller Einfluss im politischen System größer.

Politische Kommentatoren in Polen betonen daher, dass Interner Link: die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen vom 1. Juni 2025 nicht einfach über den Sieg einer politischen Alternative entscheiden, sondern darüber, welche Art von politischem System und Regime sich in Polen durchsetzen wird.

Gespräche am Runden Tisch

Zum Verständnis des politischen Systems und der Stellung des Präsidenten in diesem braucht es einen Rückblick auf den 1989/1990 erfolgten Systemwechsel. Die Transformation in Polen verlief anders als in Ostdeutschland. Während in Ostdeutschland die SED-Mitglieder entmachtet wurden, beschloss man in Polen, dass die Kommunistische Partei (PZPR) ihre Macht mit der demokratischen Opposition im Transformationsprozess „teilen“ würde (Garsztecki et al. 2024; Ziemer und Matthes 2004). Bei den Gesprächen am sogenannten Runden Tisch zwischen Februar und April 1989, an dem Vertreter der kommunistischen Machthaber und der demokratischen Opposition zusammenkamen , wurde für die ersten halbfreien Wahlen im Juni 1989 vereinbart, dass die PZPR 65 Prozent der Sitze im Unterhaus des Parlaments, dem Sejm, behält, während andere Parteien um die restlichen 35 Prozent konkurrieren konnten. Das Oberhaus des Parlaments, der Senat, konnte frei gewählt werden, d. h. alle politischen Parteien konnten sich darum bewerben. Trotz dieser Beschränkungen bescherte die Wahl den demokratischen Parteien einen entscheidenden Sieg: Es gelang ihnen, 99 Prozent der Senatssitze und alle Sitze im Sejm, die nicht im Voraus für Vertreter der Kommunistischen Partei reserviert waren, zu besetzen. Damit waren die Weichen für den demokratischen Regimewechsel gestellt.

Im Rahmen dieser Verhandlungen am Runden Tisch 1989 wurde auch das Amt des Präsidenten mit der sogenannten Aprilnovelle geschaffen. Diese war eine Änderung der seit 1952 geltenden Verfassung . Die Schaffung des Präsidentenamtes war das Ergebnis eines politischen Kräftemessens zwischen der Kommunistischen Partei und den neuen politischen Eliten. Die kommunistischen Eliten versuchten, ihren Einfluss auf die Politik durch das Amt des Präsidenten abzusichern (Garlicki 2019: 281; Garsztecki et al. 2024: 74). Diesem Kalkül folgend wurden dem Präsidenten weitreichende Kompetenzen verliehen, die – wenn auch später durch die sogenannte Kleine Verfassung von 1992 und die Verfassung von 1997 eingeschränkt – bis heute grundsätzlich erhalten geblieben sind und ihn zu einem wichtigen politischen Akteur machen.

Gemäß der Aprilnovelle sollte der Präsident von den beiden vereinigten Kammern des Parlaments für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt werden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Amtszeit des Sejms und des Senats lediglich vier Jahre betrug. Da die Kommunistische Partei 65 Prozent der 460 Sitze im Sejm innehatte, konnte der Präsident nicht gegen den Willen der Kommunistischen Partei gewählt werden. Die prodemokratischen Parteien der damaligen Zeit stimmten dieser Lösung zu, wenn auch ohne Begeisterung.

Das Präsidentenamt im politischen System

Die doppelköpfige Exekutive: Staatspräsident und Regierung

Die im April verabschiedete Gesetzesänderung stattete den Präsidenten mit weitreichenden Machtbefugnissen aus und machte ihn zum höchsten Repräsentanten des polnischen Staats. Der Präsident hatte Einfluss auf die Zusammensetzung der Regierung, da der Premierminister verpflichtet war, die Unterstützung des Präsidenten für seine Regierung zu gewinnen. Auch im Gesetzgebungsprozess verfügte der Präsident über weitreichende Machtbefugnisse. Dies beinhaltete nicht nur das Gesetzesinitiativrecht, sondern auch das Vetorecht bei Gesetzen, die vom Zweikammerparlament verabschiedet wurden.

Um den politischen Wandel in Polen rechtlich abzusichern, wurde 1992 die sogenannte „Kleine Verfassung“ verabschiedet, die die Kompetenzen der wichtigsten Organe sowie die Beziehungen zwischen Legislative und Exekutive regelte. Sie führte die Direktwahl des Präsidenten durch das Volk ein und verkürzte seine Amtszeit auf fünf Jahre. Die weitreichenden Befugnisse des Präsidenten im Gesetzgebungsprozess blieben jedoch erhalten.

