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Andrzej Wajda | Polen | bpb.de

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Andrzej Wajda

Wolfgang Schlott

/ 6 Minuten zu lesen

Der polnische Regisseur Andrzej Wajda gilt als der renommierteste künstlerische Gestalter nationaler Themen. Seine Beschäftigung mit Malerei und Grafik erwies sich als Brücke zwischen Film, Theater, darstellender Kunst und Buchillustration. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 2000 den Oscar.

Polnischer Regisseur Andrzej Wajda gewinnt den Goldenen Bären, der ihm während der 56. Internationalen Filmfestspiele in Berlin verliehen wird. (© AP)

Der am 6. März 1926 in Suwałki, einer nordostpolnischen Garnisonsstadt, in eine Offiziersfamilie hineingeborene Andrzej Witold Wajda wurde in seiner Kindheit von Erlebnissen geprägt, die gemeinsam mit markanten genetischen Anlagen seine künstlerische Laufbahn gelenkt haben. Sein Vater Jakub, Hauptmann der polnischen Armee, begeisterte ihn für militärische Traditionen und nationale Symbole; seine Mutter Aniela weihte ihn früh in die Meisterwerke der polnischen Literatur ein und förderte seine zeichnerischen und malerischen Fähigkeiten. Nach dem Umzug im Jahre 1934 von Suwałki nach Radom besuchte Andrzej bis zum Kriegsausbruch sieben Jahre die dortige Mikołaj-Rej-Schule. Im August 1939 wurde der Vater zum Kriegsdienst einberufen. Es war ein Abschied für immer, denn Jakub Wajda wurde zusammen mit Tausenden polnischer Offiziere in der Nähe von Katyn (Weißrussland) im Sommer 1940 von sowjetischen Spezialeinheiten des NKWD ermordet.

Die in Radom hinterbliebene Familie überlebte den Krieg unter dem brutalen Diktat der deutschen Besatzungsmacht. Andrzej besuchte zeitweilig, ebenso wie sein älterer Bruder Leszek, ein Untergrundgymnasium. Beide waren gezwungen, für den Unterhalt der Familie zu sorgen, weshalb sie bis zum Ende des Krieges keine regelmäßige Ausbildung erhielten. Dennoch konnte Andrzej, gefördert durch privaten Kunstunterricht, sein künstlerisches Talent entwickeln. 1946 bekam er dann einen Studienplatz an der Akademie der Schönen Künste in Krakau. Nach drei Jahren brach er überraschend sein Kunststudium ab, um an der Filmhochschule in Lodz (Łódź) ein Studium als Regisseur zu beginnen. Seine intensive Beschäftigung mit Malerei und Grafik erwies sich zeitlebens als Brücke zwischen Film, Theater, darstellender Kunst und Buchillustration. Aus diesem Grund war es nicht erstaunlich, dass er oft an repräsentativen Ausstellungen beteiligt war, seine ersten Kurz- und Dokumentarfilme mit Szenographien versah, als Bühnenbildner in der Krakauer Operette während der 1940er Jahre tätig war und noch in den 1980er Jahren sich sowohl als Buchillustrator auszeichnete als auch seine künstlerischen Porträts in der Galerie der Schönen Künste in Krakau ausstellte.

Sein erster Spielfilm "Die Generation" (1955), der von der Poetik des italienischen Neorealismus geprägt ist, rief einerseits heftige Kritik in der kommunistischen Presse hervor, weil die von Todeserfahrung und Kriegserlebnissen erfüllten Protagonisten sich jeglichem Optimismus entsagten. Andererseits erhielt der Film bereits im Juli 1955 eine staatliche Auszeichnung und wurde, gefördert durch das kulturpolitische "Tauwetter" in Polen (1955/56), auf osteuropäischen Filmfestivals als Vorbote des neuen polnischen Spielfilms gefeiert. Auch der Film "Der Kanal", der auf der Grundlage der autobiographischen Erzählung von Jerzy Stawiński und nach dem Drehbuch von Tadeusz Konwicki im Winter 1955 gedreht wurde und die Geschichte vom verzweifelten Überlebenskampf junger Polen während des Warschauer Aufstands im August 1944 zeigt, erregte auf dem Festival in Cannes im Mai 1957 große Aufmerksamkeit. Den dritten Glanzpunkt im Schaffen des jungen Regisseurs bildete "Asche und Diamant". Nach dem gleichnamigen Roman von Jerzy Andrzejewski gedreht, wurde der Film – trotz einiger durch die Zensurbehörde erwirkter Streichungen – ein Meisterwerk über die verlorene Generation der "Armia Krajowa", die nach 1945 an die Wiederauferstehung des republikanischen Vorkriegspolens glaubte. In der Rolle des Maciek, eines scheiternden romantischen Revolutionärs, entdeckte Wajda mit Zbigniew Cybulski den für das polnische Kino der 1950er und 1960er Jahre sicherlich bedeutendsten Schauspieler.

