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Tertiärprävention im Kontext Rechtsextremismus

Lena Janssen Dr. Christian Pfeil

/ 13 Minuten zu lesen

Worum handelt es sich bei „Tertiärprävention“ ? Und wie grenzt sie sich von indizierter Prävention und Intervention ab? Wo liegen Grenzen und Problemkonstellationen?

Im Bereich Tertiärprävention und Ausstiegsberatung ist es wichtig, dass die Bereitschaft der Klientinnen und Klienten vorhanden ist, an Ideologie und Biografie zu arbeiten. (© Adobe Stock/num)

Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit Tertiärprävention im Kontext Rechtsextremismus. Hierbei werden Definition und Abgrenzungen zu indizierter Prävention und Intervention vorgestellt. Weiterhin geht dieser Text auf Grenzen und Problemkonstellationen innerhalb der Tertiärprävention ein. Die Autor:innen arbeiten im Handlungsfeld „Ausstiegsarbeit“ und nehmen diese Perspektive entsprechend auch in Argumenten und Beschreibungen auf.

Definition und begriffliche Abgrenzung

Prävention bezeichnet Maßnahmen, die die gezielte Vorbeugung von unerwünschten und zukünftigen Ereignissen oder Zuständen zur Aufgabe haben. Bei der Darstellung verschiedener präventiver Maßnahmen und Projekte treten häufig spezifische Begrifflichkeiten zutage, die zum Teil in Abgrenzung zueinander, zum Teil auch synonym verwendet werden. Die tertiäre Prävention setzt streng genommen nach diesen vorbeugenden Maßnahmen ein, nämlich dann, wenn das zu vermeidende Problem bereits vollumfänglich aufgetreten ist. Sie dient daher nicht der Vorbeugung des Kernproblems, sondern der Vorbeugung der Weiterführung der unerwünschten Verhaltensweisen (Interner Link: Greuel 2020).

Tertiäre Prävention überschreitet damit die Grenzen des allgemeinen Verständnisses von Prävention. Das Konzept der indizierten Prävention arbeitet mit einem weitaus engeren Begriff von Prävention und wird von Greuel folgendermaßen definiert:
„Demgegenüber greifen Maßnahmen gezielter Prävention, wenn bereits Risikofaktoren erkennbar sind (selektive Prävention) beziehungsweise wenn sich erste Problemausprägungen zeigen (indizierte Prävention). Als Prävention gilt hier also nur etwas, an dem es auch noch etwas zu verhindern gibt, nämlich die vollständige Ausprägung des unerwünschten Phänomens.“ (Greuel 2020)

Somit besteht zwar grundsätzlich ein ähnlicher Ansatz wie bei selektiver bzw. induzierter Prävention, der aber nicht deckungsgleich ist, da die tertiäre Prävention den Präventionsgedanken auf schon vorhandenes, vollständig ausgeprägtes Verhalten ausdehnt, die indizierte Prävention aber die Grenze zu einem Zeitpunkt zieht, bei dem das Auftreten unerwünschten Verhaltens, zumindest in voll entwickelter Form, noch zu verhindern ist.

Zielgruppen

Die Zielgruppen von Maßnahmen der Tertiärprävention sind definitionsgemäß Menschen, bei denen unerwünschte Verhaltensweisen bereits aufgetreten sind. Darunter fallen in der Ausstiegsarbeit Rechtsextremist:innen, die straffällig geworden sein können, aber nicht zwingend müssen, um dieser Zielgruppe anzugehören. Maßgeblich ist die Selbstverortung zu rechtsextremen Szenen oder rechtsextremer Ideologie, unabhängig von Gender, Identität, Herkunft oder sozialem Status. Der Wunsch, aus diesen Kontexten auszusteigen, muss dabei von den genannten Personen selbst ausgehen (Sander et al. 2019:10). Neben diesen Personen selbst richten sich Maßnahmen aber auch an das Umfeld, beispielsweise die Familien, Schulen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe.

