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Analyse: Russlands Propagandapyramide: Ein Modell zur Analyse staatlich organisierter Desinformation | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Russlands Propagandapyramide: Ein Modell zur Analyse staatlich organisierter Desinformation Russland-Analyse Nr. 470

Alexander Dubowy

/ 8 Minuten zu lesen

Russlands Desinformation funktioniert, weil sie Falschinformationen mit selektiven Fakten vermischt, emotional auflädt, von Experten untermauert und ein ganzheitliches Weltbild anbieten kann.

Der Moderator Wladimir Solowjew bei einer Bildungsveranstaltung am WDNCh.

Zusammenfassung

Wenn in Russland über den Ukrainekrieg berichtet wird, wirkt es wie ein chaotisches Nebeneinander aus Siegesmeldungen, Drohungen und Verschwörungstheorien. Doch in Wirklichkeit folgt diese Propaganda einem klaren Muster. An der Basis stehen ausgewählte Fakten und gezielte Falschmeldungen, die zu einer scheinbar neutralen Berichterstattung zusammengesetzt werden. Diese wird mit starken Emotionen aufgeladen – Musik, Bilder und Schlagworte lenken die Wahrnehmung. Nationale und internationale "Experten", auch aus dem Westen, suggerieren Pluralität. An der Spitze dieser "Propagandapyramide" steht ein geschlossenes Weltbild: Russland als belagerte Festung, der Westen als moralisch verkommen mit der Ukraine als seinem "faschistoiden Vasall". Widerspruch ist Methode – er soll verwirren und gegen kritisches Denken immunisieren. So wird eine alternative Realität erzeugt, in der am Ende nur eines gilt: "Es ist alles nicht so eindeutig."

Herausgeber der Länderanalysen

Die Russland-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V., dem Deutschen Polen-Institut, dem Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, dem Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung und dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) gGmbH gemeinsam herausgegeben. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht die Analysen als Lizenzausgabe.

Wenn in Russland zur besten Sendezeit über die Ukraine gesprochen wird, gleicht das einem choreographierten Ritual. Mal sind es Loblieder auf Erfolge russischer Streitkräfte, mal martialische Drohungen gegen den Westen, mal hysterische Warnungen vor "Nazi-Horden". Was in der propagandistischen Dauerbeschallung zunächst wie ein chaotisches Nebeneinander erscheint, folgt in Wahrheit einem präzisen Muster – einem strategischen Zirkelschluss, der den Krieg rechtfertigt, die Bevölkerung verblendet, Fakten fragmentiert und eine alternative Realität schafft. Denn über allem steht das in Russland gängige, resignative Mantra: "Es ist alles nicht so eindeutig. "

Die Propagandapyramide

Das strukturgebende Element der Desinformationsarchitektur des Kremls ist die sogenannte Propagandapyramide. Sie basiert auf einer hierarchischen Ordnung, die gezielt darauf ausgerichtet ist, Wahrnehmung, Denken und Emotionen der Bevölkerung systematisch zu steuern.

Die Ebenen der Propagandapyramide:

