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"Anders leben, kann aber auch besser leben heißen." | Umwelt im Dokumentarfilm | bpb.de

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"Anders leben, kann aber auch besser leben heißen."

Kurt Langbein

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Kurt Langbein

Audio-Interview

Kurt Langbein

Wie kann eine umweltfreundlichere und sozialgerechtere Gesellschaft möglich werden? Kurt Langbein steht Rede und Antwort zu seinen Nachhaltigkeitsfilmen und gibt Einblicke in seine Arbeit. Er belässt es nicht bei Krisendiagnosen, sondern setzt auf positive Zukunftsbilder.

bpb.de: Herzlich willkommen, Kurt Langbein. Heute möchten wir über Umweltthemen und ihre Dokumentarfilme sprechen. Sie arbeiten seit vielen Jahren als Regisseur und Produzent erfolgreich in diesem Bereich. Ihr letzter Film "Anders Essen - das Experiment" begleitet drei österreichische Familien dabei, ihre Ernährung klimafreundlich und umweltschonend umzustellen. Was steckt hinter diesem Projekt und warum haben Sie einen Film darüber gedreht?

Kurt Langbein: Ja. Wir haben lange überlegt, wie wir dieses wichtige und aber im Detail immer wieder auch bekannte Thema sinnlich fassbar machen können. Und es ist uns gelungen, mit Wissenschaftlern Kontakt aufzunehmen, die tatsächlich auf Basis von weltweiten Daten berechnen konnten, wie so der Acker des Durchschnittsbürgers ausschaut, wie groß der ist und wo der überall steht: Der ist nämlich mit 4400 Quadratmeter ungefähr so groß wie ein kleines Fußballfeld und zwei Drittel davon stehen im Ausland. Die wichtigste andere Botschaft ist, das ist doppelt so viel, wie jedem Erdenbürger im Durchschnitt zusteht. Und wie wir diese Fakten hatten, haben wir uns entschlossen, Bauern zu werden (lacht) und das Feld anzubauen und dann Familien zu suchen, die ganz durchschnittlich denken und essen. Und die haben wir dann dieses Feld kennenlernen lassen, um den Prozess, wie das auf sie gewirkt hat und was sie dann getan haben, wirklich zu begleiten. Das ist glücklicherweise sehr gut gelungen, weil die Menschen diese Botschaft wahrgenommen und ernst genommen haben und ihr Verhalten umgestellt haben.
Ich glaube, der Publizismus ist dringend gefragt, auch mitzuwirken an einer Verhaltensänderung der Menschen und einer Änderung der Politik. Wir müssen alles von Grund auf ändern, damit wir die Erde nicht an die Wand fahren.

Regionalität, aber auch Verzicht beispielsweise auf Fleisch, inszenieren sie als wirksame Maßnahmen, sowohl um dem Pro-Kopf-Verbrauch nutzbarer Ackerflächen als auch dem Pro-Kopf Ausstoß von CO2 zu reduzieren. Jeder Mensch könne dem Klimawandel und der Umweltzerstörung relativ leicht etwas entgegensetzen. Wird so aber nicht die Verantwortung für große systemische Fragen auch ein Stück weit auf den Einzelnen abgewälzt?

Ich sehe das differenzierter. Ich glaube, dass es sowohl auf den Einzelnen ankommt und auf sein Verhalten und auf das, wonach er nachfragt, weil die Industrie ja letztendlich darauf reagiert, als auch auf gesetzliche Rahmenbedingungen, die endlich einmal dafür sorgen, dass fairere Bedingungen in den weltweiten Austausch herrschen und dass vernünftige Umwelt und soziale Standards überall Einzug halten. Das eine steht nicht gegen das andere. Wir brauchen beides. Wir brauchen beides ganz dringend.

In Ihrem Film "Landraub" aus dem Jahr 2015 zeigen Sie, wie Kleinbauern ihr Land verlieren und die Umwelt zerstört wird, um Platz für die Bewirtschaftung fruchtbarer Ackerflächen durch große Konzerne zu schaffen. Industrielle Landwirtschaft gilt aber auch als essentieller Bestandteil der globalen Nahrungsmittelversorgung und sorgt für den Lebensunterhalt vieler Menschen. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Ich glaube, dass das ein großer und wahrscheinlich auch von den Interessensgruppen ziemlich gesteuerter Irrtum ist. Die industrielle Landwirtschaft ist der größte Bodenzerstörer und einer der größten Umweltschädiger und auch einer der größten Beiträger zum Treibhauseffekt. Die industrielle Landwirtschaft erwirtschaftet energetisch weniger Energie in Form von Lebensmitteln als hineingesteckt werden in Form von Kunstdünger, von Maschinen, von allen möglichen anderen. Das Verhältnis geht bis zu eins zu 10. Normale kleinbäuerliche Betriebe haben das umgekehrt. Das heißt, wir sind aus ökologischen und aus ökonomischen Gründen gut beraten, davon abzugehen. Mit einer normalen bäuerlichen Landwirtschaft lässt sich die Welt auch das zeigen Studien mittlerweile in vielfacher Form eindeutig ernähren.