Ausstiegsarbeit als Teil der Tertiärprävention im Kontext Rechtsextremismus

Tertiärprävention im Feld Rechtsextremismus wird von verschiedenen Akteur:innen geleistet. An dieser Stelle soll daher zunächst eine Übersicht über die Angebote und die jeweiligen Zielgruppen im Bereich tertiärpräventiver Maßnahmen gegeben werden.

Ausstiegsarbeit

Zielsetzung der tertiärpräventiven Intervention ist es, die Klientel aus rechtsextremen Haltungen, Anschauungen sowie Gruppen und Milieus herauszulösen und entsprechend in die Zivilgesellschaft zu reintegrieren. Damit soll eine Lebensführung ermöglicht werden, die mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) vereinbar ist (Meilicke/Weilnböck 2022: 595). Aussteigerprogramme (unabhängig davon, ob zivilgesellschaftlich oder staatlich organisiert) für Personen aus rechtsextremen Kontexten stellen ein Angebot mit klar definierter Zielsetzung und Adressat:innengruppe dar. Weiterhin wären hier neben den Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus auch und gerade Angebote innerhalb des Justizvollzugs, die sich an rechtsextreme Straftäter:innen wenden, der Bewährungshilfe, (psycho-)therapeutische Ansätze, Anti-Gewalt-Trainings etc. zu nennen, wobei sich das Angebot immer weiter ausdifferenziert. Diese hier (nur beispielhaft) aufgeführten Angebote und Varianten der Tertiärprävention gilt es in den folgenden Ausführungen mitzudenken.

Ausstieg wird definiert als „die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der menschenverachtenden Einstellung, eine gelungene Distanzierung, die Hinwendung zu einer Lebensweise, die mit den Grundwerten von Demokratie und Pluralität vereinbar ist, und den Verzicht auf Gewalt.“ (Sander et al. 2019: 10)

Umfeldberatung

Ausstiegsangebote bieten in der Regel keine Umfeldberatungen an. Dieses Feld wird vor allem von den Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus abgedeckt. Zielgruppen sind Bildungseinrichtungen wie Schulen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Journalist:innen, soziale Einrichtungen etc., aber auch Einzelpersonen. Durch die beraterische Tätigkeit sollen diese befähigt werden, sich gegen Rechtsextremismus, menschenfeindliche und -verachtende Einstellungen, Rassismus und Antisemitismus zu positionieren (Benzing et al. 2020). Diese Umfeldberatungen haben den Effekt, dass sich gegenüber rechtsextremen Personen eindeutig und klar positioniert wird, und ebendiese soziale Kontrolle kann einen positiven Einfluss auf die Handlungen solcher Personen haben. Darüber hinaus kann ein Umfeld, das der eigenen Haltung konträr gegenübersteht, zu Irritationen in der Haltung und in den Weltanschauungen führen. Daher ist es nur logisch, die Mobilen Beratungsteams als Akteure der tertiären Prävention zu verstehen (s. o.).

Überschneidung mit der Intervention

Maßnahmen der tertiären Prävention sind per definitionem auch Maßnahmen der Intervention . Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie dem Wiederauftreten von unerwünschten und zukünftigen Ereignissen oder Zuständen bei Personen, die das zu vermeidende Verhalten schon zeigen, vorbeugen will. Eine solche Korrektur lässt sich selbstverständlich nicht als feststehendes Wertekonstrukt Einzelpersonen gleichsam „überstülpen“. Vielmehr erfordert es einen Prozess, in dem sukzessiv problematische ideologische Dimensionen abgebaut und neue Handlungsstrategien erarbeitet werden. Im Idealfall wird dieser Prozess professionell-pädagogisch begleitet. Methodisch ist tertiäre Prävention also Intervention, die im Erfolgsfall präventive Wirkung hat. Diese Ausführungen sollen verdeutlichen, dass die (strikte) Abgrenzung zwischen Tertiärprävention und Intervention nicht immer eindeutig ist – und sein kann.