Nach der enttäuschenden Verfilmung von "Lotna" (1959), das die legendäre Schlacht zwischen polnischer Kavallerie und deutschen Panzern zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zeigt, konzentrierte sich Wajda zu Beginn der 1960er Jahre auf Theaterinszenierungen. Als Gastregisseur an mehreren polnischen Bühnen, darunter auch am TV-Theater in Warschau, inszenierte er Stücke wie "Hamlet" und "Interview mit Ballmeyer". Auch die Verfilmung von "Samson" (1961), in dem es um das Überleben eines Juden im Krieg ging, knüpfte nicht an die Erfolgssträhne der späten 1950er Jahre an. Dennoch ließ sich Wajda in seinem Schaffensdrang nicht bremsen. Drehbücher zu verschiedenen Filmen auf der Grundlage von literarischen Stoffen wie "Asche" (1965) oder "Alles zu verkaufen" (1969), "Landschaft nach der Schlacht" (1970) und "Die Hochzeit" (1973) wechselten sich mit Theaterinszenierungen in Moskau, Zürich, New Haven und Sofia ab.

Spätestens seit seiner umjubelten Verfilmung der "Hochzeit" nach dem Drama von Stanisław Wyspiański galt er als der renommierteste künstlerische Gestalter schwieriger nationaler Themen. Den Auftakt zu einer Reihe bedeutender Spielfilme nach literarischen Stoffen bildete "Das Gelobte Land" (1976) nach dem Roman des Literaturnobelpreisträgers Władysław Reymont, in dem die Industrialisierung von Lodz in spektakulären Bildern erfasst wurde. Der Paukenschlag folgte im Jahr 1977. Auf der Grundlage einer noch während der Dreharbeiten umgeschriebenen Erzählung von ścibor-Rylski, "Der Mann aus Marmor", verfilmte Wajda an Originalschauplätzen der 1940er Jahre in Nowa Huta den Aufstieg eines sozialistischen Helden und dessen Tod während der Arbeiterunruhen in Danzig 1970. Obwohl einige Filmsequenzen durch die Eingriffe der Zensurbehörde verändert und sogar gestrichen wurden, hatte das bildmächtige Opus eine unauslöschliche Tiefenwirkung auf die polnische Massenpsyche.

Unter ähnlich hektischen Bedingungen entstand die Fortsetzung des tragischen Epos: "Der Mann aus Eisen", die als Huldigung an die Gewerkschaftsbewegung "Solidarność" im Frühjahr/Sommer 1981 entstand und nach der Premiere (27. Juli 1981) bis zur Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 mit über 5 Mio. Besuchern der erfolgreichste Spielfilm nach 1945 war.

Die sicherlich produktivste Phase in Wajdas künstlerischem Schaffen war die zweite Hälfte der 1970er Jahre, in der zahlreiche aufsehenerregende Theaterinszenierungen (wie "Die Emigranten" von Sławomir Mrożek, "Weiße Hochzeit" von Tadeusz Różewicz, "Nastasja Filipowna" und nach Fjodor Dostojewskijs Roman "Der Idiot") und die drei Spielfilme "Ohne Betäubung" (1978), "Fräulein aus Wilna" (1979) und "Der Dirigent" (1980) entstanden.

