Regie: Kurt Langbein
Österreich 2018
Dokumentarische Form, 98 Minuten
Zeit für Utopien Wir machen es anders
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Die überfischten Weltmeere, das Gift in unserem Essen, die Rodung des Regenwalds oder die systemische Tierquälerei der industriellen Landwirtschaft sind Missstände, die nicht zuletzt durch das dokumentarische Filmschaffen gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhalten haben. Der österreichische Filmemacher Kurt Langbein hat mit seinem Film "Landraub" von 2015 seinen Teil dazu beigetragen. Darin schilderte er an Beispielen von Rumänien bis Myanmar, wie Kleinbauern verdrängt werden, um einer wenig nachhaltigen und oft umweltschädlichen Agrarindustrie Platz zu machen. Als einer der Protagonisten des Films liefert der Agronom Suriya Moorthy vergnügt präzise Rechenbeispiele, wie sehr sich eine Investition in Palmölplantagen lohnt. Umweltschäden und der Verlust der Artenvielfalt werden in diese Kalkulation nicht miteinberechnet und bis heute muss täglich hektarweise tropischer Regenwald den Monokulturen der Global Player der Agrarindustrie weichen.
In gleich zwei Dokumentationen, "Anders essen – Das Experiment" von 2020 und "Zeit für Utopien" von 2018 hat Kurt Langbein seither ganz bewusst versucht, dem Strom der schlechten Umweltnachrichten etwas Positives entgegenzusetzen. Die Filme setzen ihren Schwerpunkt unterschiedlich, beruhen aber zum Teil auf ähnlichem Material und den gleichen Beispielen. "Anders essen" begleitet verschiedene Familien bei dem Versuch, ihre Ernährung klimafreundlicher zu gestalten. Der Film will im wahrsten Sinn des Wortes vor Augen führen, was das heißt: Anhand von Ackerfeldern wird demonstriert, wieviel Hektar Boden eine Familie verbraucht. Die Protagonisten dürfen die entsprechenden Beispielfelder selbst begehen. Wie eine Alternative mit mehr Nachhaltigkeit funktionieren könnte, illustriert Langbein unter anderem am Vorbild der südkoreanischen Lebensmittelgenossenschaft Hansalim, die auch in "Zeit für Utopien" eine große Rolle spielt.
Wo der Blick in "Anders essen" sich auf Alternativmodelle der Agrarwirtschaft konzentriert, stellt Langbein in "Zeit für Utopien" verschiedene Projekte aus aller Welt vor: biologische Landwirtschaft in Bayern, umweltfreundliches Wohnen in der Schweiz, ressourcen-schonende Smartphone-Fertigung in China und gerechtere Arbeitsbedingungen in Ruanda.
In der strengen Begriffsauslegung handelt es sich um das, was Langbein jeweils vorfindet und für das Kinopublikum porträtiert, gar nicht um Utopien, denn es gibt sie ja schon, besagte Lebensmittelgenossenschaft Hansalim, aber auch die selbstverwaltete Teefabrik in Gémenos und das unter gerechteren Arbeitsbedingungen hergestellte Fairphone. Das Utopische des Filmtitels bezeichnet noch etwas anderes: Erst wenn es sehr viel mehr vergleichbare Initiativen gäbe, wäre der Welt nämlich tatsächlich geholfen. Im Einzelexperiment verpufft die Wirkung vom nachhaltigeren Wirtschaften oder faireren Marktbedingungen, erst wenn sie Schule machen, zeichnet sich eine Verbesserung ab.
Mit diesem Appell versucht Langbein jeden Einzelnen zu ermutigen, statt Teil des Problems Teil der Lösung zu werden. Gleich zu Beginn des Films berichtet Langbeins Hauptprotagonistin Petra Wähning, auf einer Wiese im sonnigen Bayern sitzend, wie sie früher Werbezeiten bei Prosieben verkauft habe, aber irgendwann festgestellt hätte, dass sie der Beruf, bei dem es ja letztlich um Anregung zur Konsumsteigerung gegangen wäre, unglücklich gemacht habe. Bei den Biobauern Werner und Martina Haase hat sie sich dann um einen Job als Ziegenmelkerin beworben. Dort fand sie eine Möglichkeit, ihre bisherige Berufserfahrung nutzbringend einzusetzen. Wähning erstellte ein genossenschaftliches Konzept für einen Hofladen, bei dem die Kunden/-innen der Haases den dringend benötigten Kredit mitfinanzieren und ihren Zins in Form von Lebensmitteln, beispielsweise Käse erhalten. Der Zufriedenheit der Kunden/-innen nach zu urteilen, die Langbein beim Einkaufen im Hofladen filmt, hat das Konzept Früchte getragen und macht heute noch alle Beteiligten glücklich.