Mit der Verfassung von 1997 wurden die Befugnisse des Präsidenten weiter eingeschränkt , wobei diese Beschränkung größtenteils auf den Regierungsstil von Präsident Lech Wałęsa zurückzuführen war. In der Kleinen Verfassung waren die Kompetenzen des Premierministers und des Präsidenten nicht genau aufgeteilt. Wałęsa interpretierte die Kleine Verfassung daher konsequent zu seinem Vorteil, was zu einer Eskalation des innenpolitischen Konflikts beitrug. Die Verfassung von 1997 behob diesen Mangel und grenzte die Kompetenzen und Beziehungen zwischen Exekutive, Legislative und Judikative ab. Dabei verlor der Staatspräsident insbesondere das Recht, die Auswahl der Regierungsmitglieder zu beeinflussen.

Gemäß der aktuellen Verfassung von 1997 wird der Präsident für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt und darf einmal wiedergewählt werden . Die wichtigste Aufgabe des Präsidenten besteht darin, die Verfassung zu schützen und Garant dafür zu sein, dass sie respektiert wird (Artikel 126). Obwohl sie den Präsidenten zum höchsten Repräsentanten des Landes macht, stärkte diese die Rolle des Premierministers in der Innen- und Außenpolitik (Art. 146.1), weshalb der Premierminister das Land im Europäischen Rat vertritt. Allerdings wurde der erhebliche Einfluss des Präsidenten auf den Gesetzgebungsprozess gewahrt, der weitgehend mit seiner wichtigsten Aufgabe als Hüter der Verfassung zusammenhängt. Der Präsident kann ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz ablehnen und es dem Verfassungsgericht zur Überprüfung seiner Verfassungsmäßigkeit vorlegen. Der Präsident kann jedoch auch ein Veto gegen einen Gesetzentwurf einlegen. Um in einem solchen Fall das Veto des Präsidenten zu überstimmen, benötigt der Sejm eine Dreifünftelmehrheit. Sofern also die parlamentarische Mehrheit nicht über 60 Prozent der Stimmen verfügt, was in Polen selten vorkommt, hat ein Gesetzentwurf keine Chance in Kraft zu treten.

Durch die Einschränkung der präsidentiellen Machtbefugnisse wandelte sich das System von einem tendenziell semipräsidentiellen zu einem parlamentarischen Regierungssystem. Die Verfassung selbst definiert es als parlamentarisch und auch spätere Urteile des Verfassungsgerichts legten die Verfassung konsequent zugunsten der Regierung aus. Besonders die legislativen Machtbefugnisse des Präsidenten sowie Phasen einer sogenannten Kohabitation, also wenn Regierung und Präsident aus unterschiedlichen parteipolitischen Lagern stammen, tragen jedoch zu einer Funktionsweise bei, die der eines parlamentarisch-präsidentiellen Systems ähnelt. Dies zeigt sich besonders dann, wenn der Präsident sein Veto als Instrument der tagespolitischen Auseinandersetzung nutzt und hiermit Blockaden herbeiführt (Ziemer 2013, S. 110). Aus diesem Grund hat das System durchaus präsidentielle Züge und wird mitunter als semipräsidentiell eingeordnet (Karolewski 2025).

Die Aufgaben des Parlaments

Das polnische Parlament besteht aus zwei Kammern: dem Sejm (460 Sitze) und dem Senat (100 Sitze). Gemäß der Verfassung von 1997 (Artikel 95) hat das Parlament zwei Aufgaben: die Gesetzgebung (beide Kammern) und die Kontrolle der Regierung (Sejm). Darüber hinaus ist das Parlament laut Verfassung an der Ernennung wichtiger Positionen beteiligt (z. B. des Ombudsmanns). Artikel 104 der Verfassung besagt, dass die Abgeordneten das Volk vertreten, jedoch sind sie nicht an die Interessen ihrer Wählerschaft gebunden. Die Abgeordneten und Senatoren werden in freier, direkter und geheimer Wahl für die Dauer von vier Jahren gewählt.