Der Turbokapitalismus und die Wegwerfgesellschaft haben laut ihres Films "Zeit für Utopien" aus dem Jahr 2018 längerfristig ausgedient. Solidarische Landwirtschaft, Kreislaufwirtschaft, genossenschaftliche Arbeitsorganisation halten Sie als Alternativen entgegen. Warum sollten diese alten Konzepte gerade jetzt Aufwind erfahren und wieder diskutiert werden?

Weil wir dringend eine Änderung in der Gesamtausrichtung unseres Wirtschaftens und unserer Wirtschaft brauchen, weil wir sonst die Erde an die Wand fahren. Weil wir auch jetzt gerade mit der riesigen Krise weltweit durch Covid-19, aber vor allem auch durch die Maßnahmen gegen Covid gesehen haben, dass eine komplett globalisierte Wirtschaft, die überall nur das kauft, was weltweit das Billigste ist und über den ganzen Erdball verstreute Lieferketten macht, weder krisensicher noch ökologisch sinnvoll ist - wenn man allein an den Verkehr denkt - noch sozial verantwortbar ist. Denn die billigsten Produkte gibt es immer dort, wo die Menschen, die diese Produkte herstellen, viel zu wenig Geld dafür kriegen.

Ist sowas wie eine gerechtere oder klimafreundliche Globalisierung überhaupt möglich? Und wenn ja, wie?

Die Globalisierung ist ja mal ein Tatbestand, und das hat ja auch was Sinnvolles, dass es einen globalen Austausch gibt. Die Globalisierung aber in einer hemmungslosen freien Wirtschaft, die sich überall dort die billigsten Produkte holt, wo sie zu haben sind auf dieser Welt, ist desaströs. Sie ist desaströs für den sozialen Zusammenhalt dort, wo diese Produkte hergestellt werden. Und sie zerstört die regionalen Strukturen für Produkte. Wir brauchen einen neuen Regionalismus in der Lebensmittelversorgung. Und wir brauchen auch, was lebenswichtige Güter betrifft wieder mehr Regionalbezug, weil es in der nächsten Krise sonst wieder so sein kann, dass plötzlich lebenswichtige Artikel oder Produkte fehlen.

Bei den Fridays for Future gehen junge Menschen auf die Straße, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren und gegen die Subvention fossiler Energieerzeugung zu protestieren. Welche Einflussmöglichkeiten der Bewegung sehen Sie, und sehen Sie deshalb hoffnungsvoll in die Zukunft?

Ja, Fridays for Future, ich bin immer ein bisschen ein Optimist und das trägt mich natürlich durch meine Arbeit. Und ich glaube auch, dass mit einem zeigen, dass es Zukunftsbilder gibt und die gibt's ja auch tatsächlich, viel mehr Hoffnung und Perspektiven entstehen. Aber die Friday for Future-Bewegung halte ich für außerordentlich wichtig. Sie hat es geschafft uns Erwachsene wesentlich entschlossener zu machen, weil sie uns fordert, weil sie ungeduldig ist, weil sie konsequent ist und weil sie stark ist. Und die Jugend, die sich da aufgemacht hat, für eine Zukunft zu kämpfen, die ja auch mehr die ihre ist als die unsere. Sie hat sehr gut daran getan. Und es hat sich allein schon durch diese zwei Jahre Bewegung ganz viel in den Hierarchien und in den Bedeutungshierarchien bei wirtschaftlichen Entscheidungen getan.

Warum sollten gerade junge Menschen ihre Filme sehen?

Ich glaube, dass die Filme doch ein bisschen dazu beitragen zu zeigen, dass anderes Verhalten, anderes Wirtschaften, anderes Denken oder ein anderer Umgang mit der Umwelt nicht nur denkbar und notwendig ist, sondern möglich ist und auch freudvoll geleistet werden kann. Es geht nicht nur um Verzicht, sondern es geht um anders leben. Anders leben, kann aber auch besser leben heißen.

Kurt Langbein, vielen Dank für diese Einblicke in Ihre Arbeit und das Gespräch.

Ich danke auch sehr.

Das Interview führte Karl-Leontin Beger. Redaktion: Katrin Willmann
Schnitt und Mischung: Oleg W. Stepanov

Fussnoten

Kurt Langbein ist Journalist, Filmemacher, Produzent und Sachbuchautor. Nach dem Studium der Soziologie in Wien ist er von 1979 bis 1989 als Dokumentarfilmer beim ORF tätig. Von 1989 bis 1992 leitet er das Ressort Inland bei der Zeitschrift „profil". Ab 1992 ist er selbständiger Produzent und Regisseur zahlreicher Dokumentarfilme. Seit seinem Film „Landraub“ im Jahr 2015 bespielt er auch die Kinoleinwände in Deutschland. 2018 erhält den Dr.-Karl-Renner-Preis für sein Lebenswerk.