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Präsidentschaftswahl in Polen | Polen | bpb.de

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Präsidentschaftswahl in Polen

Claudia-Y. Matthes

/ 13 Minuten zu lesen

Die Polinnen und Polen wählen am 18. Mai ihr Staatsoberhaupt. Der Wahlausgang könnte Polens Kurs innen- wie außenpolitisch stark verändern. Eine mögliche Stichwahl ist für den 1. Juni angesetzt.

Bei der Präsidentschaftswahl am 18. Mai gelten die Kandidaten Karol Nawrocki für die PiS-Partei und Rafał Trzaskowski für die PO als besonders aussichtsreich. In Umfragen folgt ihnen Sławomir Mentzen für die Konfederacja. (© picture-alliance, NurPhoto | Aleksander Kalka)

Das Amt des Staatspräsidenten bzw. der Staatspräsidentin ist in Polen traditionell sehr einflussreich und zugleich immer wieder Gegenstand verfassungsrechtlicher Debatten. Diese betreffen die Befugnisse gegenüber dem Parlament und der Regierung, schon seitdem Interner Link: Polen 1918 mit der zweiten Republik wieder eigenständig wurde. Überhaupt spiegelt sich die bewegte Geschichte Polens im 20. Jahrhundert auch in diesem Amt. Die Exilregierung, die im Zweiten Weltkrieg nach London emigrierte und dort während der sozialistischen Volksrepublik residierte, war 1939 von Staatspräsident Ignacy Mościcki inauguriert worden und der letzte Exilpräsident Ryszard Kaczorowski übergab die Amtssymbole 1990 in Warschau feierlich an seinen demokratisch gewählten Nachfolger Lech Wałȩsa. Zuvor hatten die im Frühjahr 1989 geführten Verhandlungen am Runden Tisch das Präsidentenamt mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet. In den folgenden Jahren wurden diese reduziert, der Charakter des Regierungssystems blieb aber auch mit der neuen Verfassung von 1997 semi-präsidentiell.

Für die kommende Wahl am 18. Mai liegen drei Kandidaten in den Umfragen vorn: Rafał Trzaskowski, der Warschauer Bürgermeister von der liberal-konservativen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO), Karol Nawrocki, ein parteiloser Historiker, nominiert von der rechts-nationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS), und Sławomir Mentzen, Sejm-Abgeordneter der Partei Neue Hoffnung (Nowa Nadzieja), die zur rechtsextremen, nationalistischen Allianz Konföderation (Konfederacja) gehört und deren Ko-Vorsitzender Mentzen ist. Der amtierende Staatspräsident Andrzej Duda, welcher der PiS, nahesteht, kann aufgrund zwei vollendeter Amtszeiten nicht mehr antreten. Wegen der Polarisierung der politischen Lager sowie des Vetorechts des Staatspräsidenten in der Gesetzgebung, wird diese Wahl über die weitere Gestaltungskraft Interner Link: der jetzigen Regierung unter Donald Tusk (PO) entscheiden.

Wie wird das Staatsoberhaupt gewählt?

In Polen wird der:die Staatspräsident:in direkt vom Volk gewählt. Zuvor müssen sich die Kandidat:innen bei der Staatlichen Wahlkommission registrieren und 100.000 Unterschriften zu ihrer Unterstützung vorlegen. Es können Parteimitglieder oder Unabhängige antreten, die mindestens 35 Jahre alt und polnische Staatsbürger:innen sind. Erhält eine Person bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, so ist sie gewählt. Ansonsten kommt es 14 Tage später zu einer Stichwahl zwischen den beiden vorne liegenden Bewerber:innen. Dann genügt eine relative Mehrheit der Stimmen (Art. 127 der Verf.).

