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Akzeptanz und Identität | Europäische Union | bpb.de

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Akzeptanz und Identität

Olaf Leiße

/ 6 Minuten zu lesen

Eine Europäische Identität entsteht nicht über Nacht: Austauschprogramme, Symbole und gemeinsame Werte wirken. Doch bewegt sich Europa in Richtung Zusammenhalt?

Pro-europäische Demonstranten. Gibt es eine europäische Identität? (© picture alliance / SZ Photo | Catherina Hess)

Wenn der Interner Link: europäische Integrationsprozess nicht allein durch die politischen Eliten vorangetrieben werden soll, dann müssen auch die Bürgerinnen und Bürer Europas aktiv einbezogen werden. Zudem sollte die Europäische Union nicht hinter den hohen demokratischen Standards in den Mitgliedstaaten zurückbleiben. Demokratische Systeme legitimieren sich über die Zustimmung der „Politikbetroffenen“, über die stillschweigende Ansicht und den allgemeinen Interner Link: Konsens, dass eine demokratische Regierungsform besser als andere sei. Interner Link: Diktaturen erhalten und rechtfertigen ihre Macht dagegen über Gewalt gegen die Opposition oder vermeintliche äußere Feinde, autoritäre Regierungen über Begünstigung und Vetternwirtschaft. In einer Demokratie unterstützen sich zwei Dinge: Die Menschen akzeptieren das politische System und seine Regeln („von unten nach oben“) und das System starkt das Gemeinschaftsgefühl und eine gemeinsamen Identität („von oben nach unten“).

Auch die Europäische Union ist als demokratische Ordnung auf die Zustimmung der Bevölkerungen in den Mitgliedstaaten angewiesen. Lange Zeit gingen Beobachter davon aus, dass es einen „permissive consensus“ bezüglich der EU gebe. Damit wurde ausgedrückt, dass die Bürger zwar die Integration nur selten aktiv unterstützen, sie aber weitgehend mit diesem Prozess einverstanden seien. Im Zuge einer um sich greifenden Interner Link: Politikverdrossenheit steht allerdings auch das europäische Projekt auf dem Spiel. Alle Macht soll auch in Europa vom Volke ausgehen. Gibt es aber eine hinreichend tragfähige und belastbare europäische Identität, auf deren Grundlage der Integrationsprozess dauerhaft und stabil weitergeführt werden kann?

Gibt es eine europäische Identität?

Es liegen einige überzeugende Argumente vor, die gegen das Vorhandensein oder die Vertiefung einer europäischen Identität sprechen. Zum einen gibt es keine gemeinsame Sprache in Europa. Obwohl Englisch zunehmend als gemeinsame Verständigungssprache dient, sprechen immer noch viele Europäerinnen und Europäer diese Sprache nicht oder haben keine Fremdsprachenkenntnisse. Die Kommunikation zwischen den Völkern bleibt daher stark begrenzt und es kann sich keine Gemeinschaft entwickeln. Gerade im Wahlkampf zum Interner Link: Europäischen Parlament zeigt sich die Sprachbarriere deutlich. Die Spitzenkandidaten der Parteien können nicht aktiv in den Wahlkampf eingreifen, wenn sie die Landessprache nicht beherrschen. Und dies ist bei 24 Amtssprachen unmöglich.

Ein weiterer Punkt ist die nationale und staatliche Aufteilung der Europäer, die für die Bürgerinnen und Bürger die wichtigste Orientierung bietet. Die meisten Europäer leben, lernen, arbeiten und wohnen hauptsächlich in ihrem Heimatland. Nur eine kleine Minderheit nutzt das Recht auf Freizügigkeit im europäischen Interner Link: Binnenmarkt und lebt im Ausland. Der heimische Staat bleibt trotz aller Erwartungen die entscheidende Bezugsgröße für die Bürger Europas.

