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Mit Feingefühl für Lernziele und demokratische Bildung | KI und maschinelles Lernen | bpb.de

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Mit Feingefühl für Lernziele und demokratische Bildung KI im Unterricht

Leon Noel Micheel

/ 7 Minuten zu lesen

Wie wirkt sich KI auf Lernprozesse in der Schule aus? Damit befasst sich Lehramtsstudent Leon Noel Micheel wissenschaftlich und praktisch. Wir haben ihn nach Erfahrungen und Erkenntnissen gefragt.

Künstliche Intelligenz verändert Lernprozesse im Unterricht (© picture-alliance, CHROMORANGE | MICHAEL BIHLMAYER)

werkstatt.bpb.de: Du arbeitest im Externer Link: Projekt ProKIS, das kurz für „Prozesse KI-bezogenen Wandels in der Schule“ steht. Um was geht es dabei?

Leon Noel Micheel: Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie sich künstliche Intelligenz sowohl positiv als auch negativ auf das Thema politische Bildung auswirkt. Dabei geht es uns nicht nur um den Politikunterricht, sondern um fächerübergreifende Demokratiebildung als Querschnittsthema für die Schul- und Unterrichtsentwicklung. Wir erstellen Materialien, Methoden oder Szenarien für den Unterricht, die eben KI für die politische Bildung thematisieren und diskutieren, aber auch, welche Gefahren die Technologie birgt. Dafür bekommen Lehrkräfte über unsere Talkreihen und Fortbildungen Wissen und Werkzeuge für ihren Unterricht an die Hand.

werkstatt.bpb.de: Auch wenn das Projekt noch nicht beendet ist: Gibt es schon Erkenntnisse?

Leon Noel Micheel: Wir sehen, dass KI ein äußerst universelles und auch in vielerlei Hinsicht neues Thema ist, das den Schülerinnen und Schülern in ihrer Lebenswelt auf unterschiedlichen Ebenen begegnet. Dadurch kommen zwangsläufig auch bestimmte Themen in den Unterricht, zum Beispiel Deepfakes oder ein anderer Umgang mit Recherchewissen. Damit müssen Lehrkräfte umgehen können, selbst wenn sie KI nicht direkt in ihren Unterricht integrieren. KI ist dann nicht nur potenzielle Lernmethode oder Werkzeug, sondern auch direkter Unterrichtsgegenstand, beispielsweise in Ethik oder bei politisch-gesellschaftlichen Themen in anderen Fächern. Zuletzt haben wir Materialien entwickelt, um verschiedene Aspekte von KI modular und flexibel aufzubereiten. Die können sich Lehrkräfte individuell und fächerübergreifend anpassen, da wir uns nicht auf einzelne Unterrichtseinheiten für bestimmte Fächer fokussiert haben, sondern auf Querschnittsthemen.

Leon Noel Micheel (© Privat)

werkstatt.bpb.de: Wie steht ihr zum Einsatz von KI im Unterricht?

Leon Noel Micheel: Wir versuchen zu vermitteln, dass KI ein Werkzeug mit viel Potenzial sein kann: Wenn man es richtig nutzt, dann kann sich KI lernförderlich auf Schülerinnen und Schüler auswirken. Aber man sollte darauf achten, dass man diese Werkzeuge mit dem nötigen Feingefühl und Hintergrundwissen einsetzt, sodass Lernprozesse nicht verkürzt oder sabotiert werden. Das betrifft zum Beispiel auch die Wahl einer KI-Plattform: So zeigen wir bei ProKIS datenschutzkonforme Lösungen und Herangehensweisen auf.

werkstatt.bpb.de: Wie wirken sich dein Studium, dein Unterricht und das Projekt aufeinander aus?

Leon Noel Micheel: Mir als Studierender und als Lehrperson hat sich vor allem gezeigt, dass man sich bewusst werden muss über die Lernziele und -prozesse, die hinter den einzelnen Aufgaben stehen. Wenn beispielsweise ein Text geschrieben werden soll, gibt es normalerweise verschiedene Zwischenschritte, die für das Lernziel essenziell sind. Sich mit der Textsorte auseinanderzusetzen, Kriterien zu ermitteln oder sich Beispiele anzuschauen und dann kritisch zu reflektieren. KI bringt die Intention und das Produkt gewissermaßen nah zusammen, da große Teile des Prozesses potenziell an die KI abgegeben werden können. Der Text ist aber eigentlich nicht das Ziel, sondern alles, was dazwischen passiert. Hier ist es wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, was das eigentliche Lernziel ist und dann zu schauen, welche Schritte ich an die KI auslagern kann, ohne mein Ziel dabei zu hintergehen – dann kann es durchaus lernförderlich sein. Auch erfordert es ein großes Feingefühl, welches wir den Lernenden vermitteln müssen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass es für Lernende verheißungsvoll wirkt, wenn große Teile des Lernprozesses einfach übersprungen werden können.

werkstatt.bpb.de: Wie bekommt man dieses „Feingefühl“ bzw. kann man es lernen?

