Nach der längsten Regierungsbildungsphase in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland steht sie nun, die neue Bundesregierung. Und zum vierten Mal
CDU/CSU und SPD haben um die Inhalte im Koalitionsvertrag intensiv gerungen. Die Sozialdemokraten wollten nach dem schlechtesten Wahlergebnis der Partei bei Bundestagswahlen in der Nachkriegszeit erst einmal keine Regierungsbeteiligung mehr. Nach dem Scheitern der Verhandlungen für eine mögliche Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen und auf Ersuchen des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, Gespräche mit den Unionsparteien aufzunehmen, blieb der SPD aber kaum eine Wahl, als in Verhandlungen einzutreten. 171 Tage nach der Bundestagswahl am 24. September 2017 ist die neue Regierung am 14. März 2018 vereidigt worden.
Welche migrations- und integrationspolitischen Ziele verfolgt sie? Wie soll die zukünftige Flüchtlings- und Asylpolitik aussehen? Die Redaktion von focus Migration hat sich den Externer Link: Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD angesehen.
Erwerbsmigration
Die Koalitionspartner wollen die Zuwanderung von Fachkräften – Hochschulabsolventen und Menschen mit qualifizierter Berufsausbildung bzw. "ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen" – vereinfachen. Dazu streben sie die Erarbeitung eines Gesetzeswerkes an, das bereits bestehende Regelungen zusammenfasst, transparenter macht und, wo nötig, effizienter gestaltet. Der Zuzug von Arbeitskräften soll sich dabei am volkswirtschaftlichen Bedarf sowie Merkmalen der Zuwandernden wie Qualifikation, Alter und Sprachkenntnissen orientieren. Wie bislang gilt: Zuwanderungswillige müssen einen konkreten Arbeitsplatz vorweisen und ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können. Die Vorrangprüfung wollen die Koalitionspartner weitestgehend abschaffen. Die
Vorrangprüfung
Bei der Vorrangprüfung wird ermittelt, ob für die Besetzung der Stelle ein deutscher Arbeitnehmer, ein EU-Bürger oder ein rechtlich gleichgestellter Ausländer aus einem Drittstaat zur Verfügung steht. Eine Einstellung darf nur dann erfolgen, wenn dies nicht der Fall ist. Für einige Zuwanderergruppen (Inhaber_innen einer Blauen Karte, Bildungsinländer_innen, Forschende, in Mangelberufen Tätige, Asylbewerber_innen und Geduldete) ist die Vorrangprüfung aber bereits vollständig oder zumindest in den meisten Regionen Deutschlands abgeschafft worden.
Begrenzung der Fluchtmigration
CDU/CSU und SPD bekennen sich zu den rechtlichen und humanitären Verpflichtungen, die sich aus dem Grundgesetz, EU-Recht sowie internationalen Vertragswerken wie der
Der Familiennachzug zu Menschen, die mit subsidiärem Schutzstatus in Deutschland leben, bleibt bis Ende Juli 2018
Insgesamt soll sich die Steuerung und Begrenzung der (Flucht-)Zuwanderung an der Integrationsfähigkeit der Gesellschaft orientieren. Diese messe sich nicht nur daran, ob die gesellschaftliche Integration zugewanderter Menschen gelinge, sondern berücksichtige auch die Lebensbedingungen der in Deutschland lebenden Menschen. Die Koalitionspartner plädieren dafür, eine Fachkommission einzusetzen, die sich mit den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit auseinandersetzt und dem Deutschen Bundestag entsprechend berichtet. Eine weitere Kommission soll Vorschläge erarbeiten, wie Fluchtursachen bekämpft werden können.