Im Gesetzgebungsprozess werden Gesetzesentwürfe üblicherweise in drei Lesungen debattiert. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetzesvorhaben wird jedoch nicht automatisch zu einem verbindlichen Gesetz, da der Präsident bei allen Gesetzesvorhaben ein Vetorecht hat und somit die Gesetzgebung blockieren kann. Im Vergleich zu anderen Staaten gilt das polnische Parlament gegenüber der Exekutive als schwach, da die Verfassung die parlamentarischen Befugnisse gegenüber der Exekutive nicht besonders stark schützt. Formale Regeln für die parlamentarische Arbeit sind im Sekundärrecht festgelegt und können mit einfacher Mehrheit geändert werden. Während der beiden Legislaturperioden, in denen die PiS die Exekutive stellte (siehe unten), erlebte das polnische Parlament einen Prozess der Entmachtung. Die Regierung missachtete systematisch die parlamentarischen Regeln und Verfahren. So wurden beispielsweise in den ersten sechs Monaten der PiS-Regierung einige Gesetze innerhalb von weniger als drei Stunden verabschiedet (unter Berücksichtigung des gesamten Verfahrens von der Vorlage im Parlament bis zur Unterschrift des Präsidenten), obgleich gemäß den Geschäftsordnungen der Gesetzgebungsprozess mindestens 30 Tage dauern muss. Darüber hinaus griff die Regierung häufig auf Schnellverfahren zurück – selbst in Bereichen, in denen solche Verfahren nicht erlaubt sind.

Als stärkstes Kontrollinstrument kann der Sejm ein konstruktives Misstrauensvotum gegen die ganze Regierung sowie ein einfaches Misstrauensvotum gegen einzelne Regierungsmitglieder initiieren.

Die Aufgaben des Verfassungsgerichts

Neben dem Präsidenten ist der Verfassungsgerichtshof die Institution, die über die Rechtstaatlichkeit wacht. Er besteht aus 15 RichterInnen, die für eine Amtszeit von neun Jahren vom Sejm gewählt werden. Dieser spielt eine wichtige Rolle als letzte Instanz im Gesetzgebungsprozess (Artikel 188.1 der Verfassung) und bei Kompetenzfragen. Genauer gesagt entscheidet das Verfassungsgericht, ob die vom Zweikammerparlament verabschiedeten Gesetzesvorhaben verfassungskonform sind. Diese Entscheidungen sind unumkehrbar: erklärt das Gericht ein bestimmtes Gesetzesvorhaben für verfassungswidrig, kann das Parlament diese Entscheidung weder ändern noch aufheben (Artikel 190.1 der Verfassung). Darüber hinaus hat das Verfassungsgericht das letzte Wort, wenn Kompetenzstreitigkeiten zwischen nationalen Institutionen entstehen.

Machtverschiebung unter PiS

Ab der Jahrtausendwende bestimmte das sogenannte „Duopol“ von PiS und Bürgerplattform (PO) die politische Dynamik. Obgleich beide Parteien ihre Wurzeln in der anti-kommunistischen Solidarnosć-Bewegung hatten, propagierte PiS nach einer von ihr geführten kurzlebigen Regierung (2005 bis 2007) vermehrt das Interner Link: Argument des nicht vollendeten Systemwechsels (siehe hierzu Bernhard 2021). Eine vermeintliche Kontinuität kommunistischer Eliten im Staat diente als Rechtfertigung für den im Falle eines Regierungswechsels versprochenen und ab 2015 implementierten Wandel (Bucholz und Komornik 2019).

Nachdem im Mai 2015 der PiS-Kandidat Andrzej Duda die Präsidentschaftswahl gewann, erzielte PiS im Oktober auf einer Liste mit Solidarischem Polen und Polen Zusammen eine Mehrheit im Sejm und Senat. Diese reichte allerdings nicht für eine verfassungsändernde Mehrheit. Auch in den darauffolgenden Wahlen 2019 wurde diese nicht erreicht.

Anders als in Ungarn (siehe Priebus und Végh 2025) blieb die Verfassung formal unverändert, Interner Link: wurde jedoch substanziell durch einfache Gesetze verändert (Sadurski 2019: 15f.; Grzeszczak 2024: 2). Ein Beispiel für eine de facto Änderung der Verfassung betraf den Landesjustizrat (KRS): Obgleich gemäß Art. 179 der polnischen Verfassung 15 der 25 KRS-Mitglieder von der Richterschaft selbst gewählt werden müssen, änderte die PiS-Regierung den Wahlmodus einfachgesetzlich und übertrug diese Aufgabe dem Sejm, um so Kontrolle über die Auswahl der Mitglieder zu erlangen. Hinzu kamen Verfassungsbrüche, wie etwa die Entscheidung der Regierung von 2015, Urteile des Verfassungsgerichts nicht zu veröffentlichen. Im Ergebnis blieb die polnische Verfassung zwar formal unverändert, jedoch veränderte sich die Verfassungsstruktur und das Verhältnis zwischen den drei Gewalten zwischen 2015 und 2023 grundlegend.

