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In Zeiten des Krieges lieber nochmal Macron?

Lisa Müller

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Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine lässt auch im französischen Wahlkampf andere Themen verblassen. Kandidatinnen und Kandidaten wetteifern um die größte Distanz zu Putin. Das erscheint nicht bei jedem glaubwürdig - hat Staatschef Macron den Sieg schon in der Tasche?

Der französische Präsident Emmanuel Macron spricht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin während einer Videokonferenz im Élysée-Palast in Paris. (© picture-alliance, abaca)

Das Fehlen großer inhaltlicher Debatten prägte den französischen Wahlkampf von Beginn an (vgl. Externer Link: Le Figaro 03.03.2022; Externer Link: L'Opinion 24.02.2022; Externer Link: La Croix 10.01.2022). Schuld daran war nicht nur die Corona-Pandemie, die lange Zeit alle anderen Themen überlagerte, sondern auch der amtierende Präsident. Denn Emmanuel Macron zögerte die offizielle Bekanntgabe seiner Kandidatur monatelang hinaus. Die anderen Kandidaten schienen nur auf seinen Wahlkampfeintritt zu warten. Als schließlich Ende Februar der Termin für Macrons erste Externer Link: Wahlkampfveranstaltung feststand, startete Wladimir Putin seinen Angriff auf die Ukraine – und erstickte damit auch die Hoffnung der Französinnen und Franzosen auf eine leidenschaftliche Präsidentschaftskampagne. "Diese verfluchte Kampagne scheint beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat", stelltExterner Link: Le Figaro (03.03.2022) fest. Für Michel Richard, Kolumnist bei Externer Link: Le Point (27.02.2022), wurde der Wahlkampf gar zum "Kollateralschaden des wahnwitzigen Raubtierverhaltens [von Wladimir Putin]".

Normalerweise dienen die politischen Auseinandersetzungen während des Externer Link: Präsidentschaftswahlkampfes dazu, die Schwerpunktthemen für die nächste fünfjährige Amtsperiode zu bestimmen. Angesichts des Krieges in der Ukraine bezweifelt Externer Link: France Inter (24.02.2022), dass es in diesem Jahr genug Raum für wichtige Diskussionen geben wird: Externer Link: "In solchen Momenten kommt es zu einer politischen Umstrukturierung, zu Annäherungen und neuen Spaltungen, die nicht zwingend dieselben sind, die sich auch bei den großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Themen ergeben. Die Situation kann logischerweise zu einer Unterstützung für das Staatsoberhaupt und zu ungewohnter Einstimmigkeit führen, was vorübergehend alle unsere Debatten verblassen lassen würde." Im schlimmsten Fall könnte dieses Phänomen zur Folge haben, dass Macron wiedergewählt wird, ohne dass die Wahlberechtigten dessen Positionen zu relevanten Fragen kennen, befürchtet Laurent Joffrin, Journalist und Berater im Team der sozialistischen Kandidatin Anne Hidalgo. In Externer Link: L’Opinion (02.03.2022) fordert er deshalb von Emmanuel Macron, der seit dem 3. März auch offizieller Kandidat ist, sich nicht dem eigentlichen Wahlkampf zu entziehen. "Vor dem ersten Wahlgang inhaltliche Debatten abzulehnen, zu versuchen, der legitimen Kritik der Opposition zu entkommen, sich ohne Risiko und Kontroverse wiederwählen zu lassen, indem man sich von der Krise tragen lässt und jegliche Anschuldigungen vermeidet, die anderen Kandidaten gegen eine Wand reden zu lassen,... würde bedeuten, Putin einen weiteren Sieg zu schenken." Externer Link: Le Figaro (03.03.2022) hofft, dass es den Franzosen trotz allem möglich sein wird, in einigen Wochen eine informierte Wahlentscheidung zu treffen: "Denn die Demokratie ist kein Luxus, der friedlichen Zeiten vorbehalten ist. Und nach diesem Krieg wird es noch viele ganz andere Kriege zu führen geben."

Die übrigen Bewerberinnen und Bewerber um den Elysée-Palast befinden sich aus mehreren Gründen in einer schwierigen Lage. Zum einen wird sich kaum eine Gelegenheit bieten, in einer öffentlichen Diskussion gegen den amtierenden Präsidenten anzutreten, gibt Michèle Cotta in ihrer Kolumne in Externer Link: Le Point (01.03.2022) zu bedenken: "Der Wahlkampf von Kandidat Macron wird zwangsläufig kurz sein. Vielleicht wird er sogar nur für die Dauer eines Waffenstillstands zwischen zwei russischen Bombardements oder während schwieriger Friedensgespräche stattfinden." Zum anderen werden, so Externer Link: Le Monde (25.02.2022), die Kandidaten Schwierigkeiten haben, mit ihren ursprünglichen Themen zu punkten: "Die Themen, auf die sich die Kandidaten bisher fokussiert haben, um die Wähler zu ködern - Einwanderung, identitäre Abschottung, Förderung der Kaufkraft - erscheinen plötzlich deplatziert. Die Wiedererlangung der Souveränität wird zum großen Thema, und zwar in all ihren Facetten: industriell, militärisch, strategisch." Inhaltlich sei Macron seinen Konkurrenten deshalb einen Schritt voraus: "Er war der Erste, der auf die Verwundbarkeit des europäischen Kontinents hinwies, sich für strategische Autonomie einsetzte und sich für die EU ein Wirtschafts- und Demokratiemodell ausdachte, das attraktiv genug ist, um Diktatoren die Stirn zu bieten."

