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Podcast: Netz aus Lügen – Der Ernstfall (4/8) | Digitale Desinformation | bpb.de

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Podcast: Netz aus Lügen – Der Ernstfall (4/8)

Christian Fahrenbach

/ 31 Minuten zu lesen

800 Menschen stürmten am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington, DC. Fünf Menschen starben an diesem Tag. Die politischen und gerichtlichen Folgen dauern bis heute an. Was aber führte zum Angriff auf das wichtigste Regierungsgebäude in den USA? In der vierten Folge von "Netz aus Lügen – Der Ernstfall" wollen wir darauf nach Antworten suchen.

Netz aus Lügen - Der Ernstfall (4/8)

Die globale Macht von Desinformation

Netz aus Lügen - Der Ernstfall (4/8)

800 Menschen stürmten am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington, DC. Fünf Menschen starben an diesem Tag. Die politischen und gerichtlichen Folgen dauern bis heute an. Was aber führte zum Angriff auf das wichtigste Regierungsgebäude in den USA? In der vierten Folge von "Netz aus Lügen – Der Ernstfall" wollen wir darauf nach Antworten suchen.

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Transkript "Netz aus Lügen – Der Ernstfall (4/7)

[00:00]

Zuspieler Capitol Riots

Wir hören hier, wie Menschen eine Demokratie bedrohen.

Es ist "the insurrection" – "der Aufstand", wie es bis heute in den USA ganz einfach heißt.

Diese Töne stammen vom 6. Januar 2021 aus Washington DC, vom Sturm auf das Kapitol, dem wichtigsten Regierungsgebäude in den USA.

Rund 800 Menschen dringen an diesem Tag in das Parlamentsgebäude ein, die Security kann sie nicht aufhalten. Sie rufen drohend die Namen von Abgeordneten, die sie hassen. Sie fotografieren sich feixend auf den Bürosesseln der Volksvertreterinnen und Vertreter. Sie lümmeln auf dem Podium im Sitzungssaal.

Es gibt auch eine zweite Lesart des Tages. Viele Menschen aus der republikanischen Partei und im konservativen Lager sagen bis heute, dass die Demonstrierenden in allererste Linie "besorgte Bürgerinnen und Bürger" gewesen seien. Menschen, die schlicht skeptisch waren, ob die Wahlergebnisse vom 3. November 2020 auch wirklich stimmen.

Auch wenn eine Vertreterin der zweiten großen Partei des Landes das ganz anders erlebt hat.

ZSP Ocasio-Cortez

"Ich stehe hier und die Toilettentür geht so auf… und die Türangel ist genau hier…"

Das ist Alexandria Ocasio-Cortez, eine 32 Jahre alte Abgeordnete der Demokraten.

"Und ich höre nur: "Wo ist sie? Wo ist sie?" Und das war der Moment, in dem ich dachte, dass alles vorbei ist. Ich sinke runter… und… ich meine… Ich habe gedacht, ich werde sterben."

Man muss sich das noch einmal genau vor Augen führen: Die älteste moderne Demokratie der Welt - bedroht, weil ein Mob durch das Parlamentsgebäude zieht und Todesangst verbreitet.

Ein Polizist und vier Demonstrierende sterben an diesem Tag. 140 Einsatzkräfte werden verletzt.
Der Sachschaden am Gebäude beträgt: 1,5 Millionen Dollar.
In den Monaten danach nehmen sich mehrere Polizisten das Leben.

[02:36]

Jingle: "Netz aus Lügen – Die globale Macht der Desinformation" – ein Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung. Folge 4 – Der Ernstfall

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Hallo mein Name ist Ann-Kathrin Büüsker und ihr hört Netz aus Lügen.
Unsere Frage heute: Wie kam es eigentlich genau zu diesen Ereignissen vom 6. Januar 2021. Zu dem Sturm auf das Kapitol. Immerhin dem wichtigsten Parlamentsgebäude der USA - und damit auf ein weltweit bedeutendes Symbol für Demokratie an sich?

Fest steht: In den Vereinigten Staaten hat sich gezeigt, welche Folgen es hat, wenn sich viele verschiedene Akteure aus Politik und Medien über Jahre immer weiter voneinander entfernen. Wenn öffentlich eben nicht mehr die gleichen Fakten oder Wahlergebnisse als wahr anerkannt werden und stattdessen immer extremer kommuniziert und gehandelt wird - und wenn Behauptungen unbelegt bleiben.

Konkret zur Wahl im November 2020 heißt das zum Beispiel, dass in TV-Interviews zwar häufig von Wahlbetrug die Rede war, aber dort, wo dieser eigentlich verhandelt werden müsste - vor Gericht - diese Anschuldigungen nur selten angenommen wurden. Dutzendfach haben nach der Wahl im November Gerichte erklärt, dass die vorgelegten Informationen nicht genügen, um überhaupt einen Prozessbeginn zu rechtfertigen.

[Pause]

[03:51] Ein Mann treibt den Mob ganz besonders an. Er hat über Wochen diesen Protest beworben und schon am 19. Dezember 2020 auf Twitter versprochen: "Großer Protest in DC am 6. Januar. Seid da. Wird wild."

Wenige hundert Meter entfernt vom Kapitol spricht er an diesem Tag vor dem Sturm vor Tausenden Menschen, die von überall aus dem Land angereist sind.

Es ist der zu diesem Zeitpunkt amtierende US-Präsident Donald Trump.

ZSP Trump

"Ich hoffe, Mike Pence wird das Richtige tun. Denn wenn er das Richtige tut, dann gewinnen wir die Wahl. Die Staaten sind betrogen worden, sie haben die Wahlergebnisse aufgrund falscher Ergebnisse zertifiziert, nun wollen sie eine neue Zertifizierung. Das einzige, was Vizepräsident Pence tun muss, ist, die Resultate zurückzuschicken für eine neue Zertifizierung. Und wir sind Präsident und ihr alle seid glückliche Leute."

Sie jubeln, wenn er sagt "Wir werden niemals aufgeben" und sie stimmen mit ein, als er "Stop the Steal" fordert - "Stoppt den Diebstahl" - den der Wahl.

Es ist nicht das erste Mal, dass Trump in dieser Art, spricht, und es ist nicht das erste Mal, dass vor allem Mitglieder der republikanischen Partei versuchen, Lügen vom groß angelegten Wahlbetrug zu streuen.

[05:12] Trump hat vorher monatelang die Verlässlichkeit der Briefwahl in Frage gestellt – genau wissend, dass laut Umfragen besonders viele Demokraten-Wählerinnen und -Wähler ihre Stimme per Post abgeben wollen. Erweitert hat er seine Vorwürfe darum, dass angeblich falsch ausgezählt wurde: Stimmen für ihn seien unterschlagen worden, Stimmen für seinen Konkurrenten Joe Biden zu Unrecht gezählt.

Neun Monate nach der Wahl und sieben Monate nach dem Sturm des Kapitols haben Anfang August Yahoo News und YouGov die Amerikanerinnen und Amerikaner nach ihrer Meinung zur Auszählung gefragt.

Unter denjenigen, die sich selbst als Republikaner bezeichneten, sagten 66 Prozent, "die Wahl war manipuliert und wurde Präsident Trump gestohlen". Gerade einmal 18 Prozent in dieser Gruppe glaubten, dass der heute amtierende US-Präsident Joe Biden fair gewonnen habe.