Besonders das Justizwesen stand im Fokus dieser Reformen (Garsztecki et al. 2024: 98 ff.). Als erstes wurde das Verfassungsgericht durch neue Verfahrensvorschriften in seiner Arbeit gelähmt. Schließlich wurde das Gericht als Vetospieler durch gezieltes court packing, d.h. Besetzung durch mehrheitlich mit der PiS nahestehenden RichterInnen, ausgeschaltet.

Im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit betrafen Änderungen neben dem KRS auch den Obersten Gerichtshof. Hier wurde die Altersgrenze von RichterInnen von 70 auf 65 Jahre abgesenkt, was zu einer Zwangspensionierung von ca. einem Drittel führte. Eine Verlängerung der Amtszeiten darüber hinaus war zwar möglich, lag aber allein im Ermessensspielraum des Präsidenten. Zudem wurden zwei neue Kammern eingerichtet, eine „für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten“ sowie eine Disziplinarkammer, die Disziplinarmaßnahmen gegen RichterInnen verhängen konnte (Sadurski 2019, S. 107-112). Das Gesetz über die Organisation der ordentlichen Gerichtsbarkeit senkte analog das Renteneintrittsalter für RichterInnen an ordentlichen Gerichten ab, wobei eine Verlängerung der Amtszeit dem Justizminister übertragen wurde. Auch verlieh dieses dem Staatspräsidenten das Recht, Gerichtspräsidenten auszutauschen. Einen besonders brachialen Verstoß gegen die Unabhängigkeit der Justiz stellte das sog. Maulkorbgesetz von 2019 dar, das Strafen für RichterInnen einführte, welche die Rechtmäßigkeit von Richterernennungen oder staatlicher Institutionen anzweifeln (Gajda-Roszczynialska und Markiewicz 2020). Zudem wurde 2016 erneut das Amt des Justizministers mit dem des Obersten Staatsanwaltes fusioniert und dabei mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet, die ihm erweiterte Eingriffsrechte in die Arbeit anderer Staatsanwälte einräumte (Sadurski 2019: 124f.). Wie aus den Änderungen im Justizbereich ersichtlich, setzte die PiS-Mehrheit primär auf das Instrument des Personalaustauschs, was mit ihrem Argument, die Justiz müsse vom kommunistischen Personal befreit werden, im Einklang war.

Von den Veränderungen waren auch andere Institutionen und Akteure betroffen: Trotz marginaler formaler Veränderungen wurde das Parlament und insb. die Opposition de facto „entmachtet“, so etwa durch beschleunigte Gesetzgebungsverfahren, das Einbringen von Vorlagen durch einzelne Abgeordnete (wodurch Konsultationspflichten umgangen werden konnten) sowie informelle Behinderungen der Beteiligungs- und Kontrollfunktionen von Oppositionellen (z.B. Begrenzung der Debattenzeiten, Debatten bis spät in die Nacht) (Maatsch 2021; Sadurski 2019: 132 ff.).

Interner Link: Der staatliche Rundfunk wurde unter Regierungskontrolle gestellt. So wurde der in Art. 214 der Verfassung vorgesehene Nationale Rundfunkrat de facto durch eine einfachgesetzlich geschaffene Institution, den Nationalen Medienrat, abgelöst. Hinzu kam eine „Repolonisierung“ privater Medien, d.h. einen Erwerb von ausländischen Medien durch Regierungskreise (Tilles 05.11.2021).

Diese Reformen führten zu einer erheblichen Verschlechterung der Qualität der polnischen Demokratie und einem Abbau der Rechtsstaatlichkeit. Das Externer Link: Varieties of Democracies Institut führte 2022 Polen weltweit als eines der „top autocratizers“, d.h. eines der Länder, welches sich am schnellsten und stärksten autokratisiert (Varieties of Democracy Institute 2022). Die Entdemokratisierung resultierte dabei weniger aus formalen institutionellen Änderungen, als aus der Vereinnahmung des Staates und seiner Institutionen durch die Partei PiS (Leggewie und Karolewski 2022). Nicht zuletzt aus diesem Grund hoben verschiedene Kommentatoren wiederholt die Ähnlichkeit zur kommunistischen Einparteienherrschaft hervor (z.B. Vetter 2018).

