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Polens Rolle in der EU Bilanz zweier Dekaden und neue Herausforderungen

Aleksandra Maatsch

/ 12 Minuten zu lesen

Seit fast zwanzig Jahren ist Polen EU-Mitglied. Eine Zeit, die von Höhen und Tiefen geprägt ist. Aktuelle Herausforderungen, wie der Krieg in der Ukraine, verändern die Rolle Polens in der Staatengemeinschaft.

Im Oktober 2021 fanden in Polen landesweite Pro-EU-Proteste statt, nachdem das polnische Verfassungsgerichts einige EU-Rechte für verfassungswidrig erklärte. (Aufnahme: Krakau, 10.10.2021) (© picture-alliance, NurPhoto | Beata Zawrzel)

Im Jahr 2024 feiert Polen seine zwanzigjährige Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Diese Zeit ist von Erfolgen und Misserfolgen geprägt. Vor dem Hintergrund dieser wechselhaften Geschichte ist der Jahrestag des Beitritts eine gute Gelegenheit, um über die Rolle Polens in der EU angesichts aktueller und zukünftiger Herausforderungen zu diskutieren. In dieser Zeit schwang das Pendel seitens der polnischen Regierungsakteure und -akteurinnen von einer stark proeuropäischen Unterstützung hin zur Infragestellung des EU-Integrationsprozesses und europäischer Normen.

Welche Rolle hat Polen in den letzten zwanzig Jahren in der EU gespielt? Hat sich die Haltung der polnischen Bevölkerung gegenüber der EU im Laufe der Jahre verändert? Was sind die brennendsten Herausforderungen, vor denen Polen als EU-Mitgliedstaat derzeit steht?

Der Weg in die EU

Polen wurde am 1. Mai 2004 im Zuge der sogenannten ersten EU-Osterweiterung Mitglied der Europäischen Union, bei der insgesamt zehn Staaten beitraten. Die Erweiterung im Jahr 2004 war die bisher größte – nicht nur im Hinblick auf die Anzahl neuer Staaten, sondern auch angesichts neuer EU-Bürger und Bürgerinnen. Die große Mehrheit der neuen EU-Mitgliedstaaten teilte die gemeinsame Erfahrung einer kommunistischen Herrschaft. Für diese Staaten war die EU-Mitgliedschaft symbolträchtig und der Abschluss einer Transformation vom kommunistischen System zur liberalen Marktwirtschaft und Demokratie. Angesichts der Tatsache, dass sich die osteuropäischen Kandidatenländer noch im Übergangsprozess zur Demokratie befanden, hat die EU Interner Link: spezifische Kriterien zur Bewertung derer Fortschritte entwickelt (Kopenhagen-Kriterien). Diese berücksichtigen nicht nur Faktoren wie Gewaltenteilung oder institutionelle Stabilität, sondern auch die Achtung von Minderheitenrechten. In vielen ostmitteleuropäischen Staaten gab es erhebliche nationale oder ethnische Minderheiten, die meist auf Grenzverschiebungen und Vertreibungen während der kommunistischen Zeit oder Migration zurückzuführen waren. Die Kopenhagener Kriterien sollten unter anderem den Status der Minderheiten im Einklang mit EU-Standards regeln. Im Vergleich zu anderen Beitrittskandidaten (z.B. den baltischen Staaten) ist Polen im Beitrittsprozess nicht auf nennenswerte Hürden gestoßen. Zu Beginn der 2000er Jahre waren die allgemeinen Aussichten für den Übergang Polens zur Demokratie und zur liberalen Marktwirtschaft insgesamt positiv (Ismayr 2002; Ziemer & Matthes 2002).

Der Ansatz zur EU-Erweiterung basierte auf der Annahme, dass Kandidatenländer an demokratischen Normen und Standards festhalten, sobald diese einmal umgesetzt sind – und weiter, dass sie in Zukunft nicht von diesem Weg abweichen werden. Demokratie würde sich als einzige Option („the only game in town“) erweisen (Linz & Stepan 1996). Daher beobachtete die EU die Fortschritte der Kandidatenländer vor dem Beitritt genau – unter der Annahme, dass Demokratien spätestens mit dem Beitritt wirklich gefestigt sind. Externer Link: Für die Zeit danach hat die Staatengemeinschaft den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus vorgesehen. Die Erfahrung hat an Beispielen wie Polen und Ungarn gezeigt, die nach dem EU-Beitritt viele demokratische Standards verletzt haben, dass der Prozess der demokratischen Konsolidierung länger dauern kann, als zunächst angenommen wurde.