Das Staatsoberhaupt hat eine Amtszeit von fünf Jahren und kann einmal wiedergewählt werden. Die Parteizugehörigkeit muss nicht ruhen, andere öffentliche Ämter sollten aber nicht ausgeübt werden. Als Stellvertreter:in fungiert der:die Parlaments- also Sejm-Präsident:in. Bisher haben fünf Personen das Amt des Staatspräsidenten ausgeübt, wobei nur zwei von ihnen, Aleksander Kwaśniewski und Andrzej Duda, wiedergewählt wurden. Kwaśniewski ist zudem der einzige Kandidat, der für seine zweite Amtszeit nicht in eine Stichwahl musste (Ziemer/Matthes 2010: 215-218, Ziemer 2019).

Ein Amtsenthebungsverfahren kann nur von beiden Parlamentskammern (Sejm und Senat) gemeinsam beantragt werden, wenn das Staatsoberhaupt gegen die Verfassung oder Gesetze verstoßen hat. Zwei Drittel der Abgeordneten müssen dem Antrag zustimmen. Der Staatsgerichtshof (Trybunał Stanu) befindet über die Angelegenheit. Währenddessen ist der:die Staatspräsident:in suspendiert (Art. 145).

Funktionen des Staatspräsidenten

Die Leitung der Exekutive liegt seit 1997 klar bei dem:der Ministerpräsident:in. Da das Staatsoberhaupt aber direkt gewählt wird und in der Tagespolitik mitwirken kann, kommt es im politischen Alltag oft zu Kompetenzkonflikten. Dies ereignet sich insbesondere dann, wenn Staatspräsident:in und Ministerpräsident:in unterschiedlichen politischen Lagern angehören. Dies traf auf vier der bisher fünf Staatspräsidenten zu. Die Kohabitation ist in Polen also eher die Regel als die Ausnahme. Gleichzeitig konnten mehrere Ministerpräsident:innen in ihrer Amtszeit mit einem Präsidenten aus dem gleichen Lager ihre politischen Ziele realisieren. Zuletzt Mateusz Morawiecki (PiS), sogar während seiner gesamten Regierungszeit von 2015-2023.

Das Vorschlagsrecht zur Bildung einer Regierung liegt zunächst bei dem:der Staatspräsident:in. Sollte das Parlament der designierten Regierung allerdings nicht das Vertrauen aussprechen, muss dieses eine Kandidat:in berufen, ansonsten ist wieder der:die Präsident:in am Zug. Falls auch der dritte Schritt scheitert, muss der:die Staatspräsident:in Neuwahlen ausrufen (Art. 154-155). Bisher kamen fast alle Regierungen im ersten Versuch zustande. 2023 aber verzögerte sich die Regierungsbildung um einige Wochen, weil Staatspräsident Duda erneut den bisherigen Ministerpräsidenten Morawiecki mit der Regierungsbildung beauftragte, obwohl sein Scheitern im Parlament absehbar war (Flis 2023). Minister:innen oder Regierungschef:innen können das Staatsoberhaupt nicht abberufen, dies darf nur das Parlament. Der:die Staatspräsident:in wirkt zudem an der Gesetzgebung mit. Er oder sie kann eigene Gesetzentwürfe ins Parlament einbringen und vom Parlament verabschiedete Entwürfe mit einem Veto belegen. Abgeordnete können dies nur mit einer Dreifünftel-Mehrheit überstimmen (Art. 122). In der Praxis hatte bislang keine Regierung eine so umfassende Mehrheit, sodass ein Veto nur lagerübergreifend abgewehrt werden kann. Der:die Präsident:in kann zudem verfassungsrechtliche Bedenken äußern und einen Gesetzentwurf an das Verfassungsgericht überweisen. Verordnungen muss der:die Staatspräsident:in durch eine:n fachlich zuständige:n Minister:in gegenzeichnen lassen.

Die Auflösung des Parlaments kann der:die Staatspräsident:in nur anordnen, wenn es diesem nicht gelingt, innerhalb von vier Monaten den Staatshaushalt zu verabschieden. Während in diesem Fall 14 Tage Zeit sind, um nach Ermessen zu entscheiden (Art. 225), ist die Auflösung nach der endgültig gescheiterten Regierungsbildung zwingend.

