Was bedeutet „Femizid“?
Begriff und Erscheinungsformen
Der Begriff „Femizid“ leitet sich von dem englischen Wort „femicide“ ab, das etymologisch von lateinisch femina (Frau) und caedere(töten) abstammt. Ursprünglich bezeichnete „femicide“ also die Tötung einer Frau und war eine Alternative zu dem geschlechtsneutralen Begriff „homicide“ für die Tötung eines Menschen. Mit dieser Bedeutung wurde „femicide“ im Englischen mindestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts verwendet.
In den 1970er Jahren wandelte sich die Bedeutung des Begriffs. Die US-amerikanisch-australische Soziologin Diana Russell verwendete 1976 auf einer Konferenz zum Thema Interner Link: Gewalt gegen Frauen „femicide“ erstmals als Bezeichnung für geschlechtsbezogene Tötungen von Frauen. Russell veränderte ihre Definition des Begriffs „Femizid“ mehrfach und sprach u.a. von „misogynen Tötungen von Frauen durch Männer“ oder „Tötungen von Frauen durch Männer, weil sie Frauen sind“ .
Als Bezeichnung für geschlechtsbezogene Frauentötungen verbreitete sich der Begriff weltweit: 1999 wurde er erstmals durch Interner Link: die Vereinten Nationen verwendet. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte nutzte die Bezeichnung in einem Urteil im Jahr 2009. In Deutschland steht der Begriff als Bezeichnung für „tödliche Gewalt gegen Frauen oder eine Frau aufgrund ihres Geschlechts“ im Duden. Mittlerweile wird er auch immer stärker in Medienberichten verwendet und war bereits Gegenstand parlamentarischer Debatten.
Gleichzeitig wird auch heute noch unterschiedlich verstanden, was ein Femizid ist. Insbesondere wann eine Tötung „aufgrund des Geschlechts“ des Opfers begangen wurde, ist nicht abschließend geklärt. Damit verbunden ist auch die Frage, welche Phänomene als Femizide bezeichnet werden können. Bereits Diana Russell zählte zahlreiche unterschiedliche Erscheinungsformen auf, darunter Intimpartnerinnentötungen, Tötungen im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt, Tötungen von Sexarbeiterinnen, „Ehrenmorde“ und „Massenfemizide“.
Auch die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen, Rashida Manjoo, benannte 2012 in einem Bericht zahlreiche verschiedene Erscheinungsformen geschlechtsbezogener Tötungen, darunter Intimpartnerinnentötungen, Interner Link: „Hexentötungen“, „Ehrenmorde“ sowie Todesfälle aufgrund unsicherer Schwangerschaftsabbrüche oder schädlicher Praktiken, wie Genitalverstümmelung an Vulven.
In Deutschland stehen als Erscheinungsform von Femiziden vor allem Intimpartnerinnentötungen im Fokus. Damit sind Tötungen von Frauen durch ihre aktuellen oder ehemaligen – meist männlichen – Partner gemeint. Dabei handelt es sich sowohl in Deutschland als auch weltweit um die häufigste Form der Frauentötung. Tötungen durch aktuelle oder ehemalige Partner*innen werden in rund 80 Prozent der Fälle an weiblichen Opfern begangen. Sie weisen somit bereits statistisch gesehen eine stark geschlechtsbezogene Dynamik auf.
Die oben dargestellten Aufzählungen von Femizid-Erscheinungsformen zeigen aber auch, dass teilweise tödliche Praktiken als Femizide bezeichnet werden, die keine vorsätzlichen Tötungen im strafrechtlichen Sinne sind. Das gilt beispielsweise für Todesfälle infolge unsicherer Schwangerschaftsabbrüche oder infolge „schädlicher Praktiken“. Diese Diskrepanz zwischen einem rechtlichen und einem außerrechtlichen Begriffsverständnis ist eine der Ursachen für heutige Debatten um die Bedeutung und das Potenzial des Begriffs „Femizid“.
Worin besteht der Unterschied zu anderen Begriffen?
