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Geschichte des Rassismus

Christian Geulen

/ 9 Minuten zu lesen

Die Idee von "Rassen" ist ein neuzeitliches Konzept. Christian Geulen untersucht in diesem Text, wie sich diese Idee verbreitete und wie sich der Rassismus bis in die Gegenwart entwickelt hat.

Beim jährlichen Barbecue auf der Plantage von F.M. Gay – seinerzeit ein gesellschaftliches Ereignis in Alabama – wurden Schwarze und Weiße durch eine Mauer getrennt (ca. 1935). (© picture-alliance, Everett Collection)

Den Begriff des Rassismus gibt es erst seit den frühen 1930er Jahren. Er wurde geprägt als übergeordneter Name für jene radikalen Bewegungen und Regime, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Politik nicht mehr nur der Ausgrenzung und Anfeindung, sondern der physischen Vernichtung gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen umsetzten. Besonders in den Blick nahm der Begriff diejenigen Ideologien, in denen die Annahme natürlicher "Rassen", "Rassenunterschiede" und "Rassenkämpfe" im Zentrum stand: also den Interner Link: Imperialismus, den Interner Link: Faschismus, den Interner Link: Antisemitismus und den Interner Link: Nationalsozialismus. Doch wissen wir aus den historischen Epochen davor und danach, dass der Rassismus nicht exklusiv zu rechtskonservativen und rechtsradikalen Politikformen gehört, sondern eine eigenständige ideologische Denk- und Handlungsweise ist, die politisch auch im linken oder liberalen Milieu und sogar ohne dezidierte politische Orientierung existieren kann.

So ist der Rassismus als Phänomen der gruppenbezogenen Ausgrenzung, Anfeindung und Vernichtung sehr viel älter als seine begriffliche Prägung in den 1930er Jahren. Wie alt genau – darüber streiten sich die Experten. Versteht man unter Rassismus jede Form der Ungleichbehandlung, Verfolgung und Entrechtung bestimmter Gruppen, müsste man wohl sagen, dass der Rassismus die Geschichte der Menschheit seit ihrem Anbeginn begleitet. Dann aber wäre der Rassismus kategorial auf der gleichen Ebene angesiedelt wie 'Feindschaft' oder 'Ungleichheit' und damit seine historische Untersuchung gezwungen, stets nur seine Langlebigkeit und fast überzeitliche Geltung festzustellen. Bestimmt man den Rassismus stattdessen danach, wie Ausgrenzung, Ungleichheit und Anfeindung von den Akteuren begründet werden, so liegt ein deutlich konkreteres Phänomen vor, dessen Herkunft, Gegenwart und Zukunft historisch beschreibbar ist. Denn so gesehen ist der Rassismus weder überzeitlich noch ewig, sondern hat als eine spezifische Ideologie benennbare Ursprünge und Entwicklungswege.

Die Frage nach historischen Vorläufern des Rassismus

Was den historischen Beginn des Rassismus angeht, haben wir es mit einer wissenschaftlich umstrittenen Frage zu tun. So gehen manche mit guten Gründen davon aus, dass es Rassismus bereits in der Antike gegeben habe. Schließlich waren die Sklaven in dieser Epoche eine systematisch unterdrückte und aller Freiheitsrechte beraubte Bevölkerungsgruppe, auf deren Zwangsarbeit wiederum die griechische und römische Kultur beruhten. Ist das nicht eindeutig eine rassistische Gesellschaftsordnung? Hier kommt die oben erwähnte Unterscheidung zum Tragen: Versteht man unter Rassismus jede Art der kollektiven Ausgrenzung, Entrechtung, Anfeindung etc., so lag bereits in der Antike ein ausgeprägt rassistisches System vor. Fragt man aber nach dem Rassismus als Begründungsform kollektiver Ausgrenzung, wird es schwierig: Denn die Interner Link: Sklaverei in der Antike wurde (mit nur ganz wenigen Ausnahmen) nicht in Frage gestellt, und daher auch kaum begründet. Und auch wer versklavt wurde, bedurfte keiner Begründung, denn entweder wurde man als Sklave geboren oder man wurde zum Sklaven durch Kriegsgefangenschaft. Die Existenz von Sklaven war in der Antike so normal wie heute die Existenz von Millionen Menschen, die am Existenzminimum leben. Wenn auch formal völlig unterschiedlich, sind beides fundamentale Formen der Ungleichheit, die man mit guten Gründen auch als fundamental ungerecht bezeichnen kann – sie deshalb aber Rassismus zu nennen, verwässert den Begriff. Das ändert allerdings nichts daran, dass nicht wenige der antiken Ideen, Vorstellungen und Handlungsformen etwa im Bereich der Frage politischer, sozialer und kultureller Zugehörigkeit oder im Bereich der Erziehung später durchaus Eingang in den neuzeitlichen Rassismus gefunden haben. Solche Rezeptionen lassen aber noch nicht den Schluss zu, den Rassismus habe es 'schon' in der Antike gegeben.

