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Öffentliche Wahrnehmung von Migration und Migrationspolitik in Spanien | EU-Migrations- und Asylpolitik | bpb.de

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Öffentliche Wahrnehmung von Migration und Migrationspolitik in Spanien

Sebastian Rinken

/ 5 Minuten zu lesen

Spanien ist mittlerweile weltweit eines der wichtigsten Zielländer von Migration. Dennoch ist die Wahrnehmung der Bevölkerung eine andere als in vielen anderen EU-Ländern. Wie kommt das?

Plaza Major in der Altstadt von Madrid/Spanien (© picture-alliance, Joko | Joko)

Spanien hat sich mit bemerkenswerter Geschwindigkeit zu einem der Hauptzielländer internationaler Migration entwickelt. Seit der Jahrtausendwende hat sich die Zahl der im Ausland geborenen Einwohner:innen vervierfacht (vgl. Abb. 1); einschließlich ihrer Nachkommen ist nun etwa ein Viertel der spanischen Bevölkerung ausländischer Herkunft. Das Gesamtbevölkerungswachstum in diesem Zeitraum – von 40 Millionen auf fast 50 Millionen – ist eindeutig auf die internationale Migration zurückzuführen. Dieser tiefgreifende demografische Wandel vollzog sich in zwei wesentlichen Phasen, von denen die zweite noch andauert. Die Einwanderungsbewegungen nahmen während einer Phase intensiven Wirtschaftswachstums rasant zu, kamen dann aufgrund einer schweren Rezession (2008-2013) und der COVID-19-Pandemie vorübergehend zum Erliegen, haben sich aber seit 2022 wieder auf ein jährliches Nettovolumen von einer halben Million Menschen oder mehr eingependelt.

Die Einwanderung nach Spanien wird in erster Linie durch Beschäftigungsmöglichkeiten in Sektoren wie Landwirtschaft, Bauwesen, Haushaltsdienstleistungen oder Gastgewerbe angetrieben; sie wird durch eine Politik unterstützt – Kritiker:innen würden sagen: angeheizt –, die den Menschenrechten und der Integration Vorrang vor Grenzkontrollen einräumt. Internationale Schutzsuchende machen nur eine Minderheit der im Ausland geborenen Neuankömmlinge aus. In den Jahren 2015 und 2016 war Spanien kaum von den starken Fluchtbewegungen aus dem Nahen Osten nach Europa betroffen. Allerdings hat die Zahl der Asylanträge in den letzten Jahren – von einem niedrigen Niveau ausgehend – deutlich zugenommen und liegt nun unter den EU-Mitgliedstaaten an zweiter Stelle hinter Deutschland (Externer Link: gemäß der absoluten Zahl der 2024 in der EU gestellten Asylanträge). Die meisten Anträge stammen von Menschen aus Venezuela und Kolumbien. Darüber hinaus gibt es derzeit etwa 300.000 Ukrainer:innen mit vorübergehendem Schutzstatus. Insgesamt stammt fast die Hälfte der Einwanderungsbevölkerung Spaniens aus Lateinamerika (und spricht daher fließend Spanisch, was für die Integration von großem Vorteil ist), etwa ein Viertel aus anderen europäischen Ländern (Rumänien steht hier an erster Stelle) und ein Sechstel aus Afrika (vor allem aus Marokko mit etwa einer Million Menschen); aus Asien kommt eine von zwanzig im Ausland geborenen Personen.

Fluchtmigration – kein prominentes Thema

Bis heute ist die Fluchtmigration in Spanien kein prominentes Thema der öffentlichen Debatte, ebenso wenig wie die Interner Link: Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Abgesehen davon, dass in Spanien früher nur wenige Asylanträge gestellt wurden, ist dies wohl auf den breiteren Kontext eines Migrationssystems zurückzuführen, das in erster Linie auf einer beschäftigungsbasierten Integration beruht. Unabhängig davon, wie ihre Migrationsmotive administrativ einzuordnen sind, werden die meisten Neuankömmlinge schnell zu aktiven Teilnehmer:innen am Arbeitsmarkt. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gewährt Spanien Asylantragstellenden nach sechs Monaten Aufenthalt eine Arbeitserlaubnis; wenn dann Asylbewerber:innen abgelehnt werden, versuchen sie häufig, diese zuvor gewonnene Arbeitserfahrung für eine individuelle Aufenthaltserlaubnis geltend zu machen. Um den daraus resultierenden Verwaltungsaufwand zu verringern, wurden kürzlich migrationsrechtliche Änderungen vorgenommen: So soll durch eine klarere Trennung zwischen Flucht- und Arbeitsmigration die Zahl der Asylantragsteller:innen gesenkt werden. Das vorherrschende politische Ziel bleibt jedoch weiterhin die Förderung und nicht die Einschränkung des Zugangs von Drittstaatsangehörigen zum Arbeitsmarkt.

