Der Begriff 'Schengen' steht heute für den Verzicht auf regelmäßige, stationäre Kontrollen an den Grenzen zwischen den 26 Mitgliedstaaten des Schengen-Raums, der rund 420 Millionen Menschen umfasst. Ein zentrales Ziel der Politik der Europäischen Union (EU) ist die Freizügigkeit, also das Recht aller Unionsbürger:innen, in jeden anderen Mitgliedstaat einreisen, sich dort aufhalten und arbeiten zu dürfen. Dafür stellt 'Schengen' ein wesentliches Element dar. Darüber hinaus steht es für die Zusammenarbeit der Staaten an den Außengrenzen der EU – die vielfach als die Kehrseite des 'Europas ohne Grenzen' verstanden und etwa auf das Bild der 'Festung Europa' bezogen wird. Aber warum wurde das
Europäischer Binnenmarkt und Freizügigkeit von Arbeitskräften seit den 1950er Jahren
Der Prozess einer Begrenzung der nationalen Kompetenzen zur Kontrolle der Migration zwischen den Mitgliedstaaten von
Artikel 48 des EWG-Vertrags von 1957 legte fest, dass die Freizügigkeit für Arbeitskräfte innerhalb der Gemeinschaft bis 1969 durchzusetzen sei. Danach habe jede "unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen" zu unterbleiben.
Das Schengener Abkommen und der Bedeutungsgewinn der Sicherheitspolitik
Grenzkontrollen gab es trotz der Römischen Verträge weiterhin, obgleich sie für hohe Kosten verantwortlich gemacht wurden, die insbesondere für international agierende Unternehmen anfielen. Politische Bemühungen um einen Abbau der Grenzkontrollen scheiterten in den 1970er Jahren, weil einige EWG-Mitgliedstaaten sich um innere Sicherheit und migrationspolitische Kontrollmöglichkeiten sorgten. Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland suchten deshalb den Weg über einen bilateralen Vertrag: Sie vereinbarten 1984 im 'Saarbrücker Abkommen' einen Abbau der Kontrollen an der gemeinsamen Grenze.
Die Regierungen der fünf Schengen-Staaten vereinbarten, die Binnengrenzen zu öffnen, sobald deren Wegfall sich durch Kontrollen an der gemeinsamen Außengrenze kompensieren lasse. Die Verhandlungen über diese Kompensationen zogen sich – zunehmend beeinflusst durch die Öffnung des
Mitverantwortlich für die Versicherheitlichung der Diskussionen waren die in den späten 1980er Jahren einsetzenden intensiven politischen, öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten um die Externer Link: 'Globalisierung' sowie um die damit verbundene Vorstellung vom Bedeutungsverlust des Nationalstaats und seiner Grenzen: So hieß es, dass eine zunehmende Verdichtung weltweiter ökonomischer, politischer, sozialer und kultureller Beziehungen zu beobachten sei, die zu vermehrten, von den Nationalstaaten nicht mehr kontrollierbaren Rückkopplungen, Interdependenzen und Abhängigkeiten führe. Diese Kompetenzerosion des Nationalstaates ginge mit einer (gewissermaßen unausweichlichen) Zunahme kontinentaler Grenzen überschreitender räumlicher Bewegungen von Menschen einher. Sie könne, so wurde in Europa argumentiert, nur durch eine vermehrte Überwachung und Kontrolle der Grenzen beeinflusst werden. Eile sei angesichts der hohen Geschwindigkeit des Prozesses der Globalisierung dringend geboten, eine intensivierte Zusammenarbeit mit anderen Staaten und deren Sicherheitsbehörden unabdingbar.
Diese Sichtweise gewann auch deshalb an Gewicht, weil sich im Europa der späten 1980er und frühen 1990er Jahre neben der Vorstellung von der 'Globalisierung' auch die Beschreibungskategorie der 'Migration' etablierte und beide Konzepte eng aufeinander bezogen wurden. Der neue Migrationsdiskurs dachte Gegenstände zusammen, die bis dahin recht unverbundenen gesellschaftlichen Bereichen zuordnet gewesen waren: etwa einerseits Flucht/Asyl und andererseits räumliche Bewegungen zur Sicherung von Arbeit und Erwerb; oder etwa demographischer und ökonomischer Wandel in Europa sowie Bevölkerungsentwicklung, Armut und Entwicklung im Globalen Süden. Der Migrationsdiskurs brachte auch eine Neuordnung der auf grenzüberschreitende räumliche Bewegungen bezogenen Handlungsfelder und deren Bearbeitung mit sich (in Verwaltung, im sozialen Sicherungssystem, in Hilfsorganisationen, in zivilgesellschaftlichen Initiativen, in internationalen Agenturen usw.). Sie mündete unter anderem in die Entwicklung von Konzepten eines nur in inter- und supranationaler Abstimmung möglichen und sicherheitspolitisch verstandenen 'Migrationsmanagements'.