„Feminizid“, „Gynozid“ und „Genderzid“
Eine wichtige Weiterentwicklung des Begriffs erfolgte im lateinamerikanischen Raum. Dort verbreitete sich der Begriff „femicidio“ ab den 1980er Jahren. Die mexikanische Anthropologin und Kongressabgeordnete Marcela Lagarde y de los Ríos erweiterte ihn 1994 zu „feminicidio“. Die eingefügte Silbe „ni“ hat keine eigenständige Bedeutung. Der abgewandelte Begriff sollte – so Lagarde y de los Ríos – eine spezifische Bezeichnung für den besonderen Interner Link: lateinamerikanischen Kontext geschlechtsbezogener Frauentötungen sein, von einer staatlichen Duldung und Unterstützung der Taten und einer extremen Straflosigkeit geprägt sei. Mittlerweile findet sich der Begriff „Feminizid“ auch im Deutschen und es gibt Entsprechungen in anderen Sprachen. Teilweise wird er auch als Synonym für „Femizid“ verstanden.
Ein verwandter, aber weniger verbreiteter Begriff für geschlechtsbezogene Frauentötungen ist „Gynozid“. Der Begriff wurde vor allem in den 1970er und 1980er Jahren verwendet, bevor sich „Femizid“ durchsetzte.
Außerdem gibt es den Begriff „Genderzid“. Er wird häufig als Synonym für „Femizid“ genutzt, ist aber geschlechtsneutral und kann daher auch für geschlechtsbezogene Tötungen von Männern und Jungen oder Personen anderen Geschlechts verwendet werden.
Warum wird über den Begriff gestritten?
Verwendungskontexte und Debatten
In der wissenschaftlichen Forschung werden auch aus pragmatischen Gründen unterschiedliche Femizid-Definitionen verwendet, sodass verschiedene Begriffsverständnisse koexistieren. In aktivistischen Kontexten, Medien, Politik und Rechtsanwendung werden Femizide überwiegend als geschlechtsbezogene Tötung von Frauen verstanden. Die Voraussetzungen, unter denen eine Tötung als „aufgrund des Geschlechts“ des Opfers begangen angesehen werden kann, sind noch nicht abschließend geklärt.
Aufgrund dieser Schwierigkeiten wird der Begriff „Femizid“ von Kritiker*innen als ungeeignet, politisch aufgeladen oder zu voraussetzungsvoll empfunden. Tatsächlich setzt die Einordnung einer Tötung als geschlechtsbezogen gewisse Vorverständnisse voraus. Der Geschlechtsbezug ist bei einigen Taten leichter zu erkennen als bei anderen. Werden beispielsweise im Rahmen eines Amoklaufs gezielt Frauen getötet, ist der Zusammenhang der Tat mit dem Geschlecht der Opfer recht offensichtlich. Beispiele hierfür sind der Amoklauf von Marc Lépine, der 1989 in Montreal (Kanada) 14 Frauen tötete und dies mit „Hass auf Feministinnen“ begründete, sowie der Amoklauf von Elliot Rodger, der 2014 in Kalifornien (USA) aus antifeministischen Gründen sechs Menschen tötete . In Deutschland ist bislang noch keine vergleichbare Tat bekannt geworden. Es haben sich aber Zusammenhänge Interner Link: zwischen antifeministischen, rechtsextremen und verschwörungsideologischen Überzeugungen gezeigt. Beispielsweise nannte Stephan Balliet für seinen Interner Link: Anschlag auf eine Synagoge in Halle im Jahr 2019 neben antisemitischen und ausländerfeindlichen Motiven auch antifeministische.
Weniger offensichtlich ist der Geschlechtsbezug bei Intimpartnerinnentötungen. Daher ist dies Gegenstand von Debatten in Wissenschaft, Medien und Politik. Bei diesen Taten spielt oft die Ausübung von Macht und Kontrolle durch den Täter gegenüber dem Opfer eine Rolle. Das gilt insbesondere, wenn die Tat im Zusammenhang mit dem – vom späteren Tatopfer ausgehenden – Ende der Beziehung begangen wird. In solchen Konstellationen gesteht der Täter dem Opfer häufig kein selbstbestimmtes Leben zu. Dahinter stehen ein Besitzanspruch gegenüber dem Opfer, geschlechtsbezogene Erwartungen an „die Rolle der Frau“ und Vorstellungen einer Ungleichwertigkeit der Geschlechter.
In der Wissenschaft
In der Wissenschaft wird der Begriff „Femizid“ unterschiedlich verwendet – abhängig von den zugrundeliegenden Daten und Fragestellungen der Forschung. Das führt zu verschiedenen, nebeneinander existierenden Definitionen:
Teilweise wird der Begriff „Femizid“ in der Forschung auch heute noch mit seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet, nämlich als Bezeichnung für jegliche Frauentötungen. Es handelt sich dabei oft um eine pragmatische Entscheidung. Zum Beispiel wenn Daten ausgewertet werden, die keine Informationen zu einem möglichen Geschlechtsbezug der Tat beinhalten, weil Angaben über die Tatmotivation oder über die Beziehung zwischen Täter*in und Opfer fehlen.