Das zeigt: Bei Millionen Menschen verfängt die Wahllüge und sorgt für eine immer noch nicht ausgestandene Demokratiekrise in den Vereinigten Staaten. Der Aufstand vom 6. Januar wurde zu einem Symbol dieser Krise, aber die Ursachen gehen viel tiefer.

Welche Rolle spielt dabei die gesellschaftliche Polarisierung der USA? Und was hat all das das mit Desinformation zu tun?

Da das nicht so leicht zu beantworten ist, wollen wir in dieser Folge den Bogen etwas weiter spannen und uns drei unterschiedliche systemische Herausforderungen anschauen, die zum Ernstfall - dem Sturm auf das Kapitol - geführt haben: Das politische System, die Medienlandschaft und die Rolle der soziale Netzwerke als Radikalisierungstreiber.

Aber zuerst gehen wir noch einmal zurück zur Wahl des neuen Präsidenten im November 2020 und schauen uns die Wochen danach einmal genauer an.

ZSP Biden

"Ein Tag noch. Morgen haben wir die Gelegenheit eine Präsidentschaft zu beenden, die diese Nation gespalten hat."

Das ruft der demokratische Kandidat Joe Biden am 2. November 2020, einen Tag vor der Präsidentschaftswahl, in eine Menge - voller parkender Autos. Die USA stecken immer noch in der Pandemie und das heißt für Biden, dass er hunderten Fahrzeugen auf irgendwelchen Großparkplätzen im Land gegenübersteht, in denen seine Fans sitzen, ihm zujubeln und für ihn hupen - so wie an diesem Tag in Cleveland in Ohio. Die Umfragen sind zu diesem Zeitpunkt mehr als klar: Biden liegt vorne. Mal ist das mehr, mal ist es weniger deutlich.

Aber… so richtig traut den Umfragen niemand. Denn auch vier Jahre zuvor, als Hillary Clinton gegen Donald Trump antrat, sah es den Umfragen zufolge nach einem Erdrutschsieg für Clinton aus.

Jetzt, im Jahr 2020, kommt auch noch das Coronavirus dazu: Wegen der Pandemie weiß niemand, wie genau die Stimmabgabe ablaufen wird: Werden sich die Leute genauso lang anstellen wie in früheren Jahren - oder werden sie in nie gekannter Zahl per Post ihre Stimme abgeben?

Heute wissen wir: 2020 haben so viele Menschen wie noch nie zuvor an der Wahl teilgenommen. Mehr als 159 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner gaben ihre Stimme ab - vorher waren es noch nie mehr als 140 Millionen gewesen. Und 46 % der Wählerinnen und Wähler haben einer Pew-Research-Umfrage zufolge vorab per Brief oder vor dem eigentlichen Wahltag auf dem Amt abgestimmt.

Im November 2020 aber sind die Bedenken groß: Am Tag der Wahl selbst drohen trotz hoher Briefwahlbeteiligung lange Schlangen vor den Wahllokalen wie hier in Maryland.

ZSP Wählerin1

"Ich bin seit heute morgen um 7 hier, und da war es richtig voll. Es gab eine lange Schlange, bis hier raus auf den Parkplatz. Ich glaube, jetzt ist es ruhiger, weil ich glaube, dass viele Leute in dieser Gegend ihre Stimme per Brief abgegeben haben, sie müssen also jetzt nicht mehr hierher kommen."

Die Republikaner haben rund um den Wahltag eine klare Sorge: Sie wissen, dass in der Vergangenheit vor allem Demokraten per Brief abgestimmt haben.
[09:14] Was ist, wenn das dieses Mal wieder so ist? Könnte es sein, dass großzügige Corona-Regeln mit wochenlangen Zeitfenstern zur Vorab-Stimmabgabe in Stadtverwaltungen und Schulen vor allem die Stimmabgabe für die Demokraten vereinfachen?

Viele Republikaner kommen auf eine Idee, die später Donald Trump ausnutzen wird.
Die Briefwahlstimmen sollen besonders genau verifiziert werden: Stimmt beispielsweise die Unterschrift der angeblich wählenden Person mit der im Wählerverzeichnis überein?

In 32 Bundesstaaten wird jede einzelne Unterschrift mit jener Unterschrift im Wählerverzeichnis verglichen - wenn sich über die Jahre die Unterschrift verändert hat, beginnt also schon die Interpretation. Es gibt mancherorts sogar Rückmeldeschleifen, in denen Wählende die Gelegenheit bekommen, noch einmal ihre Identität zu bestätigen.

In sechs Staaten braucht es dann noch die Unterschrift einer weiteren Person zur Bezeugung der korrekten Briefwahl-Stimmabgabe - eine Bestätigung der eigenen Versicherung also. Und der Bundesstaat Missouri schreibt sogar noch eine notarielle Beglaubigung vor.

All das zu überprüfen braucht Zeit. Allen ist klar, dass die Auszählung Tage dauern könnte - Tage, in denen vermutlich zuerst die Republikaner vorne liegen könnten mit ihrem höheren Anteil an Vor-Ort-Wählenden, und in denen dann erst die Demokraten dank Briefwahl aufholen.

Der vorgebrachte Grund für diese Regeln: Angeblich sei "Voter Fraud" ein großes Problem, sagen die Republikaner - also der Betrug mit der Stimmabgabe.
Aber noch nie hat sich dieser Vorwurf bewahrheitet. 2012 hat der konservative Wahlkampfberater Dick Morris von einer Million ungeklärten Stimmen gesprochen, nach der Wahl 2016 behauptet Trump selbst , dass "Millionen Menschen" illegal gewählt hätten.

Die Angst der Demokraten im Vorfeld der Wahl ist, dass der Präsident eine solche Lüge wiederholt und dass das zu Unruhe führt. Die Stimmung am Tag der Wahl ist deshalb… aufgekratzt.

ZSP Wählerin2

"Ich muss sagen .. ich bin mit Politik groß geworden, meine Eltern waren politisch sehr aktiv, aber noch niemals hat es diese Angst vor der Wahl gegeben, oder dass ein Kandidat den Leuten versucht, das Wählen zu vermiesen, oder zu Gewalt und verstörendem Verhalten ermutigen würde. Es ist schockierend."

Die Demokraten wissen außerdem, dass auch die Auszählung in den zuletzt für sie immer starken Großstädten oft länger dauert, weil dort so viel mehr Menschen ihre Stimmen abgeben - und deshalb fürchten sie, dass Trump sagen wird: "Ich habe am Wahlabend vorne gelegen. Alles, was danach ausgezählt wird, ist Betrug."

Kaum vorstellbar eigentlich, dass der Ablauf des Auszählungsverfahrens eine solche dreiste Behauptung ermöglicht - aber genau diese Angst sollte sich bewahrheiten.

In der Nacht nach der Wahl, am frühen Morgen des 4. November tritt Präsident Trump um kurz nach 2 Uhr vor die Kameras und sagt trotz Millionen noch ungezählter Stimmen:

ZSP Trump

"Das ist ein Betrug an der amerikanischen Öffentlichkeit. Das ist peinlich für unser Land. Wir waren dabei, diese Wahl zu gewinnen. Ehrlich gesagt: Wir haben diese Wahl gewonnen."