  • Basis: Mischung aus Falschinformationen und selektiven Fakten

  • Zweite Ebene: Emotionalisierende Berichterstattung

  • Dritte Ebene: Expertenmeinungen

  • Überbau: Geschlossenes Weltbild

Das Fundament der Pyramide bildet eine Mischung aus Falschinformationen und selektiven Fakten. Dabei werden nur jene Ereignisse, die das gewünschte staatliche Narrativ stützen, kommuniziert, während widersprechende oder kritische Fakten systematisch ausgeblendet werden. Dies geschieht in Talk-Runden wie "Der Abend mit Wladimir Solowjow", "60 Minuten", "Das große Spiel" als auch in den allabendlichen lokalen sowie landesweiten Fernsehnachrichten. Auf diesen gefilterten Fakten fußt die vermeintlich neutrale Berichterstattung. Doch Neutralität ist in diesem System Illusion: Die Berichterstattung wird bewusst mit Emotionen aufgeladen, etwa durch Musik, suggestive Bildmontagen oder die Auswahl sprachlicher Frames, die das Publikum in eine bestimmte Richtung lenken sollen. Auf der dritten Ebene folgen die Expertenmeinungen, oftmals internationale Experten und manchmal sogar aus dem westlichen Ausland. So ist nach Februar 2022 neben dem US-amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs der Politikwissenschaftler John Mearsheimer ein gern gesehener wirkmächtiger Gast russischer Propaganda. Die Experten sollen scheinbar unabhängige Standpunkte vertreten, bewegen sich jedoch in eng vorgegebenen Grenzen und reproduzieren den staatlichen Deutungsrahmen. Der solcherart erzeugte Scheindiskurs soll die Illusion einer offenen Debatte schaffen, während inhaltlich nur eine regimetreue Interpretation zulässig bleibt. An der Spitze der Pyramide verdichtet sich dieses orchestrierte Zusammenspiel zu einem geschlossenen Weltbild: Russland erscheint als "schuldlos belagerte Festung" im Kampf für die Multipolarität und gegen die Globalhegemonie der USA, der Westen als "moralisch verfallener Aggressor", die Ukraine als "faschistoider Vasallenstaat des westlichen Imperialismus". Dieses Weltbild wird nicht argumentativ verteidigt, sondern durch ständige Wiederholung, gezielte Feindbildkonstruktionen und emotionale Mobilisierung verankert.

So entsteht ein in sich geschlossenes propagandistisches System, das nicht über Tatsachen informiert, sondern gegen Tatsachen immunisieren soll – gegen Zweifel, gegen Kritik und gegen jede Form alternativer Wirklichkeitswahrnehmung.

Die Flexibilität der Wahrheit: Postmoderne als Herrschaftsinstrument

Bemerkenswert ist, dass die russische Propaganda kein schlüssiges ideologisches System mehr benötigt. Im Gegenteil: Die Widersprüchlichkeit der Narrative ist Teil dieser Medienstrategie. Die russische Propaganda operiert damit nicht nur in der Tradition klassischer Desinformationsstrategien, sondern spiegelt das, was Jean Baudrillard als "Hyperrealität" bezeichnet: ein Mediensystem, das die Simulation zur eigentlichen Realität erhebt. Michel Foucault würde von einem "Wahrheitsregime" sprechen: einem diskursiven System, das nicht bloß Inhalte produziert, sondern die gesellschaftlichen Regeln und Institutionen definiert, nach denen Wahrheit überhaupt anerkannt oder verworfen wird. Die russische Propaganda operiert genau innerhalb eines solchen Regimes – sie gestaltet nicht nur, was gesagt wird, sondern auch, was als sagbar gilt. In dieser propagandistischen Ordnung wird auch die Illusion von Wahlmöglichkeiten bewusst kultiviert, ähnlich wie von Shoshana Zuboff im Kontext des "Überwachungskapitalismus" beschrieben: Die scheinbare Vielfalt maskiert eine unsichtbare Architektur der Steuerung, in der die gesellschaftliche Wahrnehmung systematisch auf Loyalität gegenüber dem bestehenden Machtgefüge ausgerichtet wird. Diese theoretischen Linien verbinden sich im russischen Kontext zu einem einzigartigen Propagandamodell: Es geht nicht mehr um die Durchsetzung einer verbindlichen Wahrheit, sondern um die kontrollierte Auflösung von Wahrheit als gesellschaftlichem Bezugspunkt.