Auch in der Mittelalterforschung wird beim Blick auf Phänomene wie die Kreuzzüge, antisemitische Pogrome oder etwas später die Hexenverfolgungen bisweilen von Rassismus gesprochen. Doch auch hier ist jeweils zu prüfen, ob die zeitgenössischen Begründungen dieser Gewaltexzesse mit dem neuzeitlichen Rassismus vergleichbar sind und damit zu seiner Vorgeschichte gehören oder nicht. Zumindest ein Phänomen am Ende des Mittelalters bildete in der Tat den Kontext, innerhalb dessen der Begriff der "Rasse" (bis dahin nur in der Pferdezucht gebräuchlich) zum ersten Mal als Kennzeichnung besonderer Menschengruppen auftauchte: am Ende der 'Reconquista', also der endgültigen Rückeroberung im Jahr 1492 des seit dem 8. Jahrhundert multireligiösen, aber muslimisch dominierten heutigen Spaniens und Portugals durch das Christentum. Insofern in diesem sich über Jahrhunderte erstreckenden Prozess viele Muslime wie auch Juden zwar formal, nicht aber in ihrer tatsächlichen Lebensweise zum Christentum konvertiert waren, stellte am Ende das Glaubensbekenntnis kein eindeutiges Zugehörigkeitskriterium mehr dar. Um dennoch die 1492 beschlossene Zwangsbekehrung der gesamten Bevölkerung zu organisieren, erfand man das neue Kriterium der "Blutsreinheit" und teilte die verbliebenen Muslime und Juden in "Rassen" genannte Gruppen, die sich nach Grad und Dauer der Zugehörigkeit zum Christentum unterschieden.

Die Etablierung des Rassenbegriffs

Damit war nicht nur der neuzeitliche Rassenbegriff in der Welt, sondern vor allem jene, für die weitere Geschichte des Rassismus zentrale Idee unterschiedlicher Grade der "rassischen Reinheit". Sie gehört bis heute zu den Kernelementen des Rassismus und war seit dem 16. Jahrhunderts eine vielfach übertragbare Denkfigur. Wo immer es um 'Reinheit' und 'Echtheit' oder eben um eine Abweichung davon ging – ob im religiösen, natürlichen, kulturellen oder sozialen Sinne –, wurden Menschen in "Rassen" unterschieden: von der Unterscheidung zwischen dem 'echten' Bluts- und dem 'unechten' Amts-Adel über die Hierarchisierung der neu entdeckten Völker Amerikas, Asiens und Afrikas, bis zum frühen Interner Link: Nationalismus des 18. Jahrhunderts, als man begann die 'echten' und ursprünglichen Gallier, Germanen und Angelsachsen als die wahren Franzosen, Deutschen und Engländer zu entdecken. Dabei kam es zu einer folgenschweren Fusion der Begriffe "Echtheit" und "Natürlichkeit", aus der das biologische und politische Denken seit der Aufklärung dann eine Ideologie im engeren Sinne machte.