Man werde bis zum Obersten Gerichtshof gehen, so Trump weiter. Er wolle einfach nicht, dass nachts um vier noch weitere Stimmen "gefunden" würden, sagt er - und meint damit natürlich die zu diesem Zeitpunkt noch später Auszuzählenden, von denen viele annehmen, sie enthielten mehr Demokraten-Stimmen.

Der Ausgang der Wahl sieht in dieser Nacht auch enger aus, als es manche vermutet hatten. Einige Monate später zeigen detaillierte Analysen, dass Trump seinen Stimmanteil im Vergleich zu 2016 unter Menschen mit hispanischen Wurzeln und unter Jüngeren steigern konnte. Auf niedrigem Niveau legte er prozentual auch bei Schwarzen zu.

Die Konzentration auf die enge Auszählung in einigen wenigen Staaten ist auch deshalb ein Problem, weil in den USA nicht die Person mit den landesweit meisten Stimmen die Wahl gewinnt, sondern jene, die am meisten Wahlleute auf sich vereinen kann - so etwas wie Delegierte, die jeder Bundesstaat abhängig von seiner Bevölkerungszahl entsenden darf.

Wer in einem Bundesstaat vorne liegt, und sei es auch nur mit einer Stimme, erhält alle Wahlleute-Stimmen dieses Staates. Und so wird um die wenigen Staaten, in denen das Ergebnis besonders knapp ist, erbittert gefochten.

Besonders umkämpft ist zum Beispiel der Bundesstaat Georgia im Südosten der USA. Rund 33 Prozent der Bevölkerung sind schwarz. Ihr Anteil unter den im Wählerverzeichnis Eingetragenen und Wahlberechtigten war überproportional niedrig, weshalb die Demokraten über Jahre daran gearbeitet haben, mehr Schwarze zum Wählen zu bewegen.

2020 gilt Georgia im Vorfeld wieder als "Battleground", als "Kriegsschauplatz", um den beide Parteien erbittert streiten. Tagelang wird ausgezählt, wochenlang diskutiert und schließlich monatelang gezankt, wie denn nun die Wahlergebnisse zu interpretieren seien.
[14:14] Bei der Wahl kommt es genau so: Tagelang wird ausgezählt, noch länger wird um die Zählstände gestritten.

Am 20. November wird der Sieg der Demokraten bestätigt - und das, nachdem die Republikaner bei den sechs Präsidentschaftswahlen zuvor gewonnen hatten.

ZSP Sterling

"Und, um ihnen einen kurzen Überblick zu geben: Das heute wird eine Art zweiteilige Pressekonferenz. Am Anfang werde ich mein Bestes geben, mich zusammenzureißen, denn all das ist zu weit gegangen. ALLES. Es muss aufhören. Herr Präsident, Sie haben diese Aktionen oder diese Sprache nicht verurteilt. Senatoren, Sie haben diese Sprache oder diese Aktionen nicht verurteilt. Das muss aufhören. Wir brauchen sie. Sie müssen mehr tun."

Das ist Gabriel Sterling, am 1. Dezember 2020, drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl. Er ist der "Voting System Implementation Manager" in Georgia, die Person, die unter dem Landeswahlleiter sicherstellt, dass das Abstimmungs- und Auszählungssystem überall in seinem Staat reibungslos abläuft - in den USA heißt das: dass alle Wahlmaschinen funktionieren.

Dass eine solche administrative Verwaltungsaufgabe nicht besonders glamourös ist, weiß Sterling selbst. Er hat einmal im Podcast "The Daily" der New York Times, gesagt, dass eigentlich kein Mensch ihn kennen sollte – und niemand seinen Job kennen sollte.

Warum so ein Mann trotzdem von der New York Times interviewt wird? Das liegt daran, dass auch nach Auszählung aller Stimmen dort die Wahl richtig knapp ist. Richtig, richtig knapp. 7,8 Millionen Wahlberechtigte standen am Ende im Wählerverzeichnis, rund 600.000 Wählende davon neu registriert.

Anders als in Deutschland muss man sich in den USA zur Wahl anmelden, und in Georgia geschieht das seit 2016 beispielsweise automatisch über die Führerscheinstelle bei der Ausgabe eines neuen Führerscheins , online beim Landes-Innenministerium oder per Brief.

Besonders viele der neu Wählenden sind schwarz und überwiegend aus dem Lager der Demokraten, neu registriert durch die Teams der seit Jahren besonders umtriebigen Wahlrechtsaktivistin Stacey Abrams - eine Frau, die zwei Jahre zuvor noch knapp als Gouverneurin unterlegen war, aber danach unermüdlich weiter durch den Staat reiste und Basisarbeit leistete.

Anders als früher gelingt es den Demokraten dieses Mal, ihre Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren und zuzulegen, besonders rund um Atlanta, in Vororten mit vielen Schwarzen.

Am Ende liegt Joe Biden vorne: 0,23 Prozentpunkte vor Donald Trump. 11.779 Stimmen.

Und Donald Trump entscheidet sich, Gabriel Sterlings Chef anzurufen. Brad Raffensperger, Innenminister von Georgia. Und Republikaner.

ZSP Trump

"Also, schau. Ich möchte einfach nur 11.780 Stimmen finden, was eine mehr wäre, als wir haben"

Eine Stunde lang redet er auf seinen Parteikollegen Raffensperger ein. Der amtierende Präsident fordert die Verantwortlichen für die Wahl zum Betrug auf.

ZSP Trump

"Also Brad, sag mir: Was machen wir jetzt? Wir haben diese Wahl gewonnen und es ist unfair, sie jetzt so von uns wegzunehmen. Das wird bitter auf viele Arten. Und ich denke, du musst sagen, dass du dir das noch einmal anschauen wirst." Aber Raffensperger bleibt standhaft. Er lehnt die Lüge ab. Trump macht sich bis heute deshalb über ihn lustig und stachelt seine Fans gegen ihn auf.

Und der Wahl-Beamte Sterling? Nicht nur er bekommt in den Tagen nach der Wahl Drohungen, weil er sich weigert zu lügen.

ZSP Sterling

"Ich kann mich gerade nicht so gut ausdrücken, weil ich so wütend bin. Aber der Tropfen, der das Fass heute zum Überlaufen gebracht hat, ist die Sache mit dem 20-Jährigen Mitarbeiter einer Firma für Wahlmaschinen. Er hat einfach nur versucht, seinen Job zu erledigen. Einfach so. Seine Familie wird jetzt belästigt. Es gibt da draußen einen Galgen, auf dem sein Name steht. Das ist einfach nicht richtig. Ich habe Polizeischutz vor meinem Haus - Das ist OK, ich habe einen öffentlichkeitswirksamen Job. Das verstehe ich. Aber dieser Junge hat einfach nur einen Job angenommen. Er hat einfach einen Job angenommen! Ich kann gar nicht beschreiben, wie wütend ich gerade darüber bin. Und jeder Mensch in Amerika, jeder Mensch in Georgia, Republikaner und Demokraten zusammen - sie alle sollten die gleiche Wut in sich spüren."

Dann ergänzte Sterling in Richtung von Donald Trump.