Mal wird die Ukraine als "schwacher Vasall des Westens" dargestellt, mal als "übermächtiger Aggressor". Mal gilt es, das "ukrainische Brudervolk" vor "Willkürherrschaft nationalistischer Eliten" zu schützen, mal wird die Vernichtung der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert. Dieses Nebeneinander schafft nicht Verwirrung, sondern Wahlmöglichkeiten für das Publikum. Jeder kann sich das Narrativ heraussuchen, das zu seiner Weltsicht passt. Hauptsache, die strukturelle Loyalität gegenüber dem Putin-Regime bleibt unangetastet. Genau dieses Prinzip ist in Russland zur dominanten Logik geworden. Die russische Propaganda schafft eine Sphäre radikaler Ambiguität, in der selbst offenkundige Fakten als Teil eines größeren Komplotts abgetan werden können.

Die gängige Floskel "Es ist alles nicht so eindeutig " hat sich dabei zu einer gesellschaftlichen Abwehrformel entwickelt. Der Kern der propagandistischen Erzählung ist die Behauptung, dass man die Wahrheit ohnehin niemals erfahren werde – alles sei zu kompliziert, zu widersprüchlich, zu undurchschaubar. Diese Einstellung ist das Produkt jahrzehntelanger Desorientierung und Ent-/Politisierung russischer Gesellschaft durch mediale Überreizung, strategische Desinformation und selektive Wahrnehmungssteuerung.

Die hybride Medienlandschaft: Zwischen Repression und Radikalität

Ein häufig unterschätztes Element ist die hybride Struktur der russischen Medienlandschaft: Selbst in sozialen Netzwerken wie Telegram, die lange als Nischenorte des Widerstands galten, dominiert heute ein erheblicher Anteil radikal-propagandistischer Inhalte. Russische Pro-Kriegs-Blogger, sogenannte "Woenkory" [Kriegsberichterstatter], genießen dort hohe Reichweiten und treiben eine oft noch radikalere Agenda als die offiziellen Kanäle. Zu den einflussreichsten zählen dabei Rybar, WarGonzo und Alexander Kots, die täglich Frontberichte, strategische Einschätzungen und explizit prorussische Kriegspropaganda veröffentlichen.

Wichtige Voenkory auf Telegram:

  • Rybar: einer der größten Kanäle, veröffentlicht taktische Karten und Kriegspropaganda

  • WarGonzo: frontnaher Kriegsblogger mit hoher Reichweite, kommuniziert häufig Vorwürfe gegen das Verteidigungsministerium

  • Alexander Kots: Kriegskorrespondent mit Zugang zu russischen Streitkräften, kommentiert teilweise auch regierungskritisch das Vorgehen, nicht aber die Zielsetzung

Interessanterweise wird innerhalb dieser Szene das russische Regime regelmäßig kritisiert – allerdings nicht wegen des Krieges selbst, sondern meist mit der Forderung nach einem härteren, brutaleren Vorgehen – zunehmend auch wegen der schlechten Behandlung russischer Soldaten. Diese systemkonforme Radikalität wird von den russischen Sicherheitsbehörden bislang weitgehend toleriert. Die Woenkory fungieren dabei nicht nur als Verstärker radikaler Kriegsrhetorik, sondern als integraler Bestandteil eines kontrollierten Resonanzraums. Sie schaffen ein propagandistisches Korrektiv von unten, das den Eindruck von Pluralität erzeugt, jedoch in Wahrheit die Grenzen des Sagbaren stabilisiert. Das scheinbare Nebeneinander von offizieller Linie und radikal-patriotischer Kritik ist somit Teil einer flexiblen Machtarchitektur. Die rote Linie verläuft dort, wo die persönliche Autorität Wladimir Putins infrage gestellt oder die militärische Führung in einer Weise diskreditiert wird, die Zweifel an der Kriegsführung insgesamt wecken könnte. Solange sich die Kritik aber auf das operative Management und die Geschwindigkeit des Krieges beschränkt, bleiben selbst drastische Vorwürfe folgenlos.