Denn eigentlich war mit dem Universalismus der Aufklärung, mit ihren Freiheits- und Gleichheitsansprüchen, ein Denken entstanden, das die althergebrachten Formen der Ausgrenzung und Entrechtung radikal delegitimierte. Das Konzept der einen und gleichen Menschheit schien zumindest politisch-moralisch das Potenzial zu haben, alle nur denkbaren Ausgrenzungen für illegitim zu erklären. Und dennoch existierten die meisten der konkreten und seit Jahrhunderten betriebenen Praktiken der Ausgrenzung, Ungleichbehandlung und Entrechtung – vom europäischen Kolonialismus über den Sklavenhandel bis zum Antisemitismus – relativ ungestört weiter. Denn das Konzept der "Rasse", mit seiner hierarchischen Semantik, bot einen ideologischen Ausweg. Als natürlich-biologisches Konzept beanspruchte es zunächst einmal das universalistische Ideal der Aufklärung für sich: jeder Mensch ist gleich, insofern jeder Mensch einer natürlichen "Rasse" angehört. "Rassen" aber – so der nächste Schritt dieser rassentheoretischen Logik – unterscheiden sich in ihren natürlichen Entwicklungsgraden. In dieser Logik wurde dann die Ungleichbehandlung einer schwachen, niederen "Rasse" durch eine starke, höhere als notwendiger Teil eines "Zivilisierungsprozesses" gerade im Namen der einen und gleichen Menschheit denkbar.

Diese für die Moderne grundlegende ideologische Funktionsweise des Rassismus basierte anfänglich vor allem auf der Annahme einer natürlichen, biologisch gegebenen und kaum veränderbaren Ungleichheit der Menschenrassen, aus der sich die Dominanz- und Erziehungsansprüche der "Zivilisierten" gegenüber den "Unzivilisierten" ableiteten. Mit dem Evolutionismus aber erlebte der Rassismus im 19. Jahrhundert einen weiteren, folgenreichen Strukturwandel. Denn besonders die Interner Link: Darwin'sche Evolutionstheorie entzog der Annahme natürlich-ewiger Ordnungen jede Grundlage: der Theorie zufolge verändern sich die Arten ständig und diese Veränderung ist Ergebnis der sogenannten natürlichen Auslese. Auch wenn damit gemeint war, dass es die Wahrscheinlichkeit des Überlebens erhöhe, besser an die Umwelt angepasst zu sein als andere bzw. die am besten angepassten Lebewesen einer Art zu sein, entwickelte sich daraus eine Lesart, wonach nur der Stärkste überlebe. Für das Weltbild des Rassismus hatte das fundamentale Auswirkungen, denn damit hatte nicht mehr die angeblich naturgegebene "Rassenordnung" der Welt einen natürlichen Status, sondern die rassistische Praxis der Ausgrenzung selbst. Nicht mehr die Unterschiede zwischen "Rassen", sondern die Bekämpfung des "rassisch Anderen" wurde nun als Naturgesetz postuliert. Das hatte unmittelbar eine Radikalisierung rassistischer Praktiken zur Folge: der Antisemitismus, die Niederschlagung kolonialer Aufstände und sogar der Konflikt der imperialen Großmächte untereinander galten jetzt als Austragungsformen eines globalen "Rassenkampfs" ums Überleben. Und dabei war es keineswegs mehr ausgemacht, dass "der Stärkere" gewinnt. Vielmehr würde sich die Verteilung von Stärke und Schwäche erst im Kampf herausstellen. Damit nahm der Rassismus eine grundlegend paranoide Form an, die nicht mehr primär auf einem Überlegenheitsdünkel, sondern vor allem auf der Angst beruhte, die eigene Dominanz jederzeit verlieren zu können. Umgekehrt implizierte das neue Denken zugleich, dass die erfolgreiche Bekämpfung des "rassisch Anderen" nicht nur ein politischer oder militärischer Sieg war, sondern unmittelbar die Selbststärkung und Selbstverbesserung des "rassisch Eigenen" bedeutete. Das Zusammenwirken dieser Grundannahmen, wie sie sich seit etwa 1850 herausbildeten und den Rassismus bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bestimmten, kann man 'Biopolitik' nennen – verstanden als eine Politik, in der nicht nur das (nackte) Leben als solches zum Gegenstand und zur Ressource der Politik wird, sondern im Zuge der rassistischen Radikalisierung auch mit jeder politischen Handlung das Leben und die biologische Existenz selbst auf dem Spiel stehen.