Innerhalb des Staates finden die politischen Diskussionen statt, werden Entscheidungen für das Allgemeinwohl getroffen und Verhandlungen geführt; er bildet den wirtschaftlichen Rahmen, in dem die Bürger arbeiten, ihr Einkommen erzielen, Steuern zahlen und für ihre Rente vorsorgen. Er ist auch der Ort, an dem sie soziale Leistungen in Anspruch nehmen können. Zudem ist der Staat der Kontext, in dem gesellschaftliche Entwicklungen, Kultur und Traditionen entstehen. Veränderungen in Werten und Normen im zwischenmenschlichen Umgang finden hauptsächlich innerhalb eines Landes statt.

Kritiker einer europäischen Identität gehen davon aus, dass es unmöglich ist, eine gemeinsame europäische Perspektive auf aktuelle Ereignisse zu entwickeln. Ob es um Kriege im Nahen Osten, wirtschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit oder die Migration geht – diese Herausforderungen betreffen zwar ganz Europa, werden jedoch aus der Sicht des jeweiligen Landes betrachtet und durch die nationale Politik behandelt. Die Europäerinnen und Europäer erleben sich daher auch in der Tagespolitik nicht als Gemeinschaft.

Förderung einer europäischen Identität

Um den Widerstand gegen die Entwicklung einer gemeinsamen Identität zu überwinden, förderte die Politik aktiv das Bewusstsein für Gemeinschaft. Bereits auf dem europäischen Gipfel von Kopenhagen im Dezember 1973 betonten die Staats- und Regierungschefs die Bedeutung der Identität für die europäische Integration: „Diese Vielfalt der Kulturen im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Zivilisation, dieses Bekenntnis zu gemeinsamen Werten und Prinzipien, diese Annäherung der Lebensauffassungen, dieses Bewusstsein ihnen eigener gemeinsamer Interessen sowie diese Entschlossenheit, am europäischen Einigungswerk mizuwirken, verleihen der europäischen Identität ihren unverwechselbaren Charakter und ihre eigene Dynamik“.

LinklisteLinks zu Europäischen Nachrichtenportalen

Externer Link: Euractiv – Politische Analysen und Nachrichten zur EU-Politik
Externer Link: Politico Europe – Berichterstattung über EU-Politik und globale Angelegenheiten
Externer Link: EUobserver – Unabhängige Berichterstattung über europäische Angelegenheiten
Externer Link: Deutsche Welle (DW) – Europa – Deutsche Perspektive auf europäische Themen
Externer Link: Euronews – Multilinguale Nachrichten aus europäischer Sicht
Externer Link: Reuters – Europe – Wirtschaft und Politik in Europa
Externer Link: Associated Press (AP) – Europe – US-amerikanische Perspektive auf europäische Themen
Externer Link: BBC News – Europe – Britische Berichterstattung über europäische Entwicklungen
Externer Link: The Guardian – Europe – Detaillierte politische Analysen
Externer Link: Financial Times – Europe – Wirtschaft, Finanzen und Politik in Europa
Externer Link: Handelsblatt – Europa – Deutsche Wirtschafts- und Europaberichterstattung
Externer Link: Bloomberg – European News – Finanz- und Wirtschaftsnachrichten
Externer Link: Le Monde – Europe – Französische Perspektive auf europäische Themen
Externer Link: El País – Europa – Spanische Berichterstattung über Europa
Externer Link: Radio Free Europe – Nachrichten zu Osteuropa und der EU
Externer Link: Balkan Insight – Analysen zur politischen Lage in Südosteuropa