ZSP Sterling

"Was Sie gerade nicht können, aber tun müssen: Hören Sie auf Menschen zu möglichen Gewalttaten anzustiften. Sagen Sie es! Jemand wird verletzt werden. Jemand wird angeschossen werden. Jemand wird getötet werden. Das darf nicht sein!"

Drei Wochen nach der Wahl haben Trump und seine Anwälte wie New Yorks ehemaliger Bürgermeister Rudy Giuliani und die ehemalige Bundesstaatsanwältin Sidney Powell felsenfest behauptet, dass in Georgia im großen Stil betrogen worden sei. Und sie haben damit Menschen so angestachelt, dass diese ganz normale Beamten mit Gewalt drohten.

Erfolg hatten sie damit nicht.

[20:01] Wahlmitarbeiter Gabriel Sterling und sein Chef, Georgias Innenminister Brad Raffensperger blieben standhaft. Zwei Mal wurde das Ergebnis nachgezählt. Von den fast fünf Millionen gültigen Stimmen in Georgia gingen am Ende 11.779 mehr an Joe Biden als an Donald Trump. Georgias 16 Wahlleute stimmten geschlossen für Biden.

Doch Georgia allein hätte Trump ohnehin noch nicht den Sieg beschafft. Die Drohungen dort waren besonders extrem, aber er hätte auch in anderen Staaten noch mit ähnlichen Taktiken auf Basis von unbelegten Behauptungen Erfolg haben müssen. Nur dann wäre er insgesamt in den Vereinigten Staaten auf eine Mehrheit der Wahlleute gekommen.

[Pause]

Und trotzdem: Viele Millionen Menschen in den USA glauben bis heute nicht daran, dass Joe Biden der rechtmäßige Sieger der Wahl ist.

Ein Grund dafür sind die vorab verbreiteten Lügen vom Wahlbetrug, ein weiterer sind die Zweifel aus der Wahlnacht, die Trump damit säte, sich zum Sieger zu erklären, obwohl noch Millionen Stimmen nicht ausgezählt waren. Und drittens kämpft er noch heute darum, dass in mehreren Bundesstaaten das Ergebnis noch einmal neu ausgezählt wird.

Bei einer solchen Überprüfung in Arizona im Mai 2021 haben die Helferinnen und Helfer sogar geschaut, ob die Wahlzettel Spuren von Bambus enthalten, weil angeblich 40.000 Stimmzettel aus Südostasien eingeflogen und in die Wahlurnen gelangt seien sollen. Auch diese Hinweise haben sich nicht bewahrheitet.

Mehr als 60 Gerichtsverfahren haben er und andere Republikaner laut Zählungen von Associated Press und USA Today seit der Wahl angestoßen. Bei vielen davon konnten sie nicht einmal genug Beweise vorbringen, dass überhaupt ein Prozessbeginn seitens der Gerichte akzeptiert wurde. Nur in einem einzigen Fall in Pennsylvania bekamen Trump und die Republikaner Recht.

Dabei erkannte das Gericht aber keinen Betrug an, sondern entschied lediglich, eine Frist zu verkürzen für das Nachreichen von Ausweisinformationen bei Briefwahlstimmen, wo diese Daten fehlten.

[Pause]

Halten wir bis hierhin kurz die Atmosphäre fest, die so wenige Wochen vor dem Sturm auf das Kapitol in den USA spürbar war: Millionen Menschen vertrauten nicht auf die Wahlergebnisse: Wegen des langwierigen Auszählungsverfahrens in manchen Staaten, in denen erst Trump vorne lag und schließlich Biden gewann - so wie etwa in Georgia, wo Biden erst drei Tage nach der Wahl in der Auszählung an Trump vorbeizog.

Wegen enger Ergebnisse in anderen Staaten. Wegen unzähligen Reden und Tweets von Trump und seinen Beraterinnen und Beratern, die die Rechtmäßigkeit der Resultate bestritten und das zur Grundlage ihrer Kampagne machten, wegen der dann am 6. Januar 2021 Tausende nach Washington fuhren.

Wie sehen die Partei und das politische System aus, die solche Behauptungen nicht sofort im Ansatz ersticken? Ihr erinnert euch, wir wollen in drei Bereichen nach Hintergründen für den 6. Januar suchen - in Politik, Medien und Sozialen Netzwerken.

[22:50] [Antwort 1: DIE PARTEI UND DAS POLITISCHE SYSTEM]

Zeit, einmal auf den Zustand der Partei zu blicken, die Trump zu ihrem Kandidaten und schließlich Präsidenten machte – er ist ja längst nicht der Einzige, der vom "Voter Fraud" redet.

Und an dieser Stelle müssen wir überhaupt erst einmal diesen Begriff kurz erläutern: Das Brennan Center for Justice der New York University versteht darunter "Fraud by Voters", also Betrug durch Wählende, beispielsweise indem sie versuchen, mehrfach zu wählen.

Die Lüge vom großen Wahlbetrug hat sich bisher in der Realität noch nie bestätigt. Das Brennan Center hatte sich bereits 2007 für rund ein Jahrzehnt lang zurückliegende Wahlen daraufhin angeschaut, wie häufig offizielle Stellen und Medien von solchen Betrügereien berichten. Fazit: Vorfälle gab es bei 0,0003 bis 0,0025 Prozent aller Stimmen - und ein "Vorfall" ist noch nicht einmal ein anerkannter Betrug, sondern teilweise einfach eine fehlerhaft abgeglichene Datenbank - manchmal also eher menschliches Versehen statt böser Absicht.

Wieso machen dann die Republikaner daraus ein so großes Problem?

Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Politologin Cathryn Clüver-Ashbrook, die an der Universität Harvard tätig war und nun zurück in Deutschland die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik leitet.

Sie findet: Ein wichtiger Teil der Republikaner stützt Trump.

ZSP Clüver

"Man muss erst einmal sagen, dass ist nicht die ganze republikanische Partei, aber es ist zumindest ein mächtiger Teil der republikanischen Partei. Es ist ein Teil, der republikanischen Partei, die viel Geld eintreiben können und das auf sich vereinen können."

Clüver-Ashbrook findet, dass es diesen Republikanern mit den guten Kontakten zu reichen Spendern um Kurzfristiges geht, um schnelle Taktik zum nächsten Wahlsieg, statt um eine dauerhafte Perspektive für die Partei.

ZSP Clüver

"Strategie wäre das Nachdenken zum längerfristigen Überleben der republikanischen Partei. Das sind Überlegungen, die eigentlich eher auf die 90er Jahre der Republikanischen Partei zurückgehen, wo es den einen Strang gab, das republikanische Zelt zu erweitern, durch konservative Latinos, zum Beispiel, durch konservativ-katholische Latinos, also eher da über wertebasierte Politik zu arbeiten, was aber dann eine Toleranz in der Partei vorgeben würde, gegenüber, wie sie das oft formulieren, nicht originären Amerikanern."

In den 90er Jahren hörten die Forderungen, von denen sie spricht, nicht auf. Nach der Wahl 2012, dem zweiten Sieg von Barack Obama, hat die Parteiführung sogar einen Bericht in Auftrag gegeben, der die Gründe für die Niederlage finden sollte:

"Growth and Opportunity Project" hieß das 100-seitige Papier, in etwa "Wachstums- und Chancen-Projekt" und die Analyse darin war ziemlich offen.