Reformversuche der Bürgerkoalition

Das Ende 2023 formierte Regierungsbündnis aus Bürgerkoalition (KO), einem Parteienbündnis unter Führung der PO von Donald Tusk, Dritter Weg und Neue Linke, schrieb sich die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit auf die Fahnen (siehe hierzu Markowski 2024). Bereits im Februar 2024 präsentierte Justizminister Adam Bodnar im Rat der EU seinen Aktionsplan zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, welcher zentrale legislative Vorhaben der Koalition im Bereich der Justiz vorsah und zur Einstellung des laufenden Verfahrens nach Externer Link: Artikel 7 (1) des Vertrages über die Europäische Union durch die Europäische Kommission führte.

Allerdings befand sich die Regierung von Beginn an in einem doppelten Dilemma. Einerseits war absehbar, dass der der PiS nahestehende Präsident Andrzej Duda Gesetze blockieren oder an das PiS-dominierte Verfassungsgericht verweisen würde. Vor diesem Hintergrund stand die Regierung vor der strategischen Frage, ob man trotz geringer Erfolgsaussichten Gesetzesvorhaben zur Herstellung der Rechtsstaatlichkeit einbringen oder in der Hoffnung auf die Wahl eines nicht aus dem PiS-Lager stammenden Präsidenten bis Frühling 2025 warten solle (Bodnar 27.05.2024). Das zweite, sich daraus ergebende Dilemma bestand andererseits darin, dass die Regierung nicht einfach die Verfassung und geltendes Recht brechen konnte, um den Rechtsstaat zu retten (Safjan 2024: 18; Wefing 25.01.2024), zumindest nicht, ohne sich selbst Vorwürfen auszusetzen, sie würde selbst die Rechtsstaatlichkeit unterminieren.

Aufgrund dieser strukturellen Einschränkungen setzte die Regierung vorrangig auf „weiche“ Maßnahmen, insbesondere auf den Austausch von Personal (Bodnar 27.05.2024; Grzeszczak 2024). So setze Justizminister Bodnar den Nationalstaatsanwalt Dariusz Barski – der durch sein Amt Stellvertreter des Generalstaatsanwaltes ist – ab, was Duda als illegales Vorgehen zurückwies, lägen doch personelle Veränderungen in diesem Bereich in der Zuständigkeit des Ministerpräsidenten in Kooperation mit dem Staatspräsidenten. Im Bereich des staatlichen Rundfunks setzte Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz die Spitzen des Polnischen Fernsehens sowie des Polnischen Radios unter Umgehung des durch PiS dominierten Nationalen Medienrates ab und entließ schließlich dessen Vorsitzenden (Wójcik 2024). Beide Vorgänge wurden später für verfassungswidrig erklärt, was die Regierung jedoch ignorierte. Zudem berief Bodnar auch zahlreiche Gerichtspräsidenten sowie Staatsanwälte ab.

Darüber hinaus versucht die Regierung, die PiS-Regierungszeit aufzuarbeiten und PiS-Politiker sowie von PiS eingesetzte Amtsinhaber zur Rechenschaft zu ziehen. Sie berief drei parlamentarische Untersuchungsausschüsse ein (Garsztecki 2024) und leitete teilweise auf Basis der Ergebnisse Strafverfahren gegen Politiker ein. Prominente Beispiele sind der ehemalige Justizminister Zbigniew Ziobro, der wegen der möglichen Ausspähung oppositioneller Politiker durch die Pegasus-Software zur Rechenschaft gezogen wird, oder Ex-Vize-Justizminister Marcin Romanowski, dem die Veruntreuung von Geldern aus einem Hilfsfonds vorgeworfen wird (und im Dezember 2024 politisches Asyl in Ungarn bekam) (Kość 11.07.2024).

Trotz Ausarbeitung mehrerer Gesetzespakete, welche insbesondere die Justiz, aber auch andere Bereiche wie die staatlichen Medien betreffen, konnte bisher keine einzige dieser „harten“ Maßnahmen implementiert werden. Im März 2024 legte die Regierung ein Paket zur „Heilung“ des Verfassungsgerichts vor, bestehend aus einer Sejm-Resolution, einem Gesetzesentwurf über das Verfassungsgericht und ein Verfassungsänderungsgesetz. Obgleich diese das Parlament passierten, legte Präsident Duda im Oktober wie erwartet sein Veto gegen die zwei Gesetze ein. Das vom Parlament im Juli verabschiedete Gesetz zur Änderung der Wahl der Mitglieder des Nationalen Justizrates ereilte ein ähnliches Schicksal, als Duda dieses zur Überprüfung ans Verfassungsgericht sendete (Skóra 2024).