Polnische Gesellschaft und die EU-Mitgliedschaft

Besonders bemerkenswert ist es, dass die öffentliche Meinung in Polen durchgehend positiv zum EU-Integrationsprozess blieb, während die Regierungsparteien unterschiedliche Standpunkte vertraten. Die Unterstützung der Polen und Polinnen für die Europäische Union scheint nicht sehr stark von der Position der Regierungsparteien beeinflusst zu werden. Selbst nachdem die euroskeptische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) im Jahr 2015 die Parlamentswahl gewann und die Regierung bildete, war in der Bevölkerung kein größerer Rückgang der EU-Befürwortung zu beobachten.

Im Jahr 2003, ein Jahr vor dem Beitritt, stimmten die Polen und Polinnen in einem öffentlichen Referendum über die EU-Mitgliedschaft ab. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 59 % nicht besonders hoch. Davon stimmte die überwiegende Mehrheit, nämlich rund 77 %, für die EU-Mitgliedschaft. Knapp 23 % votierten dagegen. Während 2003 ein erheblicher Teil der polnischen Bevölkerung dem EU-Integrationsprozess und der EU-Mitgliedschaft noch gleichgültig gegenüberstand, verringerte sich dieser Anteil in den folgenden Jahren.

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2021 befürworteten 90 % der Befragten Polens EU-Mitgliedschaft und nur 6 % lehnten diese ab.. Tatsächlich berichtet das polnische Meinungsforschungsinstitut CBOS, dass die Unterstützung für die EU seit dem Beitritt nie unter 80 % gesunken ist und der Anteil der gegnerischen Stimmen 13 % nicht überschritten hat. Im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten ist die Unterstützung der polnischen Bevölkerung für die Europäische Union sehr hoch. Die Gruppe der Euroskeptiker und -skeptikerinnen besteht überwiegend aus Beschäftigten in der Landwirtschaft, Personen, die sich als sehr religiös bezeichnen, sowie Wählern und Wählerinnen der rechten, antisystemischen Partei „Konfederacja“.

Die allgemeine Unterstützung der EU blieb in den letzten zwanzig Jahren eher stabil, während der Anteil der Polen und Polinnen stieg der sich zu einer europäischen Identität bekennt. Nach dem ersten Jahrzehnt des EU-Beitritts lag der Anteil noch bei 39 %, im Jahr 2021 waren es bereits 55 %. Außerdem neigt die polnische Bevölkerung dazu, EU-Institutionen mehr zu vertrauen als den nationalen. Dennoch muss festgestellt werden, dass der Wissensstand über die Funktionsweise der Europäischen Union bzw. die Politikbereiche, in denen die EU tatsächlich über Kompetenzen verfügt, trotz zwanzigjähriger EU-Mitgliedschaft begrenzt sind.

Verschiedenen Umfragen zufolge befürwortet die polnische Bevölkerung die europäische Integration aus wirtschaftlichen Gründen, Interner Link: die mit dem Zugang zum gemeinsamen Markt, aber auch mit dem Frieden zwischen den EU-Mitgliedstaaten verbunden sind. Diese Hauptfaktoren der Unterstützung haben sich in den zwei Jahrzehnten kaum verändert. Tatsächlich hat Polen auch dank der EU-Strukturhilfen einen sichtbaren und großen Schritt nach vorn gemacht. Beobachter und Beobachterinnen stellen fest, dass sich etwa die öffentliche Infrastruktur dadurch stark verbessert hat. Darüber hinaus zeigte die polnische Bevölkerung bei der Öffnung des gemeinsamen Marktes eine sehr hohe Mobilität. Auch Studierende aus Polen studieren gerne im Rahmen des ERASMUS-Programms im Ausland.