Symbolpolitik

In der Folge förderte die Europäische Union durch verschiedene Maßnahmen. Im Bereich der Interner Link: Symbolpolitik gab sich die EU zahlreiche Symbole zur Stärkung ihrer Verbundenheit mit den Unionsbürgerinnen und -bürgern. Dazu zählen die bekannte Europaflagge mit den zwölf goldenen Sternen auf blauem Untergrund, die Europahymne aus Beethovens 9. Symphonie, das Motto „In Vielfalt geeint“ und der Europatag am 9. Mai, an dem alljährlich zahlreiche Veranstaltungen mit europapolitischem Bezug stattfinden. Besondere Symbole im alltäglichen Gebrauch bilden die Euro-Münzen und -Scheine. Auf den Scheinen werden auf der Vorderseite Fenster oder Tore dargestellt, während auf der Rückseite eine Brücke abgebildet wird. Sie verweisen auf europäische Kulturleistungen und sollen für die Offenheit und verbindende Wirkung Europas stehen.

Geschichtspolitik

Die Europäische Union verfolgt eine eigene Geschichtspolitik. 2017 wurde in Brüssel das Interner Link: Haus der europäischen Geschichte eröffnet, das die Geschichte Europas, der europäischen Integration und der EU auf multimediale Weise darstellt. Anstatt klassische Ausstellungsstücke zu zeigen, werden Ereignisse, Entwicklungslinien, historische Fakten und Erzählungen mit verschiedenen Medien aufbereitet, was einen unterhaltsamen Zugang ermöglicht. Das Europäische Parlament bietet im Parlamentarium, das ebenfalls in Brüssel zu finden ist, eine Darstellung der Entwicklung von Demokratie, Menschenrechten, Pluralismus und Mitbestimmung in Europa. Dabei wird, möglicherweise nicht ganz ohne Eigeninteresse, aufgezeigt, wie das Parlament die Interessen der Unionsbürgerinnen und -bürger vertritt.

Austauschprogramme

Die europäische Identität wird aber auch durch konkrete Maßnahmen gefördert. Im Mittelpunkt stehen Austauschprogramme, die die Begegnung der Europäerinnen und Europäer fördern sollen. Dabei geht es um Kontakte unterschiedlicher Gruppen. Die Universitäten können Lehrkräfte und Studierende an Partnerhochschulen schicken, für allgemeinbildende und berufsbildende Schulen gibt es Austauschmöglichkeiten, Fachleute sollen zusammenkommen ebenso wie Künstler und Schriftsteller. Darüber hinaus werden Fremdsprachenkenntnisse gefördert, aber auch kleinere Sprachen in Europa geschützt. In Ländern außerhalb der EU tritt die Gemeinschaft vermehrt mit gemeinsamen Aktionen auf.

Empirische Untersuchungen zeigen immer wieder, dass gegenseitiger Austausch das Verständnis fördert und eine gemeinsame europäische Identität stärkt.

Einstellungen der EU-Bevölkerung

Das Eurobarometer , das von der Kommission herausgegeben wird, liefert umfangreiche quantitative Daten über die Einstellungen der Europäerinnen und Europäer. Gefragt wird dabei nicht nur nach einer europäischen Identität, sondern auch nach konkreten Anliegen und Einschätzungen der europäischen Politik. Dabei zeigt sich, dass die Identifikation mit der Europäischen Union und die Ausbildung einer europäischen Identität zwischen den Mitgliedstaaten variieren. Gleichwohl gibt es einen stabilen pro-europäischen Grundkonsens. In den letzten Jahren nahm das Phänomen der Europaskepsis allerdings zu.

Bürger der EU

zum ausführlichen Text Interner Link: Bürger der EU

Eurobarometer-Umfrage, Angaben in Prozent der Bevölkerung, Europäische Union, Frühjahr 2018

Eurobarometer-Umfrage, Angaben in Prozent der Bevölkerung, Europäische Union, Frühjahr 2018

Eurobarometer-Umfrage, Angaben in Prozent der Bevölkerung, Europäische Union, Frühjahr 2018

Quelle: Europäische Kommission: Standard-Eurobarometer 89, Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union, Frühjahr 2018
Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