Die Regierung strebt weitere Maßnahmen an. So wurde im Juli 2024 ein Gesetzentwurf zur Trennung der Ämter des Justizministers und Generalstaatsanwalts vorgelegt. Zudem hat sie eine allgemeine Medienreform vorbereitet, doch beide Vorhaben wurden noch nicht ins Parlament eingebracht.

Kohabitation in neuer Runde

Am 1. Juni 2025 wurde Karol Nawrocki zum Präsidenten gewählt. In der Stichwahl setzte sich der PIS nahestehende Kandidat gegen den liberalen Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski durch. Die Wahlergebnisse waren in beiden Runden sehr knapp (Erste Runde: 31,36% für Trzaskowski, 29,54% für Nawrocki; zweite Runde: 50,89% für Nawrocki, 49,11% für Trzaskowski).

Dass letztendlich Nawrocki die Wahlen mit knapper Mehrheit für sich entscheiden konnte, verdeutlicht zum einen die Spaltung der polnischen Gesellschaft in zwei fast gleichgroße politische Lager mit einem nationalkonservativen PiS-Lager und einem liberalen, pro-europäischen Lager. Bereits bei den Interner Link: Parlamentswahlen 2023 und den Europawahlen 2024 lagen die zwei Lager in den Wahlergebnissen nur wenige Prozentpunkte auseinander. Zweitens deutet es auf eine Kritik an der Regierungsarbeit hin. Nach knapp zwei Jahren im Amt, hat diese zahlreiche Wahlversprechen nicht umgesetzt. Auch wenn dies zum Teil auf koalitionsinterne Differenzen (z.B. bei der Liberalisierung des Abtreibungsrechts) zurückzuführen ist, bleibt unbeachtet, dass Präsident Duda als zentrale Vetoinstanz fungierte und dies unter einem neuen Präsidenten aus dem PiS-Lager voraussichtlich so bleiben wird.

Somit setzt sich die sog. Kohabitation fort, vermutlich sogar in verschärfter Weise. So erklärte Nawrockis Wahlkampfleiter: „Sie werden in einer solchen Kohabitation mitregieren müssen, und wenn nicht, bin ich überzeugt, dass dies das Ende dieser Regierung bedeuten wird. Karol Nawrocki wird von dieser Regierung Maßnahmen fordern.“

Premierminister Tusk selbst spricht von einer Bereitschaft zur Kooperation, erwähnte jedoch auch einen „Notfallplan“ und kündigte an, fertige Gesetze einzubringen. Die von ihm im Parlament gestellte Vertrauensfrage im Nachgang der Wahlen überstand er. Für die Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie scheinen die Aussichten mit dem neuen Präsidenten und dem Verfassungsgericht als zusätzlicher Vetospieler jedoch denkbar schlecht. Somit bleibt das politische System Polens auf absehbare Zeit geprägt von den Veränderungen der vormaligen PiS-Regierungen.

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Sonja Priebus ist Politikwissenschaftlerin und Postdoktorandin an der Professur für Europa-Studien der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Nach ihrem Studium an der Universität Leipzig promovierte sie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg zu den postsozialistischen Verfassungsgebungsprozessen in Ungarn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind der Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in EU-Mitgliedstaaten, die Rechtsstaatlichkeitsinstrumente der EU sowie politische Systeme und Politik in den Staaten Mittelosteuropas, insbesondere Ungarn.
Kontakt: E-Mail Link: priebus@europa-uni.de

Aleksandra Maatsch ist Professorin und Jean-Monnet-Lehrstuhlinhaberin an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Breslau. Nach Abschluss ihres Studiums an der Central European University in Budapest (CEU) erwarb Aleksandra Maatsch ihren Doktortitel in Politikwissenschaft an der Universität Bremen in Deutschland. Anschließend arbeitete sie am Institute of Public Affairs (IPP-CSIC) in Madrid, an der Universität Cambridge, am Max-Planck-Institut in Köln und an der Universität zu Köln (Professur für Europa- und Mehrebenenpolitik). Sie ist spezialisiert auf vergleichende europäische Politik und Gesetzgebungsstudien. Ihre Forschung wurde in verschiedenen Fachzeitschriften wie West European Politics, dem Journal of Common Market Studies und dem Journal of European Public Policy veröffentlicht.
Kontakt: E-Mail Link: aleksandra.maatsch@uwr.edu.pl, Externer Link: www.redemo.eu (Jean Monnet Chair Webpage).