Mitunter wird die Definition des Begriffs „Femizid“ in der Forschung auch auf bestimmte Erscheinungsformen geschlechtsbezogener Tötungen beschränkt, beispielsweise auf Intimpartnerinnentötungen. Grund hierfür ist ebenfalls oft das Studiendesign, etwa bei Forschungsarbeiten mit den Daten der Externer Link: Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die PKS erfasst alle der Polizei bekannt gewordenen Straftaten und dabei auch Informationen zu den Tatverdächtigen und – bei bestimmten Delikten – zu den Opfern. Sie zeigt damit das polizeiliche „Hellfeld“ der Kriminalität, kann aber keine Aussagen über tatsächliche Fallzahlen („Dunkelfeld“) oder über die spätere rechtliche Bewertung der Taten durch Gerichte machen. Da die PKS keine Informationen zur Tatmotivation enthält, liegt es nahe, sich in der Auswertung von PKS-Daten mit Blick auf Femizide auf Intimpartnerinnentötungen zu beschränken. Rückschlüsse auf andere Erscheinungsformen von Femiziden lässt die Statistik kaum zu.
Für das Jahr 2023 wurden in der PKS 155 Tötungen von Frauen durch deren aktuelle oder ehemalige Partner registriert. Allerdings wurde in Pressemitteilungen zu dieser Statistik teilweise missverständlich davon gesprochen, dass es 360 Femizide gegeben habe – hierbei handelte es sich aber um die Gesamtzahl aller Frauentötungen im Jahr 2023. Dieser Vorgang verdeutlicht, wie wichtig eine nachvollziehbare und offengelegte Definition für den Umgang mit Femizid-Statistiken ist.
In den Medien
Interner Link: Medien spielen eine zentrale Rolle dabei, wie Gewalt gegen Frauen öffentlich wahrgenommen wird. Ob die Tötungen von Frauen als „Familiendrama“ oder „Femizid“ bezeichnet wird, beeinflusst, wie Ursachen und Verantwortung für solche Taten verstanden werden.
In Medienberichten wird der Begriff „Femizid“ zur Beschreibung von Tötungsdelikten bereits teilweise verwendet. Daneben finden sich aber auch teils unpräzise, teils opferbeschuldigende Bezeichnungen wie „Eifersuchtsdrama“ oder „Familiendrama“. Durch solche Begriffe werden die Taten als private Konflikte oder emotionale Ausnahmesituationen dargestellt, während die Verantwortung und Schuld des Täters relativiert werden.
Verwenden Medienberichte den Begriff „Femizid“, wird häufig auch die Definition als geschlechtsbezogene Tötung von Frauen genannt. Oft wird jedoch nicht erläutert, warum die jeweilige Tat als Femizid eingeordnet wird. Darin besteht allerdings die Gefahr, dass Personen, die sich bislang noch wenig oder gar nicht mit geschlechtsbezogener Gewalt beschäftigt haben, den Begriff nicht nachvollziehen können. So kann dieser das Potenzial, das Befürworter*innen ihm zuschreiben – strukturelle geschlechtsbezogene Gewalt sichtbar zu machen – nur eingeschränkt verwirklichen.
Zugleich ist zu beobachten, dass Intimpartnerinnentötungen und sog. Ehrenmorde in Medienberichten teilweise unterschiedlich gerahmt werden. „Ehrenmorde“ sind insofern Tötungen (meist) weiblicher Personen durch AngehörigeInterner Link: zur Wiederherstellung einer durch das Verhalten des Opfers vermeintlich verletzten „Familienehre“. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Femizid-Erscheinungsformen spiegelt sich auch in politischen und gesellschaftlichen Debatten sowie in der Rechtsanwendung wider. Dabei werden „Ehrenmorde“ häufig als Ausdruck einer „fremden“ und „rückständigen“ Kultur markiert, während Intimpartnerinnentötungen als private Beziehungstragödien individualisiert werden. Dieses Muster wird in der Forschung als „Othering“ beschrieben: Geschlechtsspezifische Gewalt wird in „anderen“ (oft migrantischen) Gemeinschaften als kulturelles Problem externalisiert, während patriarchale Strukturen in der Mehrheitsgesellschaft weniger sichtbar bleiben.
