"Im 19. und bis zur Hälfte des 20. Jahrhunderts galt Europa noch ausschließlich als Auswanderungsregion. So verließen bis 1930 mehr als 50 Millionen Menschen den europäischen Kontinent, vorwiegend in die Vereinigten Staaten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Phase des Wiederaufbaus entwickelten sich einige der europäischen Staaten – allen voran Frankreich, Großbritannien und Deutschland – zum Zielgebiet von Zuwanderern. De facto sind inzwischen alle 15 "alten" EU-Mitgliedsländer zu Einwanderungsstaaten geworden, auch wenn dies zum Teil nach wie vor nicht ihrem Selbstverständnis entspricht und deshalb Rechtsgrundlagen – etwa ein Zuwanderungsgesetz – fehlen. Im Durchschnitt wandern derzeit offiziell etwa 700 000 Personen pro Jahr in die Europäische Union ein. Hinzu kommen nach Schätzungen der International Organisation for Migration (IOM) im Jahr zwischen 300.000 und 500.000 Menschen, die illegal in die Europäische Union einwandern. Gerade in Fragen der Zuwanderung zeigt sich, dass nationalstaatliche Lösungen nur noch begrenzt wirksam sind. Zugleich sind das Aufenthaltsrecht und Fragen der Staatsangehörigkeit "Knochenmark" der Souveränität von Nationalstaaten und Vorbehalte gegen eine Abgabe von Kompetenzen hier entsprechend hoch."
Quelle: Alfredo Märker, Zuwanderungspolitik in der Europäischen Union, Europäisierte Lösungen oder Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (B 8/2001)