ZITAT BERICHT

"Ohne Veränderungen wird es in der nahen Zukunft immer schwieriger für Republikaner werden, eine Wahl zu gewinnen. (...) Die öffentliche Wahrnehmung der Partei erreicht negative Rekordwerte."
"Wir müssen Gruppen erreichen, zu denen Republikaner normalerweise nicht gehen, um dort zuzuhören und unsere Ideen vorzubringen. Wir müssen mehr kämpfen um hispanische, Schwarze, asiatische und homosexuelle Amerikanerinnen und Amerikaner und ihnen zeigen, dass auch sie uns wichtig sind. Wir müssen mehr Kandidatinnen und Kandidaten finden, die Minderheiten verkörpern."

Konservative Kräfte in der Partei, wie die damals beliebte Tea Party, wiesen solche Ideen schnell von sich - und sie wurden dabei von prominenten rechten Kommentatoren unterstützt.

[26:35] ZSP Trump
"So, Ladies and Gentlemen, I am officially running for President of the United States and we are going to make our country great again."

Mehr als ein Dutzend Bewerberinnen und Bewerber kämpften um die Nominierung als Kandidatin oder Kandidat für das Präsidentschaftsamt. Keiner von ihnen war so bekannt wie Donald Trump. Nachdem er im Juni 2015 seine Kandidatur erklärt hatte, lag er in Umfragen schnell vorne. Das Image des erfolgreichen Immobilienunternehmers und TV-Stars aus der NBC-Show "The Apprentice" kam bei den Leuten an.

Eine absolute Mehrheit von über 50 Prozent der befragten Partei-Anhängerinnen und -Anhänger hatte er zwar lange nicht hinter sich - aber die Konkurrenz konnte sich nicht durchringen, aus dem Rennen zu scheiden und sich gegen ihn zu verbünden. Trump gewann die Vorwahlen, wurde zum Kandidaten erklärt und entschied sich für eine Kampagne im klaren Widerspruch zu dem Bericht von drei Jahren zuvor.

Im Wahlkampf 2016 hat er sich eben nicht für die darin ausformulierte offene Gesellschaft eingesetzt, sondern sich stark an die weiße Arbeiterschicht und Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen gewandt - eher das Kernklientel der Republikaner statt neue Gruppen. Hart in der Einwanderungspolitik, ausschließend, anstatt wie in dem Bericht gefordert "inklusiv und willkommen heißend".

Aber der überraschende Wahlsieg 2016 hat die Reihen hinter ihm geschlossen. Die Republikanische Partei ist Trumps Kurs gefolgt und dabei nach rechts gerückt.

ZSP Clüver

"Es hat sich jetzt eine Definition von Konservatismus durchgesetzt, in diesem republikanisch-nationalistischen Stil, den ein Donald Trump an den Tag gelegt hat, der ja sehr ausländerfeindlich ist, der im Grunde gegen die Grundwerte der USA geht, nämlich, dass die USA ein Einwanderungsland ist, ein Melting Pot, dass sich diese Fraktion durchgesetzt hat und versucht taktisch, solange es noch möglich ist, numerisch, da geht es wirklich um die demografische Entwicklung der USA, ihre Agenda, wo eben auch dieser weiße Nationalismus mitschwingt, noch eben durchzubringen, solange es eben zahlenmäßig noch geht."

Damit meint Clüver-Ashbrook: Die Republikaner versuchen generell eher an die Macht zu kommen, indem sie mit einem nationalistischen Kurs bisher nicht-wählende Weiße ansprechen, als dass sie breitere Angebote an Wählende mit hispanischen Wurzeln, an andere Minderheiten oder an Menschen in Großstädten machen.

Obwohl diese Gruppen in den USA wachsen. Trump ist es aber auch gelungen, unter konservativen hispanischen Abstimmenden zuzulegen, beispielsweise in Florida. Dort hatte er im Wahlkampf davor gewarnt, dass Biden und der progressive Teil der Demokraten sozialistische Verhältnisse anstreben würden.

An dem generell nationalistischen Kurs und an der Treue zu Donald Trump haben die Republikaner auch nach der Präsidentschaftswahl und dem 6. Januar 2021 festgehalten. Ursprünglich sollte sich ein sowohl vom Repräsentantenhaus als auch vom Senat unterstützter Untersuchungsausschuss mit dem Sturm auf das Kapitol beschäftigen.

Im Repräsentantenhaus gab es eine klare Mehrheit, im Senat aber wären 60 von 100 Stimmen nötig gewesen, um in der Tagesordnung fortzufahren und über die Einsetzung des Ausschusses zu entscheiden - jedoch unterstützten nur sechs von 50 republikanischen Senatorinnen und Senatoren den Untersuchungsausschuss und das waren nicht genug. Nun gibt es lediglich Anhörungen in einer Kommission im Repräsentantenhaus.

[30:17] Generell würden die Republikaner gerne das Thema hinter sich lassen - und sie haben dabei viele ihrer Wählerinnen und Wähler an ihrer Seite: Sechs Monate nach dem Kapitolsturm sagten in einer Umfrage von Morning Consult 68 Prozent der Parteiunterstützerinnen und -unterstützer, dass der 6. Januar zu viel Aufmerksamkeit bekomme. Unter den Demokraten sind das nur 23 Prozent.

Politiker wie der House-Abgeordnete Jim Jordan beschreiben deshalb die Aufarbeitung des 6. Januar als Teil einer größeren Kampagne, die nur dem Zweck diene, Donald Trump schlecht dastehen zu lassen. Jordan und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter bekommen für diese Behauptung nicht nur im Parlament eine Bühne, sondern auch andernorts in der öffentlichen Debatte - im Fernsehen.

[Antwort 2: DIE TRADITIONELLEN MEDIEN]

ZSP Sommer

"Das US-amerikanische Mediensystem ist im Moment sehr polarisiert. Es gibt diese Mainstreammedien, wenn man an die New York Times, die Washington Post oder CNN denkt. Und dann gibt es angeführt von Fox News dieses abgetrennte Medien-Ökosystem der Rechten, mit seinen eigenen Kabelfernsehsendern und eigenen Webseiten. Dadurch kann man sich vom Rest abschotten, besonders, wenn man Republikaner ist, und nur noch Dinge empfangen, die die eigene Weltsicht bestätigen."

Der Mann, der uns das US-Mediensystem erklärt, heißt Will Sommer. Er ist Journalist mit dem Arbeitsschwerpunkt rechte Medien und Verschwörungsmythen.

Dass er nur kurz die New York Times und die Washington Post anspricht, bevor er über TV-Sender und Webseiten spricht, hat einen Grund: Die Bedeutung von klassischen Printmarken ist in den USA schon seit längerem niedriger als in Deutschland. Aus rund 60 Millionen täglich verkauften Zeitungen 1993 wurden inzwischen etwa 24 Millionen - und das in einem Land mit rund 331 Millionen Menschen.

Noch bevor aber irgendjemand an Internet daheim oder gar an das Smartphone dachte, stieg Mitte des 20. Jahrhunderts das Fernsehen zu einem wichtigen Informationsanbieter auf.