Zudem hat Interner Link: der Krieg in der Ukraine den Polen und Polinnen geholfen, den Wert der EU-Mitgliedschaft wiederzuentdecken. Im Laufe der zwanzig Jahre, in denen sich die Menschen daran gewöhnt haben in der EU zu sein, kennen die jüngeren Polen und Polinnen keine andere Realität. Der russische Angriffskrieg öffnete vielen Menschen die Augen, da Polen ohne EU- und NATO-Mitgliedschaft ein ähnliches Schicksal drohen könnte, wie dem ukrainischen Volk.

Polnische Parteien und die EU-Mitgliedschaft

Die ersten Jahre der Mitgliedschaft waren sowohl für die politischen Akteure und Akteurinnen als auch für die Gesellschaft eine Lernphase. Beispielsweise lag die Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2004 nur bei rund 21 %. Auch politische Akteure und Akteurinnen mussten erst lernen, wie sie auf EU-Ebene wirksam werden können.

Wie positionieren sich die aktuellen politischen Parteien allgemein zur europäischen Integration? Die Parteien, die seit Dezember 2023 die nationale Regierung bilden, gehören größtenteils zur politischen Mitte im Europäischen Parlament. Die „Bürgerplattform“ (PO) und die „Polnische Bauernpartei“ (PSL) gehören zur „Europäischen Volkspartei“ (EVP), „Polska2050“ gehört zu „Renew Europe“ und die „Linke/Lewica“ zur Fraktion der „Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament“ (S&D), der auch die SPD angehört. Die größte Oppositionspartei PiS gehört den „Europäischen Konservativen und Reformisten“ (EKR) an.

Die letzten zwanzig Jahre haben gezeigt, dass die Rolle Polens in der Europäischen Union stark davon geprägt war, ob die Exekutive von einer der proeuropäischen Parteien oder der euroskeptischen PiS-Partei geführt wurde. Während die Mehrheitsparteien regierten, waren sie auf Zusammenarbeit und Koalitionsbildung auf europäischer Ebene ausgerichtet. Hingegen schreckte die PiS nicht vor einem eher konfrontativen Ansatz zurück und suchte sich andere euroskeptische Verbündete. Denn die PiS unterstützt die Vision eines Europas der souveränen Nationalstaaten und ist der Ansicht, dass der Integrationsprozess in vielen Politikbereichen zu weit gegangen sei. Im Gegensatz zu anderen polnischen Parteien befürwortet die PiS grundsätzlich keine Vertiefung der europäischen Integration. In soziokultureller Hinsicht ist sie konservativer als die Bürgerplattform oder die Linke und ist daher in der Regel feindseliger gegenüber soziokultureller Vielfalt oder Migration aus außereuropäischen Ländern eingestellt.

Als Polen 2004 der Europäischen Union beitrat, wurde die Regierung von einer proeuropäischen Mitte-Links-Koalition aus Sozialdemokraten und der Polnischen Bauernpartei geführt. Im Jahr 2005 gewann die PiS die Parlamentswahlen und bildete eine Regierung, die zwei Jahre lang an der Macht blieb. In dieser Zeit arbeitete die Europäische Union am Lissabon-Vertrag. In diesem Prozess missbilligte die PiS das neue Abstimmungsverfahren im Rat, Interner Link: das als „doppelte Mehrheit“ bezeichnet wird und bei dem die Anzahl der Länder und die Größe ihrer Bevölkerung berücksichtigt werden sollten. Die polnische Regierung befürwortete Interner Link: das alte Abstimmungsverfahren im Rahmen des Nizza-Vertrags, da es Polen eine stärkere Position verschaffte. Schließlich wurde jedoch eine Einigung mit Polen erzielt, sodass die doppelte Mehrheit eingeführt werden konnte.

Mitte-Rechts-Regierung in Polen (2007-2015)

Nach den Parlamentswahlen 2007 wurde die Regierung von den Parteien Bürgerplattform und PSL gebildet, die auch die darauffolgenden Parlamentswahlen 2011 gewann. Die Mitte-Rechts-Regierung mit Donald Tusk (PO) als Premierminister blieb zwei Legislaturperioden an der Macht. Dies bot den Regierungsparteien eine gute Gelegenheit, ihre Position in der EVP-Familie zu festigen. Die Koalition aus PO und PSL wurde zu einem verlässlichen Partner innerhalb der EVP, aber auch zu einem aktiven Akteur auf EU-Ebene. In dieser Zeit hatte die Europäische Union Interner Link: mit den Auswirkungen der Finanzkrise zu kämpfen. Polen war eines der wenigen Länder, das während der Krise ein Wirtschaftswachstum verzeichnete. Das wurde als großer Erfolg der PO-PSL-Koalition gewertet.