Im Recht
Interner Link: Auch im juristischen Bereich gewinnt der Begriff „Femizid“ an Bedeutung. Beispielsweise wird er teilweise in Pressemitteilungen von Staatsanwaltschaften und Gerichten verwendet. Damit eng verbunden ist die Frage nach der strafrechtlichen Behandlung von Femiziden. Anders als in zahlreichen lateinamerikanischen und einigen anderen Staaten gibt es in Deutschland keinen Femizid-Straftatbestand. Die Einführung einer solchen Regelung in Deutschland wird von einigen Aktivist*innen und Politiker*innen gefordert. Befürworter*innen dieses Vorschlages erhoffen sich insbesondere eine symbolische Wirkung, nämlich die Sichtbarmachung geschlechtsbezogener Tötungsdelikte und der ihnen zugrunde liegenden Dynamiken. Durch diese Signalwirkung könne sowohl bei Rechtsanwender*innen als auch gesamtgesellschaftlich ein größeres Bewusstsein für geschlechtsbezogene Gewalt entstehen. Eine Kategorisierung als Tatbestand würde außerdem – so die Hoffnung – die statistische Erfassung der Taten verbessern. Blickt man auf die bereits in anderen Staaten vorhandenen Straftatbestände, zeigt sich, dass deren Ausgestaltung und insbesondere die Bestimmung des Geschlechtsbezuges sehr unterschiedlich erfolgt ist und die Tatbestände in der Praxis häufig kaum angewendet werden.
Gegen die Einführung eines Femizid-Straftatbestands wird vor diesem Hintergrund u.a. eingewendet, dass der Begriff rechtlich nicht hinreichend klar definiert werden könne. Zudem würden die Taten bereits durch die bestehenden Strafnormen wie Mord oder Totschlag (§§ 211 ff. StGB) ausreichend erfasst. Das Problem liege nicht in fehlenden Regelungen, sondern in einer – auch auf ein fehlendes Verständnis für geschlechtsbezogene Gewalt zurückzuführenden – mangelhaften Rechtsanwendung. Statt eines Straftatbestandes werden deshalb Verbesserungen bei der Prävention, Fortbildungen für Rechtsanwender*innen und die Bekämpfung sexistischer und patriarchaler gesellschaftlicher Vorstellungen und Strukturen gefordert.
Fazit
Warum der Begriff wichtig ist – und umstritten bleibt
Der Begriff „Femizid“ wird immer häufiger verwendet und soll meist geschlechtsbezogene Tötungen von Frauen beschreiben. Dieser ursprünglich sozialwissenschaftliche Begriff wurde mittlerweile auch in einen rechtlichen Kontext sowie in gesamtgesellschaftliche Debatten übertragen. In der Wissenschaft gibt es – vor allem aus forschungspragmatischen Gründen – weiterhin andere Definitionen, die sich beispielsweise auf alle Frauentötungen oder bestimmte Erscheinungsformen geschlechtsbezogener Frauentötungen beziehen. Aus diesen unterschiedlichen Perspektiven und Verwendungskontexten entstehen Spannungen und Debatten um die Bedeutung und das Potenzial des Begriffs „Femizid“.
Zentraler Aspekt dieser Auseinandersetzung ist die Frage, wann eine Tötung „aufgrund des Geschlechts“ des Opfers erfolgt. Die Bestimmung dieses Geschlechtsbezuges kann bei verschiedenen Phänomenen unterschiedlich schwierig sein.
Denn wenn man Femizide als geschlechtsbezogene Tötungen versteht, muss man „Geschlecht“ zugleich als soziales Konstrukt („Gender“) begreifen, das mit gewissen Erwartungen und Vorstellungen zu Verhalten, Aussehen und Sexualität von Personen in einem binären – nur zwischen Frauen und Männern unterscheidenden – Rahmen einhergeht. So kann geschlechtsbezogene Gewalt als Sanktionierung von davon abweichendem Verhalten verstanden werden.
Der Begriff „Femizid“ wird insbesondere verwendet, um konkrete Taten mit diesen gesellschaftlichen Bedingungen in einen Zusammenhang zu bringen und strukturelle geschlechtsbezogene Gewalt zu benennen. Insofern soll er – so die Hoffnung seiner Befürworter*innen – auch zur Bekämpfung geschlechtsbezogener Stereotype und damit zur Prävention geschlechtsbezogener Gewalt beitragen.