Nach der Zerschlagung der "Solidarność"-Bewegung und der Auflösung des Polnischen Filmverbandes war Wajda, wie zahlreiche seiner Künstlerkollegen, gezwungen, im westlichen Ausland unter schwierigen finanziellen und organisatorischen Bedingungen Filme zu drehen. "Danton" (1983) wurde in Frankreich vollendet; "Eine Liebe in Deutschland" (1983) hinterließ – nicht zuletzt auf Grund der stofflich-inhaltlichen Unzulänglichkeiten und organisatorischer Probleme – keinen nachhaltigen Eindruck. Nach 1983 setzte er in Polen seine Theater-Inszenierungen fort. Er wirkte sowohl an ungewöhnlichen Spielorten, wie in einer Warschauer Kirche, als auch an bewährten Spielstätten wie im Stary Teatr (Krakau) und im Teatr Powszechny (Warschau), wo er Stücke des Welttheaters von Sophokles, Dostojewskij, Fredro, Strindberg und Wyspiański auf die Bühne brachte. Doch auch sein filmisches Schaffen setzte er fort: 1986 entstand "Chronik der Liebesunfälle" nach dem Roman von Tadeusz Konwicki.

Das Jahr 1989 stellte für den politisch engagierten Wajda eine wesentliche Zäsur dar. Er kandidierte in den ersten freien Wahlen 1989 für den polnischen Senat und hatte das Amt eines Senators bis zum Frühjahr 1991 inne. In dieser Phase unterbrach er seine künstlerischen Aktivitäten nicht. Seine mit tagespolitischen Akzenten versehene Theaterinszenierung "Die Hochzeit" (1991) appellierte an die Vernunft seiner Landsleute; sein bereits 1990 abgedrehter Film "Korczak" griff die ethisch-moralische Verantwortung für die Ermordung jüdischer Kinder im Warschauer Ghetto auf; der 1995 fertiggestellte Spielfilm "Karwoche" behandelte die vielschichtige Problematik des polnischen Antisemitismus, während die Verfilmung von "Fräulein Niemand" (1996) sich mit der verwirrenden psychomentalen Welt von Jugendlichen nach dem politischen Umbruch auseinandersetzte.

Das sicherlich anspruchsvollste künstlerische Projekt in der späten Schaffensphase bildete die 1999 vollendete Verfilmung des polnischen Nationalepos "Pan Tadeusz". Die amerikanische Filmakademie verlieh ihm – auch in Anerkennung seines gesamten Schaffens – im März 2000 den Oscar. Diese Auszeichnung erwies sich als die vorläufige Krönung für ein Werk, für das Wajda zahlreiche Preise und Ehrendoktor-Titel erhalten hat. Auf welche Weise sich in seinem Schaffen privates Leben und nationale Geschichte lebenslang verknüpfen, zeigt sein im Januar 2007 abgeschlossener Film "Katyn". Er thematisiert die von den Stalinschen Schergen nach 1940 in die Welt gesetzte Lüge über die Urheber des Massenmordes an 15 000 polnischen Offizieren bei Katyn.

Quellen / Literatur

Andrzej Wajda. Mit Beiträgen von Klaus Eder, Klaus Kreimeier, Maria Ratschewa, Bettina Thienhaus, München/Wien 1980.

Falkowska, Janina, Andrzej Wajda: History, Politics and Nostalgia in Polish Cinema, Oxford/New York 2007.

Dies., The Political Films of Andrzej Wajda: Dialogism in Man of Marble, Man of Iron, and Danton, Oxford/New York 1996.

Karpiński, Maciej, The Theater of Andrzej Wajda, Cambridge 1989.

Orr, John/Ostrowska, Elżbieta, The Cinema of Andrzej Wajda: The Art of Irony and Defiance, London 2004.

Wajda, Andrzej, Meine Filme (1987). Erfahrungen aus 30 Jahren Filmschaffen, Zürich 1987.




Beitrag aus: Externer Link: "Länderbericht Polen", hrsg. von Dieter Bingen und Krysztof Ruchniewicz (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung Bd. 735), Bonn 2009.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Wolfgang Schlott, geboren 1941, ist Professor em. für neuere slawische Kultur- und Literaturgeschichte an der Universität Bremen und Präsident des Exil-P.E.N. Deutschsprachiger Länder.