Der:die Staatspräsident:in ist zudem der Oberbefehlshaber über das Militär, wobei in Friedenszeiten der:die Verteidigungsminister:in die Befehlsgewalt ausübt (Art. 134). Den Kriegs- oder Ausnahmezustand kann er oder sie nur auf Antrag des:der Ministerpräsident:in und mit Zustimmung des Parlaments verhängen. Bezüglich der Außenpolitik ist der Verfassungstext uneindeutig, er bezeichnet das Staatsoberhaupt als Repräsentant:in des Staates in den auswärtigen Beziehungen, zugleich heißt es, eine Abstimmung mit dem:der Ministerpräsident:in sowie dem:der Außenminister:in müsse erfolgen (Art. 133). Zwischen 2007 und 2010 kam es darüber öfter zu Streit mit der PO-geführten Regierung, weil Staatspräsident Lech Kaczyński (PiS) darauf beharrte, Interner Link: Polen bei Sitzungen des Europäischen Rates zu vertreten. Das von der Regierung angerufene Verfassungsgericht befand daraufhin, dass nur EU-Gipfel, welche die Sicherheitspolitik Polens berühren, in die Zuständigkeit des Staatsoberhauptes fallen (Ziemer 2019: 814f). In der Praxis blieb dieser Passus jedoch umstritten.

Wer tritt zur Wahl an?

Zur Wahl zugelassen hat die Nationale Wahlkommission elf Kandidaten und zwei Kandidatinnen. Knapp ein Drittel von ihnen ist parteilos. Ein bekannterer Kandidat ist Szymon Hołownia, für das Bündnis Dritter Weg (Trzecia Droga). Als Sejm-Präsident genießt er großen Respekt, weshalb er eine Zeitlang als möglicher Drittplatzierter gehandelt wurde (Kaluza 2025). Magdalena Biejat, Vize-Präsidentin des Senats, die für das Bündnis Die Linke (Lewica) antritt, sowie Joanna Senyszyn, ebenfalls eine linke Politikerin, fordern einen leichteren Zugang zur Abtreibung und eine liberale Migrationspolitik. Wenig Zuspruch finden die Kampagnen des linken Sejmabgeordneten Adrian Zandberg der Partei Gemeinsam (Razem) sowie die des rechtsextremen Europaabgeordneten Grzegorz Braun. Dieser wurde wegen seiner Kandidatur aus der Konfederacja ausgeschlossen und erlangte einige Prominenz durch seine Hetzreden und verstörenden Aktionen, z.B. als er bei einer Feier im Sejm einen Chanukka-Leuchter mit einem Feuerlöscher attackierte. Wegen dieser Aktion verlor er im Mai 2025 seine Immunität.

Umfragen zufolge werden nur drei Kandidaten realistische Chancen eingeräumt:

Rafał Trzaskowski, PO-Kandidat (© picture-alliance, Anadolu | Jakub Porzycki)

Rafał Trzaskowski ist 53 Jahre alt, promovierter Politikwissenschaftler, ehemaliger Abgeordneter im Europäischen Parlament (2009-2013), Minister für Verwaltung und Digitalisierung (2013-14), Staatssekretär für Europa (2015) und seit 2018 Bürgermeister von Warschau (2024 wiedergewählt mit 57,4 Prozent der Stimmen). Er trat schon 2020 für die PO an und verlor im zweiten Wahlgang knapp gegen Andrzej Duda mit 49 Prozent der Stimmen. Für seine erneute Kandidatur setze er sich in einer parteiinternen Vorauswahl im November 2024 klar gegen den jetzigen Außenminister Radosław Sikorski durch. In seinem Wahlkampf versucht er auch bei gemäßigt konservativen Wähler:innen in ländlichen Regionen zu punkten und thematisiert vor allem deren Anliegen: Sicherheit, Landwirtschaft und wirtschaftliche Entwicklung. Eigentlich gehört er zum sozialliberalen Flügel der PO, unterstützt die Rechte von Frauen und nahm als erster Bürgermeister in Polen an einer LGBT-Parade teil. Gegenüber seinen Konkurrenten präsentiert sich Trzaskowski als Mann mit politischer Erfahrung, wobei diese ihn häufig als „Diener“ Europas und Deutschlands verunglimpfen (Szczerbiak 2025). Als Vertreter der Regierungspartei könnte er von enttäuschten Wähler:innen stellvertretend abgestraft werden, auch wenn einige Reformen an der Blockade durch Staatspräsident Duda scheiterten. Regierungschef Tusk hält sich aus Trzaskowskis Kampagne weitgehend heraus.

