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Fortbildung "Interkulturelle Filmbildung" für Multiplikator/-innen | Interkulturelle Filmbildung | bpb.de

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Fortbildung "Interkulturelle Filmbildung" für Multiplikator/-innen Konzept: Martina Döcker und Alejandro Bachmann

Martina Döcker Alejandro Bachmann

/ 7 Minuten zu lesen

1. Filmische Begegnung – Einführung und Überblick (90 Minuten)

Kurze Einführung ins Thema "Interkulturelle Filmbildung", die Idee einer interkulturellen Haltung, sowie in das Verhältnis von Film und Interkultur in der Idee der Begegnung.

* Teamwork zu zweit
Idee: Dabei wollen wir die Thematik von Interkultur persönlich werden lassen, jeweils zwei Unbekannte zusammenbringen, ganz konkret in die Problematik hineinkommen und ein anti-kompetitives Klima der Offenheit setzen.
Vorgehensweise: Zufällige Teambildung durch Zählen, gegenseitiges Vorstellen und dann Bericht über die "Partner"-Person im Plenum unter der Fragestellung: Wie ist mein Alltag in unserer Vielheitsgesellschaft? Gibt es in meinem Leben so etwas wie eine hybride Identitätsbildung? Inwiefern bin ich dadurch geprägt?

* Filmausschnitt aus "BlacKkKlansman" (Spike Lee, USA 2018, 00:09:19-00:10:52)
Idee: Interessant ist, am Beispiel der gewählten Szene (Protagonist Ron Stallworth arbeitet im Polizeiarchiv und verteidigt sich gegen die rassistischen Anwürfe eines Kollegen) herauszufinden, wie der Film die Begegnung zwischen den beiden Figuren filmästhetisch vermittelt: Kamera, Montage, Aufbau der Szene, Hoch-/Tiefstatus der Figuren.
Vorgehensweise: Gemeinsam sichten wir die Szene, daraufhin gibt es an diesem Filmbeispiel entlang eine offene Diskussion über die Fragestellung. Auch darüber, welche Arten der Begegnung es gibt; zwischen den Figuren, zwischen der im Film gezeigten Welt und der des Publikums etc.

* Filmausschnitt aus "I am not your negro" (Raoul Peck, F/USA/BE/CH 2016, 00:25:26-00:29:30)
Idee: Die Thematik der filmischen Begegnung findet hier auf anderen Ebenen statt: der dokumentarischen und der historiographischen. Diese beiden Schichten sollen entdeckt und differenziert beschrieben werden.
Vorgehensweise: Die Sequenz (Begegnung Malcolm X und Martin Luther King, Bewegung der beiden Figuren aufeinander zu unter dem Eingreifen der Erzählerstimme James Baldwins – gelesen von Samuel L. Jackson - bis zur Szene mit weißen, amerikanischen Rassisten) wird zweimal betrachtet, unter Berücksichtigung der Aspekte des unterschiedlichen dokumentarischen Materials sowie des Narrativs, welches sich aus der Sequenz entwickelt (eine filmische Attacke gegen die in BlaKkKlansman dargestellten Machtverhältnisse).

2. Die Unsicherheit der Begegnung (90 Minuten)

* Kurzfilm "OM" (John Smith, GB 1986, 03:33 min)
Idee: In diesem vierminütigen Film wird gekonnt die Unsicherheit des Blicks inszeniert, die sich permanent verschiebt. Diese Verschiebung macht die fortlaufende Deutung eines Werks durch uns als Zuschauer/innen, aber auch die Verunsicherung von uns als Publikum bei diesem Prozess erfahrbar.
Vorgehensweise: Der komplette Film wird in Etappen gesichtet, nach jeder Etappe (erst Standbild, dann nach einer Filmminute, dann der Rest des Films) wird im Plenum gesprochen und gedeutet: An welchen Details und Attributen macht sich welche Deutung fest? Wie entwickeln sich die Deutungen im Verlaufe der Sichtung?
Bei einer zweiten Sichtung ohne Unterbrechungen stellt sich im Gespräch über den Film die Frage, wie sich die Begegnung mit dem Film verändert, wenn das Publikum vorbereitet ist.