Wer heute noch Fernsehen in den Vereinigten Staaten schaut, guckt einen Sender, der zu einer von zwei Kategorien gehört: Ein "Major Network"; oder ein Kanal aus einem Kabel- oder Satellitenfernseh-Paket. Die Majors gibt es gratis, Cable dagegen kann richtig teuer werden: Mehr als 100 Dollar im Monat sind keine Seltenheit.

Zu diesen Kabelsendern zählt auch Fox News.

ZSP Sommer

"Die rechten Medien in den Vereinigten Staaten sind wirklich wahnsinnig groß.
[32:48] Fox News ist der meistgeschaute Kabel-Nachrichtensender, Tucker Carlson, der Fox News Moderator, der vermutlich zu den extremeren Kabel-Nachrichtenmoderatoren gehört, die wir in den vergangenen Jahrzehnten gesehen haben, ist der meistgeschaute Kabel-Moderator im Fernsehen."

Wer dem Mann, den Will Sommer hier anspricht, zuschaut, versteht schnell, was er mit "extrem" meint: Tucker Carlson sendet von Montag bis Freitag täglich zur besten Abendsendezeit eine Stunde. Im September 2021 haben laut Fox News täglich im Schnitt 3,3 Millionen Menschen seine Show gesehen - im Oktober 2020, dem Monat vor der Wahl, waren es sogar 5,3 Millionen, laut dem Nachrichtenmagazin Newsweek der erfolgreichste Monat für eine Sendung in der Geschichte der Kabel-Sender der USA.

Auch den Sturm auf das Kapitol Anfang diesen Jahres hat Carlson oft kommentiert. Im Juni deutete er an, Ermittler des Federal Bureau of Investigation, kurz FBI, steckten hinter der Eskalation. Zitat:

"Seltsamerweise sind einige der Schlüsselfiguren vom 6. Januar nicht angeklagt worden. Die Regierung nennt diese Menschen "nicht-angeklagte Mitverschwörer" Was heißt das? Dass sie möglicherweise in jedem einzelnen Fall FBI-Agenten waren."

Um das klar zu sagen: Es gibt keine Belege für diese Behauptung. In einem Faktencheck der Erklärwebseite Vox sagte ein Mitarbeiter aus dem Verteidigungsministerium, dass die Theorie völlig an den Haaren herbei gezogen sei. Sie tauchte laut Vox erstmals auf einer Webseite eines früheren Trump-Redenschreibers auf.

Und doch hatte sie Erfolg: Die rechten House-Abgeordneten Matt Gaetz und Marjorie Taylor Greene forderten öffentlichkeitswirksam Klarheit zur vermeintlichen Einbindung des FBI in den 6. Januar. "Wir brauchen Namen und Antworten", schrieb Taylor Greene bei Twitter und Gaetz forderte von FBI-Chef Christopher Wray die, Zitat, "vollständige Offenlegung zur Rolle des FBI während des Kapitolaufstands am 6. Januar".

Das zeigt, wie manche besonders extreme Republikaner und Fox News sich gegenseitig befeuern und einander Öffentlichkeit verschaffen.

Auch Will Sommer sieht eine engere Verbindung von Fox News mit der Partei als früher. Man komme davon wegen neuer Konkurrenten wie One America News Network und Newsmaxx nicht mehr los.

ZSP Sommer

"Es gibt einen großen Appetit in den Vereinigten Staaten für parteiische Medien, besonders unter Rechten. Wir haben mehrfach gesehen, dass wenn beispielsweise Fox News auch nur leicht kritisch über Donald Trump berichtete, die Zuschauer abschalten und zu einem anderen Medium wechseln. Diese Medien sind deshalb wie Geiseln ihrer Zuschauerinnen und Zuschauer. Im Grunde müssen sie dauernd die Ansichten der Republikaner raushauen - nicht dass ihnen das wahnsinnig viel ausmachen würde, aber wenn sie es nicht tun, dreht sich das Publikum weg und geht zu einem ihrer Konkurrenten."

[35:49] Werfen wir aber auch noch einen Blick auf die Nachrichten bei den frei empfangbaren Majors: ABC, NBC und CBS, oft wird auch noch FOX dazugezählt. Kleines Obacht: Hier ist eben nicht der Nachrichtensender Fox News gemeint, sondern ein allgemeines Unterhaltungsprogramm, das nur "Fox" heißt.

Für regionale Nachrichten arbeiten sie mit einem Netz kleiner Lokal-Stationen zusammen, die ihnen zuliefern, die sogenannten Local Affiliates.

Im Abendprogramm gibt es dann Nachrichten, die nicht vom nationalen Sender, sondern von diesen lokalen Stationen bespielt werden – ähnlich wie bei den Regionalsender-Fenstern im deutschen Fernsehen.

Und genau da gibt es ein weiteres Problem, sagt Will Sommer:

ZSP Sommer

"Wir sehen, dass es zu einer Handvoll an riesigen Lokalnachrichten-Zusammenschlüssen kommt. Ein Beispiel ist die Sinclair Broadcasting Group, der eine riesige Menge an Sendern gehört und die sehr konservativ ist. Vorher haben die Lokalnachrichten sich vielleicht auf echte lokale Nachrichten konzentriert, jetzt aber - nachdem sie von Sinclair aufgekauft wurden, stellen sie zum Beispiel einen früheren Trump-Mitarbeiter ein, lassen ihn Fake-News-Nachrichtensendungen aufnehmen, die im Grunde genommen nur Kernbotschaften der Republikaner sind, und dann dröhnen sie damit das ganze Land zu."

Das Unternehmen, von dem Sommer hier spricht, hat in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen: Die Sinclair-Gruppe ist familiengeführt, sie war im Juni 2021 in 86 von 210 regionalen US-Märkten vertreten und erreicht so rund 40 Prozent aller US-Haushalte.

Es ist das größte Konglomerat an lokalen Nachrichtensendern - und es ist so entschieden rechts, dass sogar Michael Copps, der vom republikanischen Präsidenten George W. Bush eingesetzte frühere Chef der Kommunikationsaufsichtsbehörde FCC, einmal sagte: "Sinclair ist vielleicht die gefährlichste Firma, von der die meisten Menschen noch nie gehört haben."

Kommunikationsforscherinnen und -forscher kommen zu dem Ergebnis: Der Mann hat recht. Sobald Sinclair einen Sender aufkauft, wandert dieser nach rechts. Die Emory University hat sich das schon zwischen Juni 2017 und Dezember 2017 genau angeschaut, als Sinclair noch ein paar weniger Sender in lokalen Märkten hielt.
Mehr als 7,4 Millionen zweieinhalbminütige Segmente wurden für die Studie ausgewertet, in ihrer Stimmung bewertet und Themenbereichen zugeschlagen.

Das Fazit: Sobald Sinclair einen Sender aufkauft, baut er im Vergleich zu anderen im gleichen Markt seine Berichterstattung zur Bundespolitik um rund 25 Prozent aus, reduziert seine Lokalpolitikberichterstattung und rückt ideologisch nach rechts.

Wichtig ist dabei: Sinclairs Sender belegen oft keine kompletten eigenen Programmplätze, sondern das Unternehmen bestückt mit lokalen Nachrichtensendungen die Regionalfenster auf großen Networks wie ABC oder NBC. Für die Zuschauenden macht es das schwerer zu verstehen, dass da nicht der neutrale Sender sendet, mit dem sie vertraut sind.
[38:47] Stattdessen gibt es diese konservativen Inhalte in einem seriösen Gewand.