Leon Noel Micheel: Mit Feingefühl meine ich vor allem eine differenzierte Sicht auf das Thema: Man sollte sich bewusst machen, wo man KI einsetzen kann, um den Lernprozess anzureichern, und wo es nicht sinnvoll ist. Das kann man definitiv vermitteln, beispielsweise indem man Kompetenzen wie die Lernzielorientierung, die nichts mit KI selbst zu tun haben, stärker akzentuiert. Außerdem sind bildungswissenschaftliche Erkenntnisse ja kein Geheimnis. Eine offene Kommunikation darüber mit den Lernenden ist also absolut entscheidend.

werkstatt.bpb.de: Wie sehr wirkt sich KI auf schulische Formate aus – etwa, wenn handgeschriebene Notizen erlaubt oder erfordert sind, um generierte, aber nicht verstandene Antworten zu umgehen?

Leon Noel Micheel: Es ist sehr wichtig, sich zu fragen, ob Aspekte des Bildungssystems wie klassische Lern- und Prüfungsformate noch sinnvoll sind. Aber zu sagen, KI sei nun der Beweis dafür, dass Hausaufgaben nicht mehr zeitgemäß sind, wird der Komplexität von Bildung einfach nicht gerecht. Wir sollten nicht versuchen, KI einfach zu umgehen, sondern einen Schritt zurückgehen, indem wir überlegen, was wir eigentlich mit Hausaufgaben oder Prüfungen erreichen wollen und dann schauen, wie man KI lernförderlich dafür einsetzen kann. Dazu gehört aber natürlich auch zu erkennen, wann ein Format nicht mehr sinnvoll ist, weil der Einsatz von KI den Lernprozess untergräbt.

werkstatt.bpb.de: Wie setzt du KI als Lehrer ein?

Leon Noel Micheel: Ich versuche vorhandene Methoden oder Formate umzudenken, um den Lernprozess mit KI anzureichern – auch als motivierende Komponente. Erfahrungsgemäß finden Schülerinnen und Schüler es einfach interessant, wenn Technik verwendet wird. Und ich habe auch schon erlebt, dass Schülerinnen und Schüler gesagt haben, dass sie den Einsatz von KI nicht gut finden. Das kann man dann nutzen, um in der Klasse darüber zu sprechen und dies kritisch zu reflektieren.

werkstatt.bpb.de: Hast du Beispiele für den sinnvollen Einsatz von KI im Unterricht, die Lehrkräfte einfach übertragen können?

Leon Noel Micheel: Beim Thema Personifizierung finde ich es spannend, wenn man sich nicht mit KI-generierten Personen unterhält, sondern mit personifizierten Konzepten. Beispielsweise können sich im Deutschunterricht ein „dass“ und „das“ darüber unterhalten, wie sie im Satz vorkommen. Das kann für Lernende viel interessanter sein, als sich einen Text durchzulesen, wie „dass“ und „das“ eingesetzt wird oder sich nur Beispiele anzuschauen. Hier liegt ein großes Potenzial, bestimmte Ansätze, die es schon gibt, noch einmal umzudenken und so interessanter und nahbarer zu gestalten. Auch im Politikunterricht sind solche Ansätze anwendbar, allerdings müssen sie etwas stärker problematisiert werden, da hinter politischen Konzepten ja auch einzelne Akteure mit verschiedenen Intentionen stecken. Dabei können sich wirtschaftliche Interessen und politische Positionen der Akteure schnell vermischen. Im Extremfall kann es dann durchaus passieren, dass die KI doch aus der Sicht einzelner Personen(-gruppen) argumentiert, vor allem, wenn diese an der Entwicklung der KI beteiligt waren. Das ist in der Grammatik natürlich nicht der Fall. Ganz allgemein haben politische Themen eine größere normative Komponente.

werkstatt.bpb.de: Wenn man auf die demokratische Schulentwicklung blickt: Welche Auswirkungen von künstlicher Intelligenz sind dort am relevantesten?

