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Von der Redaktion: Vorwort zur Ausgabe "Lebensmittelhandel" | Russland-Analysen | bpb.de

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Von der Redaktion: Vorwort zur Ausgabe "Lebensmittelhandel"

Linde Götz

/ 4 Minuten zu lesen

Linde Götz (IAMO) erklärt in einer kurzen Einleitung, wie der Krieg gegen die Ukraine sich in den Kontext des Lebensmittelhandels mit Russland einordnen lässt.

Getreidefrachter wird an der Anlegestelle des Wolgograd-Speichers direkt verladen. (© picture-alliance/dpa, Dmitry Rogulin/TASS)

Mit der Invasion Russlands in der Ukraine am 24. Februar 2022 kam der Handel mit Agrargütern und Nahrungsmitteln der Ukraine als auch Russlands über die Häfen am Schwarzen Meer, einschließlich der Binnenhäfen am Asowschen Meer, zum Erliegen. Während die Exporttätigkeit über die russischen Häfen am Schwarzen Meer, insbesondere über den Tiefseehafen Noworossijsk, wenige Wochen später wieder in Gang kam, blieben die ukrainischen Häfen, insbesondere der für den Agrarhandel wichtigste Hafen von Odessa, weiterhin geschlossen.

Die Ergebnisse der Anstrengungen zur Einrichtung alternativer Exportrouten mit der Eisenbahn über die Häfen der EU-Länder zum Weltmarkt haben deutlich gemacht, dass die ukrainischen Häfen, und gerade der Hafen Odessa, die Achillesferse des ukrainischen Getreidesektors sind. Damit die Ukraine weiterhin als einer der wichtigsten internationalen Getreidelieferanten erhalten bleibt und somit ihre Rolle für die globale Ernährungssicherheit erfüllen kann, ist es entscheidend, dass ihr Zugang zu den Weltmärkten über ihre Häfen am Schwarzen Meer gesichert ist.

Das auf Vermittlung der UN und der Türkei im Juli 2022 zustande gekommene Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland ermöglicht der Ukraine seit Anfang August wieder Getreide über eigene Häfen am Schwarzen Meer auf die Weltmärkte zu exportieren. Den Prognosen des Landwirtschaftsministeriums der USA (USDA) entsprechend wird die Ukraine in 2022/23 etwa 20,5 Mio. Tonnen Weizen produzieren und davon 11 Mio. Tonnen exportieren, vorausgesetzt die ukrainischen Häfen bleiben geöffnet. Dies entspricht ca. 60 % der durchschnittlichen ukrainischen Weizenexporte der letzten Jahre.

Die Getreidewirtschaft Russlands hat in den letzten Wochen eine Rekordernte von 91 Mio. Tonnen Weizen eingefahren, welche ein Exportpotential von 42 Mio. Tonnen birgt (so das USDA in einem Bericht vom September 2022). Dies würde einem Anteil von 20 % an den Weltweizenexporten entsprechen. Der Agrarhandel mit Russland, einschließlich des Handels mit Saatgut, Pflanzenschutzmitteln, Düngemitteln und Landtechnik ist von den westlichen Sanktionen ausgenommen. Die großen multinationalen Agrarhandelsunternehmen, mit einem Anteil von ca. 30 % des russischen Getreideexportgeschäfts, haben bestätigt, sich weiterhin im russischen Agrarexport zu engagieren. Ebenfalls werden Unternehmen aus westlichen Ländern den Handel mit Vorprodukten für die Agrarproduktion mit russischen Unternehmen fortsetzen.

Jedoch ist die russische Agrarexportwirtschaft als Folge des Ukraine-Kriegs mit einigen Herausforderungen konfrontiert. Zum einen haben als Folge der Aufwertung des Rubels, welche im Kontext der westlichen Sanktionen steht, die russischen Agrarexporte an Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten eingebüßt. Zum anderen lassen kriegsbeding stark gestiegene Risiken des Schiffstransports im Schwarzen Meer die Transportkosten zum Teil prohibitiv ansteigen, welche die russischen Getreideexporte dämpfen. Auch wird berichtet, dass einzelne Importeure im Handel mit russischem Weizen westliche Exportunternehmen gegenüber russischen Unternehmen präferieren.

Hinzu kommen Bestrebungen der Importländer, die Resilienz ihres Nahrungsmittelangebots durch Diversifizierung des Imports und Regionalisierung der Produktion zu stärken. So hat die staatliche Importorganisation Ägyptens (GASC), welche in den letzten Jahren bis zu 60 % ihres Getreides aus Russland und 20 % aus der Ukraine importierte, im August 2022 substantielle Getreidemengen aus Frankreich, Bulgarien und Rumänien akquiriert. Darüber hinaus haben stark von Getreideimporten abhängige Länder, wie beispielsweise auch Ägypten und Indonesien, Programme zur Steigerung der heimischen Produktion aufgelegt.

Internationale Unternehmen müssen sanktionsbedingt ihre geplanten Investitionen in den russischen Agrarsektor auf Eis legen. Auch die Investitionsmöglichkeiten der inländischen Unternehmen werden durch die westlichen Sanktionen eingeschränkt. Daher ist es fraglich, ob es Russland gelingen wird, sein zusätzliches Agrarexportpotenzial zu erschließen.

Dennoch, die jüngsten Preisabschläge des russischen Weizens lassen nun ein weiteres Ansteigen der russischen Exporte erwarten. Und es ist klar, angesichts der Ukraine-Kriegs und der gegenwärtigen globalen Nahrungsmittelkrise ist es umso wichtiger, dass Russland weiterhin als großer Exporteur auf den internationalen Agrar- und Nahrungsmittelmärkten seinen Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit leisten kann.

Die vorliegende Ausgabe Nr. 423 "Lebensmittelhandel" der Russland-Analysen bietet hierzu einen vielfältigen Einblick in den russischen Agrar- und Nahrungsmittelhandel. Maximilian Heigermoser, Linde Götz und Tinoush Jamali Jaghdani beginnen in der ersten Analyse mit der Entwicklung von Russlands Getreidehandel mit den Ländern im Nahen Osten und Nordafrikas. Die Gegenüberstellung des Wandels des bilateralen Handels agrarischer Lebensmittel zwischen Russland und den USA und dessen Umbruch im politischen Verhältnis stehen im Zentrum der Analyse von Stephen K. Wegren. Jiayi Zhou liefert eine Einordnung des allmählichen Anstiegs des chinesisch-russischen Agrarhandels bei geopolitischen Spannungen mit dem Westen. Rilka Dragneva bietet einen Überblick über den Nahrungsmittelhandel Russlands mit den Partnerländern der Eurasischen Wirtschaftsunion. In der abschließenden Analyse dieser Ausgabe konzentriert sich Frode Nilssen auf die Rolle Russlands im internationalen Handel mit Fischen und Meeresfrüchten.

Linde Götz, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO)

Fussnoten

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