Europäische Asylpolitik: Das Dubliner Übereinkommen 1990
Weil davon ausgegangen wurde, dass kontrollfreie Binnengrenzen Asylsuchenden ermöglichen würden, sich relativ ungehindert im Schengen-Raum zu bewegen, waren bereits Ende der 1980er Jahre Regelungen über den gemeinsamen Umgang mit Asylanträgen diskutiert worden. Bereits das Schengener Durchführungsübereinkommen enthielt einige Asylbestimmungen. Beinahe zeitgleich wurde 1990 in Dublin das 'Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages' unterzeichnet.
Weil für die Aufnahme von Asylsuchenden und die Durchführung von Asylverfahren in erster Linie Staaten an den EU-Außengrenzen zuständig sind, führte das Dublin-System zu erheblichen Ungleichgewichten – in den 1990er Jahren vor allem zulasten der Länder mit einer Grenze zum europäischen Osten, seit Anfang der 2000er Jahre vor allem zulasten der Mittelmeeranrainerstaaten Spanien, Italien und
EU-Parlament und Europäische Kommission mahnen seit den 1990er Jahren eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten an und führen die Vorteile der Einführung gemeinsamer asylpolitischer Regeln an. Der Europäische Rat als Organ der Vertretung der Mitgliedsländer aber wollte sich darauf nicht einlassen. Auch zwischen unterschiedlichen Mitgliedstaaten und in den jeweiligen innenpolitischen Debatten lassen sich weitreichende Auseinandersetzungen über die Ausrichtung der Asylpolitik ausmachen. Während einige Staaten Rechte von Schutzsuchenden gewahrt wissen wollen, verweisen andere auf einen Primat der Kontrolle und Begrenzung von Zuwanderung. Seit Langem werden Fragen nach der Teilhabe von Schutzsuchenden am Arbeitsmarkt ebenso kontrovers diskutiert wie die Gewährung von Sozialleistungen oder von Bewegungsfreiheit in den Mitgliedstaaten.
Freizügigkeit nach innen, verstärkter Grenzschutz nach außen
Vor dem Hintergrund solch weitreichender Zielkonflikte in der Asylpolitik einigten sich die Schengen- bzw. EU-Staaten im Jahrzehnt vor und nach der Jahrtausendwende vor allem auf Maßnahmen, die auf eine Verstärkung von Grenzkontrollen und Grenzschutz sowie einer Verminderung der Zahl der Menschen ausgerichtet waren, die an den Außengrenzen Asyl beantragen konnten. An Bedeutung gewannen hierbei die Übernahme von Grenzkontrollaufgaben durch Drittstaaten und die Förderung bzw. Forderung der Einführung von Pass-, Visa- und Grenzkontrollregimen im
Solche Regelungen sind in den vergangenen Jahren häufig gestützt worden durch Verträge mit Herkunfts- oder Transitstaaten,
Migrations- und Asylpolitik gelten in den Mitgliedstaaten zumeist als für die Innen- und nationale Identitätspolitik hochgradig sensible Bereiche, in denen die Beschränkung einzelstaatlicher Souveränität besonders bedrohlich wirkt. Gemeinsame Interessen zu markieren und gemeinsame Regelungen zu entwickeln, gelang in den vergangenen Jahren deshalb vor allem dort, wo eine Verstärkung von Kontrollen und Restriktionen des Zugangs nach Europa verfolgt wurden. Demgegenüber blieb die vielfach angemahnte Teilung von Verantwortung bei der Aufnahme von Schutzsuchenden bis heute weitgehend aus. Die Konsequenzen zeigen sich nicht zuletzt in Griechenland, wo infolge der EU-Türkei-Vereinbarung von 2016 und der Grenzschließungen entlang der Migrationsroute über den Westbalkan eine steigende Zahl an Asylanträgen registriert und in einem defizitären Asylsystem bearbeitet werden musste. Auf den griechischen Inseln in der Ägäis führte dies zu