Leon Noel Micheel: Auf individueller Ebene sind es vor allem die kritische Meinungs- und Reflexionsfähigkeit, die wichtiger sind denn je sind, um Dinge gut hinterfragen zu können: Ist das, was ich gerade sehe, echt? Sind Argumente, die vielleicht plausibel klingen, tatsächlich fundiert? Diese Reflektionsfähigkeit gilt es auch in Bezug auf Medienbildung zu schärfen. Man sollte dabei aber auch immer im Blick behalten, dass es nicht immer Aufgabe von Bildung sein kann, die Probleme zu beheben, die Tech-Konzerne mit ihren Angeboten erzeugen. Entsprechend ist das auch immer eine politische und gesellschaftliche Frage, nämlich danach, wie wir diese Konzerne zur Verantwortung ziehen sollten, einen nachhaltigen, fairen und transparenten Markt zu schaffen. Eine solche gesellschaftliche Ebene ist auch Teil demokratischer Bildung. Deshalb ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler lernen, gemeinsame Lösungen zu entwickeln und so auch auf kollektiver Ebene mündig zu sein. Im Umgang mit KI kann das beispielsweise sein, eigene KI-Regeln für die Schule auszuarbeiten.

werkstatt.bpb.de: Schon das Internet sollte die Bildung durch den Zugang zu mehr Wissen verbessern, nun befassen wir uns mit den schädlichen Auswirkungen von Desinformation. Siehst du eine vergleichbare Entwicklung bei KI?

Leon Noel Micheel: Parallelen sind auf jeden Fall sichtbar. Deshalb ist es wichtig, aus Fehlern im Umgang mit dem Internet oder den sozialen Netzwerken zu lernen und auf diesen Erfahrungen aufzubauen. Ein großer Unterschied ist vor allem die Geschwindigkeit, mit der sich KI entwickelt und mit der KI-Werkzeuge adaptiert und verwendet werden. Außerdem ist KI sehr vielseitig und wirkt sich entsprechend auf mehrere Lebensbereiche gleichzeitig und auf ganz unterschiedliche Art und Weise aus.

werkstatt.bpb.de: Wie gehst du in deiner Unterrichtspraxis mit dieser rasanten Entwicklung um?

Leon Noel Micheel: Durch eine nuancierte Sicht auf KI-Technologien und deren Facetten. Mit generativer KI können wir theoretisch extrem binnendifferenziertes Lernen ermöglichen. Gleichzeitig geht damit auch Anderes verloren. Denn Bildung bedeutet nicht nur, Lernprozesse so effizient wie möglich zu gestalten, sondern beispielsweise auch kooperativ zu lernen. Die sozialen Aspekte in der Schule und in einer Klasse sind sehr wichtig. Bildung ist in sich komplex und hat viele Facetten, die ineinandergreifen oder sich aufeinander auswirken. Fokussieren wir uns ausschließlich auf einzelne Aspekte, können dabei wichtige Lernziele verpasst werden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie meine Arbeit im Forschungsprojekt auch meine eigene Perspektive auf generative KI verändert hat.

werkstatt.bpb.de: Im Berufsleben wird oft erwartet, dass man mit Aufgaben oder Problemen effizient umgeht und Ergebnisse präsentiert. Aktuell gehört dazu auch, dass man mit KI umgehen kann. Ist das ein Widerspruch zu Lernprozessen in der Bildung?

Leon Noel Micheel: Das ist ein sehr guter Punkt. Ich denke nicht, dass das Ziel von Bildung ausschließlich das ist, die Menschen auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten, sodass sie dann möglichst effizient arbeiten. Bildung kann und sollte deutlich mehr als das leisten. Es ist wichtig, dass Schülerinnen und Schüler lernen, eine eigene Position zu entwickeln und zu reflektieren – das gilt auch für den Umgang mit KI. Es geht darum, mündig, kritisch und selbstreflektiert an der Gesellschaft und der Demokratie teilhaben zu können. Wenn wir das schaffen, ist das aus meiner Sicht eine gute Verbindung zwischen der Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt und einer aktiven Teilhabe an der Gesellschaft.

Das Gespräch führte Christina Quast für werkstatt.bpb.de.

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Leon Noel Micheel studiert Gymnasiallehramt für Deutsch und Ethik an der Universität Leipzig und arbeitet seit 2024 auch als studentische Hilfskraft im Forschungsprojekt ProKIS, das an der Universität Münster angesiedelt ist.