Dieser biopolitische Rassismus prägte und beeinflusste fast jede andere politische Ideologie des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere den Imperialismus, den Nationalismus, den Antisemitismus, den Faschismus und vor allem den Nationalsozialismus. Zudem hat er eigene neue ideologische Wissenssysteme wie die Interner Link: Eugenik und Rassenhygiene hervorgebracht, die es sich zur Aufgabe machten, Wissenschaft, Technik und Sozialpolitik in den Dienst einer künstlichen "Rassenverbesserung" zu stellen – entweder durch die Förderung erwünschter oder die Verhinderung unerwünschter Nachkommenschaft. Und selbst der Interner Link: Erste Weltkrieg, in dem nicht wenige der politischen Strukturen und ideologisch-utopischen Hoffnungen des 19. Jahrhunderts heillos untergingen, tat dem rassistischen Denken kaum einen Abbruch. Unter Rassentheoretikern galt er vielmehr als ein finaler Beleg dafür, dass eben nicht Staaten, Gesellschaften und politische Akteure die Geschicke der Völker bestimmen, sondern allein der Kampf der "Rassen" und Bevölkerungen.

Entsprechend unversehrt konnte der Rassismus als eine dominante Ideologie der Moderne aus dem Ersten Weltkrieg hervorgehen und einen zweiten möglich machen. Dabei trugen die Nationalsozialisten nur wenig Eigenes und Neues zur Entwicklungsgeschichte des Rassismus als Ideologie bei. Aber sie schafften es, viele seiner Elemente und viele, sich teils widersprechende Versatzstücke seiner bisherigen Formen unter dem Konzept der "Volksgemeinschaft" zu vereinen. Zudem verwandelten sie den Rassismus in eine Praxis-Ideologie, indem sie auf ein halbwegs kohärentes Weltbild und eine in sich logische Weltauslegung fast gänzlich verzichteten, zugunsten des unablässig wiederholten Aufrufs, die erwünschte "germanisch-rassische Weltordnung" müsse praktisch, und das hieß: durch Gewalt erst hervorgebracht werden. Die Exzessivität und zugleich bürokratische Nüchternheit, mit der die Interner Link: "Endlösung" am Ende umgesetzt wurde, zeugen unter anderem auch davon, wie sehr eine Mehrheit der Deutschen jene biopolitisch-rassistische Auffassung bereits internalisiert hatte, nach der rassistische Ausgrenzung, Anfeindung und Vernichtung wie selbstverständlich zu vollziehen seien.

Das Fortleben des Rassismus

Nach diesem Exzess wurde der Rassismus von der neu gegründeten Weltgemeinschaft der Interner Link: UNO offiziell zu einer illegitimen Ideologie erklärt. Dies beschleunigte in der Tat den Interner Link: Dekolonisierungsprozess und setzte die Restformen rassistischer Unterdrückungssysteme, auch wenn sie keineswegs über Nacht verschwanden, zunehmend unter Druck. In den vorherrschenden Bestimmungen darüber, was der Rassismus als Ideologie genau sei, spielten seine Entwicklungen in den unmittelbar vorangegangenen Jahrzehnten aber kaum eine Rolle. Vielmehr ging man größtenteils davon aus, dass die rassistischen Eskalationen des 20. Jahrhunderts nur eine radikalisierte Variante der rassistischen Ideologie des 19. Jahrhunderts gewesen sei. Im antirassistischen Konsens der 1950er bis 1970er Jahre galt Rassismus als ein radikalisiertes und biologisiertes Vorurteilsdenken, welches von der Annahme lebte, dass die Verteilung von Höher- und Minderwertigkeit zwischen Menschenrassen eine unveränderbare Naturordnung darstelle. Insbesondere diese Festschreibung von Differenz als 'Natur' wurde in diesem Kontext zum Hauptmerkmal des Rassismus erklärt – seine evolutionistisch-biopolitische Dimension dagegen weitgehend ignoriert.