Die Unterscheidung zwischen Intervention (also Maßnahmen, die einen bereits manifest problematischen Zustand zu verändern suchen) und tertiärer Prävention ist wahrscheinlich überwiegend akademischer Natur und für das pädagogisch-professionelle Handeln eher nachgeordnet. Die Frage, wo die Grenze zwischen tertiärer Prävention und Intervention verläuft, lässt sich aus dieser Perspektive nicht beantworten. Für die pädagogische Arbeit wäre für obige Fragestellung eine weitaus sinnvollere Perspektive, wie innerhalb dieser überlappenden Konzepte professionell und gleichzeitig wissenschaftlich fundiert gearbeitet werden kann.

Ursachen der Radikalisierung

Um rechtsextremer Gewalt als Ausdruck von Einstellungsmustern erfolgreich etwas entgegenzusetzen, bedarf es Handlungsstrategien. Rechtsextreme Haltungen und Einstellungen sind kein Randphänomen, sondern ziehen sich durch die gesamte Gesellschaft. Daher müssen sie nicht nur in der tertiären Rechtsextremismusprävention, sondern auch in Politik und Öffentlichkeit permanenter Diskursgegenstand sein. Denn nur wenn rechtsextreme Gewalt und die ihr zugrunde liegenden Ideologien und Weltanschauungen problematisiert und benannt werden, wird die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen anerkannt.

Dazu scheint es unserer Ansicht nach unbedingt nötig, die Entstehung ideologisch fundierter Gewalt näher zu betrachten. Allgemein gilt ideologische Gewalt als Ergebnis einer diffizilen Interaktion zwischen sozialisationsbedingten Faktoren, individueller Veranlassung und Überzeugung (Knäble et al. 2021: 100). Die Entstehung dieses Gewalttypus ist in der Vergangenheit intensiv beforscht worden. Die Ergebnisse dieser Forschungen zeigen, dass die Faktoren, die ideologische Gewalt begünstigen, komplex und vor allem als multimodal generiertes Phänomen zu verstehen sind. Subjektive Eigenschaften wie beispielsweise Ansichten, Einstellungen und individuelle Emotionen werden zwar häufig als Erklärung für den Beginn von Gewaltspiralen dargestellt, sind aber ohne die Berücksichtigung von Sozialraum und sozialem Umfeld nur rudimentär als Erklärungsmuster geeignet (ebd.). Dennoch gibt es Faktoren, die einen Radikalisierungsprozess begünstigen, wie das Bedürfnis nach Identitätsstiftung. Im Zuge von (wahrgenommenen) Krisen kann ein Wertesystem verunsichert werden und es können sich bereits vorhandene, latente Unsicherheiten manifestieren (vgl. ebd.: 101).

Ebenso gelten Ereignisse wie Traumata oder Katastrophen, die einen negativen Einfluss auf die mentale und psychische Stabilität haben können, als begünstigende Faktoren für Radikalisierungsprozesse. Auch dieses Merkmal kann nicht als alleiniges Erklärungsmuster dienen, da die Wahrnehmung von Krisen sowie Resilienz und Vulnerabilität individuelle, personenbezogene Faktoren sind. Dennoch können Krisen bei Menschen, die schon latent ideologische Versatzstücke in sich tragen, dazu beitragen, dass diese sich plötzlich gezwungen sehen, mittels Gewalt ihre Ansichten und Haltungen unter der Prämisse einer konstruierten „Notwehrsituation“ (vgl. ebd.: 102) durchzusetzen.

Rechtsextreme Ideologien bedienen darüber hinaus das Bedürfnis nach Entkomplexisierung. Sie bieten einfache Antworten (und geben somit auch klare Handlungsanweisungen) auf komplexe Fragen und Situationen. Die Bewältigung von Angst und Unsicherheit, die jedem Menschen ein Grundbedürfnis ist, kann somit durch rechtsextreme Ideologien gelingen. Die dichotomen Denkmuster, die dabei transportiert werden, führen zu vermeintlicher Kontrolle und Selbstwirksamkeit (ebd.).