Es sind aber nicht nur die Tucker Carlsons des Fernsehens, die in den USA ein Millionenpublikum haben. Auch das Radio erreicht Millionen Zuhörende. Besonders die Wirkung konservativer Talkshows sei oft unterschätzt, schreibt Paul Matzko, Autor eines Buchs über rechtes Radio.

Allein die 15 erfolgreichsten Sendungen werden pro Woche 15 Millionen mal angehört - und viele von ihnen seien eingeschworene Fans, die sich dank vieler Insider Scherze mehr und mehr als Gemeinschaft empfinden. Mit häufig bis zu drei Stunden Länge würden viele Shows von Moderatoren wie Michael Savage oder dem kürzlich verstorbenen Rush Limbaugh vielerorts schlicht ständig im Hintergrund laufen.
Zu hören gibt es von den besonders erfolgreichen Radiomännern ebenfalls oft Extremes.

ZSP Beck

"Es ist Zeit, zu kämpfen. Es ist Zeit, zu reißen, zu krallen und zu kratzen. Es ist Zeit, in den Krieg zu ziehen"

Das ist zum Beispiel Moderator Glenn Beck, zwei Tage vor dem 6. Januar. Auch er hat beeindruckende Einschaltquoten und erreicht über Dutzende Sender in den Vereinigten Staaten, laut New York Times, 10,5 Millionen Zuhörende.

Entschieden ging es auch in der Sendung von Moderator Sean Hannity zu. Er bestückt auf Fox News auch die Fernsehstunde direkt nach Tucker Carlson, und seine Radiosendung wird von 600 großen und kleinen Radiosendern der USA ausgestrahlt. Das Massachusetts Institute of Technology hat zusammen mit der New York Times 45 Folgen zwischen dem 22. November und dem 5. Januar 2021, dem Tag vor dem Kapitolsturm, ausgewertet. In 35 Folgen hieß es, die Wahl sei "betrügerisch", "manipuliert", "gestohlen" oder "illegal".

Buchautor Matzko schreibt, dass eine solch extreme Parteinahme überhaupt nur möglich sei, weil unter US-Präsident Ronald Reagan in den 1980er-Jahren die sogenannte "Fairness-Doktrin" abgeschafft wurde, wonach Medien stets ausgeglichen zu berichten haben. Konservative Moderatoren hätten nie vergessen, wie zwei weitere Jahrzehnte zuvor der Demokrat John F. Kennedy versucht habe, ihre Sendungen zu verbieten - bis heute sei diese Antipathie gegenüber den Demokraten ein Grund für die vielen sehr extremen Radioshows.

Heutzutage ergänzen weitere Nachwuchsmoderatoren wie die jüngeren Rechten Ben Shapiro und Dan Bongino die Landschaft. Sie haben sowohl im Radio als auch als Podcaster Erfolg. Auch Steve Bannon, der Trump-Berater, der mit der rechten Website Breitbart News berühmt wurde, hat einen Podcast, von dem er selbst sagt: er habe "Millionen Downloads". Alle drei dieser Beispiele waren im Oktober 2021 unter den Top 30 der Podcasts bei iTunes, die am meisten heruntergeladen wurden.

Sie alle verstehen es neben ihren Audio-Inhalten außerdem sehr genau, eine weitere Medienform für ihre Inhalte zu nutzen: Social Media.

Nach der Politik und den traditionellen Medien sind soziale Netzwerke nun das dritte Rädchen, das wir uns im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar anschauen wollen.

[41:53] [ANTWORT 3: DIE SOZIALEN NETZWERKE]

ZSP Sommer

"Es gibt sehr viele, sehr erfolgreiche konservative Nachrichtenseiten und die sind sehr gut darin, in Netzwerken wie Facebook häufig geteilt zu werden. Es gibt jede Woche diese Top 10 mit den erfolgreichsten Postings bei Facebook und acht oder neun davon kommen konstant von konservativen Nachrichtenseiten. Da sind oft Beiträge mit niedriger Qualität von Talkradiomoderatoren dabei, die im Wesentlichen die Nachrichten mit einem konservativen Dreh nacherzählen."

Das ist noch einmal Will Sommer, der Experte für rechte Medien und Verschwörungsmythen. Er bezieht sich auf Daten der Analytics-Plattform Crowdtangle. Mittlerweile von Facebook gekauft, wertet sie nach eigenen Angaben auf Facebook mehr als sieben Millionen Seiten aus und schaut, wie viele Interaktionen die Postings auslösen.

Die gerade schon genannten Ben Shapiro, Dan Bongino und vereinzelt auch Sean Hannity tauchen regelmäßig und oft mit mehreren Einträgen am Tag unter den Top 10 auf.

[42:55] Im Zusammenhang mit dem 6. Januar waren Soziale Netzwerke aber nicht nur ein Weg, auf dem Informationen über den angeblichen Wahlbetrug gestreut und diskutiert wurden. Sie dienten vorab auch der Organisation des Mobs und später sogar der Verbreitung von Live-Videos aus dem Inneren des Kapitol.

Im Repräsentantenhaus konnten die Demokraten die schon genannte Kommission zur Aufarbeitung des 6. Januar durchsetzen - und die beschäftigt sich laut einer Mitteilung des Ausschusses auch ausgiebig mit der Rolle von Facebook, Twitter und Co.

ZSP Zitat

"Vorsitzender Thompson fordert in Briefen an die Unternehmen mehr Informationen und Unterlagen

  • über die Verbreitung von Fehlinformationen,

  • über die Versuche, die Wahlen 2020 zu unterwandern,

  • über gewalttätigen Extremismus innerhalb der USA,

  • und über die ausländische Einflussnahme auf die Wahl.

Die folgenden Firmen erhielten Anfragen vom Ausschuss: 4chan, 8kun (früher 8chan), Facebook, Gab, Google, Parler, Reddit, Snapchat, Telegram, theDonald.win, Tik-tok, Twitch, Twitter, YouTube, Zello."

Der Ausschuss hat diese Netzwerke außerdem aufgefordert, die Kommunikation von einigen hundert Accounts wegen möglicher Strafverfolgung zu speichern - in mehr als 600 Verfahren schauen Ermittlerinnen und Ermittler auf Postings und Chatnachrichten der Verdächtigen.

Auch im Leak der "Facebook Papers" im Herbst 2021 steckte ein interner Report zur Rolle der Plattform am 6. Januar. Diese Dokumente des Leaks wurden von der Whistleblowerin Frances Haugen veröffentlicht, einer Facebook-Produktmanagerin, die intern zur Wirkung der Plattform auf den öffentlichen Diskurs arbeitete. In den Dokumenten heißt es, dass Facebook die Protestbewegung zu lange in einzelnen kleineren Gruppen betrachtet hat, anstatt den Gesamtumfang des Protestes und seines Gewaltpotentials zu verstehen.

Die Frage, welchen Anteil Social Media an der Polarisierung des Landes und an extremen Ereignissen wie dem 6. Januar spielt, beschäftigt Kommunikationsforschung und Politikwissenschaft immer mehr.