* Filmausschnitt aus "Philadelphia" (Jonathan Demme, USA 1993, 01:12:23-01:23:07)
Idee: Mit dem gewählten Filmausschnitt (Begegnung von Miller (Denzel Washington) und Beckett (Tom Hanks) nach der Party bei Beckett) vertiefen wir die bereits bei "OM" entdeckte Fragestellung danach, wie sich die Unsicherheit (zwischen den beiden Figuren, zwischen Figuren und Publikum) permanent verschiebt. Wie befasst sich dieser Film mit der interkulturellen Frage, diesmal im Zusammenhang mit der Frage der unterschiedlichen sexuellen Orientierung? Mit welcher dramaturgischen Komposition, in welchen Etappen werden die Grenzen und Differenzen zwischen den Figuren sowie deren Überwindung durch den Film gestaltet? Wie unsere Nähe und Ferne zu den Figuren? Diese Fragen möchten wir in diesem Abschnitt klären. Darüber hinaus macht der Filmausschnitt deutlich, dass die Frage nach der Interkultur keine rein kognitive ist, sondern auch eine, die die gesamte Persönlichkeit erfasst.
Vorgehensweise:
1) Nach einer ersten Sichtung des Filmausschnitts zeichnen wir in kleinen Gruppen unsere eigene Reaktion in eine Skizze. Zwei parallele, horizontale, zeitlich gemeinte Linien, eine für Miller, eine für Beckett, werden durch eine Schlangenlinie verbunden. Sie beschreibt unsere eigene Nähe zu einer der beiden Figuren; in welchem Filmmoment fühlen wir uns welcher Figur nahe. Etwa zwei Gruppen berichten im Plenum, das über die Ergebnisse diskutiert.
2) Nach einer zweiten Sichtung reflektieren wir in einem Filmgespräch, wie wir als Publikum durch den Film geformt werden. Dabei wird besonderes Augenmerk auf folgendes gelegt: Wie werden die Grenzen und Differenzen zwischen den Figuren sowie deren Überwindung filmisch gestaltet und welche Wirkung wird dabei beim Publikum erzeugt? Hier seien als zentrale Aspekte Kameraführung, Lichtsetzung, Montage, Musik genannt.

* Textauszug aus "This is Water" (David Foster Wallace, 2009)
(Externer Link: https://fs.blog/2012/04/david-foster-wallace-this-is-water/)
Idee: In dem kurzen Text spricht Wallace über eine häufig anzutreffende Grundeinstellung des Menschen (= Ich bin der Mittelpunkt des Universums). Das Hinterfragen dieses Selbstbildes ist Teil der Erarbeitung einer interkulturellen Haltung.
Vorgehensweise: Gemeinsame Lektüre des Auszugs und kurzes Gespräch darüber, welche Anbindung er an unser Fortbildungsthema hat.

3. Begegnung als Dazwischen I (90 Minuten)

Aufbauend auf den Einheiten davor soll es hier darum gehen, mit einem starken Fokus auf die Ästhetik des Films zu erarbeiten, wie uns Film als Betrachter*in in eine Position des Dazwischen setzen kann, die nicht aus einer Perspektive auf die "Anderen" blickt, sondern sich in genau diesem Dazwischen (nicht hier, nicht dort) positioniert. Übertragen auf die Idee einer interkulturellen Haltung wäre hier der Film ein Medium, das uns multiperspektivisch auf die Welt blicken lässt und uns darin auch auffordert, unseren eigenen Blick zu reflektieren.

* Filmausschnitt aus "Angst essen Seele auf" (Rainer Werner Fassbinder, D 1974, 00:00:00-00:06:11)
Idee: Der Film erzählt in ganz dezidierter Art und Weise von einer Begegnung zwischen der etwas älteren Emmi und dem marokkanischen Gastarbeiter Ali. Die ersten Minuten des Films zeigen uns, wie Emmi sich vor dem Regen in eine Kneipe flüchtet, die mehrheitlich von Gastarbeitern besucht wird. Außer ihr sind dort noch ein paar Frauen, deren genaues Verhältnis zu den Männern nicht weiter etabliert wird. Im mehrmaligen Sehen soll genauer analysiert werden, wie Fassbinder von dieser Begegnung erzählt und welche Position er der Zuschauer/in in dieser Erzählung einräumt. Dabei soll der Fokus zum einen auf der Verwendung von Musik und Sprache, andererseits auf der Inszenierung von Raum und Blicken liegen.
Vorgehensweise: Der Ausschnitt wird nach einer kurzen, erneuten Etablierung der Idee einer interkulturellen Haltung kommentarlos gezeigt, erste Eindrücke werden gesammelt und es wird versucht, in ersten Ansätzen über Fragen der Begegnung, des Raumes sowie der Perspektive zu sprechen.
Anschließend werden kurze Momente aus der Sequenz entweder in Form von kurzen Ausschnitten oder in der Montage signifikanter Stills erneut betrachtet, um die Mikrostrukturen der ästhetischen Position des Dazwischen genauer zu analysieren.