Michel Richard, Kolumnist bei Externer Link: Le Point (27.02.2022), sieht das anders. Ihm zufolge verfügen die übrigen Kandidaten gegenüber Macron über einen entscheidenden Vorteil: Nähe zur Bevölkerung. "[S]eine Kampagne wird ihn weiter entfernt von den einfachen Sorgen der Wähler erscheinen lassen als seine Konkurrenten. … Der Krieg in der Ukraine bedeutet auch teureres Öl, Gas und Weizen, einen weiteren Angriff auf die Kaufkraft, die jetzt schon die größte Sorge der Franzosen ist. Und das ist nicht Macrons Spezialgebiet."

Der russische Einmarsch in die Ukraine hat neben dem amtierenden Präsidenten als Krisenmanager drei weitere Kandidaten in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt: Jean-Luc Mélenchon vom äußersten linken sowie Marine Le Pen und Eric Zemmour vom äußersten rechten Ende des Parteienspektrums. Denn sie hatten jahrelang eine Putin-freundliche Haltung an den Tag gelegt und den Kremlherrn trotz aller Warnzeichen in den vergangenen Wochen weiterhin verteidigt (vgl. Externer Link: Le Point 26.2.2022, Externer Link: Mediapart 01.03.2022; Externer Link: Francetvinfo 25.2.2022). Externer Link: Beispielsweise erklärte Zemmour noch am 20. Februar in einem Externer Link: Interview mit dem Fernsehsender CNews, dass die "eigentliche Schuld" für den Konflikt in der "seit dreißig Jahren andauernden Osterweiterung der Nato" liege. Ähnliche Töne gab es von Mélenchon, der in den Externer Link: 20-Uhr-Nachrichten des Senders TF1 (06.02.2022) behauptete, die USA versuchten, "die Ukraine der Nato einzuverleiben." Externer Link: Marine Le Pen geriet ihrerseits in die Schlagzeilen, weil eine längst in Umlauf gebrachte Externer Link: Wahlkampfbroschüre ein Foto enthält, das sie und den russischen Präsidenten zeigt. Es war während eines Russlandbesuchs vor den Präsidentschaftswahlen 2017 entstanden.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges versuchen die drei Kandidaten, eine gründlich geänderte Haltung zu vermitteln. Geschlossen verurteilen sie die Verletzung der Integrität der Ukraine. Glaubwürdig erscheint ihr plötzlicher Sinneswandel allerdings den wenigsten (vgl. Externer Link: Mediapart 03.03.2022; Externer Link: Mediapart 01.03.2022; Externer Link: Le Point 26.02.2022). Valérie Pécresse, die Kandidatin der konservativen Les Républicains, sagte bei einem Wahlkampfauftritt am 26. Februar, Mélenchon, Le Pen und Zemmour hätten sich selbst aufgrund ihrer Haltung für das Präsidentenamt disqualifiziert. Auch der Externer Link: L’Opinion-Kolumnist Eric Le Boucher (27.02.2022) sieht eine tiefe Verbundenheit der Kandidaten mit Wladimir Putin: "Die Wahrheit ist, dass die Populisten Putin mit ihren Eingeweiden und in ihrem Verstand lieben. … Ihre Bewunderung mögen sie heute zwar andeutungsweise leugnen, doch in Wirklichkeit ist sie sehr solide." Besonders die Positionen und Ideale des rechtsradikalen Provokateurs Zemmour ähnelten denen Putins stark, schreibt die Sprachwissenschaftlerin Cécile Alduy in Externer Link: L’Obs (28.02.2022): "Putin ist nicht nur ein energischer Mann, von dem Zemmour als Bewunderer einer ‘männlichen’ Stärke und Autorität träumt. Er ist vor allem ein beispielhafter Vertreter seiner eigenen antimodernen Ansichten. Putin tut in Russland und auf internationaler Ebene das, was Zemmour gerne für Frankreich hätte.“

Am Ende dürften die Fragen zu Russland und Putin die Wahlkämpfer Mélenchon, Le Pen und Zemmour kaum beeinträchtigen, schätzt Externer Link: Slate (01.03.2022): "[D]ie Reden der Kandidaten werden sich einfach an die ‘neue Normalität’ eines Krieges auf europäischem Boden anpassen und die politischen Ideen werden sich nur geringfügig ändern. Wie sich aus ihren ersten Stellungnahmen schließen lässt, werden die pro-russischen Kandidaten schnell ihren anfänglichen Irrtum zur Kenntnis nehmen (‘Putin war es, der angegriffen hat’) und dann andeuten, dass der russische Präsident durch die amerikanische Politik der Nato-Osterweiterung zum Angriff gezwungen wurde." Ob ihnen diese Taktik dabei hilft, sich im Wahlkampf gegenüber dem derzeit scheinbar über allem stehenden Emmanuel Macron Gehör zu verschaffen, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

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ist euro|topics-Korrespondentin für Frankreich sowie die französischsprachigen Teile Luxemburgs, Belgiens und der Schweiz. Sie studierte Kommunikationswissenschaften und deutsch-französischen Journalismus. Schon kurz nach Abschluss ihres Studiums zog es sie nach Straßburg zurück, wo sie derzeit als freie Journalistin für Arte arbeitet.