Handlungsstrategien

Einem prozesshaften Radikalisierungsverständnis folgend sieht sich pädagogisch-professionelles Handeln in der Tertiärprävention vor der Aufgabe, sowohl die Handlungs- als auch die Einstellungsebene der Adressat:innen in den Fokus zu nehmen. Denkbar sind hier beispielsweise Umfeld- und Sozialraumberatungen durch die Teams der Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus, die verschiedenen Angebote von Justizvollzugsanstalten (wie etwa Sozial- und Anti-Gewalt-Trainings bzw. psychotherapeutische Angebote) oder die Beratung durch Ausstiegsprojekte, die das Herauslösen von Adressat:innen aus rechtsextremen Kontexten zur Zielsetzung haben.

Dabei gilt es immer zu beachten, dass es die eine Handlungsstrategie in der Tertiärprävention im Kontext Rechtsextremismus nicht gibt, sondern vielmehr immer auf einen großen Methodenfundus zurückgegriffen werden kann und muss. Dieser unterscheidet sich dann noch einmal entsprechend von Angebot zu Angebot sowie zwischen der jeweiligen Adressat:innengruppe. So gibt es beispielsweise nicht die eine Methode in der Ausstiegsarbeit, ebenso wenig wie es die eine Methode in der Arbeit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus oder der Arbeit mit extrem rechten Straftäter:innen im Justizvollzug gibt. Professionalität in diesem herausfordernden Handlungsfeld bedeutet auch immer anlass- und kontextangemessen zu agieren. Der Schulterschluss von Staat und Zivilgesellschaft in diesem Bereich stellt eine wichtige mögliche Strategie der tertiären Rechtsextremismusprävention dar. Am Beispiel der Ausstiegsarbeit zeigt die Praxis, dass staatliche Angebote Klient:innen, die aufgrund ihres Ausstiegs stark gefährdet sind, besonders schützen können. Da sich relevante Sicherheitsprobleme häufig erst im Verlauf einer Beratung ergeben, können staatliche Projekte zivilgesellschaftliche in Kooperationsberatungen so unterstützen. Auch Klient:innen, die Beratung suchen und anhand ihrer Szenezugehörigkeit oder ideologischen Verortung nicht eindeutig zuzuordnen sind, können an diese Stellen weiterverwiesen werden.

Staatliche Ausstiegsprojekte konzipieren ihre Arbeit auf Basis des sicherheitsbehördlichen Extremismusbegriffs, Extremismus wird dort an Handlungen festgemacht. Daher arbeiten einige dieser Projekte phänomenübergreifend und bieten so Beratungssuchenden, die wie beschrieben nicht abschließend einer Extremismusform zuzuordnen sind, eine Anlaufstelle.

Probleme

Persönliche Sicherheit für Beratende wie Klient:innen

Mitarbeitende im Feld der tertiären Rechtsextremismusprävention sehen sich mit unterschiedlichen Problemlagen konfrontiert. Hier sind zum einen die Sicherheitsaspekte zu nennen. Mitarbeitende beraten Menschen und deren Umfeld, die sich in extremistischen Kontexten bewegen, beziehungsweise sind beratend in Sozialräumen tätig, in denen Rechtsextreme agieren – wobei die latente Gewaltbereitschaft, die von deren Strukturen ausgeht, immer mitgedacht werden muss: Vergeltungs- und Einschüchterungsaktionen, sowohl an beratungsnehmenden Personen als auch an Mitarbeitenden, sind durch die rechtsextremen Szenen nicht auszuschließen. Hier kommt erschwerend hinzu, dass für zivilgesellschaftlich organisierte Projekte (im Gegensatz zu den staatlich organisierten Angeboten) meist nicht die Möglichkeit besteht, die Mitarbeitenden mit Arbeitsidentitäten, die das Privatleben schützen könnten, „auszustatten“.