* Filmausschnitt aus "Ali im Paradies" (Viola Shafik, EG/D 2011, 00:43:00-01:05:00)
Idee: Nach der Analyse von Fassbinders Film soll eine Auseinandersetzung mit einem Ausschnitt aus diesem Film das entstandene Bild noch einen Schritt komplexer machen. Da es hier um die Rolle des Darstellers El Hedi Ben Salem in der Gruppe rund um Rainer Werner Fassbinder geht, verschiebt sich der Fokus von der ästhetischen Darstellung einer interkulturellen Begegnung im Spielfilm auf den Versuch, eine reale Begegnung zu dokumentieren. Das Ziel ist, aufzuzeigen, wie sich unser Blick auf Begegnungen, Menschen, Kunstwerke immer weiter verschieben kann, wie allein das Hinzunehmen eines weiteren Films, den Blick auf einen zuvor gesehen verschiebt.
Vorgehensweise: Wie im Beispiel davor soll es nach Vorführung des Ausschnitts zunächst darum gehen, erste Eindrücke zu sammeln und zu diskutieren, wie sich diese Seherfahrung auf jene von "Angst essen Seele auf" auswirkt. In einem zweiten Schritt geht es darum, die Form des Dokumentarfilms zu betrachten, der nicht nur inhaltlich, sondern auch formal auf Fassbinders Film Bezug nimmt.

4. Begegnung als Dazwischen II (90 Minuten)

In der vierten Einheit des Tages wird erörtert, welche Rolle das Sichtbarwerden von migrantischen Stimmen und filmischen Positionen in einem Diskurs der Interkultur einnimmt. Beispielhaft geht es hier um das Werk der im Irak geborenen und in Österreich lebenden Künstlerin Kurdwin Ayub, die in ihren Filmen einerseits über den Einfluss der eigenen Migrationsgeschichte auf ihr Leben nachdenkt und sich andererseits kritisch mit genau jenen Strukturen auseinandersetzt, die ihre Arbeit und ihre Person allein darauf reduzieren wollen.

* Filmausschnitt aus "Paradies! Paradies!" (Kurdwin Ayub, AT 2016, 00:00:00-00:06:44)
* Kurzfilm "Armageddon" (Kurdwin Ayub, AT 2018, 05:00 min)

Idee: Wie auch in den vorhergehenden Einheiten soll hier das Inhaltliche mit dem Formalen zusammen gedacht werden, weil sich genau hieraus die Komplexität der filmischen Artikulation innerhalb eines interkulturellen Diskurses bestimmt. In der Auseinandersetzung mit "Paradies! Paradies!" soll herausgearbeitet werden, wie sich die Gegenwart einer Migrationsgeschichte in der Familie der Filmemacherin im dokumentierten Alltag darstellt. Darüber hinaus soll analysiert werden, wie sich diese Gegenwart in der Adressierung der Zuschauer/innen durch die Filmemacherin, durch einen kontrastierenden Schnitt oder durch das Spiel mit anderen Medienformaten ausdrückt. Mit der anschließenden Sichtung des Kurzfilms "Armageddon" wird diese Seherfahrung ins Verhältnis zu einer satirischen künstlerischen Arbeit gesetzt, die als dezidierte Antwort der Filmemacherin auf die Bitte, doch einen Film über ihre Migrationsgeschichte zu drehen, gelesen werden kann.
Vorgehensweise: Wie bereits in der Einheit zuvor geht es darum, den Ausschnitt und den Kurzfilm gemeinsam zu sehen, zu besprechen und in kleinteiligerer Arbeit auf die Details der ästhetischen Form einzugehen. Der Besprechung des Ausschnitts folgt die Präsentation des Kurzfilms. So macht eine schrittweise Annäherung an das Werk die Verschiebungen deutlich, die mit jedem Film in unserem Blick stattfinden und gestaltet die Antwort auf die Frage, warum das Sichtbarwerden von Stimmen von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Kunst unabdingbar ist.

Fussnoten

Martina Döcker lebt und arbeitet als Filmautorin und Hochschullehrerin in Berlin. Sie unterrichtet Film an der Filmakademie Baden-Württemberg und Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin. Ihre Dokumentarfilme waren auf Festivals, im Kino und im Fernsehen zu sehen.

Alejandro Bachmann ist Kulturarbeiter mit Schwerpunkten im Vermitteln von und Schreiben über Film sowie in der Zusammenstellung von Filmprogrammen. Er ist Teil der Auswahlkommission der Diagonale – Festival des Österreichischen Films und der Duisburger Filmwoche. Er war langjähriger Leiter des Bereichs Vermittlung, Forschung und Publikationen des Österreichischen Filmmuseums.