Die Bundestagswahl ist vorbei, aber welche Rolle digitale Desinformation etwa bei der Meinungsbildung der Wählerschaft gespielt hat, bleibt in vieler Hinsicht unklar. Das liegt auch an der mangelnden Transparenz von Plattformen bezüglich eigener Erkenntnisse oder Vorkehrungen. Diese Problematik thematisierte kurz vor der Wahl der ZDF-Moderator Jan Böhmermann mit einem Rechercheprojekt zu politischer Werbung bei Facebook. Eine manipulative Adressierung von Zielgruppen mit divergierenden Botschaften in großem Stil kann die aufwendige Datenanalyse unter dem Titel Externer Link: "TargetLeaks" zwar nicht belegen, aber eben Defizite und fragwürdige Vorgehensweisen im Detail: "Facebooks Transparenzdatenbank ist lückenhaft, wie die Recherchen des ZDF MAGAZIN ROYALE belegen. Tausende Anzeigen – darunter Werbungen von Parteien, der Bundesregierung und von Ministerien – sind nicht in Facebooks 'Werbebibliothek' enthalten. 'Kein System ist perfekt', antwortete Facebook auf Anfrage des ZDF MAGAZIN ROYALE."
Andererseits bleibt die konkrete Wirkungsweise von Desinformation häufig unklar. In einem grundsätzlichen Beitrag reflektiert Lisa Hegemann bei Externer Link: Zeit Online im Hinblick auf die konstatierte Fokussierung von Falschbehauptungen noch einmal die Frage "Was hängen bleibt" und plädiert für eine differenzierende Sichtweise: "Bedeutet das nun, dass es die Grünen im Wahlkampf besonders schwer hatten? Das lässt sich aus den Untersuchungen nicht ohne Weiteres ableiten. Denn die reine Addition aufgetretener Falschnachrichten über eine Kandidatin sagt wenig darüber aus, welche Wirkung sie entfaltet haben, wer sie überhaupt gesehen hat, an wen sie sich gerichtet haben. So könnte eine einzige Falschnachricht über Laschet einen größeren Effekt gehabt haben, als alle Falschnachrichten über Annalena Baerbock zusammen."
Plattform-Politik
Die Externer Link: Leiterin des #Faktenfuchs-Teams des Bayerischer Rundfunks, Janina Lückoff, konnte in den sozialen Medien keine massenhafte Kampagne beobachten, die die vorgebliche Manipulationen der Stimmabgabe skandalisiert: "Trotz der Vorkampagnen scheint das Thema Wahlbetrug jedoch recht wenig zu verfangen: 'Auch das Thema Wahlbeobachter dachten wir, würde sich mehr verbreiten. Die AfD hatte ja gezielt dazu aufgerufen, die Wahlauszählung in den Wahllokalen zu begleiten. Da hätten wir mit mehr Beschwerden gerechnet als sie uns aufgefallen sind.' Dies könnte nicht zuletzt mit den Maßnahmen der Plattformen zusammenhängen. Twitter hat beispielsweise Tweets mit der Behauptung eines Wahlbetrugs als irreführend annotiert. Wer den Tweet sieht, wird auch auf eine Informationsseite mit offiziellen Angaben verwiesen und die Möglichkeiten zur Verbreitung des Inhalts werden eingeschränkt und damit dessen Reichweite reduziert.
Faktencheck der Woche
Trotzdem kursierten am Wahlwochenende unzutreffende Angaben zu Prozeduren der Wahlorganisation. Völlig ohne Belege kommt etwa ein Externer Link: Share-Pic nur mit Text aus, das das Recherchezentrum "Correctiv" dokumentiert: "Auf Bildern, die in Sozialen Netzwerken kursieren (zum Beispiel hier auf Facebook oder Telegram), wird behauptet, es gäbe im Zusammenhang mit der Briefwahl eine 'Wahlbetrugs-Software'. Daher stehe das Wahlergebnis bereits vor Ende der Bundestagswahl fest." Diese aus der Luft gegriffene Behauptung macht ein Faktencheck schon strukturell schwierig. Correctiv beginnt seine Korrektur so: "Das ist irreführend. In Deutschland wird keine Software spezifisch für die Briefwahl oder die Auszählung von Briefwahlstimmen verwendet."
Politisierung von Faktenchecks?
In englischer Sprache bietet ein Externer Link: Beitrag der Non-Profit-Organisation "EU DisinfoLab" einen Überblick über zentrale Akteure, Initiativen und Instrumente zum Kampf gegen Desinformation bei der Bundestagswahl 2021, der abschließend viele Angebote abdeckt, die auch in den vergangenen Folgen dieser Reihe berücksichtigt wurden. Darüber hinaus wird über von Parteien ergriffene Maßnahmen berichtet, die zum Teil mit eigenen Formaten gegen Falschbehauptungen in den sozialen Medien vorgegangen sind. Ob diese Form der Auseinandersetzung mit irreführenden Inhalten nun auch für die sensible Phase der Verhandlungen zur Bildung einer Regierungskoalition virulent bleibt, ist abzuwarten.