Damit Menschen nicht zur Flucht aus ihrem Herkunftsland gezwungen werden, wollen CDU/CSU und SPD die
Harmonisierung der Asylsysteme der EU-Mitgliedstaaten
Innerhalb der
Neue Regeln für Asylverfahren
Asylverfahren sollen zukünftig in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs-, und Rückführungseinrichtungen durchgeführt werden (AnKER). Dabei soll eine unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung gewährleistet werden. Unionsparteien und SPD setzen sich dafür ein, die Möglichkeiten zur Identitätsfeststellung zu erweitern. Erwachsene Asylsuchende sollen verpflichtet werden können, bis zu einer Höchstverweildauer von in der Regel 18 Monaten in den AnKER-Einrichtungen zu verbleiben; Familien mit minderjährigen Kindern dürften die Einrichtungen hingegen in der Regel spätestens nach sechs Monaten verlassen. Jugendbehörden nehmen – wie bislang –
Nur Asylsuchende mit "positiver Bleibeprognose" sollen auf die Kommunen verteilt, alle anderen aus den AnKER-Einrichtungen in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Wird im Asylverfahren ein
Um die Asylverfahren zu beschleunigen, wollen sich die Koalitionspartner dafür einsetzen, dass mehr Staaten zu
Rückführungen in die Herkunftsländer
Unionsparteien und Sozialdemokraten setzen sich dafür ein, mehr Menschen ohne Aufenthaltsrecht in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Dazu sollen Hürden für Abschiebungen und die von den Koalitionspartnern bevorzugte freiwillige Rückkehr weiter verringert werden. Ausreisepflichtigen, die nicht aktiv dazu beitragen, dass ihre Ausreise erfolgen kann, drohen Leistungskürzungen. Ausländer, die straffällig werden, denen Sozialleistungsbetrug nachgewiesen wird oder die wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz mindestens ein Jahr verurteilt werden, sollen Deutschland verlassen müssen. Es soll leichter möglich sein, Menschen in Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam zu nehmen.
Integrationskurse und Teilhabe am Arbeitsmarkt
Im Sinne der interkulturellen Öffnung wollen die Koalitionspartner die Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund in Unternehmen, gesellschaftlichen Einrichtungen und öffentlichem Dienst verbessern. Bestehende Integrationsmaßnahmen sollen in einer bundesweiten Strategie gebündelt und zwischen Bund, Ländern und Kommunen besser abgestimmt werden. Die Interner Link: integrationspolitische Linie folgt dabei – wie in der Vergangenheit – dem Grundsatz "Fordern und Fördern". Integrationsfortschritte und Fehlentwicklungen sollen durch ein intensiviertes
Auch Menschen, deren Ausreise kurzfristig nicht zu erwarten sei, sollen Zugang zu Sprachkursen und Beschäftigung erhalten, ohne dass sich daraus aber eine Verfestigung ihrer Aufenthaltsrechte ergebe. Ausbildungszugang und Arbeitsmarktintegration von langjährige
Darüber hinaus wollen CDU/CSU und SPD Länder und Kommunen bis 2021 mit weiteren acht Milliarden Euro zur Deckung der bei der Aufnahme, Versorgung, Unterbringung und Integration von Geflüchteten anfallenden Kosten unterstützen. Die Koalitionäre plädieren dafür, die Regelungen des Interner Link: Integrationsgesetzes zu entfristen und die darin festgeschriebene Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge zu evaluieren.
Gesundheitsversorgung pflegebedürftiger Migranten
Die Koalitionspartner streben zudem eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung für Menschen an, die in den 1950er und 1960er Jahren als Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen sind; sie haben dabei insbesondere die Stärkung des
Zivilgesellschaftliches Engagement und Bildungsbeteiligung
Mit dem Ziel einer "teilhabeorientierten Gesellschaftspolitik für alle Menschen" wollen CDU/CSU und SPD Externer Link: Jugendmigrationsdienste und das zivilgesellschaftliche Engagement von
Ausblick
Bis 2021 wird sich zeigen, welche der im Koalitionsvertrag festgelegten migrations- und integrationspolitischen Ziele die neue Bundesregierung durchsetzen kann. Die zentrale Verantwortung für die Migrationspolitik liegt – wie in der Vergangenheit – in den Händen des Bundesinnenministeriums, welches in der laufenden Legislaturperiode um die Zuständigkeiten für Bau und Heimat ergänzt und vom neuen Innenminister Horst Seehofer (CSU) geleitet wird. Annette Widmann-Mauz (CDU) hat das Amt der Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt inne.