Für Klient:innen, die in Angeboten der Ausstiegsarbeit Anschluss finden, stellt neben der Gefahr von Bedrohungen und Repressalien durch den ehemaligen rechtsextremen Bezugsrahmen auch die Reintegration in die Zivilgesellschaft eine Hürde dar, die innerhalb der pädagogischen Arbeit adressiert werden muss: Soziale Isolation nach dem Ausstieg, individuelle Multiproblemlagen (Suchterkrankungen, Arbeitslosigkeit, Inhaftierung u. a.) stellen hohe (neben den professionellen auch persönliche) Anforderungen an die im Bereich tätigen Mitarbeitenden – die Verantwortung für Angebote zur Supervision liegt hier bei den einzelnen Trägern und kann aufgrund der meist angespannten finanziellen Situation nicht immer vorgehalten werden.

Ausgrenzung wegen ehemaliger Szenezugehörigkeit

Für die Klient:innen kommt erschwerend hinzu, dass weite Teile der Gesellschaft Menschen, die aus rechtsextremen Bezügen stammen, ablehnend gegenüberstehen (vgl. Pfeil 2016). Die Bedingungen für eine erfolgreiche Reintegration sind daher häufig auf einer zivilgesellschaftlichen Ebene nicht gegeben: So wollen Betriebe und Sportvereine keine „Ex-Nazis“ einstellen beziehungsweise als Mitglieder aufnehmen, in ländlichen Wohngegenden schließt die Gemeinschaft diese Personen von Gemeinschaftsaktivitäten aus, und selbst bei Wohnortwechseln kann es vorkommen, dass noch Jahre später Informationen über die ehemalige Szenezugehörigkeit am Wohnort und im sozialen Umfeld der Menschen auftauchen. Unter diesen Voraussetzungen ist eine pädagogische Arbeit mit dem Ziel der Reintegration in zivilgesellschaftliche Bezüge (als Rückfallprävention) zumindest sehr erschwert. Für den Bereich der Mobilen Beratung ergeben sich Problemlagen häufig aus der Arbeit in Spannungsfeldern verschiedener Interessen von Akteur:innen innerhalb der zu beratenden Sozialräume – gesellschaftliche Gegebenheiten also, die eine Auseinandersetzung mit dem Problem „Rechtsextremismus“ vor Ort zumindest erschweren können.

Strukturelle Unterfinanzierung der Tertiärprävention

Beratungsteams sind meist mit nur knappen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet und dennoch mit hohen Erwartungen – und einem hohen Anfrageaufkommen – konfrontiert. Die zum Zeitpunkt des Verfassens des vorliegenden Artikels immer noch vorherrschende Förderlogik von zivilgesellschaftlich organisierter (Tertiär-)Präventionsarbeit im Kontext der extremen Rechten muss im Zusammenhang von Problemlagen in diesem Arbeitsfeld noch einmal gesondert hervorgehoben werden: Die Arbeit in zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Maßnahmen der tertiären Rechtsextremismusprävention anbieten, findet in der Regel in Form von zeitlich begrenzt (durch Bund und/oder Länder) geförderten Projekten statt. Das bedeutet für die Mitarbeitenden, dass sie lediglich Jahresverträge erhalten. Vor dem Hintergrund dieser prekären Arbeitssituation sehen sich die einzelnen Beratungsangebote (oftmals) einer relativ hohen Fluktuation der Mitarbeitenden ausgesetzt, worunter entsprechend die Qualität der Beratungsarbeit leidet, da über Jahre aufgebaute Fachexpertise verloren geht und erst über einen längeren Zeitraum wieder aufgebaut werden muss.