Karol Nawrocki wird als Präsidentschaftskandidat von der PiS unterstützt. (© picture-alliance, NurPhoto | Andrzej Iwanczuk)

Karol Nawrocki, 42-jähriger promovierter Historiker, wurde recht überraschend nominiert. Er tritt als parteiloser Kandidat für die PiS an, die keine formelle Wahl zwischen verschiedenen Konkurrenten abhielt, aber zunächst mehrere Namen ins Spiel brachte. Nawrocki hat bisher kein politisches Amt inne, sondern war ab 2017 erst Direktor des Danziger Museums des Zweiten Weltkriegs und leitet seit 2021 das Institut für Nationales Gedenken (IPN). Beide Einrichtungen richtete die PiS auf ihre geschichtspolitischen Vorstellungen aus. Nawrocki ließ als Chef des IPN noch existierende sowjetische Monumente in Polen abtragen und auch sonst liegt er politisch auf Linie der PiS. Parteichef Jarosław Kaczyński begründete seine Auswahl damit, dass sich Polen in einem „internen Krieg“ befinde und es einen unabhängigen Kandidaten bräuchte, um diesen zu befrieden (Tilles 2024). Damit will die PiS zudem den Überraschungserfolg von 2015 wiederholen, als Andrzej Duda gegen Brosnisław Komorowski von der PO gewann, obwohl dieser wie Trzaskowski stets die Umfragen angeführt hatte. Nawrocki betont ebenfalls das Thema Sicherheit und kritisiert die Migrations- und Klimapolitik der EU. Ansonsten gibt er sich als hemdsärmeliger, sportbegeisterter Aufsteiger aus bescheidenem Milieu und betont seinen katholischen Glauben. Manche seiner Auftritte geraten allerdings recht ungeschickt. So äußerte er sich am dritten Jahrestag des Angriffskrieges nicht zur Lage in der Ukraine, sondern besuchte eine Fleischerei und im März wurde bekannt, dass er mit einer falschen Identität eine seiner Veröffentlichungen beworben hatte. Aktuell muss sich Nawrocki dafür rechtfertigen, die Wohnung eines älteren Herrn erworben zu haben, ohne die als Gegenleistung versprochene Betreuung eingehalten zu haben.

Sławomir Mentzen, Kandidat der Konfederacja (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Attila Husejnow)

Sławomir Mentzen ist seit 2023 Abgeordneter im Sejm, äußert sich im Verhältnis zu Nawrocki noch dezidierter als EU-Kritiker, teilt die Geschichtspolitik der PiS sowie deren Forderungen nach Reparationen durch Deutschland. Er ist mit 38 Jahren der jüngste Bewerber, hat einen Abschluss in Physik und in Wirtschaftswissenschaften promoviert, führt eine Kanzlei und pflegt als Hobby das Bierbrauen. Er spricht sich für den privaten Besitz von Waffen aus und ist gegen die militärische Unterstützung der Ukraine. Zudem teilt er die Außen- und libertäre Wirtschaftspolitik des US-Präsidenten Donald Trump unter dem Motto „Silna i Bogata Polska“ (Starkes und Reiches Polen). Mentzen ist vorwiegend in sozialen Medien aktiv, vor allem auf TikTok, wo er insbesondere bei jungen Männern punktet und mehr als eine Millionen Follower hat (Sendhardt 2025a).