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Mittlerweile gibt es in fast allen Mitgliedstaaten Parteien, die die Europaskepsis in Teilen der Bevölkerung bedienen. Im Europäischen Parlament nehmen europaskeptische und populistische Parteien bereits Interner Link: 20 Prozent aller Sitze ein. In vielen mitgliedstaatlichen Parlamenten finden sich populistische Parteien, in einigen sind sie Mitglied der Regierung. Populistische Parteien nehmen häufiger über den mitgliedstaatlichen Weg Einfluss auf die europäische Integration als durch direktes Lobbying auf europäischer Ebene. Populismus und Europaskepsis stellen eine gewisse Bedrohung des Integrationswerkes dar, insofern sie einseitig nationale Lösungen bevorzugen und die Ausbildung einer europäischen Identität bekämpfen.

Politische Systeme werden vielfach nach den Ergebnissen von Entscheidungen beurteilt. Politikinhalte, die von den Menschen positiv aufgefasst werden, fördern die Zustimmung zum politischen System insgesamt und steigern somit seine Legitimation. Umgekehrt führen bedrohliche und als nachteilig aufgefasste Entwicklungen zur Skepsis gegenüber Politik und politischen Akteuren. Auch die Europäische Union wird an den Ergebnissen ihrer Politik gemessen. Die Bürgerinnen und Bürger möchten sich mit einer Union identifizieren, die erfolgreich ist, Probleme löst und nicht selbst eine Quelle von Problemen darstellt. Wenn sich die Union mit weniger relevanten Themen beschäftigt, aber in den großen Krisen scheitert, ist es wenig überraschend, dass europaskeptische Haltungen entstehen. Ob und wie stark sich eine europäische Identität entwickelt, hängt neben dem persönlichen Austausch der Bürgerinnen und Bürger entscheidend davon ab , wie erfolgreich die EU Probleme und Krisen bewältigt.

Das Ziel der europäischen Identitätspolitik ist nicht, bestehende nationale Orientierungen zu verdrängen oder zu ersetzen. Vielmehr soll die europäische Identität dazu dienen, die bereits bestehenden Gemeinsamkeiten zu stärken, das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger dafür zu schärfen und europäische Werte stärker zu verankern. Die europäische Identität kann die national geprägten Identitäten verbinden - ohne sie zu ersetzen.

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Die Bürger der Europäischen Union

Wie gottgläubig sind die Bürger der Europäischen Union? Welches sind die größten Probleme und welches die größten Errungenschaften der EU? Und wie sehen die EU-Bürger die Zukunft der EU?

euro|topics-Wahlmonitor 2019

Migration: Wie wichtig ist das Thema noch?

Das Thema Migration spielt laut der jüngsten Eurobarometerumfrage in der Bevölkerung eine weniger wichtige Rolle als in den vergangenen Jahren. Andere Themen treiben die Europäer mehr um.

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EU-weit nannten im Frühjahr 2018 ein Viertel der Befragten Arbeitslosigkeit als wichtigstes nationales Problem. Darauf folgten die Themen Gesundheit/soziale Sicherung (23 %) und Einwanderung (21 %).

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2015 bis 2018 wurden durchgehend die beiden Themen Einwanderung und Terrorismus als wichtigste Probleme genannt, denen die EU gegenübersteht.

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Die Zukunft der EU

2018 sahen 58 % der befragten EU-Bürger die Zukunft der EU 'optimistisch' und 36 % 'pessimistisch'. In 25 Mitgliedstaaten wurde die Zukunft der EU von mehr als der Hälfte optimistisch gesehen.

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Danach gefragt, welches die positivsten Errungenschaften der EU sind, wählten 2018 jeweils mehr als die Hälfte der EU-Bürger den freien Verkehr von Personen und Waren sowie den Frieden in der EU.

Apl. Prof. Dr. Olaf Leiße ist Leiter des Arbeitsbereichs Europäische Studien am Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist außerplanmäßiger Professor für Europäische Studien und Autor zahlreicher Bücher über die Europäische Union.