Eines der Hauptziele der PO-PSL-Koalition war die Förderung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Moldau und der Ukraine.Interner Link: Im Jahr 2014, inmitten der russischen Aggression gegen die Ukraine, schlug Donald Tusk eine Energieunion vor, die es den EU-Mitgliedstaaten ermöglichen würde gemeinsam Energie zu kaufen. Die Initiative kam jedoch nicht zustande.

Während der ersten Legislaturperiode hatte Premierminister Tusk Kompetenzstreitigkeiten mit dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski (PiS), der behauptete, über die verfassungsmäßige Befugnis zu verfügen, Polen bei den EU-Gipfeln zu vertreten. Dieser Streit wurde vom Verfassungsgericht beigelegt, indem es den Vorrang des Premierministers bei der Vertretung Polens auf EU-Ebene feststellte. Interner Link: 2011 hatte Polen seine erste rotierende EU-Ratspräsidentschaft, die insgesamt sehr positiv bewertet wurde. 2014 bis 2019 war Donald Tusk Präsident des Europäischen Rates und von 2019 bis 2022 Vorsitzender der EVP.

Nationalkonservative Regierung in Polen (2015-2023)

Das Jahr 2015 markierte einen Wendepunkt. In Polen gewann die PiS-Partei die Parlamentswahl und stellte fortan die Regierung. Die Partei blieb zwei Legislaturperioden (bis Dezember 2023) an der Macht, in denen die EU-Politik eine Kehrtwende erlebte. Noch vor der Wahl im Jahr 2015 wurde die Europäische Union von einer Migrationskrise herausgefordert. Die Regierung von Donald Tusk stimmte dem Umsiedlungsprogramm zu, das auch für Polen die Aufnahme von Menschen vorsah, die insbesondere aus Syrien flüchteten. Doch die PiS-Regierung lehnte nach Amtsantritt den Plan ab und vertrat daraufhin eine restriktive Migrationspolitik und Haltung gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten.

In den folgenden Jahren entstand ein Konflikt zwischen der Europäischen Union und der polnischen Regierung, Interner Link: durch das Aushöhlen demokratischer Standards in Polen. Kurz nach dem Regierungswechsel leitete die PiS mehrere Reformen ein, die das Rechtssystem und die Justizbehörden veränderten. Laut Juristen und Juristinnen standen diese nicht im Einklang mit der polnischen Verfassung und den Interner Link: im Lissabon-Vertrag verankerten grundlegenden demokratischen Standards (Sadurski 2019). Darüber hinaus Interner Link: hat die Regierung die Medienfreiheit im Land missbraucht und verschiedene Schritte unternommen, Interner Link: um die Rechte von LGBTQ+-Gemeinschaften zu untergraben. Laut der Forschungsgruppe Citizen Lab hat die PiS außerdem mit dem Staatstrojaner Pegasus, einer Spionagesoftware, die Mobiltelefone von Oppositionellen oder Anwälten und Anwältinnen überwacht.

Der demokratische Rückfall in Polen löste bei der Europäischen Union Bedenken aus, sodass sie beschloss, verschiedene Maßnahmen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit zu ergreifen (Garsztecki, Grzeszczak, Maatsch & Wojtaszyn 2023). Schließlich wandte die Europäische Kommission Externer Link: das Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen an. Es sieht vor, dass im Falle eines „schwerwiegenden und anhaltenden Verstoßes“ gegen EU-Normen, die in Artikel 2 EUV verankert sind, Maßnahmen bis hin zur Aussetzung des Stimmrechts der Mitgliedstaaten im Rat vorsieht. Die Aussetzung muss einstimmig genehmigt werden. Jedoch kündigte die ungarische Regierung an, gegen die Aussetzung des polnischen Stimmrechts ein Veto einzulegen.