Worum geht es im Wahlkampf?

Im Wahlkampf, der im Januar mit Verkündung des Wahltermins offiziell begann, dominieren die Themen Interner Link: Sicherheit, Interner Link: Wirtschaft und Interner Link: Migration, vermengt mit EU-Kritik. Zunehmend wird auch der Regierungswechsel in den USA relevant. Diese Anliegen präferiert laut Umfragen auch die polnische Gesellschaft. In den öffentlich-rechtlichen Medien finden alle Kandidaten gleichmaßermaßen Beachtung, das war während der letzten Präsidentschaftswahlen noch ganz anders, als die Interner Link: von der PiS gelenkten Medien parteiisch berichteten und Trzaskowski als Kandidat der Opposition kaum vorkam. Trotzdem beklagt die PiS, sie werde benachteiligt und rief über die Kampagne „Ruch Ochrony Wyborów 2025“ Freiwillige dazu auf, die Wahl zu überwachen (Pyka 2025). Eine sachliche Grundlage für diese Befürchtung gibt es jedoch nicht. Bisher verläuft der Wahlkampf recht moderat, eine Zuspitzung wird erst vor dem zweiten Wahlgang erwartet.

In der Sicherheitspolitik fordern Nawrocki wie Trzaskowski, die Armee auf 300.000 Soldat:innen aufzustocken und die Ausgaben für Verteidigung bis 2026 auf fünf Prozent des BIP zu heben. In dieser Frage gibt es auch zwischen Ministerpräsident Tusk und Staatspräsident Duda wenig Dissens. Gegenüber der Ukraine hingegen zeigt die bisher einheitlich anti-russische Haltung von PO und PiS erste Risse. Beim Zugang ukrainischer Geflüchteter zu Sozialleistungen schlagen beide Kandidaten inzwischen ähnliche Töne an, wie die Konfederacja. So kündigte Nawrocki im Falles seines Wahlsieges Gesetze an, die für Ukrainer:innen den Umfang von medizinischer Versorgung reduzieren sollen. Trzaskowski gibt sich diesbezüglich moderater, hat aber auch geäußert, dass nur noch diejenigen Familien aus der Ukraine Kindergeld beziehen sollen, die Steuern zahlen (Szczerbiak 2025). Zugleich erschien kürzlich eine Studie der Polnischen Entwicklungsbank BGK, die belegt, dass die ukrainischen Zuwander:innen insgesamt mehr zum Steueraufkommen beitragen, als sie an Leistungen erhalten. Überhaupt wird Migration im Wahlkampf negativ besprochen, obwohl die BGK auch vorrechnete, dass Polen Interner Link: wegen des demographischen Wandels – also aufgrund der niedrigen Geburtenrate und alternden Bevölkerung – bis 2040 die Zuwanderung von ca. zwei Millionen weiterer Menschen in den Arbeitsmarkt benötige (Sendhardt 2025a).

Den EU- und NATO-Beitritt der Ukraine bewerten die Kandidaten unterschiedlich. Mentzen spricht sich gänzlich dagegen aus und möchte eine Vereinbarung mit Russland erreichen, während Nawrocki sich widersprüchlich äußert. Einerseits betont er die Relevanz der bilateralen Beziehungen, andererseits sieht auch er den EU- und NATO-Beitritt skeptisch. Nur Trzaskowski versichert der Ukraine weiterhin die uneingeschränkte Unterstützung. Donald Tusk hat aber bereits erklärt, keine polnischen Truppen zur Sicherung eines eventuellen Abkommens mit Russland zu entsenden. In der Debatte über die Ukraine spielt nun auch das Massaker von Wolhynien, bei dem im Zweiten Weltkrieg ukrainische Nationalisten ca. 100.000 Polinnen und Polen töteten, eine große Rolle. PiS und Konfederacja fordern schon länger, die Ukraine solle ihr Verhältnis Interner Link: zu Stepan Bandera, dem Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten, und deren konkreter Rolle bei dem Massaker, das in Polen als Völkermord gewertet wird, reflektieren und außerdem die Exhumierung der Ermordeten zulassen. Ministerpräsident Tusk hat allerdings bereits im Januar 2025 mit der ukrainischen Führung vereinbart, dass die ersten Exhumierungen im Frühjahr beginnen (Tilles 2025a).