Tatsächlich gab es bisher auch kaum eine öffentliche Debatte über den Zusammenhang zwischen Spaniens expansiver Einwanderungspolitik (also viel Migration zuzulassen und zu fördern) und seinem Modell des Wirtschaftswachstums mit geringer Produktivitätssteigerung. Nachsichtige Praktiken wie die Interner Link: Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für irreguläre Migrant:innen auf individueller Basis und unter bestimmten Voraussetzungen finden derzeit zum ersten Mal seit Jahrzehnten breitere Beachtung und könnten bei bevorstehenden Wahlen eine wichtige Rolle spielen. Die breite Regularisierung von Migrant:innen polarisiert und wird entsprechend von einigen Parteien aktiv als Wahlthema genutzt. Aufgrund seiner Lage am südwestlichen Rand Europas ist Spanien unerlaubten Grenzübertritten über seine Seegrenzen ausgesetzt – sei es über die Straße von Gibraltar oder von Westafrika aus in Richtung der Kanarischen Inseln. Während einige Spanier:innen sich Sorgen um die Risiken machen, denen Migrant:innen auf solchen gefährlichen Reisen ausgesetzt sind, sehen andere in der Suche und Rettung auf See eine implizite Förderung des Geschäftsmodells, das diesen irregulären Überfahrten zugrunde liegt. Folglich löst eine steigende oder vergleichsweise hohe Anzahl abgefangener Boote in der Regel intensive Medienberichterstattung, politische Diskussionen und eine erhöhte Bedeutung des Themas Einwanderung in der öffentlichen Debatte aus – ungeachtet des im Vergleich zu den gesamten Einwanderungsbewegungen geringen Anteils unerlaubter Grenzübertritte.

Das Schicksal von unbegleiteten minderjährigen (überwiegend männlichen) Migrant:innen ist ein zweiter, damit zusammenhängender Schwerpunkt wiederkehrender Aufmerksamkeit, der durch unangemessenes politisches und administratives Handeln angefacht wurde. Ihre Umverteilung innerhalb Spaniens ist eine unausweichliche Notwendigkeit, aber die etablierten Parteien stritten sich monatelang fruchtlos über zielführende Verfahren. Dies hat der rechtsradikalen Partei VOX in die Hände gespielt, die seit ihrem Eintritt in das politische System Spaniens im Jahr 2018 versucht, Unzufriedenheit über die Einwanderung zu schüren. Dabei setzt sie unter anderem auf das Thema der Sorge um die öffentliche Sicherheit, die oft mit männlichen jugendlichen Migranten in Verbindung gebracht wird, teils mit einer deutlich islamfeindlichen Note.

Verändern sich die Einstellungen?

Die Meinungen und Einstellungen, die hinter diesen aktuellen Entwicklungen stehen, sind komplex. Die spanische Gesellschaft hat sich gegenüber Einwanderung und Einwander:innen vergleichsweise positiv gezeigt (vgl. Abb. 2). Der hohe Anteil lateinamerikanischer Migrant:innen erleichtert eine relativ reibungslose Integration, ebenso wie die anhaltende Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften. Allerdings könnte latent schwelende Unzufriedenheit eher früher als später das Ende der spanischen Sonderstellung in Bezug auf die öffentliche Meinung bedeuten. Einige Herkunftsgruppen (insbesondere Menschen aus Marokko) sind Vorurteilen der spanischen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt und Misstrauen gegenüber Migrant:innen muslimischen Glaubens ist weit verbreitet. Viele Spanier:innen sind der Meinung, dass im Ausland geborene Neuankömmlinge ungerechtfertigte Vorteile genießen würden, wie beispielsweise einen privilegierten Zugang zu öffentlichen Dienst- oder Sozialleistungen. VOX führt derzeit in Umfragen bei jüngeren Bevölkerungsgruppen, insbesondere bei Männern, und wird versuchen, jede künftige Krise, die die Grenzkontrolle, die öffentliche Sicherheit oder den Arbeitsmarkt betrifft, für sich zu nutzen. Dennoch dürfte jeder scheinbare Triumph der nativistischen Rhetorik von der Abhängigkeit des spanischen Wirtschaftswachstumsmodells von einer großen Zahl von Arbeitsmigrant:innen überdauert werden.

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Dr. Sebastian Rinken ist Forschungswissenschaftler am Instituto des Estudios Sociales Avanzados (IESA), einem sozialwissenschaftlichen Institut des spanischen Forschungsrats (CSIC) mit Sitz in Córdoba. Nachdem er sich intensiv mit verschiedenen Integrationsprozessen befasste, konzentriert sich seine aktuelle Forschung vor allem auf Einstellungen gegenüber Einwanderung und Eingewanderten sowie damit verbundene methodische Herausforderungen.