COVID-19-Pandemie

Im Jahr 2020 wurde die Europäische Union von einer weiteren Krise heimgesucht: der COVID-19-Pandemie. Um den Auswirkungen der Krise entgegenzuwirken, richtete die Europäische Union einen Sonderfonds ein, der Zuschüsse und Kredite an EU-Mitgliedstaaten vergab. Die Einrichtung des Fonds stellte EU-Entscheidungsträger und -trägerinnen sowie viele Regierungen der EU-Mitgliedstaaten vor ein Dilemma: Einerseits benötigten viele Mitgliedstaaten, vor allem südeuropäische, erhebliche finanzielle Hilfe. Der Ausfall der Zuschüsse würde eine viel größere Finanzkrise ihrer Volkswirtschaften auslösen als vor zehn Jahren. Da andererseits aber auch Ungarn und Polen Anspruch auf Zuschüsse und Kredite hätten, würde die EU indirekt Regierungen unterstützen, die die demokratischen Standards der EU missachten – und ihnen damit helfen, an der Macht zu bleiben.

Die Antwort auf das Problem war nicht neu, nämlich finanzielle Hilfen mit der Achtung der Rechtsstaatlichkeit zu verknüpfen. Durch den verschlechterten Zustand der Demokratie in Polen und Ungarn festigte sich die Ansicht, dass EU-Mittel nicht Regierungen zugutekommen sollen, die keine demokratischen Mindeststandards einhalten. Die Externer Link: Aktivierung dieses „Konditionalitätsmechanismus“ löste einen weiteren Konflikt zwischen der PiS-geführten Regierung und der EU aus. Da Polen sich weigerte, die durch die Europäische Kommission definierten Meilensteine zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit im Land umzusetzen, sperrte die EU den Zugang Polens zu den Finanzmitteln.

Ob die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten erfolgreich ist, wird unterschiedlich bewertet: Einerseits weisen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen darauf hin, dass es der EU in einigen Aspekten gelungen sei, die Rechtsstaatlichkeit zu schützen. Andere halten fest, dass sich die grundlegenden demokratischen Standards trotzdem in beiden Staaten ständig verschlechterten. Letztendlich könnte die effizienteste Strategie zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit die Wahlurne sein: Interner Link: Bei der Parlamentswahl 2023 wählten die Polen und Polinnen die Parteien, die die Rechtsstaatlichkeit im Land wiederherstellen wollen.

Große Herausforderung für die Zukunft: der EU-Beitritt der Ukraine

Seit Anfang der 1990er Jahre unterstützte Polen die Ukraine bei der Ausrichtung zu den westlichen Demokratien und der Integration in die Europäische Union. Der Hintergrund dieser Unterstützung ist überwiegend geopolitischer Natur: die Sicherheit Polens könnte durch eine demokratische und proeuropäische Ukraine als Nachbar erhöht werden.

Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 boten Interner Link: die polnische Gesellschaft und Regierung hunderttausenden Kriegsflüchtlingen, meist Frauen mit Kindern, Hilfe an. Die polnische Bevölkerung wurden für ihre bedingungslose Solidarität international gelobt, da diese für die EU-Gemeinschaft teilweise überraschend kam. Denn im Jahr 2015 lehnte es Polen unter derselben Regierung ab, Flüchtlingen aus dem Nahen Osten Schutz anzubieten. Als der militärische Konflikt in der benachbarten Ukraine ausbrach, bot Polen dieser militärische Ausrüstung an und übte Druck auf andere EU-Mitgliedstaaten aus, die militärische Unterstützung für das angegriffene Land zu verstärken. Der EU-Beitritt der Ukraine wurde sowohl von der damaligen Regierungspartei PiS, als auch von der Opposition unterstützt.

Im Vorfeld der Parlamentswahl 2023 änderte sich jedoch die Einstellung aus wirtschaftlichen Gründen. Ukrainisches Getreide, das über Polen in Drittländer exportiert werden sollte, verblieb auf dem polnischen Markt und drückte die Preise. Auch in der Transportbranche kam es zu wirtschaftlichen Spannungen, da ukrainische Unternehmen in Konkurrenz mit polnischen Unternehmen traten. Der PiS-Regierung war es nicht gelungen, eine tragfähige Lösung für das Problem zu finden.