Gemeinsamkeiten zwischen den drei Kandidaten bestehen darin, dass sie die polnische Landwirtschaft besser vor internationaler Konkurrenz schützen wollen, auch aus der Ukraine. Deshalb lehnen sie das Freihandelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten ab. Unterschiede bestehen dahingehend, dass Mentzen und Nawrocki, bzw. die PiS insgesamt, sich den Protesten polnischer Landwirte und der Gewerkschaft Solidarność gegen das billigere ukrainische Getreide angeschlossen haben und zugleich gegen die Umweltpolitik der EU sowie den European Green Deal agitieren. Mentzen fordert zwar nicht mehr den EU-Austritt Polens, wie noch im Parlamentswahlkampf 2023, ist aber ihr schärfster Kritiker. Nawrocki plädiert dafür, weiter auf Kohleenergie sowie Atomkraft zu setzen, während Trzaskowski im Sinne der EU-Klima- und Energiepolitik die Strompreise durch den Ausbau der Erneuerbaren senken möchte. Differenzen in wirtschaftspolitischer Hinsicht bestehen zwischen Mentzen auf der einen Seite, wegen seiner Forderungen nach Deregulierung, sowie Nawrocki und Trzaskowski auf der anderen, die beide staatliche Steuerung befürworten. Nawrocki kündigte an, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel abzuschaffen sowie die Einkommenssteuer für Familien mit zwei oder mehr Kindern und einem Jahreseinkommen von 140.000 Złoty je Elternteil zu kappen. Seine Forderung, auch die Erbschaftssteuer abzuschaffen, kritisieren Experten jedoch als Maßnahme, die vor allem Menschen mit höheren Einkommen zu Gute komme (Sendhardt 2025b).

Die Reform des strengen Abtreibungsrechts unterstützt allein Trzaskowski. Dieses Versprechen war 2023 ein wesentlicher Grund für viele Frauen, die PO zu wählen. Ein erster Gesetzentwurf, welcher Personen, die den Zugang zu einer Abtreibung unterstützen, entkriminalisieren sollte, scheiterte bereits im Parlament an unterschiedlichen Positionen innerhalb der Regierungskoalition. Staatspräsident Duda legte im Juli 2024 ein Veto gegen das Vorhaben ein, die „Pille danach“ wieder leichter zugänglich zu machen. Nawrocki und Mentzen sprechen sich vehement und grundsätzlich gegen Abtreibungen aus, während Trzaskowski erneut für Reformen plädiert und auch weiterhin dafür, die „Pille-danach“ kostenfrei zu erhalten (Tilles 2025b). Dieses Thema mobilisiert aktuell aber weniger Frauen als bei der Parlamentswahl, wegen Ermüdung und Frustration, weil die Versprechen aus dem letzten Wahlkampf bisher nicht umgesetzt wurden.

Möglicher Ausgang der Wahlen und Konsequenzen für die Tusk-Regierung

In den Umfragen liegt Trzaskowski kontinuierlich vorne, sein Vorsprung ist allerdings eingeschmolzen. Offen ist noch, wer ihm in der potenziellen Stichwahl gegenüberstehen wird. Nawrocki konnte seinen Abstand zu Mentzen wieder ausbauen, sodass es wie bei jeder Wahl seit 2005 zu einem Duell zwischen der PO und der PiS kommen könnte. Dies ist vermutlich auch der Grund, warum Trzaskowski und Nawrocki nicht sehr hart mit Mentzen umgehen, um seine Wählerschaft dann ins eigene Lager ziehen zu können.