Unvollständigkeit des Adressat:innenkreises

Migrantische Communitys werden derzeit kaum zum Adressat:innenkreis der Tertiärprävention gezählt. Wurden Migrant:innen lange als passives Objekt, nie aber als aktives Subjekt im Kontext von Rechtsextremismus betrachtet, zeigt der derzeitige Stand der Forschung, dass rechtsextreme, rassistische, antisemitische und menschenfeindliche Haltungen sich nicht auf die weiß gelesene, deutsche Gesellschaft beschränken, sondern international ein Phänomen sind und daher in transnationalem Habitus an Dynamik gewinnen (Bozay 2022: 148ff.). Ein Beispiel dafür sind die „Grauen Wölfe“ – eine rechtsextreme, türkisch-nationalistische Gruppierung, die seit geraumer Zeit auch in Deutschland agiert (Interner Link: Graue Wölfe – die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland) . Die Gewalt, die die Mitglieder dieser Organisation gegen türkische und kurdische, als linke gelesene Menschen ausüben, findet in anderen neonazistischen und rechtsextremen Szenen Anerkennung, sodass ein ideologisches Bündnis im Zuge dieser „Werteteilung“ zu beobachten ist. Das wiederum entzieht den „Grauen Wölfen“ die Basis für eine Positionierung gegen türkenfeindliche Übergriffe der anderen Gruppierungen, sodass dieses Bündnis bis heute unangetastet bleibt, da der Grundsatz „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ nicht an Wirkstärke verloren hat.

Begünstigt werden solche Dynamiken vom Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremer Bewegungen in Deutschland und europaweit. Die Synergieeffekte, die rechtspopulistische und -extreme Einstellungen sowie ethnisch-nationalistische Mobilisierungen dabei entwickeln, erzeugen einen tragfähigen Nährboden für Ungleichwertigkeitsideologien und Einstellungen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit durch alle Teile der bundesdeutschen Bevölkerungen und lassen dabei migrantische Communitys nicht aus (Bozay 2022: 148 ff.).

Gelingensfaktoren

Damit tertiärpräventive Maßnahmen erfolgreich sein können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Ausgebildetes Fachpersonal ist unerlässlich, damit pädagogisch-professionelle und qualitativ gute Arbeit geleistet werden. Konkret sind damit Qualifikationen der Erziehungs- und Bildungswissenschaften, der Pädagogik und der sozialen Arbeit gemeint. Darüber hinaus ist eine verlässliche Rahmung sicherheitskonzeptioneller Faktoren wichtig, um die Sicherheit der Mitarbeiter:innen, aber auch der Klient:innen gewährleisten zu können. Belastbare Arbeitsidentitäten inklusive Dienstausweis sind ein Faktor. Ein weiterer ist ein Zeugnisverweigerungsrecht, damit zum einen die Vertraulichkeit der Beratung, zum anderen der Schutz der privaten Daten von Mitarbeiter:innen gewährleistet ist. Ebenso beugt ein Zeugnisverweigerungsrecht Rechtsbrüchen vor, da eine richterliche Verpflichtung zur Aussage nicht die Schweigepflicht aussetzt.

Vor allem aber ist es wichtig, dass zivilgesellschaftliche Kontexte bereit sind, Menschen, die ausgestiegen sind, zu reintegrieren und ihnen eine zweite Chance zu geben. Ein Ausstieg aus einer Szene heraus kann nicht gelingen, wenn er nur aus etwas heraus, aber nirgendwo hinein führt. Eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit und Vertretung von demokratischen Grundwerten ist ebenso notwendig. Die 2023 veröffentlichte Mitte-Studie zeigt, dass rechtsextreme Einstellungen bei jeder zwölften Person in Deutschland verankert sind (Zick/Mokros, S. 71). Wie bereits dargestellt, zielen Maßnahmen der Tertiärprävention darauf ab, unerwünschte Verhaltensweisen zu korrigieren, das Korrektiv stellt dabei die Zivilgesellschaft dar. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird daher deutlich, dass eine demokratisch verortete Gesellschaft ein ausschlaggebender Faktor für die Ausstiegsarbeit ist.

