Mit einer zugewanderten Bevölkerung von mehr als elf Millionen Menschen gehört Russland neben den Vereinigten Staaten, Deutschland und Saudi-Arabien zu den bedeutendsten Einwanderungsländern der Welt. Insbesondere die Metropolen Moskau und St. Petersburg sind durch ein reges Migrationsgeschehen geprägt, wobei die überwiegende Mehrheit der Migrant:innen aus dem postsowjetischen Raum stammt. Es bleibt abzuwarten, inwiefern der Interner Link: russische Angriffskrieg in der Ukraine und die damit einhergehenden Sanktionen gegen Russland den bereits durch die Interner Link: Corona-Pandemie eingesetzten Rückgang der Einwanderung weiter verstärken werden.
Russlands Migrationsgeschichte
Häufig entsteht der Eindruck, Russland sei erst mit dem Interner Link: Zerfall der Sowjetunion zu einem Migrationsmagneten geworden. Tatsächlich begann Russlands Einwanderungsgeschichte jedoch lange vor dem Zerfall der Sowjetunion und den darauffolgenden Massenwanderungsbewegungen im postsowjetischen Raum Anfang der 1990er Jahre. Insbesondere im spätsowjetischen Russland bestanden äußerst vielfältige und komplexe Migrationsverhältnisse.
Gleichzeitig erlebte Russland in seiner Geschichte auch umfassende Auswanderungsbewegungen. So wanderten beispielsweise von Beginn der 1950er bis Mitte der 1970er Jahre 2,7 Millionen Menschen in andere Sowjetrepubliken ab.
Statistische Daten zur eingewanderten Bevölkerung
(© bpb, Migration Data Portal)
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Die Zahl der in Russland lebenden Migrant:innen wurde zuletzt, im Jahr 2020, auf 11,6 Millionen geschätzt (siehe Abbildung 1)
Neben den Personen, die dauerhaft in Russland leben, prägen temporäre Arbeitsmigrant:innen das Einwanderungsgeschehen. Trotz eines starken Rückgangs der Zuwanderung aufgrund der Covid-19-Pandemie kamen im Jahr 2020 offiziell 594.146 Ausländer:innen nach Russland.
(© bpb, Föderaler Dienst für staatliche Statistik (Rosstat))
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Die überwiegende Mehrheit der postsowjetischen Migrant:innen in Russland kommt aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Interner Link: Ukraine, Tadschikistan, Kasachstan, Armenien, Usbekistan, Kirgisien sowie aus Aserbaidschan (siehe Abbildung 3). Die treibende Kraft dieser Bewegungen ist die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung und das Einkommensgefälle zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken. Vor allem die zentralasiatischen Länder Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisien sind in hohem Maße auf Geldüberweisungen angewiesen, die von den Arbeitsmigrant:innen in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden.
Interner Link: Hier kann die Tabelle mit den Daten zur Abbildung abgerufen werden. (© bpb, Föderaler Dienst für staatliche Statistik (Rosstat)
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Neben der wirtschaftlich bedingten Zuwanderung hat der bewaffnete Konflikt in der ukrainischen Donbass-Region seit 2014 dazu geführt, dass ca. eine Million Menschen die Ukraine in Richtung Russland verlassen haben (Stand: 2017).
Nach Angaben des russischen Generalobersts Michail Misinzew wurden seit Beginn des Krieges bis Ende April rund 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Russland gebracht, darunter etwa 200.000 Kinder. Die Ukraine warf Russland in diesem Zusammenhang die Verschleppung ihrer Bürger:innen aus den von Russland besetzten Gebieten im Osten und Süden des Landes vor.
Grundzüge der aktuellen Migrationspolitik
Ähnlich wie in vielen westlichen Einwanderungsländern ist die Interner Link: russische Migrationspolitik von einem Interner Link: Sicherheitsnarrativ geprägt: Einwanderung wird als potenzielle Bedrohung für die öffentliche Ordnung, das Sozialsystem und den sozialen Zusammenhalt dargestellt. So wird eine strikte staatliche Regulierung begründet, welche sich unter anderem in der Inhaftierung und Ausweisung von Migrant:innen sowie mehrjährigen Wiedereinreisesperren zeigt. Gleichzeitig ist Russland aus wirtschaftlichen Gründen auf Einwanderung angewiesen und gewährt der überwiegenden Mehrheit der Migrant:innen (insbesondere jenen aus Mitgliedsländern der Interner Link: GUS) eine visafreie Einreise. Aus diesem Gegensatz ergibt sich eine Interner Link: Gleichzeitigkeit liberaler und restriktiver Elemente, die sich teilweise gegenseitig blockieren und zu widersprüchlichen Regelungen führen. In der Folge verfügen sehr viele Migrant:innen über einen unsicheren Rechtsstatus und sind dadurch weitgehend schutzlos der Willkür des korrupten Sicherheitsapparats und des Rechtssystems ausgeliefert.
Eine besondere Stellung im russischen Migrationsregime nehmen die so genannten "Landsleute" (russisch: sootechestvenniki) ein. Unter diese Migrationskategorie werden Personen aus dem ehemaligen sowjetischen Raum gefasst, die einen engen Bezug zur russischen Kultur aufweisen. Seit 2006 gibt es ein staatliches Programm, das die Einreise von "Landsleuten" fördert und sie durch schnellere Staatsbürgerschaftsverfahren gegenüber anderen Arbeitsmigrant:innen privilegiert. Das Programm ist allerdings aus verschiedenen Gründen äußerst schleppend angelaufen. Erst mit dem Kriegsbeginn in der Ostukraine 2014 und der damit verbundenen Fluchtmigration nach Russland hat das Programm an Fahrt aufgenommen.
Ausblick
Viele Jahre zählte das postsowjetische Russland zu den zahlenmäßig bedeutendsten Einwanderungsländern der Welt. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine könnte einen Wendepunkt für das bestehende Migrationsregime darstellen. Einerseits lassen sich bereits im April 2022, wenige Wochen nach Beginn des Kriegs, vor allem von gut ausgebildeten, jungen Menschen große Auswanderungsbewegungen beobachten, die als "moralische Emigration" bezeichnet werden.