Das Wahlverhalten des rechten Lagers wird also entscheidend sein, wobei die Wähler:innen von PiS und Konfederacja sehr unterschiedlich sind: Letztere sind zu 63 Prozent jünger als 34 Jahre und zu 78 Prozent männlich. Sie stehen politisch rechts, sind aber nicht sehr religiös und zu 80 Prozent gegen die Interner Link: Anwesenheit der Ukrainer:innen im Land. Die PiS-Wählerschaft hingegen ist älter, gläubig, kann mit Konfederacjas libertärer Wirtschaftspolitik nichts anfangen und zeigt eine höhere Wahlbeteiligung als die Jungen. Unter ihnen ist zudem die Kritik an Russland deutlicher ausgeprägt (Sendhardt 2025a, 2025b). Entscheidend für ihr Wahlverhalten könnte daher auch sein, ob und welche Art von Einigung für die Ukraine gefunden wird. Denn während Mentzen klar auf Seiten Trumps steht, bereitet dieser der PiS Probleme. Sie sah sich immer als Freund der USA, insbesondere der Republikaner, und versprach sich Sicherheit vornehmlich über die NATO und nicht die EU. Diese Haltung ist jedoch bei einem Präsidenten Trump, der die NATO infrage stellt, mit einem Truppenabzug aus Polen liebäugelt und Präsident Duda kühl und kurz empfing, schwierig. In Umfragen bewertet nur noch ein Drittel der Polinnen und Polen, die Beziehungen zu den USA als positiv und 60 Prozent äußern sich besorgt bezüglich Trumps Präsidentschaft. Elon Musks Drohung, die Ukraine nicht mehr durch seine Satelliten zu schützen, schürt in Polen ebenfalls Ängste.

Nawrocki und Mentzen haben zudem beide das Problem, dass die polnische Wahlkommission die Wahlkampfkostenerstattung aus 2023 für ihre Parteien wegen Unregelmäßigkeiten, bzw. im Falle Konfederacjas auch einer zu späten Abgabe, zurückhält. Bisher lehnen beide Parteien eine Zusammenarbeit klar ab. Nach einer Einladung von Staatspräsident Duda an Mentzen im März diesen Jahres diskutieren manche Beobachter:innen, ob dies nicht doch als Annäherung zu werten ist.

Neben der Positionierung der Kandidaten, hängt der Wahlausgang auch von der Wahlbeteiligung ab. Diese war stets höher als bei Parlamentswahlen und 2020 stimmten im zweiten Wahlgang sogar 68,18 Prozent der Wähler:innen ab. Die PO-Wählerschaft ist jedoch mitunter weniger aktiv als die der PiS.

Verliert Trzaskowski die Präsidentschaftswahl, werden die Reformpläne der Regierung weiter stagnieren. Gewinnt er, muss er nach einem rechtsorientierten Wahlkampf den Ausgleich mit der Linken suchen, deren Mandate für den Fortbestand der Regierung gebraucht werden. Sollte hingegen Nawrocki gewinnen, kann sich Kaczyński in seiner Strategie bestätigt fühlen, auch in Richtung seiner Partei. Denn dass Nawrocki des Öfteren betont, ein unabhängiger Bürgerkandidat zu sein, so z.B. bei der ersten Fernsehdebatte im April, goutieren nicht alle in der PiS. Es bleibt also spannend, ob die offizielle Fernsehdebatte mit allen Kandidat:innen vom 12. Mai noch unentschlossene Wähler:innen beeinflussen wird – überraschende Wendungen brachte sie allerdings nicht – und wer letztlich die Wahl für sich entscheiden wird. Am 6. August wird der Sieger als neuer Staatspräsident ins Amt eingeführt.

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Claudia-Y. Matthes lehrt und forscht im Gebiet der Vergleichenden Politikwissenschaft zur europäischen Integration und zur Demokratie in Mittel- und Osteuropa. Sie ist akademische Leiterin der Internationalen Masterprogramme am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.