Die ambivalente Rolle des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB ist dabei zentral: Dieser überwacht die Kanäle genau, schränkt sie aber nicht systematisch ein – im Gegenteil, teilweise dienen sie einer gelenkten Ventilfunktion. Über die Woenkory wird Frustration kanalisiert, militärische Erfolge werden heroisiert und das propagandistische Grundnarrativ gestützt. Das scheinbar unkontrollierte digitale Kriegsgeheul ist damit Teil einer flexiblen Machterhaltungsstrategie.

Die klassische Dichotomie aus regimetreuem Fernsehen und regierungskritischem Internet ist also zu einem Teil überholt. In Russland ist der digitale Raum heute ebenso durchdrungen von staatlicher Propaganda und Kriegsrhetorik wie das Fernsehen.

Das kalkulierte Timing der Drohungen

Wer die Eskalationsrhetorik russischer Medien über Jahre hinweg verfolgt, erkennt ein klares Muster: Die schärfsten Drohungen gegen den Westen – insbesondere nukleare – erfolgen nicht willkürlich, sondern stehen regelmäßig in direktem Zusammenhang mit außenpolitischen Ereignissen. Russische Talkshows und Nachrichtensendungen greifen dann zur atomaren Keule, wenn entscheidende westliche Waffenlieferungen bevorstehen, neue Sanktionspakete verhandelt werden oder symbolisch aufgeladene westliche Gipfeltreffen stattfinden. Besonders deutlich zeigte sich dieses Muster bei den Ankündigungen über die Lieferung westlicher Kampfpanzer und später von F-16-Kampfflugzeugen an die Ukraine – flankiert von einer Flut an Prophezeiungen nuklearer Vergeltung. Solche rhetorischen Spitzen erfüllen mehrere Zwecke: Sie dienen der Einschüchterung des Westens, der Mobilisierung der eigenen Bevölkerung und der Stabilisierung des innenpolitischen Diskurses, indem sie den Krieg als unausweichliche Abwehrschlacht gegen äußere Feinde inszenieren.

Das propagandistische Schweigen

Mindestens ebenso aufschlussreich wie das, was gesagt wird, ist in Russland das, worüber geschwiegen wird. Die Meuterei Jewgeni Prigoschins wurde medial zunächst totgeschwiegen, später bagatellisiert und schließlich als Konflikt unter Patrioten ohne staatsfeindliche Absichten eingeordnet. Eine offene Debatte über die strukturelle Fragilität des Regimes blieb naheliegenderweise aus. Bis heute wird Prigoschins Marsch auf Moskau nicht als Symptom einer tiefen Krise behandelt, sondern als abgeschlossenes Kapitel, das die Einheit des Staates am Ende sogar gestärkt habe.

Ähnlich verfahren die russischen Medien bei Angriffen innerhalb Russlands, etwa auf die Krim-Brücke oder auf Flugplätze in tiefem russischen Hinterland. Zunächst wird versucht, die Angriffe zu leugnen oder herunterzuspielen. Erst wenn sich die Fakten nicht mehr verbergen lassen, werden die Ereignisse in das bestehende Deutungsmuster eingepasst: als "feiger Terrorismus", als "Sabotage westlicher Geheimdienste", als Beweis für die "Niedertracht der Ukraine".

Die systematische Vermeidung von Diskussionen über die operative Verwundbarkeit Russlands gehört dabei zur Strategie. Dass die Kriegsrealität Russland längst erreicht hat, wird in den Hauptnachrichten nicht thematisiert – stattdessen wird über kleinere Erfolge an der Front, über westliche Dekadenz oder die historische Mission Russlands berichtet.

Die unsichtbaren Toten

Besonders perfide ist der Umgang mit den eigenen Verlusten. Der Krieg hat Hunderttausende Tote und Verletzte gefordert – doch in der russischen Öffentlichkeit sind diese Opfer weitgehend unsichtbar. Offizielle Zahlen werden kaum genannt, Beerdigungen werden lokaler Berichterstattung überlassen oder finden im medialen Abseits statt. Der Tod wird individualisiert und entpolitisiert – er erscheint als Schicksal, nicht als Folge staatlicher Entscheidungen. Gleichzeitig wird der Krieg als patriotischer Akt verklärt, als Prüfung für die "große russische Zivilisation", in der persönliche Opfer einen quasi sakralen Sinn erhalten.