Die aktuelle Regierung, die sich im Dezember 2023 konstituierte, wird sich dieser Herausforderung stellen müssen. In wirtschaftlicher Hinsicht wird die Integration der Ukraine in die Europäische Union in verschiedenen Sektoren der polnischen Wirtschaft zu verstärktem Wettbewerb führen. Dem Konflikt um Getreide und Transportdienstleistungen werden voraussichtlich weitere folgen, für die im Rahmen des Beitrittsprozesses gegebenenfalls Übergangslösungen verhandelt werden müssen.

Donald Tusk (PO) bei seinem ersten Staatsbesuch in Kiew, als neuer Premierminister Polens. Tusk und der ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sprachen über Konflikte der vergangenen Monate, darunter die Getreideexport. (Aufnahme: 22.01.2024) (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Ukraine Presidency/Ukrainian Pre)

Auf dem Weg zur endgültigen Konsolidierung?

In den zwanzig Jahren seiner EU-Mitgliedschaft hat das Verhältnis zwischen Polen und der EU Höhen und Tiefen erlebt. Angesichts der aktuellen Herausforderungen, vor denen die Europäische Union steht, wie dem Krieg in der Ukraine und dem Klimawandel, kann erwartet werden, dass Polen als größtes EU-Mitglied in Mittel- und Osteuropa verstärkt Verantwortung übernehmen wird. Polen könnte – wenn die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit gelingt – auf diese Erfahrung zurückgreifen, um die benachbarte Ukraine auf ihrem Weg zu einer vollständig gefestigten Demokratie zu unterstützen.

Quellen / Literatur

  • Garsztecki, S., Grzeszczak, R., Maatsch, A. Wojtaszyn, D. (2023) Das Politische System Polens (Baden-Baden: NOMOS). ISBN 978-3-8487-7197-4.

  • Ismayr, R. (2002) Die politischen Systeme Osteuropas (Stuttgart: Leske & Budrich).

  • Juan J. Linz & Stepan, Alfred. C (1996) Towards Consolidated Democracies, in: Journal of Democracy Bd. 7(2): 14-33.

  • Sadurski, W. (2019) Poland’s Constitutional Breakdown (Oxford: Oxford University Press).

  • Ziemer, K. & Matthes, C.Y (2002) Das politische System Polens (Stuttgart: Leske & Budrich).

Fussnoten

Fußnoten

  1. Polska w Unii Europejskiej. Komunikat z badań nr 139/2021. CBOS 2021, Externer Link: https://www.cbos.pl/SPISKOM.POL/2021/K_127_21.PDF

  2. ibid

  3. Standard Eurobarometer 96, Zima 2021–2022, Opinia publiczna w Unii Europejskiej, Raport krajowy: Polska, Externer Link: https://europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/2553

  4. Verordnung 2020/2092 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Unionshaushalts

  5. Rule of Law 2020, Country Reports, European Commission, URL: rule_of_law_2020_country_reports_2_web.pdf (europa.eu); The Varieties of Democracy (V-Dem), URL: Externer Link: https://www.v-dem.net/en, V-Dem Rule of Law Index, The V-Dem Liberal Democracy Component, V-DEM Annual Democracy Report 2020; The Bertelsmann Stiftung’s Transformation Index (BTI), URL: Externer Link: https://www.bti-project.org/en/home.htmp?&cb=00000.

Weitere Inhalte

Aleksandra Maatsch ist Professorin und Jean-Monnet-Lehrstuhlinhaberin an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Breslau sowie DAAD-Langzeitdozentin. Nach Abschluss ihres Studiums an der Central European University in Budapest (CEU) erwarb Aleksandra Maatsch ihren Doktortitel in Politikwissenschaft an der Universität Bremen in Deutschland. Anschließend arbeitete sie am Institute of Public Affairs (IPP-CSIC) in Madrid, an der Universität Cambridge, am Max-Planck-Institut in Köln und an der Universität zu Köln (Professur für Europa- und Mehrebenenpolitik). Sie ist spezialisiert auf vergleichende europäische Politik und Gesetzgebungsstudien. Ihre Forschung wurde in verschiedenen Fachzeitschriften wie West European Politics, dem Journal of Common Market Studies und dem Journal of European Public Policy veröffentlicht. Kontakt: E-Mail Link: aleksandra.maatsch@uwr.edu.pl, www.redemo.eu (Jean Monnet Chair Webpage).