Ganz bewusst inszeniert Langbein in "Zeit der Utopien" Tableaus mit zufriedenen und glücklichen Menschen: Da sind zum Beispiel die Sardellenfischer in Südkorea, die dank Hansalim nach der Methode ihrer Vorfahren den Fisch aus dem Wasser holen, sanft und nachhaltig, und eben nicht mit den Meeresgrund schädigenden Schleppnetzen. Durch den von Hansalim gezahlten Festpreis können sie auf Qualität und Nachhaltigkeit achten. Es gehe ihnen gut, versichert einer der Fischer glaubwürdig. Ähnlich ist es mit den Arbeitern/-innen der Kooperative Scoop-ti, die im französischen Gémenos nach mehrjährigem Arbeitskampf mit dem Mutterkonzern Unilever die Teefabrik in die Selbstverwaltung überführt haben und dabei auch persönlich an Selbstbewusstsein gewonnen hätten. In Ruanda loben fröhlich kichernd ein paar Frauen, dass sie dank der Initiative von Fairphone vom Kobaltabbau in ihrer Gegend nun endlich direkt profitieren. Und im Schweizerischen Zürich stellt ein junges Paar, das ein Kind erwartet, mit verliebten Augen das Wohnprojekt Kalkbreite vor: ökologische Bauweise, keine Parkplätze oder Garagen, weniger Raum fürs Private und dafür mehr Platz für gemeinschaftliche Tätigkeiten und fürs politische und soziale Engagement. Zudem reduziert das Paar seinen alltäglichen Konsum und ernährt sich möglichst nachhaltig, auch um seinen CO2-Verbrauch zu schmälern. Der Film schließt mit glücklichen Bildern der Familie mit dem Neugeborenen und der Hoffnung des Familienvaters, dass seine Kinder ihre Konsumentscheidungen einmal verantwortungsbewusster treffen als vorherige Generationen. Nachhaltigkeit wird nicht nur als ein Konzept ressourcen- und umweltschonenden Wirtschaftens veranschaulicht, sondern als ganzheitliches Konzept für ein gesundes, glückliches und selbstbestimmtes Leben idealisiert.
Was der Film dabei nicht thematisiert, aber unfreiwillig offenbart, ist, wie verschieden das Glück doch jeweils aussieht. Der Kontrast von den Unterkünften der Minenarbeiter in der Republik Kongo zum Zürcher Wohnprojekt, wo die lokale Hebamme in gemütlich-steriler Umgebung die Badewanne einlaufen lässt, ist denkbar groß. Und wenn der Blick sich erst einmal darauf gerichtet hat, fallen den Betrachter/-innen so einige Fragen ein, die Langbein willentlich auslässt, um den Wohlklang seiner positiven Botschaft nicht zu schmälern. Lässt sich die Arbeiterselbstverwaltung in Zhenzhen, China, wirklich mit der in Gémenos, Frankreich, vergleichen? Spielen die politischen Rahmenbedingungen nicht doch eine große Rolle, wenn sich soziale Unternehmen in Ländern wie Ruanda und Kongo darum bemühen, dass mehr Handelsprofit vor Ort ankommt? Auch wäre es interessant gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie es Hansalim gelingt, ein perfekt funktionierendes System von Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht zu halten. Schließlich sind etwa die sozialistischen Utopien des 20. Jahrhunderts mit ihrer Planwirtschaft mehrfach genau daran gescheitert. Kritik und Krisen fehlen in Langbeins Film gänzlich. Diese hätten allerdings die Beispiele für ein nachhaltiges Wirtschaften nicht geschwächt, sondern im Gegenteil ihre Glaubwürdigkeit und Vorbildwirkung gestärkt. Als mahnende Stimme fungiert die deutsche Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann, die Langbein durch die Frankfurter Börse laufend das Ende des Kapitalismus vorhersagen lässt. Ihr Beitrag ist wichtig, weil sie eindringlich beschreibt, dass wir uns in einem Zeitalter der Transformation, des fundamentalen Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft befinden und nicht so weitermachen können wie bisher: Es gäbe auch schon Ideen für das Danach – was noch gefunden werden müsse, sei der Übergang. Und dafür liefert Langbein in der Tat interessantes Anschauungsmaterial.
Barbara von Schweizerhof ist seit 2007 Redakteurin bei der Monatszeitschrift „epd Film“. Darüber hinaus ist sie Jury-Mitglied der Filmbewertungsstelle und schreibt sie als freie Autorin für Tageszeitungen und Magazine.