Die systematische Leerstelle in der Berichterstattung erzeugt dabei genau jenen psychologischen Effekt, den die russische Propaganda gezielt anstrebt: Das gesellschaftliche Gedächtnis formt sich nicht durch das Ereignis, sondern durch das, was kollektiv erinnert oder gezielt verdrängt wird. Die Abwesenheit der Opfer in der medialen Wahrnehmung schützt das Regime vor gesellschaftlicher Erosion.

Der Westen im Spiegel russischer Talkshows

Auffällig ist, dass das russische Propagandanarrativ über die USA nicht konsistent feindlich ist. Donald Trump wird in Russland überwiegend wohlwollend dargestellt – nicht als Feind, sondern als potentieller Partner. Wenn Trump sich kritisch zu ukrainischen Angriffen oder US-Waffenlieferungen äußert, wird dies von russischen Medien mit Genugtuung aufgenommen, oft prominent in Talkshows und Nachrichtensendungen verwertet. Trump gilt dort als Stimme der Vernunft im "kranken Westen", als Politiker, der den Krieg unnötig finde und sich von der "aggressiven NATO" distanzieren wolle. Dabei ist auffällig, wie selektiv Trumps Aussagen medial verwertet werden. Komplexe Äußerungen werden auf kriegsablehnende Schlagworte reduziert, kritische Aussagen über Russland bleiben ausgeblendet.

Dieses Bild wird den Russen systematisch vermittelt: Die USA seien ein gespaltenes Land, das unter der Führung der Demokraten den Krieg begonnen habe, während "Realisten" wie Trump den Frieden suchen würden. Diese selektive Rezeption dient dazu, die moralische Legitimität des russischen Vorgehens zu untermauern und den Westen als in sich zerstritten darzustellen. Die Debatten in den USA über Waffenlieferungen oder die NATO-Osterweiterung werden dabei nicht als demokratische Willensbildung, sondern als Anzeichen innerer Dekadenz angeführt von einem "allmächtig-korrupten Tiefenstaat" interpretiert.

Systematische Immunisierung gegen die Wahrheit

Russlands Propaganda zielt letztlich nicht darauf ab, die Bevölkerung geschlossen hinter einem ideologischen Banner zu versammeln. Sie immunisiert die Gesellschaft gegen aufgeklärtes kritisches Denken, erzeugt kognitive Trägheit und emotionale Erschöpfung. Widersprüche werden bewusst produziert, um durch Überforderung eine allgegenwärtige Lähmung zu erzeugen. Der Glaube an die Wahrheit hat zu schwinden und der einzig wahrhaftigen Losung "Es ist alles nicht so eindeutig" zu weichen.

In diesem Sinne ist die russische Propaganda ein System der Desorientierung – eine industriell organisierte Produktion von Ambiguität. Wer sie durchschauen möchte, muss also weniger auf das achten, was ausgesprochen wird, sondern auf das, was unerwähnt bleibt. Denn die gefährlichste Waffe des Systems ist nicht das Wort – es ist das Schweigen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Alexander Dubowy (Gesellschaft für Eurasische Studien (EURAS), Wien) ist Forscher im Bereich internationaler Beziehungen und Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt auf Osteuropa, Russland und dem GUS-Raum. Er studierte Rechtswissenschaften, Wirtschafts- und Politikwissenschaften in Wien und Moskau und promovierte in Rechtswissenschaften zur Verfassungsordnung Russlands und dem Institut der Präsidentschaft. Darauf folgte eine langjährige Forschungs- und Lehrtätigkeit an nationalen und internationalen Forschungs- und Bildungseinrichtungen.