Migration und Integration
Wo kommen wir her, wer sind wir? Welchen Rucksack tragen wir oder welcher wird uns von anderen auf den Rücken gepackt? Menschen wandern über Ländergrenzen und innerhalb von Ländern, treffen auf andere Gewohnheiten und Arten Politik zu machen. Welche Bedeutung haben Kultur, Ethnie oder Herkunft? Fremdheit ist Thema von Politik. Wie sieht politische Bildung in einer bewegten Gesellschaft aus?
Als Reaktion auf die Einwanderung von Gastarbeiter(inne)n nach Deutschland entstand in den 1970er-Jahren die sogenannte Ausländerpädagogik, die vor allem die vermeintlichen (sprachlichen) Defizite von Migrantinnen und Migranten in den Blick nahm. Ziel war es, die Gastarbeiter/-innen und vor allem ihre Kinder dabei zu unterstützen, sich besser in das neue soziale Umfeld zu integrieren. Zugleich wurde an Schulen aber auch muttersprachlicher Unterricht eingeführt, um die Verbindung der Kinder zu Sprache und Kultur ihrer Herkunftsländer zu erhalten. Dies sollte die Rückkehr der Menschen in ihre Länder erleichtern, eine Rückkehr, die letztlich weit seltener stattfand, als man erwartet und erhofft hatte. Vielmehr blieben die Zuwanderer dauerhaft. Im Jahr 2010 lebten in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bereits rund 16 Millionen Menschen, die entweder seit 1950 selbst nach Deutschland eingewandert waren oder die Nachkommen von Einwanderern sind (rund 19 Prozent der Gesamtbevölkerung).
Von der Ausländerpädagogik zum interkulturellen Lernen
Vor diesem Hintergrund und aus grundsätzlicher Kritik an der Defizitorientierung der Ausländerpädagogik wurde in den 1980er-Jahren der Begriff "interkulturell" in die Diskussion eingeführt. Es sollte nun nicht mehr darum gehen, Defizite zu beheben, sondern gegebene kulturelle und ethnische Unterschiede anzuerkennen. Es entstanden Ansätze zum interkulturellen Lernen, in denen die verschiedenen Kulturen der Lernenden zum Thema gemacht werden. Ausgangspunkt ist eine Sichtweise, nach der sich Minderheiten- und Einwandererkulturen zwar von der Mehrheitskultur unterscheiden, aber als gleichwertig anerkannt werden. Alle Mitglieder einer multiethnischen Gesellschaft sollen demnach gleichermaßen lernen, Wege zur Verständigung zwischen den Kulturen zu gehen. Damit wird die kulturelle Eingebundenheit von Menschen nicht mehr als Problem, sondern als positive Ressource betrachtet (vgl. Nohl 2010).In der politischen Bildungsarbeit gilt interkulturelles Lernen als ein sogenanntes didaktisches Prinzip, dem entsprechende Angebote folgen sollen, um in globalisierten und multikulturellen Gesellschaften zur gesellschaftlichen Integration beizutragen. Interkulturelles politisches Lernen nimmt dabei nicht nur die Politik in den Blick, sondern berücksichtigt auch Ökonomie und Gesellschaft. Durch die Verbindung der drei Bereiche soll die Entwicklung gesellschaftlicher und sozialer Handlungskompetenz besser gefördert werden. Dabei geht es nicht darum, eine Stoffliste beispielsweise zu den Themen Einwanderungsgesellschaft, Globalität oder Europa abzuarbeiten. Vielmehr soll das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in Bezug auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Lebensweise, Interessen, Macht, Soziallagen und Erfahrungen thematisiert werden. Methoden und Lernformen interkulturellen Lernens haben zum Ziel, den Dialog zu unterstützen, Selbsttätigkeit, Kommunikation und Kooperation zu fördern und das Politische in seinen Vernetzungen mit sozialen und ökonomischen Kontexten offensichtlich zu machen (vgl. Holzbrecher 2005; Rinke 2000).