Seitens der Klient:innen ist der Wille, etwas zu verändern (zumindest in abgestufter Form), ein wichtiger Gelingensfaktor. Größtenteils sind die Motive, die in die Ausstiegsberatung führen, auf Leidensdruck zurückzuführen, etwa durch Konflikte mit der Polizei und Gerichtsverfahren infolge von Straftaten, Verlust des Arbeitsplatzes nach Bekanntwerden der rechtsextremen Gesinnung oder die nicht gelingende Vereinbarkeit von Beziehung und/oder Familie mit der Szenezugehörigkeit. Auch wenn diese Motivationen nur wenig freiwillig sind, ist es wichtig, dass die Bereitschaft, in der Beratung an Ideologie und Biografie zu arbeiten, vorhanden ist. Nur so kann eine strategische Inanspruchnahme des Beratungsangebots verhindert werden und ein nachhaltiger Ausstieg gelingen.

Darüber hinaus sind Netzwerke, die über die Maßnahmen der Tertiärprävention hinausgehen, ein bedeutender Faktor. Diese können unter anderem Schuldnerberatungen, Suchtberatungen und -einrichtungen, Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe oder Familienhilfen sein. Klient:innen kommen in aller Regel mit Multiproblemlagen in die Beratung. Um einen Ausstieg zu ermöglichen, braucht es häufig zusätzlich Mitarbeiter:innen aus anderen Professionen, damit die Lebenssituation stabilisiert und verbessert werden kann.

Fazit und Ausblick

Die Arbeit im Bereich der Tertiärprävention stellt eine wichtige Säule im gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen die extreme Rechte dar. Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, wie sie unter anderem durch die Mitte-Studie 2023 deutlich gemacht werden, wonach über acht Prozent der befragten Personen eine „klare rechtsextreme Orientierung“ vorweisen (ebd.), wird dies noch einmal umso deutlicher.

Tertiärprävention bietet die Möglichkeit, extrem rechte Ausprägungen auf verschiedenen Ebenen (individuell oder auf Sozialräume bezogen) zu bearbeiten und zu adressieren – und erreicht damit sowohl Träger:innen der antidemokratischen Ideologie als auch (zivil-)gesellschaftliche Kontexte, die sich durch diese bedroht und angegriffen sehen. Tertiärprävention verhindert damit auch (erneut) Betroffene durch rechte, rassistische und antisemitische Gewalt, da zum einen sowohl Einstellungs- als auch Handlungsebene der Klient:innen im Fokus stehen, zum anderen Institutionen und Handelnde vor Ort dahingehend gestärkt werden, sich aktiv und nachhaltig gegen Rechtsextremismus im eigenen Sozialraum zur Wehr zu setzen. Tertiärprävention übernimmt folglich eine relevante gesellschaftliche Funktion, benötigt dafür aber eine dringende personelle wie finanzielle Stärkung ihrer Strukturen seitens Politik und Gesellschaft, um dieser wichtigen Aufgabe professionell und nachhaltig nachkommen zu können.

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Lena Janssen, geb. 1986, Pädagogin (Schwerpunkt Sozialpädagogik) BA, seit 2020 Ausstiegsberaterin bei dem zivilgesellschaftlichen Ausstiegsangebot Distance – Ausstieg Rechts, Niedersachsen. Ein Themenschwerpunkt ihrer Arbeit ist die kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz von Aussteiger:innen in der Präventionsarbeit.

Dr. phil. Christian Pfeil, geb. 1974, Diplom-Pädagoge, seit 2020 Projektkoordinator des zivilgesellschaftlichen Ausstiegsangebots Distance – Ausstieg Rechts, Niedersachsen, vorher u.a. tätig an der C.v.O-Universität Oldenburg mit Lehr- und Forschungsschwerpunkt Ausstiegsprozesse aus rechtsextremen Szenekontexten.