15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben gemeinsam im Fachmagazin Science einen Aufsatz dazu veröffentlicht, wie gesellschaftliche Spaltung vorangetrieben wird. Sie definieren das als "Sektierertum" mit drei Elementen: "Ausgrenzung/Othering", "Abneigung/Aversion" und "Moralisierung".

Drei Autoren des Think Tanks Brookings Institute haben darüber hinaus mehr als 50 Einzelstudien zu Sozialen Netzwerken ausgewertet und um 40 Interviews ergänzt.

Ende September 2021 veröffentlichten sie ihr Fazit - es heißt darin:
"Die weit verbreitete Nutzung von Social Media hat die extreme Polarisierung befeuert, was wiederum dazu geführt hat, dass das Vertrauen in demokratische Werte, in Wahlen und sogar in wissenschaftliche Fakten gesunken ist. Wer diese Entwicklungen nicht erkannt oder nichts gegen sie tut, riskiert, dass sich der 6. Januar am Kapitol wiederholt - oder Schlimmeres."

Was aber, wenn die Inhalte in den Sozialen Netzwerken auf Menschen treffen, die gar nicht erst verführt werden müssen - sondern wenn bereits eine grundsätzliche Sympathie für Extrempositionen vorhanden ist?

Schon in Folge zwei über Desinformation und die Briefwahl in Deutschland haben wir ja kurz über ein Phänomen aus der Psychologie gesprochen: "Confirmation Bias" oder auf Deutsch Bestätigungsverzerrung. Die Idee dahinter: Wir sind schneller bereit, neue Informationen zu akzeptieren, wenn sie unserem eigenen größeren Weltbild entsprechen. Übertragen auf den 6. Januar könnte das bedeuten, dass die Lügen zum Wahlbetrug auf einen fruchtbaren Boden bei Menschen fielen, die ohnehin schon dem Staat und den demokratischen Prozessen misstrauten.

[46:40] Zeit, dass wir uns anschauen, wer da eigentlich genau ins Kapitol eingedrungen ist. Teilen die Demonstrierenden ein ähnliches Weltbild, oder: Haben sie vielleicht einen gemeinsamen Hintergrund?

Um das genauer zu betrachten, hat die Universität Chicago das Forschungsprojekt "Understanding American Domestic Terrorism" gestartet und darin die Frage untersucht, wie in den USA Terror im Inland entsteht. Ihr konkretes Untersuchungsobjekt: der Sturm auf das Kapitol.

Dazu schauten die Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auf die Biografien von 377 Menschen, die bis Ende März 2021 wegen der Geschehnisse am 6. Januar festgenommen wurden: Aus welchem County stammen sie und welche demografischen Hintergründe haben sie persönlich und diese Counties allgemein? Und wie unterscheiden sie sich im Vergleich zu Rechtsextremen, die zwischen 2015 und 2020 festgenommen wurden? Ergänzt wurde diese Auswertung um zwei Umfragen zum 6. Januar in der breiten Bevölkerung und speziell unter Konservativen.

Ihre Ergebnisse zeichnen ein viel komplexeres Bild von den Menschen beim Sturm auf das Kapitol - eines, das zeigt, dass da nicht nur der rechte Rand war.

Demnach waren die Kapitol-Festgenommenen im Vergleich zu in früheren Jahren festgenommenen Rechtsextremen älter, sie waren seltener arbeitslos und sie gehörten viel seltener Bürgerwehren oder rechten Gangs an. In den Heimat-Counties der 377 Festgenommenen fiel dem Projekt ein Zusammenhang besonders auf: Sie kamen besonders oft aus einem County, in dem der Anteil der nicht-hispanischen weißen Bevölkerung zurückgegangen war.

Die daraus abgeleitete These lautet, dass die Wut besonders dort groß ist, wo Weiße ihre gesellschaftliche Vormachtstellung bedroht sehen. Die beiden ergänzenden Umfragen von den Forscherinnen und Forschern aus Chicago stützen diese These. In ihrer Zusammenfassung schließen die Autorinnen und Autoren, dass es sich beim 6. Januar eben nicht nur um eine Bewegung der bisher bekannten extremen Rechten handelte, sondern um eine, Zitat: "breite Massenbewegung, die im Kern gewaltbereit ist".

[Pause]

[49:00] Also, ein letztes Mal tief Luft holen. Was heißt das jetzt alles für unsere Ausgangsfrage dazu, wie es genau zu dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 kam?

Fest steht: Politik, Medien, und Soziale Netzwerke tragen eine Mitverantwortung:

Wir haben gehört, wie Republikaner und besonders ihr Präsident Donald Trump Lügen vom Wahlbetrug verbreiten und Zweifel daran säen, dass Joe Biden der rechtmäßige Wahlsieger ist.

Wir haben erfahren, wie auch einflussreiche Moderatoren wie Tucker Carlson bei Fox News oder der Radiomoderator Glenn Beck diese Lügen befeuern und wie die Macht von konservativen Firmen mit großer Reichweite immer mehr wächst, so wie jene der Sinclair Group.

Soziale Netzwerke haben die Effekte weiterverteilt - und waren am Tag des Aufstandes selbst für die Demonstrierenden so wichtig, dass sich die juristische und politische Aufarbeitung auf viele der dort geschriebenen Nachrichten stützt.

Und wir haben von den rechten und in der Gesellschaft verwurzelten Einstellungen der Demonstrierenden erfahren, die Angst davor haben, gesellschaftlich an Einfluss zu verlieren.

Jemand liest einmal eine Lüge bei Facebook und wählt dann anders oder stürmt das Kapitol? So einfach ist das natürlich nicht. Aber als Teil eines größeren Systems, unterstützt durch Medien und Politik, da scheint Desinformation zu verfangen.

Und Facebook ist ein gutes Stichwort. Denn in der nächsten Folge kümmern wir uns endlich um den Elefanten im Raum - die großen Internet-Plattformen.

ZSP Haugen

"Heutzutage bestimmt Facebook unsere Wahrnehmung von der Welt, indem es darüber bestimmt, welche Informationen wir sehen. Auch Menschen, die Facebook nicht benutzen, werden von der Mehrheit beeinflusst, die es tun. Ein Unternehmen mit einem so beängstigenden Einfluss auf so viele Menschen und ihre innersten Gedanken und Gefühle braucht eine wirkliche Aufsicht. Aber Facebooks geschlossenes Design sorgt dafür, dass es keine wirkliche Aufsicht gibt. Nur Facebook weiß, wie es deinen Feed für dich personalisiert."

Das war die vierte Folge von "Netz aus Lügen - Die globale Macht der Desinformation".

Diese Folge wurde geschrieben von Christian Fahrenbach. Redaktion BPB: Marion Bacher. Audio-Produktion: Simone Hundrieser. Fact-Checking: Karolin Schwarz. Produktionshilfe: Lena Kohlwes.

"Netz aus Lügen - die globale Macht der Desinformation” ist ein Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung, produziert von Kugel und Niere. Ich bin Ann-Kathrin Büüsker und wenn ihr Feedback habt, schreibt uns doch unter E-Mail Link: podcast@bpb.de. Bis nächstes Mal!

Fussnoten

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Christian Fahrenbach ist freier Journalist und Medientrainer in den USA und Deutschland. Er ist Gründungsmitglied des Online-Magazins Krautreporter und schreibt anderem für die Deutsche Presse-Agentur dpa und für stern+.