Erst seit den 1970er Jahren und verstärkt in den 1980er und 1990er Jahren machte die interdisziplinäre Forschung zunehmend darauf aufmerksam, dass der Rassismus in einer solchen Bestimmung nicht aufging. Zwar hatte die politisch-moralische Ächtung des Rassismus durchaus den Effekt, dass sich kollektive Ausgrenzungs- und Anfeindungsformen kaum mehr auf den Rassenbegriff oder auf "natürliche Rasseunterschiede" berufen konnten – doch stellte sich ebenso heraus, dass der Rassismus dieser Bezugnahme auf eine angebliche natürliche "Rassenordnung" keineswegs notwendig bedurfte. Rassistische Anfeindungs- und Bedrohungsszenarien kommen auch ohne die Annahme einer fixen Naturordnung aus. Eben das hatte die Entwicklung des Rassismus seit dem späten 19. Jahrhundert längst vor Augen geführt – wurde nun aber neu entdeckt als eine Eigenschaft des Rassismus nach der Delegitimierung des Rassenbegriffs.

Heute haben wir es daher mit einer höchst komplexen Situation zu tun: Zum einen beobachten wir – etwa im Bereich des Interner Link: Rechtspopulismus oder Interner Link: Rechtsextremismus – eine massive Wiederkehr rassistischer Denkweisen und Praktiken, die von der eugenischen bis zur darwinistischen, von der paranoiden bis zur biopolitischen Logik alle Elemente enthalten, die wir aus der Geschichte des Rassismus zwischen 1850 und 1950 kennen. Dennoch können sich die entsprechenden Protagonisten oft erfolgreich gegen den Rassismus-Vorwurf zur Wehr setzen, indem sie darauf hinweisen, dass sie doch gar nicht von "Rassen" reden, sondern von Bevölkerung, Kultur, Identität oder Heimat. Zum zweiten haben es rassistisch angefeindete Gruppen (Ausländer, Schwarze, Juden, Muslime, Flüchtlinge oder auch Obdachlose) immer noch schwer, die ihnen gegenüber angedrohte oder ausgeübte Gewalt als Rassismus anerkannt und geahndet zu sehen. Über Rassismus wird, zumal in Deutschland, bevorzugt dort geredet, wo es um Alltagsformen, Vorurteile, eine überkommene Sprachkultur oder um Interner Link: Identitätspolitik geht. Wo aber ganze Parteien, Gruppen und Bewegungen zu einer im Kern rassistischen Gewaltpraxis aufrufen, wo diese wie in unzähligen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte oder wie in Interner Link: Halle 2019 und Interner Link: Hanau 2020 gar ausgeübt wird, ist hierzulande immer noch bevorzugt von Rechtsradikalismus, Ausländerfeindlichkeit oder Neo-Nationalismus die Rede. Denn immer noch herrscht die Überzeugung vor, Interner Link: dass es Rassismus ohne die ausgesprochene Annahme natürlicher "Rassen" und fixer "Rassenunterschiede" nicht geben könne. Dabei lehrt bereits die Geschichte, dass der Rassismus eben dort besonders gewaltträchtig wurde, wo diese Annahme wegfiel.

Betrachtet man die Geschichte des Rassismus in der Gesamtschau, wird vor allem eines deutlich: er ist eine historisch entstandene und sich historisch auch stets verändernde, sich weiter entwickelnde Ideologie, die sich den politisch-gesellschaftlichen Bedingungen der Moderne in immer neuer Weise anpasst: von der Rechtfertigung von Ungleichheit im Horizont des Universalismus, über seine biopolitische Funktionsweise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zu den jüngsten Formen eines Rassismus ohne "Rassen". Gerade im Namen eines effektiven Antirassismus darf diese Verwandlungs- und Anpassungsfähigkeit nicht vergessen oder ignoriert werden. Denn ob zukünftige Formen der Begründung kollektiver Ausgrenzung und Anfeindung 'rassistisch' sind oder nicht, ist weniger eine Frage der korrekten Definition als davon abhängig, ob und in welcher Weise sie die Geschichte rassistischer Ideologiebildung fortsetzen.

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Christian Geulen hat eine Professur für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Koblenz-Landau. Seine Forschungsgebiete sind Geschichte moderner politischer Ideologien (Rassismus, Nationalismus, Kolonialismus), Ideen- und Wissensgeschichte sowie historische Semantik und Begriffsgeschichte des 20. Jahrhunderts.