Akquisos: Frau Volkert, aus welchen Gründen entschließen sich Organisationen, Fundraising zu betreiben?
Zum einen sind das Organisationen, die sich gerade gegründet haben und wissen, dass ab jetzt regelmäßig Geld reinkommen muss, damit die Ziele erreicht werden. Zum anderen sind es Organisationen, die schon lange am Markt sind und sich bisher nur auf eine Finanzquelle konzentriert haben, die dann wegbricht oder weniger wird, wie zum Beispiel staatliche Förderungen, und die dann merken, dass sie eine solide Alternative brauchen.
Mit welcher Erwartungshaltung kommen die Organisationen zu Ihnen?
In der Regel mit einer zu hohen Erwartung in Bezug auf die zu erwartenden Gelderlöse und einer zu niedrigen, was den notwendigen Arbeitsaufwand betrifft. Oft herrscht die Vorstellung vor, dass man nur einen Spendenbrief schreiben muss und dann fließt das Geld. Dass zu dem Brief auch die Betreuung der Spenderinnen und Spender im Nachgang gehört, damit es weitere Spenden gibt, ist vielen nicht klar. Außerdem haben viele die Erwartung, dass ich ihnen eine Liste mit spendenwilligen Personen liefere, insbesondere mit Wohlhabenden. Diese – so die häufige Vorstellung – spenden dann automatisch, weil sie ja genug Geld haben. Im Erstgespräch muss ich dann diese Erwartungen zurechtrücken. Fundraising bietet ganz viele Chancen, aber nur, wenn die notwendigen Voraussetzungen gegeben sind.
Welche sind das?
Die erste ist – und das ist die allerwichtigste: Die Bereitschaft zur Veränderung und zur Professionalisierung! Wenn die nicht gegeben ist, dann sollte man es lassen. Fundraising ist wie ein Oktopus, dessen Tentakel in alle Bereiche der Organisation hineingreifen. Das heißt, dass sich alle Bereiche verändern müssen. Die größten Widerstände gibt es meist aus der Buchhaltung, weil hier die Abläufe fast immer geändert werden müssen, damit das Fundraising funktioniert. Aber auch Vorstände müssen bereit sein, sich in das Fundraising einzubringen. In kleinen Organisationen ist der Vorstand der erste Fundraiser. Wenn er oder sie nicht mit zum Unternehmen fahren will, das mit dem Verein kooperieren soll oder nicht mit aufs Pressefoto möchte, dann funktioniert das nicht. Der Fundraiser kann den Weg ebnen, aber der Vorstand muss sichtbar sein. Auch die Professionalisierung erfordert Veränderungen. Viele wurschteln sich so durch. Wer Fundraising ernsthaft betreiben will, muss die Abläufe in der gesamten Organisation in Frage stellen, verschlanken, anpassen und auf den aktuellen Stand bringen. Das heißt beispielsweise, dass die Webseite nicht mehr aussieht wie aus 1995, dass man professionelle Tools nutzt und sich damit beschäftigt, wie diese funktionieren. Viele nutzen Fundraising-Tools, arbeiten sich aber nicht in die vielen Funktionen und Möglichkeiten ein. Eines muss allen klar sein: Fundraising bedeutet Arbeit! Und es hört nicht auf, wenn das Geld fließt. Auch das Geld zu verwalten und dafür zu sorgen, dass es erneut reinkommt, bedeutet Arbeit.
Was sind die weiteren Voraussetzungen?
Fundraising braucht ausreichende Ressourcen. Die Organisation muss Personal, Zeit und Geld zur Verfügung stellen. Und zwar alle drei Dinge! Nehmen wir zum Beispiel einen Spendenbrief. Sie brauchen eine Person, die ihn schreibt. Diese Person muss ausreichend Zeit bekommen, um einen guten, wirkungsvollen Text zu formulieren. Anschließend brauchen Sie Geld für Druck und Porto. Fällt eine der drei Komponenten weg, gibt es keinen Spendenbrief. Jedem Unternehmen ist bewusst, dass man investieren muss, um etwas zurückzubekommen. Beim Fundraising gehen immer noch zu viele davon aus, dass es auch ohne oder mit nur sehr geringen Investitionen geht.
Die dritte Voraussetzung ist eine eindeutige Mission. Es muss eine für alle Mitarbeitenden klare Antwort auf die folgenden Fragen geben: Welches Problem lösen wir? Was sind unsere Ziele? Was haben wir bis heute erreicht? Diese Mission sollte einfach und verständlich formuliert auf der Webseite stehen, damit sie alle Menschen erreicht. Sie sollte genauso in jedem Büro hängen. Die Mission ist die Grundlage des Handelns, daraus leitet sich alles ab. Das wird zu oft vernachlässigt. Ich habe einmal eine Organisation betreut, die bereits vor 50 Jahren gegründet wurde. Sie haben jedoch ihre Mission nie an die heutigen Umstände angepasst oder überhaupt nochmal thematisiert. Im Workshop stellten wir fest, dass alle Mitarbeitenden ihre ganz eigene Vorstellung von den Zielen der Organisation hatten. Das hat zu einem Chaos in der Kommunikation geführt. Jeder Förderantrag wurde anders ausgefüllt.
Wann kann man mit den ersten Erfolgen im Fundraising rechnen?
Wenn eine Person konsequent am Fundraising arbeitet, sieht man nach einem Jahr die Wirkung. Das bedeutet, dass man dann zum Beispiel eine brauchbare Adressliste aufgebaut hat oder erste Anträge geschrieben hat und diese bewilligt wurden oder sich ernsthafte Kooperationen mit Firmen anbahnen. Die Wirkung zeigt sich auch in einer gut funktionierenden Webseite und dem Ineinandergreifen der Kommunikationskanäle.
Wie viel Zeit muss man dafür aufwenden?
Bei einer kleinen Organisation reicht dafür schon ein Tag in der Woche. Aber dieser sollte ausschließlich dem Fundraising vorbehalten sein. Dafür braucht es etwas Disziplin und Durchhaltevermögen – und Rückendeckung vom Team. Viele Organisationen bleiben nicht am Ball. Die sind am Anfang sehr motiviert, starten viele Dinge gleichzeitig und dann ist nach vier Wochen die Luft raus. Ich empfehle gute Checklisten, die man Schritt für Schritt, aber eben konsequent abarbeitet.
Was ist Ihr abschließender Tipp?
Ich sage immer: Besser unvollkommen anfangen, statt perfekt zu zögern. Ich habe Organisationen erlebt, die wochenlang an einem Newsletter gefeilt haben. Weil ein eingeplanter Link nicht geliefert werden konnte, haben die Spenderinnen und Spender dann gar nichts von denen gehört. Bei aller strategischen Planung und wichtigen Vorarbeit, es braucht auch den Mut zur Lücke.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Volkert!
Mehr zu Sabine Volkert: Externer Link: www.sabine-volkert.de